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Die Familie v.Westernhagen im Dritten ReichBuchbesprechung zu einer bemerkenswerten NeuerscheinungWenn Stephan Malionowskis Untersuchung zum Adel in Weimarer Republik und Drittem Reich als wichtige Makrostudie zur Geschichte des ehemaligen deutschen Adels gewertet werden kann, [1] so ist das hier zu besprechende Werk von Dörte v.Westernhagen, eine prosopographische Studie über insgesamt neun Familienvertreter ihres eigenen Geschlechts, mit dem Titel „Von der Herrschaft zur Gefolgschaft. Die von Westernhagens im Dritten Reich“ eine zugehörige Mikrostudie. [2] Freilich gab es auch schon ähnliche Studien, genannt sei nur die von Eckart Conze über die Bernstorff´s [3] und auch in einigen anderen Familiengeschichten neueren Stils ist die NS-Zeit einer Familie des ehemaligen Adels gleichfalls ausführlicher behandelt worden. [4] Dennoch gilt: Dörte v.Westernhagen hat mit ihrem Buch Neuland betreten, weil sie sich anhand von mehreren unterschiedlich quantitativ angelegten Beispielbiographien dem Wandel der Kulturstandards und Einstellungen ihrer Familienmitglieder widmet. Dabei steht die Auseinandersetzung der transformatorischen Prozesse im Fokus, die ausschließlich die männlichen Familienmitglieder durchmachten und die zumeist entlang der Brüche der Revolutionen von 1918 und 1933 verlaufen, also der Brüche, die durch einen Wechsel der Kulturstandards und Herrschersysteme stattfanden, die jeweils fast gänzliche Neuorientierungen notwendig machten. Wie die neun Familienmitglieder, allesamt entweder Selbständige, Offiziere oder Beamte, auf diese Wechsel regierten, sie verarbeiteten und sich positionierten, untersucht Dörte v.Westernhagen in ihrer Studie akribisch. Dabei werden auch Verantwortungsfragen nach dem Massenmord und der Beteiligung der Westernhagenschen Vettern gestellt und erörtert, teils mit erschütterndem Bildmaterial unterfüttert und begleitet. Das Spektrum der Radikalisierung einer grundbesitzlosen und daher
eher verarmten Niederadelsfamilie reichte dabei von theoretischem Antisemitismus
bis zum eliminatorischen Antisemitismus, von militärischem Durchhaltewillen
bis zuletzt und dem Aufzehren der eignen Existenz in der NS-Idee über
die Vernichtung anderen Lebens bis hin zur späten Erkenntnis der Sinnlosigkeit
des eigenen Handelns im nachkriegshaften Deutschland. Die Zeilen lesen
sich erschütternd, rühren sie doch menschliche Gefühle an,
die Westernhagen bewußt bedient, wenn sie auch fremde Zeugen und
Quellen heranzieht, die nicht unmittelbar über die Westernhagens erzählen,
sondern Rahmenbedingungen (wie Exekutionen nach dem Kommissarbefehl in
der Sowjetunion im zweiten Weltkrieg) auffächern.
Für Dörte von Westernhagen, deren Motivation aus der Arbeit übrigens nicht hervorgeht, [5] dürfte das Werk daher vor allem eine persönliche Form der Verarbeitung eigener Identitätsanteile (eben der der Vorfahren und Vettern) sein, die noch zudem nicht von der Familie gedeckt wurde. Man darf daher gespannt sein, wie beispielsweise das Deutsche Adelsblatt das Werk rezensieren würde oder ein Vertreter der konservativen ehemaligen Adelsfraktion das Westernhagensche Buch behandeln würde. Im Falle der Makrostudie von Malinowski sprach das Adelsblatt von unzulässigen Verallgemeinerungen. Das freilich kann man im Westernhagenfall nicht behaupten. Allerdings ist das Buch keine Untersuchung der Familie v.Westernhagen insgesamt, sondern nur eine spezielle Auswahl von solchen Biographien, die Kontexte zum Nationalsozialismus aufweisen, entweder in bejahender oder aber in verneinender Form: Fanatische Anhänger werden ebenso wie Mitläufer und Gegner des Dritten Reiches behandelt, wobei die beiden ersten Gruppen deutlich überwiegen. Als Kursiosum muß die zehnte Biographie gelten, die etwas zusammenhanglos aufgeführt wurde, die eines Arbeiters des Namens Westernhagen (ohne den Namensbestandteil „v.“), der im Internationalen Sozialistischen Kampfbund tätig gewesen ist. Den Kontext entdecken die Lesenden erst auf der letzten Seite der genealogisch gar nicht dazugehörigen und daher fehl am Platze wirkenden Lebensbeschreibung: Der Sohn des Arbeiters habe im Interview mit der Verfasserin angegeben, seine Vorfahren hätten „den Adel versoffen“. Leider wird eine im kollektiven Gedächtnis der Deutschen vollkommen üblicher Legendenbildung (in anderen Fällen wurde der Adelstitel angeblich - ein besonders beliebte Variante - bei einem Würfelspiel „verloren“) damit Dörte v.Westernhagen auch noch tradiert und unterstützt, die sie mit einem Verweis auf die Adelsverluste in Preußen auch für nicht ganz unmöglich erachtet. Dennoch gilt: Den Nachweis des Zusammenhangs bleibt sie schuldig und so muß gemutmaßt werden, was diese Biographie in ihrem Buch zu suchen hat, da der Titel ihres Werkes sich eindeutig auf die „von Westernhagens“ bezieht. Eine psychologsiche Funktion allerdings hat diese Außenseiterbiographie: Sie ist die einzige, die, sieht man einmal von der Kriegsdienstverweigerung des Kurt v.Westernhagen (1891-1945) bei Kriegsende ab, einen expliziten Widerständler gegen den Nationalsozialismus aufzeigt. Die berechtigte Frage lautet, ob diese Widerstandshandlungen nicht eventuell auch bei den von Westernhagens zu finden gewesen wären, z.B. bei den Frauen der Familie? Mußte dafür ein externes Mitglied einer ganz anderen Familie herangezogen werden? Ein Blick auf die Biographie der Verfasserin überrascht dennoch. Es handelt sich nicht um eine „junge Wilde“, sondern um eine in eher traditionalen Bahnen des historischen Adels aufgewachsene Nachgeborene: Dörte v.Westernhagen, geboren 1943, Oberregierungsrätin außer Diensten, ist promovierte Juristin, arbeitete aber seit 1980 als freie Journalistin für Rundfunk und Presse. Von ihr erschien außerdem schon vorher in persönlicher Auseinandersetzung mit der eigenen familiären wie deutschkollektiven Vergangenheit das Werk „Die Kinder der Täter. Das Dritte Reich und die Generation danach“. Das jetzt vorgelegte Spätwerk ist eine Erweiterung und Spezifizierung eines, wie es scheint, Lebensthemas bei ihr. Daß davon nun auch die Öffentlichkeit profiziert, ist begrüßenswert.6 Insgesamt hat Dörte v.Westernhagen als Renegatin ein wertvolles Werk geschrieben, das zur Ergänzung üblicher Familiengeschichten des Adels, die die Zeit 1933 bis 1945 bisher zumeist beschönigten oder verdrängten, [7] gelesen werden kann, weil sie besonders Wert legte auf die Modifikationen der Einstellungen und Selbstwertkonstruktionen einer Familie wie auch einzelner Individuen in den Umbruchszeiten der Jahre vom Kaiserreich zur Bundesrepublik. Besonders interessant für die Forschung sind dabei die Gegenüberstellungen der Biographien der Familienmitglieder und deren rechtfertigende Einlassungen und Erklärungen in den jeweiligen Spruchkammerverfahren zur Entnazifizierung, die detailreich geschildert werden und denen eine neue Selbstbildkonstruktion der ns-belasteten Mitglieder der Familie innewohnte (besonders Seite 63-66, 114-117, abgeschwächt auch 256). Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in der Zeitschift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XV. (2012). Annotationen:
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