Institut Deutsche Adelsforschung
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Mecklenburgischer Adel in der Frühen Neuzeit 1500-1750

Volltext-Edition zu Lebensläufen aus mecklenburgischen Leichenpredigten

Auf diesen Seiten finden Sie kostenfrei den Volltext einer Publikation mit einer thematischen Einleitung und Übersicht aus unserem Hause, die sich mit der Auswertung von Leichenpredigten aus der Landesbibliothek von Mecklenburg-Vorpommern zu Schwerin beschäftigt und vor allem aus kulturgeschichtlichem Blickwinkel verfaßt wurde. Bei Zitaten unserer Texte erbitten wir die entsprechende Quellenangabe.

Peregrination und Kavaliersreise

Dieser Abschnitt widmet sich der "Ausbildung und dem Vergnügen" junger mecklenburgischer Adeliger und ihren Studienreisen vom 16. bis 20.Lebensjahr. Durch die Leichenpredigten ist dieser Lebensabschnitt der jungen Edelleute besonders gut dokumentiert, zumal die entsprechenden Reisetagebücher fast kaum noch erhalten sind. Doch gibt diese Quelle keine Auskunft zu den näheren Umständen und den alltäglichen Fragen der Peregrination; der Blick auf die Innenansichten der Grand Tour bleibt gleichsam verschlossen. Über Motivation und Reiseverlauf erfährt man viel, nicht jedoch über das Wie der Reise, die Fortbewegungsmittel, die Kleidung, die Begründung für die Auswahl der besuchten Stätten, Personen oder Institutionen. 

Auch in neuen Forschungen zur Darstellung der speziell adeligen Peregrination fehlen Antworten auf diese Fragen.2 Dennoch sind die Daten und die Art des Reiseverlaufes oft sehr gut dokumentiert. Was verstand man in Mecklenburg aber unter der Peregrination?

Die Lustreise, Kavalierstour oder Grand Tour, wie man sie auch nannte, war eine eigentümliche Einrichtung der Barockzeit, mit welcher der deutsche Adel der immer größer werdenden Konkurrenz des gelehrten Bürgertums als Abgrenzungsmechanismus entgegentrat. Genügte es früher, von guter Herkunft zu sein, wurden bei der Umwandlung des fürstlichen Heerlagers in feste Verwaltungsstrukturen eine Menge gebildeter Männer benötigt, die nun zunehmend aus dem Bürgertum kamen und dem Adel die angestammten Ämter und Pfründen streitig machten. Wollte die Nobilität dem wirkungsvoll entgegentreten, mußte sie sich dort beweisen und unterscheiden, wo ihr Lebensnerv am ehesten getroffen wurde: an den Universitäten und Bildungsstätten der Bürgerlichen. Aber der Adel machte sich nicht mit dem Bürgertum gemein, er wahrte ein gewisses Standesethos, indem er beispielsweise auf Abschlüsse verzichtete. 

Kaum einer der vorgestellten mecklenburgischen Edelleute hatte daher einen Baccalaureus, Magister oder gar einen Doktor vorzuweisen, von Ausnahmen abgesehen. Zu diesen gehörte beispielsweise Daniel Nicolai v.Greiffencrantz (1613-1679), der den Doktorgrad allerdings erhielt, als er noch nicht geadelt war. Eine richtige Ausnahme war hingegen Johann Christoph v.Hillen (1620-1665), der aber nicht zum eingeborenen Adel gehörte. 

Da die Zeit der Peregrination also nicht ausdrücklich und ausschließlich dem Erwerb abschlußfähiger Kenntnisse gewidmet war, wurde sie mit anderen Inhalten gefüllt: mit dem Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen, die man nur erwerben konnte, wenn man die entsprechenden finanziellen Mittel besaß: hoffähiges Benehmen, parlieren, "à-la-mode-sein´" waren ganz wesentliche Eckpunkte der Peregrination. Daneben ließ man sich natürlich gern auch an den Hochschulen einschreiben. Die Voraussetzungen für einen Universitätsbesuch waren niedrig; man mußte lediglich lesen und schreiben können, um eine Immatrikulation zu erwirken. 

Interessant machten sich die Akademien für den Adel durch manche Vorzüge: viele boten in ihrem Fächerkanon die sogenannten "Kavaliersfächer" wie Fechten, Reiten oder Parlieren an. Außerdem war die Einschreibung oft verbunden mit der Erlaubnis zum Waffentragen; beides erhöhte die Attraktivität des Studierens für den Adel erheblich. Die Bedeutung für den jungen Edelmann selbst war durchaus unterschiedlicher Natur. Je nachdem wie ernsthaft er seine Kavalierstour betrieb, konnte er viel oder wenig lernen, sich mit fremden Sitten und Gebräuchen vertraut machen, oder einfach nur die Zeit vertrödeln. 

In einigen zeitgenössischen Beobachtungen zu mecklenburgischen Edelleuten war zu lesen, 

  • "wie sonsten heutigen Tags viel der jungen von Adel / trotzen vnd pochen auff ihr Adeliches herkommen / streben vnd trachten aber im geringsten nicht nach einer Adelichen Tugendt / sondern Sauffen und Fressen auff biß ins Alter hinein". Es gäbe auch viele junge Edelleute, "die ihre Zeit vnd Gelde auff Universiteten fast vergeblich dahin bringen / meinen wenn sie nur drey Jahr in einer Universitet complieret / so sein sie zu einem Canonicat gar düchtig / da sie doch mehrmals die Bier- vnd Weingläser fleissiger denn die Bücher in acht genommen".
Manche junge Adelige werden auch nach einer strengen Erziehung die Gelegenheit genutzt haben, über die Stränge zu schlagen, ihren ersten selbstbestimmten Lebensabschnitt eigenhändig zu gestalten. Es kam offenbar - nach einem anderen zeitgenössischen Zeugen zu urteilen - nicht selten vor, daß, 
  • "wenn dieselben von den Ihrigen in frembde Jegent geschicket / vnnd nach dem das Geldt / nebst der edlen Zeit dahin ist / wieder zu Hause kommen / nicht mehr mitbringen / als etwa eine newe närrische Tracht von Kleidern und Haaren / können etwa ein paar frantzösischer Wort vnd compliment / gauckliche pfantastische reverentzen / vnd was dergleichen unnützen Dinge mehr / in receßu aber offt wenig dahinden ist".
Nur wenn ein Praezeptor oder Hofmeister mit auf Reisen ging, war eine geregelte Grand Tour garantiert. Solche Hofmeister aber kosteten wieder Geld, das nicht jede Adelsfamilie noch zusätzlich zu den schon hohen Reisekosten erübrigen konnte. Allein im benachbarten Schleswig-Holstein konnte eine Kavalierstour bis über 10.000 Reichstaler kosten - eine Summe, mit der man sich sogar auf einem Gut ankaufen konnte.

Erziehungsziel auf solchen Reisen war die Perfektionierung in den Disziplinen Sprachen, Reiten, Ringrennen, Fechten, Tanzen, Musizieren und Foldasieren. Man besuchte aber auch berühmte Wissenschaftler oder Institutionen am Ort, beispielsweise Ritterorden, Schriftsteller oder auch Astronomen. Neben den Lerninhalten der Wissenschaften bildete man sich gern auch weltmännisch. Hierzu gehörte neben der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten der Architektur auch das Bestaunen von Naturwundern, wie dies beispielsweise bei einem feuerspeienden Vulkan wie dem Ätna oder dem Vesuv möglich war. 

Ansonsten suchten die jungen Edelleute je nach der finanziellen Beschaffenheit des elterlich gefüllten Geldbeutels vor allem höfische Veranstaltungen auf: 

  • Schiffs-Streite, Wasserspiele, Feuerwerke, Komödien, Münzsammlungen, Bibliotheken, Kunstkammern (wie die in München, besucht beispielsweise von Henning v.Hagen), Wunderkammern, Ballspiele, Schauspiele, Bankette, Ballette, fürstliche Lager, fürstliche Hochzeiten und Jubiläumsfeste, kostümierte Aufzüge, warme Bäder und allerlei andere Vergnügungen, die neben Kurzweil auch die Möglichkeit boten, sich höfisch benehmen zu lernen. 
Die Reiseroute und das Vorwärtskommen waren von mehreren Faktoren abhängig. Kam kein Krieg, keine Krankheit oder kein Unglück wie Naturkatastrophen, Raub, Mord oder Schiff- und Wagenbruch dazwischen, war die Bereisung mehrerer Länder ungeschriebene Pflicht. Hatte man Mittel und Möglichkeiten, bestellte man sich einen Wagen, sonst ritt man auf Eseln oder - was vornehmer war und schneller ging - auf Pferden. 

Für die Wasserpassagen ließ sich fast überall ein Schiff finden, welches Passagiere an die entlegendsten Ziele brachte.8 Der Kontakt zu den Eltern wurde per Bote, über Kaufleute oder Kommilitonen aufrechterhalten und funktionierte trotz der großen Entfernungen und Kriegsläufte für den mecklenburgischen Adel erstaunlich gut. Es konnte kein Fall ermittelt werden, indem sich der junge Edelmann vollkommen von seinen Eltern losgelöst hätte und öfters kam es vor, daß die Eltern den Sohn sogar brieflich zurückforderten von seiner Peregrination, wie geschehen bei Otto Friedrich v.Hobe (1674-1732) oder Peter Andreas v.Lintz (1652-1679). Das bedingte, daß die Eltern also in der Regel auch immer über den Aufenthaltsort der Kinder informiert waren. 

Um eine weitere Stelle anzulaufen und sich von einem Ort zum nächsten zu begeben, suchte der junge peregrenierende Adelige stets nach Empfehlungsschreiben, wie auch der Pädagoge Julius Bernhard  v.Rohr in einem Reiseführer betonte: "Sonderlich nimm von dem Ort, da du her bist, gute Recommendations-Schreiben mit, sie seyn auch von wem sie wollen. Die Recommendationen ... helffen dir auf Reisen aus der Noth." 
Dieser Ratschlag wurde sehr beherzigt, konnte von ihm doch sehr viel abhängen. Als Beispiel sei im folgenden ein Empfehlungsscheiben aus dem Jahre 1723 als Exempel für Beziehungstrukturen in der neuzeitlichen adeligen Ämtererlangung genannt. Es handet sich um eine sogenannte Rekommendation der Wolfenbütteler Herzogin an dem Bischof von Lübeck für einen Jungen von Adel:
 
Anschrift "Dem Fürsten Christian August Fürstbischof des Stifts Lübeck, Herzog zu Holstein und Schleswig, Stormarn und der Dithmarschen, Grafen zu Oldenburg und Delmenhorst in Eutin.
Anrede Hochwürdigst Durchleuchtigster Fürst, freundlich vielgeliebter Herr Vetter, Sohn und Gevatter! 
Empfehlungs-
schreiben 
in einem Satz
An mich hat [der] Ueberbringer dieses [Biefes], ein junger von Adel Nah[mens]... v.Traubnitz, welcher Profession von der Reuth-Kunst [hat], sowohl in Franckreich, woselbsten [er] vor einigen Jahren ... [mit dem] Herrn Erb-Printzens, als meines Groß-Sohnes Edl. [Herrn]... ge[wesen], als an verschiedenen Sächßischen Höfen die Reuth-Schule frequentiret [hat], das unterth[änig]ste Bitten gebracht, [mich] An Euer Edl. dahin freund-Mütterlich zu verschreiben, daß da er von Franckreich eine Reiße nacher Petersburg vorzunehmen, und daselbsten seine Acommodement zu suchen gedenket, Euer Edl. Ihm mit einer Vorfrist an das alda sich aufhaltenden Herrn Herzog von Holstein Edl. zu begnadigen, geruhen möchten. Da [dem] v.Traubnitz, dessen verstorbenen Vatter viele Jahre in alhiesigen Diensten gestanden, [und] da er sich jederzeit wohl und honet aufgeführet, Als habe Ich keinen Anstand nehmen wollen, Euer Edl. hiermit freund-Mütterlich zu ersuchen, daß Sie vor diesen jungen Menschen die hohe Gnade zu haben, und demselben mit dem zu seinem künftigen fortkommen an obged. Herrn Hertzogs Edl. sich also unterth[änig]st ausbittenden Recommendations-Schreiben zu statten zu kommen geruhen wolten.
Schlußformel
und Gruß
Worgegen Ich inmittelst mit ohnveränderter Vollkommensten freund-Mütterlichen Ergebenheit lebenslang verharren werde, als Eure Edl. ... Dienerin ... Augusta Maria [Herzogin von Wolfenbüttel] d.d. Augustenberg, den 15.Julij 1723".

Die Wirkung solch eines Schreibens war nicht zu unterschätzen, wie dieser Beispielfall in seinem weiteren Verlauf bewies: Der Bischof dankte der Herzogin für ihr Schreiben und wollte v.Traubnitz "sowohl weg. seiner guten Aufführung als habende Erfahrung in der reit-Kunst" fördern. 

Zugleich aber bedauerte er, daß er "bey unserer eingeschrenkten Hoff-statt ihn zu employ[ie[ren keine Gelegenheit habe." Da er ihm jedoch infolge "gedachter, an uns geschehener recommandation halber gerne gehollfen mögte und dann aus denen von Ew. Edl. uns jederzeit erwiesenen vielen sonderbahren civilites und Ehren-Bedingungen" empfohlen worden war, versuchte er an anderer Stelle "wo möglich, eine employe zu wege zu bringen." 

Das naheliegendste war, den jungen Arbeitssuchenden einem anderen verwandten Fürsten zu empfehlen, was dann auch geschah. Bis zu seiner Einstellung erklärte sich der Bischof aber großzügigerweise bereit, ihn bis dahin an seinem Hofstaat freie Tafel zu gewähren.

An dem vorgenannten Beispiel läßt sich daher die Wichtigkeit von Empfehlungen erkennen, die sich der Jungadelige möglichst an allen Stellen, bei denen man bekannt war, geben ließ. Nicht unwichtig waren dabei verwandtschaftliche Beziehungen, da man einem Angehörigen einer bekannteren Familie eher eine Anstellung gab, als einem vollkommen Fremden. Über die Verdienste des Vaters hatte also v.Traubnitz immerhin erreicht, daß sich gleich zwei Fürsten für ihn einsetzten. 

Ähnlich ging es auch den benachbarten mecklenburgischen Edelleuten, die über solche - heute für den mecklenburgischen Raum nur noch recht selten überlieferten - Empfehlungsbriefe ebenfalls Lebensstellungen errangen. Somit wurde die Peregrination über den Bildungswert hinaus oft auch zum Sprungbrett für eine berufliche Laufbahn, die sich sehr nach den Umständen der Studienreise richten konnte (Umgebung, Reiseroute, Treffen mit Persönlichkeiten, Besuch wichtiger oder unwichtiger Höfe). Die Reiseroute konnte aber auch beeinflußt werden von den Gelegenheiten, die sich vor Ort ergaben. Henning v.Hagen (†1626) beispielsweise ließ sich von einigen ihm sympathischen Mitreisenden dazu verleiten, Italien zu besuchen. 

Das Gepäck der reisenden jungen Adeligen beschränkte sich nur auf das Nötigste: "Auf der Reise habe überhaupt nicht mehr Bagage bey dir, als nöthig: Denn es ist kostbar und beschwerlich, viel mit sich zu schleppen. Führe lieber einen großen Coffre bey dir, darinnen du deine Sachen beisammen hast, als viele kleine Packetgen und Küstgen, die du leicht verliehren kannst, oder dir gestohlen werden können." 

Was man auf der Grand Tour besah und wie die Route verlief, hing ferner von den finanziellen Möglichkeiten des Edelmannes ab. Finanziert wurden die Reisen über Bargeld und Wechselbriefe der Eltern oder der Vormünder. Und nach deren Budget richtete sich auch das Programm der Grand Tour: Beliebt waren neben Maschinen, Wasserspielen, Gärten, architektonischen Meisterleistungen, Festungen und Garnisonen in erster Linie die fürstlichen Höfe. Dabei meldete man sich zuerst beim Hofmarschall, der es übernahm, den Angekommenen der Herrschaft zu präsentieren. Diese Aufgabe konnte auch ein anderer Kavalier übernehmen, wenn man einen an dem betreffenden Hofe kannte. 

Wollte man länger bleiben, so ließ man sich vom Hoffourier die Hofordnung geben, um die Namen der Landesherren, der Gemahlinnen, der Kinder, der Güter, die Höhe der Besoldungen und die vornehmsten Bedienten kennen zu lernen. Man befaßte sich mit den Personaldaten der Fürstlichkeiten und korrigierte und ergänzte sie in den oft mitgeführten genealogischen Tabellen. Man studierte ferner das Landesrecht, das Ökonomie- oder Kammerwesen, die Innen- und Außenpolitik des Fürsten, untersuchte, wie er sich gegenüber der Religion und den Untertanen verhielt.

Zweck dieser genauen Information war, später genaue Auskunft über die Beschaffenheit eines Hofes geben zu können: "Willst Du einst an son einem Hofe dein Glück machen, so weißt du alle die Ressorts und Canäle, an wen du dich zu adressieren habest oder nicht, auch wie du dich bey einem aufführen solst, und recommendiren könntest."

Die Mode der Kavalierstour war aber auch bedingt durch die hohe Stellung, die der absolutistische Fürst im Staatsleben ganz Europas zu dieser Zeit einnahm. Zumal Ludwig XIV. war das Vorbild aller europäischen Fürsten. Seine Macht- und Glanzentfaltung konnte nie ein Fürst erreichen, versucht aber wurde es doch immer. Die Grand Tour lehnte sich an den Spruch "Der Staat bin ich" des Sonnenkönigs an, denn wer den Fürsten kannte, kannte den Staat, wer den Fürsten zum Freund gewann, hatte bessere Chancen auf ein einträgliches Hofamt oder eine Stelle beim Miltiär.

Aufgekommen war die Peregrination deshalb mit der Ausbildung des Absolutismus. Als im 15.Jahrhundert noch die Macht der Stände in Ostelbien so stark war, daß die Fürsten sich durch adelige Geldgeber abhängig machten, war es wenig notwendig, sich dem Schwächeren bekannt zu machen. Erst als der Fürst das Szepter nach und nach wieder in die Hand nahm und auch durch stehende Heere mächtiger wurde (wenngleich immer noch hoch verschuldet wegen der übermäßigen Prachtentfaltung), wurde es für jeden jungen Mann von Stande attraktiv, sich dem Fürsten wieder zu nähern. Nun war die Kavalierstour nicht etwa ein regionaler Einzelfall, sondern fast der ganze hoch- und niederadelige Stand des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation peregrenierte kreuz und quer durch Europa. 

Eine globale Untersuchung der Grand Tour liegt bisher in Ansätzen nur für die Landschaft Sachsen vor. Dort gab es zwei Phasen der Peregrinationshäufigkeit: von 1600 bis 1620 und von 1650 bis 1750. Betrachtet man diese Abschnitte, so fällt die Lücke des Dreißigjährigen Krieges auf. Hier hatte der junge Edelmann kaum Gelegenheit, friedlich auf die Grand Tour zu gehen, sondern kämpfte in der Regel bereits im Felde. Für Sachsen lassen diese zwei Phasen interessanterweise auch verschiedene Ziele der Grand Tour aufscheinen: reiste man vor 1620 nach Italien, so ließ das Interesse an diesen Ländern nach dem Westfälischen Frieden von 1648 erheblich nach. Jetzt wurden die Länder, die den Dreißigjährigen Krieg besser überstanden hatten, zu den Kulturnationen Europas: allen voran Frankreich, dann England und die Niederlande. Deutschland hingegen war dreißig Jahre Kriegsschauplatz gewesen, ein ausgeraubtes Land, von der Pest heimgesucht und von Hungersnöten gepeinigt. Jetzt aber strömten die ausländischen Einflüsse zuhauf in dieses leere Land ein und überschwemmten Deutschland mit ihren Sitten und Gebräuchen. Es wurde Mode, französisch zu sprechen und wer es nicht konnte, wurde nur für einen halben Menschen gehalten. Entsprechend richtete sich die Kavalierstour vor allem aus nach dem französischen Vorbild.

Mit dem Aufkommen des französischen Absolutismus wurde Frankreich mehr und mehr Blickpunkt und der europäische Mittelpunkt des kulturellen Interesses. Man konnte von einem Einbrechen des französischen Modegeistes in alle Lebensbereiche sprechen, auch in die des mecklenburgischen Adels. Der fürstliche Hof ging darin voran. Es wurden französische Erzieher eingestellt. Die ehemals angestrebte Verinnerlichung und das stille Hausleben waren zugunsten einer glanzvollen geradezu frankophilen Weltsicht abgelöst worden, die in äußerem Glanz innere Werte kaum beachtete. Begehrt waren die französische Sprache, französische Kleider, französische Speisen, französischer Hausrat, französische Tänze, französische Musik und sogar französische Krankheiten. 

Französisch war auch die Verehrung der Frau in der ritterlichen Gesellschaft: Sie nahm in diesem Denken eine hohe Stellung ein. Ihr wurde als Dame der Hof gemacht, die Frau wurde als gesellschafliches Wesen umworben, "wie denn alle Cavaliers zu hofe, benebst denen ritterlichen Übungen, als Reiten, Tanzen, Turnieren, Aufzüge halten und andere Kurzweil, die meiste Zeit zubringen, damit sie dem Frauenzimmer aufwarten und so gut, als sie nur können und wissen, solche bedienen. O wie sauer läßt sich` s so mancher werden, eine galante Nachtmusik zu bringen!"

Trotz aller frankophilen Neigungen des mecklenburgischen Adels zur Zeit Ludwig XIV. kann im Überblick zu den anderen Reiseländern in der Peregrination aber eine These aufgestellt werden, die verblüfft: Trotz wesentlich schlechterer Kommunikationsmöglichkeiten und -wege war der mecklenburgische Adel weit europäischer geprägt als provinziell zurückgeblieben. 

Die Zeit seit 1989, in der sich der europäische Adel einen gemeinsamen Ehrenkodex gab und in Form der CILANE die deutschen Adelsverbände an einem intensiven europäischen Austausch interessiert waren und sind, kann also durchaus auf eine Tradition zurückblicken. Denn durch die Peregrinationen bis zur Mitte des 18.Jahrhunderts waren die Führungseliten Mecklenburgs weit umfassender länder- und grenzübergreifender gebildet als man dies vermuten sollte. Aufgrund der Führungsposition des einheimischen Adels und seiner Einflußmöglichkeiten auf Kultur, Wirtschaft und Politik kamen die im Ausland gemachten Erfahrungen der Grand Tour in vielfacher Weise der Heimat Mecklenburg zugute. 

Provinzielle Verstocktheit oder eine beschränkte Weltsicht hatten beim mecklenburgischen Adel daher keinen Platz, vielmehr war weltmännisches tolerantes Denken geschult worden, man hatte Alternativen zu herkömmlichen Modellen in allen Lebensbereichen kennengelernt und sich sein Urteil bilden können. Die Erfahrungen der Grand Tour wurden so nach Mecklenburg "importiert".

Der Adelige peregrenierte in der Regel zwischen seinem 15. und 30.Lebensjahr. Es  gab freilich einige Sonderfälle verfrühter Peregrination in Mecklenburg, beispielsweise die der beiden Halbbrüder Carl Ludwig (1693-1752) und Friedrich Wilhelm v.Mecklenburg (*1694), die mit Lebensläufen aus Leichenpredigten hier nicht erwähnt werden. Deshlab sei ein kurzer Blick auf deren Grand Tour gestattet: Sie waren beide natürliche Kinder des Herzogs Friedrich Wilhelm von Mecklenburg (1675-1713) und gingen schon mit 13 bzw. 12 Jahren für sechs Jahre auf die Grand Tour durch Frankreich und die Niederlande.
 
Lehrplan Der Herzog verfügte bereits für den Sommer 1706 eine verfrühte Peregrination (die bis 1712 dauerte), während der am üblichen Lehrplan festgehalten werden sollte. Er betonte, "die beiden Messieurs" sollten "bey zunehmenden Jahren insonderheit in Rechten sich üben wie auch in Mathesi." Der Herzog wies seinen Hofmeister an, zunächst nach den Niederlanden und dann nach Frankreich zu gehen. Bei der Reise durch die Niederlande sollten auch Orte besucht werden, die nicht direkt auf der Reiseroute lagen. Schließlich bestimmte er, daß man Aufenthalt in Paris nehmen solle, "weilen sie wegen ihrer Jugendt vom Hoffe zu Versailles annoch nichts profitieren können."
Reiseroute Im Oktober 1706 waren sie nach einer längeren Reise schließlich in Paris angelangt. Der Hofmeister wollte seine Schützlinge anfänglich auf eine Akademie nach Den Haag senden, erhielt auf diesen Vorschlag aber keine Antwort vom Herzog. So kaufte er Feder, Tinte, Papier, Landkarten und Bücher, mietete ein Klavier und stellte Lehrer an: einen Tanzmeister, einen Sprachlehrer, einen Musiker, schließlich auch eine Wäscherin. 
Kleidung und 
Vergrnügen
In Paris ließ der Hofmeister seine Schützlinge nach der neuesten Mode kleiden und kaufte ihnen Röcke, Schuhe, Strümpfe und Knöpfe, dazu Puder, Jasmin und Handschuhe. Während ihres Pariser Aufenthalts hatten sie außerdem eine eigene "Carosse" zur Verfügung, fuhren damit in der Stadt und aufs Land hinaus, abends auch öfters in Opern und Komödien. 
Er achtete auf die Fortschritte seiner beiden Zöglings und entschied in diesem Fall auch über neue Lerninhalte. Er beobachtete, ob die beiden "Mecklenbürger" so weit war, "daß er zu waß mehres könne angeführet werden."
Leistungs-
kontrolle
Ein Bericht über den Wissensstand seiner Untergebenen zeigte noch einmal, welche Lehrinhalte die adelige Erziehung der Barockzeit ausmachten; denn er erlaubte den beiden 12jährigen nunmehr die hinreichende Definition ihrer eigenen Religion im Gegensatz von anderen Glaubensrichtungen, im Sprachenbereich die Übersetzung lateinischer Prosatexte ins französische oder deutsche. In der Geschichte - die als eine Historie einer von Gott gewollten Standesordnung konzipiert war - waren sie in der Lage, die Geschehnisse der Neuzeit zu beschreiben und chronologisch-thematisch einzuordnen, auch kannten sie die Genealogie der europäischen regierenden Fürstenhäuser bis zur dritten Generation ihrer Gegenwart aus gesehen rückwärts auswendig. Die Mathematik, die sich neben der Geometrie und der Aritmethik auch auf die Festungslehre und Architektur bezog, beherrschten sie ebenfalls in ihren Grundzügen.
Höfische 
Erziehung
Besonders wichtig war, daß die höfische Konversation beherrscht wurde. Sie durfte keinesfalls hinter die Wissenschaften treten. Geschah dies dennoch - wie einmal bei den schon erwähnten Carl Ludwig und Friedrich Wilhelm v.Mecklenburg -, blieben sie merklich in ihren ritterlichen Übungen zurück, "daher es kombt, daß die jungen v.Mecklenburgern, wan sie sich bey jemand zuzeiten befinden, mit welchem sie nicht täglich zu seyn gewohnet, fast gantz verstummen und dahern sie anjetzo, da sie funffzehen bis sechzehen Jahre haben, nicht mehr alß bisher unter Leuten zuseyn gewehnen hernach alle Mühe haben werden, sich wohl auffzuführen."
In der Tat wurden nun die höfischen Übungen vermehrt betrieben und das Reiten begonnen. Dafür wurden Stiefeletten, für den Fechtunterricht wurden Lanzen und zum Schießen wurden Pistolen beschafft. Auch der Aufenthalt in der Natur wurde durch Ausflüge in die Umgebung von Paris unterstützt.
Erlernen 
barocker 
Formen
Man besuchte gern die Pariser Gesellschaft und knüpfte Kontakte vornehmlich zu französischen Adeligen, aber auch zu anderen Kavalieren, die hier aufwarteten. Von der Reiseroute her betrachtet war dies nur eine Petit Tour, die mit den Reiseländern Niederlande und Frankreich nur das nötigste "Pflichtprogramm" abgesteckt hatte. 

Bei allen Überlegungen und Beobachtungen läßt sich abschließend zur Grand Tour feststellen, daß sie zur wichtigsten Erziehungszeit eines jungen mecklenburgischen Edelmannes gehörte, die in erheblichem Maße das Selbstverständnis des Adels prägte und dessen weiteres Leben beinflußte.


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