Institut Deutsche Adelsforschung
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Neues Instrumentarium zur interkulturellen Kommunikation

Zur besonderen Anwendung in den historisch orientierten Kulturwissenschaften

Es muß schon als erstaunlich bezeichnet werden. Interkulturalität und interkulturelle Kommunikation ist bereits in den 1950er Jahren in den USA, dann auch ab den 1970er Jahren auch in Europa und Deutschland als eigenständiges Phänomen wahrgenommen worden; siehe dazu unter anderem Christoph Barmeyers Taschenbuch der Interkulturalität, das 2013 in Göttingen erschienen ist. Trotzdem wurde dafür bisher kein pragmatischer Werkzeugkasten zur Verfügung gestellt, wie er jetzt erst erschienen ist. Dafür mußte wohl erst die digitale Revolution der 2000er Jahre stattfinden, die kulturelle Kontakte in Massen für alle Internetbenutzer*Innen möglich machte. Hamid Reza Yousefi, interkultureller Philosoph aus dem Iran und zugleich aus Süddeutschland, hat sich in seinem wissenschaftlichen Leben, abgeleitet von seinem persönlichen Hintergrund und auch seiner bikulturellen Ehe, vor allem mit Fragen der interkulturellen Begegnungen befaßt und hierzu auch bereits einiges Material veröffentlicht (z.B. Grundpositionen der interkulturellen Philosophie, Nordhausen 2005). 

Sein Motiv für seine jahrelange Arbeit an dieser Thematik ist es, im Zeitalter zumindest räumlich und technisch relativ einfacher und unaufwendiger Begegnungen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, das bei der Verständigung in solchen Fällen dienlich sein kann. So haben sich zwar, ausgehend von der Geschichte des Reisens, die Möglichkeiten und die Schnelligkeiten der Begegnung mit Menschen aus Gruppen mit anderen sinn- und orientierungsstiftenden Mustern als die eigene Gruppe vervielfacht und beschleunigt, nicht damit Schritt halten konnte aber nach Ansicht des deutschiranischen Philosophen die Strategie, mit denen sich Menschen auf „kulturellen Grenzen“ begegnen. 

Auch wenn es an sich problematisch und diskursanfällig ist, von Kulturen als festgefügten Entitäten zu sprechen und daher Dichotomien in Bezug auf Kulturen zu bilden, so ist die Crux diesbezüglich doch nicht ganz auflösbar. Interkulturelle Begegnung ist natürlich dort nur möglich, wo es nicht schon zu Transkulturalismus oder zu Verschmelzungspraktiken gekommen ist, ist nur dort möglich, wo unterscheidbare Kulturen noch als eigenheitlich erkennbar sind. So wird man also auch im interkulturellen Konzept immer noch ausgehen dürfen von Kulturen, die sich voneinander unterscheiden. Doch anders als der Multikulturalismus, in dem Kulturen unabhängig voneinander nur nebeneinander gesehen werden und der erwähnten Transkulturalität als neuer und synkretistischer Form (hier könnte man als Beispiel die Madonnenverehrung der chinesischen Diaspora als Mazu mit Inkapsulation von bildlichen Madonnenvorstellungen auf den Philippinen ansprechen), geht Interkulturalität den Weg der Begegnung, hängt damit dem Konzept im Kern noch unterscheidbarer, wenn auch grundsätzlich wandelbar-offener Kultursysteme an. Immerhin aber erscheint diese Sichtweise als praktikabel, sowohl für die alltägliche interkulturelle Arbeit, z.b. in der sozialen Arbeit, zunehmend aber auch in vielen anderen Bereichen vom Alltag bis hin zu Behörden, Verwaltungen, Einrichtungen und politischen Institutionen.

Denn kulturübergreifende Begegnungen finden im XXI. Jahrhundert nahezu alltäglich statt. Um Angehörige anderer Kulturen zu treffen, bedurfte es in der Vergangenheit des Reisens, heute dagegen befinden sich allein in Deutschland viele Menschen mit Migrationshintergrund, in erster, zweiter oder dritter Generation, ist der temporäre und dauerhafte Austausch reger, intensiver und wesentlich häufiger geworden. Daß in dieser Situation kritische und nicht verabsolutierende Selbstreflektionen notwendiger denn je sind, leuchtet ein, wenn eine interkulturelle Begegnung gelingen soll.

Hamed Reza Yousefi widmet sich daher auch wieder in seinem neuesten 204seitigen Werk namens „Interkulturelle Kommunikation. Eine praxisorientierte Einführung“, erschienen hardcovergebunden in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft zu Darmstadt 2014, diesem Themenkreis. Wenn Yousefi auch deutlich auf die Aktualität abhebt und akute interkulturelle Kommunikation verbessern will, so ist doch hier das Werk nur aus Sicht der historischen Kulturwissenschaften zu besprechen. Daß das Konzept für die Geschichtswissenschaft nutzbar gemacht werden kann, wurde bereits an anderer Stelle hier besprochen. Auch das Modell der interkulturellen Kommunikation ist nicht neu; Yousefi hatte es bereits zuvor entwickelt. Im Zentrum dieser Theorie stehen die sieben Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation (Seite 83-134 = 51 Seiten). 

Dieselben Begriffe hat Yousefi zuvor bereits in seinem Werk „Interkulturalität. Eine interdisziplinäre Einführung“ veröffentlicht (Darmstadt 2011, dort Seite 42-92 = 50 Seiten). Allerdings nannte er 2011 nur sieben, 2014 aber acht Korrelatbegriffe, in dem er nun „das Andere“ aus dem Korrelatbegriff „Das Eigene und das Andere“ ausgliederte. Es ist hier nicht der Platz, beide Modelle und Texte en detail miteinander komparatistisch zu betrachten, doch fällt auf, daß beide Texte teils die gleichen, teils durch Wortumstellungen geringfügig geänderte Gedanken beinhalten. Wesentliches hat sich also seit 2011 in dem Modell nicht geändert. Bisweilen freilich wurden neue Schaubilder (2014; Seite 92) oder Schaubildumstellungen eingefügt (2011; Seite 54 gegen 2014, Seite 95). 

Jedoch ist dieses Korrelatbegriffsmodell nur ein Teil des neuen Buches. Neu ist wesentlich ein Kapitel über Interkulturalität als eigene Wissenschaftsdisziplin, bei der der Verfasser dafür plädiert, sie in den Kulturwissenschaften anzusiedeln (Seite 178), was ja bereits auch schon praktisch geschieht und durchaus ja auch am nahe liegendsten erscheinen mag. Neu ist auch ein Kapitel zur Entwicklung einer interkulturellen Pädagogik (Seite136-146), die zwar recht deutlich auf Gegenwart und Zukunft ausgerichtet ist, sich aber nicht auf den klassischen pädagogischen Bereich der Schule für Heranwachsende bezieht, sondern auf die Fähigkeit von Menschen, sich auf interkulturelle Lernprozesse einzulassen. Gegenüber 2011 hat Yousefi fernerhin das Kapitel über „Hindernisse interkultureller Kommunikation“ aus der Taufe gehoben. 2011 hatte er lediglich von der Geographisierung des Denkens und von dem Einfluß von Machtstrukturen auf interkulturelle Kommunikationssituationen gesprochen (Seite 110-120), jetzt aber, im neuen Buch von 2014, nennt er insgesamt fünf Dimensionen in diesem Bereich. Damit ermöglicht das neue Modell eine detailliertere Analyse historischer Phänomene interkultureller Begegnung, wie sie exemplifiziert im Kontakt Europas in der iberischen oder nordwesteuropäischen Phase der europäischen Expansion tagtäglich beobachtbar waren.

Im Jahre 1835 beispielsweise veröffentlichte ein Anonymus einen Bericht über seine Reise nach Südostasien, unter anderem, was hier allein interessieren soll, nach Singapur. Dabei handelte es sich um einen erst im Jahre 1819 durch die britische Ostindienkompanie begründeten Stapel- und Handelsplatz, der allerdings bereits nach wenigen Jahren die Aufmerksamkeit vieler Europäer und Deutscher auf sich zog, da man ihm ihm den Traum des Nationalökonomen Adam Smith in die Realität umgesetzt sah; demnach sollte der Produktionsfaktor Arbeit statt der Natur nun Garant für wirtschaftliches Fortkommen, für pekuniären Erfolg sein. 

Dieser Reisebericht, bei dem etliche der von Yousefi erwähnten interkulturellen Herausforderungen auftraten, lautete - in Auszügen - wie folgt: „Der erste Anblick dieser Factoreistadt war nicht unter der Idee, welche ich mir von ihr gemacht hatte. Kaum waren wir um die Batteriespitze herum, als sich auch schon die Thätigkeit der freien Stadt vor uns entfaltete. Wir sahen in der Ferne dichte Gruppen in seltsamen bunten Trachten sich bewegen, und als das Boot noch einige Minuten länger der Stadt entgegengeschwommen war, konnten wir mit Muße alle Einzelheiten der Scenen vor uns betrachten. Vor hohen weitläufigen Gebäuden zog sich ein mehrere Fuß über das Wasser sich erhebender und mit zahlreichen Treppen, oder Aussteigeplätzen, versehener Kai hin. Hier und da standen starke Pfosten mit Kloben, theils müßig, theils thätig an der Ausladung der Schiffe arbeitend. Dieser Kai, der Kaufmannskai genannt, war mit Menschen bedeckt; einige rollten Fässer oder trugen Kisten, andere besahen Waaren oder wohnten dem Wägen derselben bei. Diese thätige, beschäftigte Bevölkerung bot die seltsamsten Contraste. Beim ersten Anblicke war es unmöglich, die Racen und Typen zu erkennen, aber man konnte bereits errathen, welches Buntuntereinander in diesem Handelsbabel herrsche. Weiterhin erweiterte sich der Fluß und das lebensvolle Bild machte einer Reihe regelmäßiger Häuser Platz, bis sich die Ufer einander wieder näher rückten. Da befanden wir uns vor einem Hügel, auf dem die britische Flagge wehete und vor einer hölzernen Brücke. Hier stiegen wir ans Land. 

Auf dem Hafendamme und vor den angebundenen Pros befand sich eine Gruppe malaiischer Lastträger mit weiten bis auf die Knie reichenden Hosen, dem über die Achsel geworfenen Schurz oder weiten Hemde und mit kegelförmigen Hüten von geflochtenem Stroh. Neben ihnen stand ein ernster Chinese mit seinem Diener, ein würdiger Kaufmann mit einem Ziegenbarte, herabhängendem Haare und schiefen, listigen Augen. Auf dem Kopfe trug er eine Mütze; über den engen Beinkleidern und ziemlich anliegenden Ärmeln flatterte ein Hemd und eine weite Weste; seine Fußbekleidung bestand in Sandalen mit einer hölzernen Sohle. Singapur war für mich ein vorzugsweise geliebter Ort, eine Art Musterland, wo sich in den zehn Jahren des Bestandes die von Adam Smith und seinen Fortsetzern geahneten Wunder verwirklicht hatten. Ich wollte dies begünstigte Land sehen, recht genau sehen ... 

Mein erster Besuch galt der europäischen Stadt [dem europäischen Viertel; Anmerkung des Rezensenten], wo ich eine Wohnung fand; sie liegt am linken Ufer des Flusses. Ich bemerkte das Haus des Residenten, ein großes, aber trotz seiner schönen Säulengalerie wenig zierliches Gebäude von Ziegelsteinen. Nicht weit von dort musterte ich nacheinander den Justizpalast, die Gefängnisse, das Zollhaus, den botanischen Garten, das Hospital und eine Menge ungeheuerer Niederlagen. Jedes Viertel zog meine Aufmerksamkeit auf sich: Östlich vom Flusse das Bughi- und arabische Viertel mit seinen Moscheen; westlich das chinesische mit der Macao- und Cantonstraße, seinen Tempeln und dem merkwürdigen Begräbnißplatze; das Schuliaviertel, wo Hindus wohnen, und endlich das weiter vom Handelsmittelpunkte entfernte malaiische mit seinen bescheidenem Häuschen an den Ufern eines kleinen schiffbaren Flusses. Die Eingebornen, welche dieses Stadtviertel bewohnen, sind sanfter und civilisirter als irgend ein Volksstamm derselben Race. Sie tragen wie die Sumatraner eine Weste mit Ärmeln und den Schurz um den Leib, den Kris in dem Gürtel und ein Tuch um den Kopf. Bei den Frauen findet man ebenfalls noch den carrirten Rock, den Überwurf und das Halstuch. Ihre Fußbekleidung besteht in einer Holzsohle, welche zwei Unterlagen über dem Boden erhaben halten und die durch einen einfachen hölzernen Nagel, der zwischen der großen und zweiten Zehe hindurchgeht, am Fuße festgehalten wird. Nur ein langer Gebrauch solcher Sandalen verhindert es, dieselben zu verlieren.

Die Gegend um Singapur hat reizende Örter; um die Stadt ziehen sich Alleen und Promenaden, wo jeden Abend, nach Untergang der Sonne, die Creolen in ihren netten Wagen herumfahren, welche kleine javanische Pferde ziehen. Weiter hin und über dem überschwemmten Boden, den die malaiischen Häuschen bedecken, beginnt ein sanft ansteigender schattiger Hügel. Auf seiner Spitze stehen die schönsten Wohnungen, welche man sehen kann, reizende Villen, wo die europäischen Kaufleute von den Geschäften ausruhen und frische und gesundere Luft als an der Küste athmen. Die Aussicht von der Höhe dieser kleinen Berge ist entzückend. Durch das grüne Dickicht hindurch schimmert Singapur zu ihren Füßen mit seiner Reihe symmetrischer Straßen und seinem von Barken und Schiffen belebten Flusse; weiter hin zeigt sich der Eingang des Hafens mit einigen Batterien, noch ferner die Rhede mit ihrem Halbkreis von Masten, endlich am weitesten einige einzelne malaiische Inseln, welche mit Sumatra verschmelzen. 

Die Lusthäuser, welche diese Höhen bedecken, sind fast alle einstöckig, auf Pfählen errichtet und deshalb vor den in den warmen und regenreichen Gegenden so häufigen Reptilien und Insekten gesichert. Ihr inneres Meublement ist reich, elegant und bequem. Gärten und Lusthaine umgeben das Gebäude und junge Zimmer- und Nelkenbäume stehen vor ihm am Abhange des Hügels. Betrachtet man den Boden, wo diese Pflanzen wachsen, so sieht man leicht, daß er erst neuerdings durch die Arbeit des Menschen errungen worden ist. Skelette verkohlter Bäume, ungeheuere den Boden auftreibende Wurzeln bezeugen, daß die Axt und das Feuer die ursprüngliche Vegetation vernichtet hat. Einige Klaftern von dem urbargemachten Umkreise zeigt sich diese Vegetation mit ihren majestätischen Stämmen, ihren himmelhohen vollen Wipfeln wieder. In diesen noch unberührten Wäldern erkennt man nirgends die Hand des Menschen; man findet daselbst überall Schatten und tiefe Ruhe, und da die wilden Thiere, welche stets die Nähe menschlicher Wohnungen fliehen, sich allmälig nach den Schluchten im Innern der Insel zurückgezogen haben, so stören nur von Zeit zu Zeit einige wilde Katzen, Unzen und andere fleischfressende Thiere die Ruhe und Sicherheit dieser Gegend.

Das erst ganz neuerlich gegründete Singapur hat noch keine in Verhältniß zu seiner industriellen Entwickelung stehenden Territorialhilfsmittel. Die Ansiedler, die vollauf mit ihren Speculationen und Niederlagen zu thun haben, haben bis jetzt weder Zeit noch Lust, den reichen, gut bewässerten Boden und das milde, gesunde Clima zu benutzen. Die Lebensmittel sind deshalb selten, immer theuer und oft schlecht. Nur die Chinesen beschäftigen sich hier mit Gärtnerei und wissen den größten Vortheil aus einigen Landstückchen in der Nähe der Stadt zu ziehen. In wenigen Jahren aber werden diesen Versuchen wahrscheinlich Arbeiten nach einem größeren Maßstabe folgen, und Singapur wird nicht nöthig haben, die Lebensmittel zur Verproviantirung seiner Schiffe von den benachbarten Inseln und Festländern zu beziehen, sein Boden wird dieselben in hinreichender Menge liefern. Die hier zusammenströmende gemischte Bevölkerung wird sich so vermehrt haben, daß sich ein Theil mit dem Landbaue beschäftigen kann; die Vortheile, welche derselbe sicherlich gewährt, wird ihm bald zahlreiche Arme zuführen und die Concurrenz sich bestreben, die Produkte zu verbessern und zu niedrigern Preisen zu liefern ... 

Obgleich man nur vielleicht fünfzehn europäische Häuser in Singapur zählt, so muß man doch in ihnen die Kraft der aufblühenden Colonie suchen. Ohne diese Häuser gäbe es keine Capitalien, keine Ordnung, kein Vertrauen, keine Geschäfte. Die Gegenwart des Residenten der stärksten Nation in Indien giebt jenen Maßregeln der Handelsfreiheit, der Quelle alles Glücks, mehr Gewicht und Kraft. Auf diesem kleinen Punkte, wo der englische Scharfsinn einen Versuch machen, Erfahrungen sammeln wollte, mußte nothwendigerweise dafür gesorgt werden, daß Ordnung und Sicherheit neben der vollen Freiheit herrsche. Deshalb hat man neben dem Freihafen, den freien Niederlagen und der für alle gleichen unbedeutenden Tonnengebühr eine strenge Justiz und Polizei eingerichtet, welche allein die Herrschaft des Rechtes und der Billigkeit sichern konnten [Singapur gilt im Übringen, dies als Anmerkung des Rezensenten, noch heute als Stadtstaat mit strenger Polizeiaufsicht] ... 

Die Stadt Singapur theilt sich ganz natürlich in drei Theile, in den chinesischen, den europäischen und malaiischen. Die beiden letztern liegen in der Ebene der Rhede gegenüber, der dritte befindet sich etwas darüber nach der rechten Seite des Flusses zu ... Durch diese Mittel hat Singapur in zwei Jahren in unserer Handelswelt die Wunder von Glück und Wohlstand erneuert, welche die Geschichte Tyrus, dem reichsten Stapelorte des Alterthums, zuschreibt. Die Schöpfer der neuen Factorei hatten den Willen und die Macht, sie nach ihrem Gewissen, nicht nach der Politik zu verwalten. Sie begnügten sich also mit einer höchst einfachen Verwaltung, mit sehr geringen Auflagen, bewahrten sich vor allen Irrthümern früherer Systeme, vor der Bevorzugung irgend einer Flagge und der Manie des Protectorats, welche sich stets in Privilegien für den einen und in Ausschließung für den andern Theil auflöst; sie schufen den Cosmopolitismus des Handels und der Schiffahrt, indem sie alle Völker der Erde zu sich riefen, allen gleiche Lasten und gleiche Rechte gaben, einen gleichförmigen mäßigen Tarif einführten und dadurch die Principien der seit einem Jahrhunderte geübten religiösen Toleranz vervollständigten. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet ist Singapur eine bittere Kritik unser[e]s europäischen Systems. 

A priori könnte man die Grundsätze der Staatswirthschaft für Träume und Utopien halten; aber was sagt man zu der Erfahrung? Was will man den Zahlen oder einem Fortschritte entgegensetzen, der so sichtbar ist, wie die Fluth des Meeres? Will man einen statistischen Beweisgrund bekämpfen, der auf den ersten Blick seine Stärke zeigt, der heut zu Tage zehnmal mehr beweist als 1827, und der 1840 noch hundertmal mehr beweisen wird? Wahrscheinlich werden die englisch-indischen Alleinhändler mit der Zeit die Freiheit dort zu unterdrücken suchen, geht sie aber auch unter, so bleibt die Vergangenheit doch der Geschichte; die Praxis hat die Theorie glänzend gerechtfertigt und die Handelsfreiheit ihre goldenen Früchte getragen.“ So schrieb es ein Anonymus in der von Dr. A. Diezmann 1835 in Leipzig herausgegebenen Werk „Malerische Reise um die Welt“ auf den dortigen Seiten 118 bis 120. 

Bemerken lassen sich in diesem Quellentext des Jahres 1835 verschiedene Strategien der Inklusion und Exklusion (Yousefi 2014, Seite 148-149), die nicht nur durch die primäre Schilderung der europäischen Bezüge in Singapur verdeutlicht werden, sondern auch in der Stadt durch räumliche Segregation der Viertel und deren Schilderung aus eurozentrischer Perspektive offenbar werden. Vorurteile und Stereotype (Yousefi, Seite 149-153) ließ der Anonymus außerdem über die „Listigkeit“ des alten Chinesen (soll heißen „der Chinesen“ generell) zu Wort kommen. Auch eine Geographisierung des Denkens fand statt, da grundsätzlich europäische und asiatische Denkweisen einander diametral gegenübergestellt wurden. Gleichwohl ist auch innerhalb der angeblich biologisch („natürlich“) bedingten Trennung der Ethnien vor Ort in dem Reisebericht eine interkulturelle Bewunderung für die ökonomische Bilanz des singapurisch geprägten wirtschaftspluralistischen Handelssystems zu bemerken. Insofern kann überwiegend bei dieser Schilderung von einem Friedensjournalismus gesprochen werden, den Yousefi vom eher plakativen Konfliktjournalismus unterscheidet (Seite 170-172). Ebenso sind generell Ansätze zu enzyklischer Hermeneutik, dem „Verstehen des Anderen“, festzustellen, auch wenn ein grundsätzliches europäisches Superioritätsgefühl als Kennzeichen der Kolonialphase der europäischen Dominanz ebenfalls anklingt. Die grundsätzliche Fähigkeit des anonymen Verfassers von 1835, in bestimmten (hier vor allem ökonomischen) Bereichen auch transkulturell zu denken, reiht den Bericht insgesamt jedoch in einen frühen interkulturellen Kontext ein, der hier, bei aller Dichotomie in der Schilderung, immerhin in Ansätzen - freilich noch avant la lettre - erkennbar ist. 

Abschließend zum Themenkomplex besehen ist das vorliegend besprochene Werk von Yousefi daher vor allem - das macht die vorherige nur sehr kursorisch durchgeführte Einordnung des Quellentextes nach Yousefis Kriterien deutlich, ein klar definitorisch gegliederter Werkzeugkasten für eine in der wissenschaftlichen Forschung in den Geschichts- und Kulturwissenschaften orientierte Methode. Diese wird bei anderen und vergleichbaren Werken nicht im gleichen Maße geboten, auch wenn diese in ihren theoretischen Hintergründen manchen Spezialaspekt ausführlicher und eher narrativ untersuchen. Hierzu zählen beispielsweise Werke wie die von 

  • Edith Borszinsky-Schwabe (Interkulturelle Kommunikation, Wiesbaden 2011), 
  • Jürgen H. Schmidt (Basics interkultureller Kommunikation, ohne Ort 2012), 
  • Dagmar Kumbier und Friedemann Schulz von Thun (Interkulturelle Kommunikation, Reinbek 2006), 
  • Dietrich von Queis (Interkulturelle Kompetenz, Darmstadt 2009), 
  • Astrid Podsiadlowski (Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit, München 2004), 
  • Hans-Jürgen Lüsebrink (Interkulturelle Kommunikation, Stuttgart 2012) sowie 
  • Hans-Jürgen Heringer (Interkulturelle Kommunikation, Tübingen 2010).
Bedauerlich - und in gewisser Weise auch recht erstaunlich - ist es indes, daß Yousefi, der in das mit den erwähnten Buchtiteln vollkommen gleichnamige Thema einführt, alle diese genannten Werke ausweislich seines durchaus beeindruckenden Literaturverzeichnisses (Seite 196-204) nicht rezipiert hat, sein Forschungsstand also leider nicht aktuell ist; er bezieht sich namentlich auf aus der Philosophie stammende ältere Werke. Hier wäre vielleicht so mancher Synergieeffekt noch zusätzlich nutzbar gewesen, um in dem zunehmend unübersichtlich werdenden Dschungel der Literatur eine Schneise zu schlagen, aber auch synkretistische Modelle zur Anwendung zu entwerfen und das eigene Modell zu ergänzen.

Yousefis Einführung, die für 39,90 Euro überall im Buchhandel unter der ISBN- Nummer 978-3-534-26260-1 zu kaufen ist, ist jedoch knapp auf das Wesentliche reduziert, gegenüber seinen Modellen von 2011 (siehe oben) inhaltlich verbessert und - trotz der oben erwähnten Nichtrezipienz von Mitautor*Innen zum selben Thema - vor allem für Analyst*Innen in den historisch orientierten Kulturwissenschaften als Theoriekoffer und Untersuchungsgerüst sehr gut geeignet. 

Seine spezielle Darstellungsweise, auf den Punkt gebracht, mit vielen Grafiken versehen, mit klaren Kategorien, Merksätzen, grau abgesetzten Definitionskästchen und einer Definitionsselbstkritik versehen, macht das Werk zu einer hervorragenden Anleitung zum Umgang und zur Anwendung für kommunikative interkulturelle Prozesse, die sich in historischen Gesellschaften abspielten.

Diese Rezension wurde Ende März 2014 erstellt und erscheint nicht hier nur online, sondern auch zugleich in der institutseigenen Print-Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Der Rezensent ist Claus Heinrich Bill.
 


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