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Adelsahnenproben im Herzogtum Westfalen 1651-1803Inklusions-Strategien der ritterschaftlichen Formation in einem kurkölnischen TerritoriumAhnenproben waren ein probates Mittel zur Abschließung machtausübender historischer Akteur*innen, waren diese doch der Auffassung, man könne allein über ein biologisches Selektionskriterium von 16 oder 32 adeligen Ahnen den Zugang zu konkurrenzhaft umkämpften Ressourcen konservieren. Solange das Sozialprestige des Adels in der vormodernen Bevölkerung oder – wie Weber zu sagen pflegte, dessen „soziale Schätzung“ – groß war, konnte diese Regelung, die auf Tradition und Vergangenheit baute, Bestand haben. [1] War aber die Kopfzahl der folgenden Generationen rückläufig, mußte klar sein, daß der exklusiv gestaltete Zugang zu Ressourcen von anderen Gruppen der Bevölkerung bedroht war (z.B. vom Brief- oder Bullenadel). Der derzeit am Märkischen Gymnasium tätige Geschichtslehrer Andreas Müller hat dazu nun eine Dissertation vorgelegt, in der er unter anderem diesem Themenkomplex anhand der herzoglich westfälischen Ritterschaft nachgeht. [2] Dabei kommt er zu dem Ergebnis, daß sich zwar in der Tat mit der Zeit in seinem Untersuchungszeitrahmen die Zahl der Familien vermindert hat, gleichwohl aber der personale Zirkel beim Machtzugriff bevorrechtigt blieb und die Kopfzahl weitgehend gleich blieb. Im Mittelalter geschaffen, verharrte die Ritterschaft weitgehend in den Strukturen der ständischen Entstehungszeit, konnte es auch weitgehend im Ancien Régime, bevor die französische Revolution und ihre deutschen Folgen über den Rhein auch in die deutschen Länder eindrang. Nach einer Einleitung mit Forschungsziel und Quellenauswahlsbegründung [3] bringt Müller, der an der Universität Paderborn mit dieser Arbeit den Grad eines Dr. phil. erlangte, einen kurzen Abriß zum in Rede stehenden (exterritorialen, da kurkölnischen) Kleinfürstentum, bevor er kenntnisreich und ausführlich auf die landständische Stellung und Verfassung der Ritterschaft und ihr Eingebundensein eingeht. In einem weiteren Abschnitt interessiert sich Müller dann für die Zugangsweisen zur Ritterschaft; hier spielt die Aushandlung von Stiftsbürtigkeit, Stiftsfähigkeit und die Feststellung der Ritterbürtigkeit für einzelne in die Körperschaft drängende Individuen eine große Rolle. Dabei stellt Müller fest, daß 16-er Aufschwörungen durchaus flexibel gehandhabt werden konnten, zumal es häufig durch fehlende Dokumente überhaupt nicht möglich war, Ritterbürtigkeit nachzuweisen. In einigen Fällen wurden daher Versicherungen von Standesgenossen herangezogen oder auch die Regeln zur Ahnenprobe so gestaltet, daß selbst landfremde Familien – wie die v.Kleist aus Pommern – aufgenommen worden sind. Die Ritterschaft bestand daher zwar de jure auf selbstgewählte Grenzziehungen zu sozialen Zugängen in Ausgestaltung einer Eliasschen Praxis von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen, [4] legte diese aber bei Bedarf in einer Art Echokammer de facto regelumgehend aus. Ein weiterer großer Teil der Müllerschen Arbeit (Seite 289-555) ist vor allem der Dokumentation gewidmet, hier bringt Müller Prosopographien von 67 Adelsfamilien mit Personennennungen und jeweils zwei historischen Farbwappen, die er unter anderem den originalen Aufschwörungstafeln entnommen hat (sie entstammen dem ungedruckten „Ritterbuch des Herzogtums Westfalen“ mit Tafeln für 298 Ritterschaftsangehörige, u.a. die Familie v.Brabeck zu Letmathe). Außerdem reproduziert er stilisierte – ebenfalls farbige – Wappenbilder aller aufgeschworenen Geschlechter aus dem Spiessenschen Wappenbuch von 1901. [5] Dreierlei ist bei diesem Abschnitt hervorzuheben. Erstens wird hier der Transparenz halber eine vollständige Dokumentation geliefert, die die nachvollziehbare Grundlage des folgenden (auf den Seiten 557-626 präsentierten) Auswertungskapitels (über Zahl und Herkunft der Familien, Konnubien und Ämter, Pfründen und Standschaften) vorbildlich durchführt. Zweitens stellt Müller unter Bereinigung etlicher Fehler vorangegangener Publikationen eine Edition des Ritterbuches vor, die von hoher genealogischer Bedeutung für die westfälische Adelsforschung ist. Und drittens erweist sich die doppelte und farbliche Wappenabbildung sowie die Aufschwörungspräsentation als Performanz adeligen Anspruchs auf Tradition, so daß sich Müller hier unbewußt zum Erfüllungsgehilfen des historischen Adels macht, indem er dessen Sozialprestige durch schriftlich-theatrale Aufführung prolongiert. [6] Dies erkennt man nicht zuletzt daran, daß die für die Fragestellung und Durchführung der Studie zwecklosen Wappenabbildungen einer Traditionalisierung und Ästhetisierung der Aufschwörungsdaten Vorschub leistet. Adelig zu sein, hieß im besonderen Maße Vergangenheit zu haben und sich über Vergangenheit zu definieren; [7] diese Vorstellung tradiert Müller hier im Dienste einer Retrofuturisierung, [8] die u.a. dem Prestige der heutigen „Vereinigung des Adels im Rheinland und in Westfalen-Lippe e.V.“ zugute kommen dürfte. Andererseits dekonstruiert Müller aber auch die bisher weitgehend von der Forschung tradierte angebliche innere Geschlossenheit der Ritterschaft, stellt sie vielmehr in ihrem dezidiert ausfallenden Myrioramismus dar (Seite 631). Möglicherweise hat in der Forschung und allgemeinen Sicht auf den Adel eine adelige Distinktionsstrategie gewirkt, die einen Differenzabbau nach innen und damit einen monolithischen Eindruck nach außen vermitteln wollte. [9] Diese wird indes von Müller deutlich aufgeweicht und korrigiert. Insgesamt verbleibt also ein diesbezüglich ambivalentes Bild der Müllerschen Arbeit, die aber zweifelsfrei wichtige Wegmarken für die westdeutsche Ritterschaftsforschung bereithält. Sie stellt nicht nur eine vorbildliche prosopographische und damit kollektivbiographisch spezialisierte Forschung dar, sondern bietet auch Familienkundler*innen wichtige Hinweise und Daten. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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