Institut Deutsche Adelsforschung
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Wohnideen mecklenburg-vorpommerscher Gutshausretter

Gutshausretter als Bewahrer ehemals ständisch-adeliger Gebäude- und Wohnkultur

Im Biedermeierzeitalter, im Jahre 1838, erschien in einer westdeutschen Zeitung eine Erzählung, in der ein altes Herrenhaus in betont atmosphärischer Rahmung erwähnt wurde, als ein fremder Verwundeter bei einem alten Förster erschien, um Hilfe bat und freundlich aufgenommen worden war: „Einige Tage waren seitdem vergangen; der Oberförster Walther saß, des lauen Abends zu genießen, unter der großen Linde vor seinem Hause; da trat sein Gast, welcher eben zum ersten Male, seit seinem Aufenthalte im Forsthause, sein Zimmer verlassen, zu ihm, und ließ sich, auf Walthers freundliche Einladung, neben ihm nieder. Feinfühlend und verständig vermied der alte Mann, den Fremden durch Erwähnung seines krankhaften Zustandes unangenehm zu berühren und suchte ihn über andere Gegenstände in ein Gespräch hinein zu ziehen.

Wie sehr er sich aber auch bemühte, nirgend traf er bei seinem Gaste auf eine anklingende Saite; dieser antwortete zerstreut, seine Seele schien mit etwas Anderem beschäftigt. Endlich begann er mit leiser Stimme, indem er mit der Hand die Richtung bezeichnete: ‚Ich sehe dort im Thale aus jener dunkeln Baumgruppe ein altes Gebäude, recht wohnlich und anmuthig hervorschauen; und doch gewahre ich in demselben nie eine Spur menschlicher Regsamkeit; nie erhellt zur Abendzeit gastliches Licht die Fenster desselben; es liegt wie ausgestorben da; wird es denn nicht bewohnt?‘ Herr Walther seufzte, wie Einer, den man an Etwas erinnert, worüber er nicht gern spricht, indem er erwiederte: ‚Jenes Gebäude ist das alte Herrenhaus der Familie von Horsten; seit dem, vor etwa vier Jahren erfolgten Tode des letzten Besitzers ging dies Gut an eine Nebenlinie über, und da kein Glied derselben sich entschließen konnte, den alten Stammsitz zu bewohnen, so steht dieser nun verödet.“ [1]

Die so recht ins Biedermeier passende Erzählung, die mit weiteren Verwicklungen auftrat, soll hier indes nicht weiter verfolgt werden. Angeknüpft werden soll vielmehr an den Dämmerzustand, den „schlafenden“ Gebäudeaktanten des leerstehenden Herrenhauses, früher Behausung und Mittelpunkt einer lebenden Adelsfamilie, heute nur noch Behausung von Farnen, Moosen, Wind und Luft. Das Gebäude, an sich schon wie jedes Herrenhaus ein Rudiment aus vergangenen Zeiten und daher ein Traditionsgegenstand, hatte seine eigene Vergangenheit überholt, als wollte es noch schneller altern als die Umgebung, weil es nicht mehr menschlich bewohnt war. Ihm war das Fluidum und die Atmosphäre der Ruine eigeen die in der Literatur und für Rezipierende stets ein gewisses Faszinosum bildete.

Der Norddeutsche Rundfunk um den Filmemacher Steffen Schneider weiß dieses Faszinosum für die in funktionalen Wohnungen lebenden Stadtbewohner immer wieder, seit mittlerweile einem Jahrzehnt, zu befeuern und so ist es nicht verwunderlich, daß auch die neuesten Erzeugnisse der Gutshausretter-Szenerie, die den Charme des Ruinösen wie Unperfekten trägt und dramaturgisch viele kleine Heldenreisen erzählt, auch in einer dritten papieren Publikation zu würden weiß.2 Freilich ist der Unter-Titel „Schöner Wohnen mit den Gutshausrettern“ übertrieben, da er nicht ganz den Inhalt widerspiegelt.

Zwar werden hier Inspirationen für Wohnideen gezeigt, fotografisch geschickt und anmutig in Szene gesetzte Stillleben aus den fünf Gutshäusern Kobrow, Rensow, Dölitz, Scharpzow und Dersentin, aber ob sich diese in ihrer Größe und Zusammensetzung für Wohnungen eignen, die keine Herrenhäuser sind, bleibt fraglich. Vielmehr bedient der Band, ohne in begleitenden Texten auf mögliche Wohnideen einzugehen, denn auch im alten Stile eher die Atmosphären der Häuser und ihrer Besitzenden, die sich treu seit 2013 den Medien als Protagonisten immer wieder zur Verfügung stellen, mit allen positiven wie negativen Folgen einer Bekanntheit, die eben über die jeweiligen Dorfgrenzen der einst geretteten Herrenhäuser hinausgeht.

So wird denn auch in diesem dritten Bande im Grunde die altbekannte, deswegen aber nicht minder reizvolle Geschichte des aufgehaltenen Verfalls und der kreativen Verwandlung als einer Wanderung vom Verlassenen zum Gebrauch beschritten, einem Gebrauch, der freilich im Shabby-Chic-Stil auch beides miteinander verbindet: Das Ruinöse mit dem Modernen, dem Lebendigen. Das ist wohl auch das Geheimnis der Gutshausretter und der starken Rezeption ihrer Häuser und Geschichten. Refugien des Alten, Herkömmlichen, Beständigen werden mit dem oft wechselhaften Heute verbunden, in dem man als Mensch (fast) alles sein kann und will, was man mag, in großer Unbeständigkeit. Was Steffen Schneider aber in seinen Büchern und seinen mittlerweile zuverlässig jährlich einmal präsentierten Filmen inszeniert und präsentiert, ist der nicht enden wollende beharrliche Wille von Einzelkämpfern, denen mittlerweile die gesellschaftliche Anerkennung nicht mehr vorenthalten bleibt, die sich an ein ehedem zerfallenes Haus banden, es jeweils zu neuem Leben erweckten, bisweilen mit dem Mut der Verzweiflung, aber auch mit einer gehörigen Portion Unbedarftheit, über die sich die Gutshausrettenden manchmal selbst wundern. Das zeigt sich immer wieder auch in diesem dritten Begleitband zur Fernsehserie, der schlaglichtartig Zitate der Gutshausrettenden bringt, zum eigenen ebenso wie zu den anderen vier Projekten, die hier in Bild und Wort vorgestellt werden.

So ist der Band mit einfühlsamen Fotografien (zum Tablebook fehlen allein das Format und die Hardcoverbindung), Gedankensplittern, Selbstironie, Durchhaltevermögen und Eigensinn angefüllt, der nicht nur die Gutshausretter-Thematik immer wieder neu aufführt und dadurch am Leben hält, aber schon lange auch zu einer Art Begleitmusik geworden ist zu dem, was aus der ersten als einmalig gedachten Geschichte geworden ist: Ein groß gewordenes, ständig in Bewegung befindliches myzelartig gespanntes Netzwerk, dem sowohl Städter:innen und Feriengäste angehören als auch Spender:innen von Crowdfunding-Projekten für die Gutshäuser, so daß hier zahlreiche Rückschleifen beobachtet werden können.

In einer Zeit des perfektionistischen Lebens des XXI. Jahrhunderts, in Zeiten von künstlicher Intelligenz und der Virtualisierung des Lebens bilden die ehedem adeligen Herrenhäuser, die wieder zum Leben erweckt wurden und immer noch werden – Fertigwerden ist ein absurder Gedanke – einen ruhenden materiellen Gegenpol, bergen Gäste in eine andere Welt, immer wieder, immer wieder aber auch anders, so daß sich schon ein Gutshaustourismus herausgebildet hat, auf den auch Tourismusverbände entsprechend reagieren und Webseiten für die Vermittlung einrichten (schlosszimmer.at, von-schloss-zu-schloss.de), ganz abgesehen von weiteren Institutionen, die das Genre der Gutshausnarrative auch in andere Formate übertragen (dergutshauspod.de).

Und nicht zuletzt, das geht aus dem besprochenen Bande auch hervor, haben alle diese Neu-Aufführungen der Thematik auf der Medienbühne und im realen Leben vor Ort zu einer Menge neuer Gutshausretter:innen geführt, die mit neuen Projekten herausragen und in die Fußstapfen der Pionier:innen treten. Auf diese Weise wirkt der Trend der Gutshausrettung auch wieder zurück auf die ostelbische Kulturlandschaft, konnte und kann noch immer weitere bauliche Kleinode bewahren helfen, die sonst dem endgültigen Zerfall preisgegeben wären. Der Preis dafür ist vielleicht hoch, erscheint als ökonomisch sinnloses Unterfangen und gleichwohl hat sich die Frage der Unterhaltung der Bauten gewandelt.

Wurden früher Erbauung und Instandhaltung durch die Landwirtschaft bewerkstelligt, deren Mittelpunkt das Gutshaus war, so ist es heute vielfach das Haus, das als Finanzier seiner selbst auftritt, freilich gerahmt durch die Tätigkeiten der Gutshausbesitzenden, die Steffen Schneider liebevoll, aber auch als leidenschaftliche Amateure und Laien auf dem Gebiet des Bauens darstellt, obgleich einige von ihnen (Philipp Kaszay in Kobrow, Roland van der Starre in Dölitz) durchaus vom Fach sind (Bauzeichner, Architekt). Leider werden auch im dritten Bande und noch nach zehn Jahren „Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen“ die an sich privaten Paar-Trennungen mehrfach hervorgehoben, sicherlich verständlich aus Sicht eines Erzählenden, da damit die dramaturgische Wirkung der Verknüpfung des Schicksals von Haus uns Besitzenden hervorgehoben wird, indes nach so langer Zeit und Wiederholung auch verzichtbar.

Positiv jedoch ist zu werten, daß der Band sich in eine lange Reihe von seriellen Aufführungen der Thematik einreiht, so daß „Gutshausretter“ zu einem festen ästhetischen Medienbegriff geworden ist, der hilft, die einst vorwiegend adeligen Häuser zu erhalten, modifiziert und adaptiert an die Moderne zwar, aber der auf einem doch sehr traditionellen Wege auch die „Poesie der Dinge“ spüren läßt.3 Der Adel, so eine These, habe deswegen so langwierig als soziale Gruppenbildung überdauert, weil er sich immer wieder angepaßt und verändert – mithin modernisiert – habe; eine ähnliche Perspektive kann man wohl für die zugehörigen Häuser annehmen, wenn sie denn nicht als Ruinen – aus den unterschiedlichsten Gründen – ohne Erneuerung und Transformation verfallen und abgerissen werden müssen.

Diesem Verfall stellen sich die Gutshausrettenden immer wieder entgegen und entwickeln ihr jeweiliges Gebäude fort, doch nur so haben die Herrensitze eine Zukunft: Bestehenbleiben durch Veränderung heißt das Prinzip, das die Filme ebenso wie die bisher drei Filmbücher wirkungsvoll medial begleiten. Freilich kann eine Rekonstruktion nie das Original sein und wirkt sogar vielfach artifiziell. Doch durch eben jene Künstlichkeit eröffnet eine ganz neue ästhetische Erfahrung, was man zu bestätigen weiß, wenn man selbst erst einmal Gast in jenen Häusern gewesen und in aller Ruhe in die spezielle Atmosphäre der ehedem aristokratisch konnotierten Gebäude eintauchen konnte.

Dieser Aufsatz stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form.

Annotationen:
  • [1] = Martha von der Höhe: Der Gezeichnete, in: Intelligenzblatt für Crefeld und die umliegende Gegend (Krefeld), Nr. 92 vom 2. April 1838, Seite 3.
  • [2] = Zuerst erschien Steffen Schneider: Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen. Über das Abenteuer, in einem Gutshaus zu leben. Das Buch zur Sendung, Rostock: Hinstorff-Verlag 2020, 141 Seiten. Als zweiter Band kam anschließend heraus Steffen Schneider: Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen. Abenteuer Baustelle. Von Gutshausrettern und guten Handwerkern. Das Buch zur Sendung, Rostock: Hinstorff-Verlag 2021, 125 Seiten. Und zuletzt erschien jüngst der hier besprochene Band von Steffen Schneider: Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen. Schöner wohnen mit den Gutshausrettern, Rostock: Hinstorff-Verlag 2023, 127 Seiten, ISBN: 9783356024760, Format von 22 cm x 25 cm, erhältlich im Buchhandel zum Preis von 24,00 Euro.
  • [3] = So ein Zitat nach Silke Voss (einer Journalistin, die sich bereits seit Jahren auf Berichterstattungen um die Gutshausretter spezialisiert hat): Romantische Räume im Kerzenschein und brutale Baukatastrophen. Man nehme ein altes Haus, Kerzen, Geweihe, Antikmöbel und eine Prise Fantasie und schon kommen internationale Presse und Feriengäste, das spezielle Ambiente der kultigen Gutshausretter zu bewundern, in: Nordkurier (Neubrandenburg), Ausgabe vom 8. Dezember 2023, Seite 20. ewissenschaft, Bielefeld: Transcript 2015, Seite 19 (ganzer Aufsatz Seite 13-27).


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