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Adelporträts in ihren sozialen Kontexten am Beispiel der überlieferten WelfenbildnisseNeuer Sammelband anläßlich einer Katalogisierung im Böhlauverlag erschienenIn einer Geschichte der Autorin Agnes Grans um ein altes Patrizierhaus in Breslau stand im Jahre 1866 auch ein verlassenes Haus der Herrengasse im Zentrum des Interesses, über dessen Inneres die Autorin wie folgt berichtete: „Dieſelbe Stille und Unbeweglichkeit, welche das Aeußere des Hauſes zeigte, herrſchte auch im Innern. Leer und lautlos war die große Halle. Man hörte das raſtloſe Arbeiten des Holzwurms, welcher an dem eichenen Stuhl des Portiers nagte. Die ſteinernen Stufen der mächtigen breiten Treppe mit doppeltem Aufgang waren dick mit Staub bedeckt und die großen Oelgemälde an den Wänden, die Conterfeis der verſchiedenen böhmiſchen, polniſchen und ungariſchen Herrſcher, welchen die Ahnherren dieſes Hauſes einſt Treue geſchworen, blickten finſter herab, als zürnten ſie den Bewohnern, die es wagten, die Spinnen in ihren Purpurmänteln, in ihren Kronen und Diademen niſten zu laſſen.“ [1] Der kleine Abschnitt zeigt symptomatisch, welche Bedeutung Porträts für eine alte Familie des Adels haben konnte. Obschon das Haus verlassen war, die Familie, die es bewohnt hatte, augenscheinlich erloschen oder verzogen war, blieb das Haus als Raumhülle zurück, ragte materiell wie ein Rudiment einer abgelebten Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Aber an dem kleinen Erzähltextausschnitt ist auch eine weitere Charakteristik von Bildern offenbar geworden: Sie scheinen selbst zu handeln, regten sie doch die Betrachterin an, zu glauben und zu deuten, daß die Porträts selbst Gefühle hatten, ungute Gefühle, da sie sich gegen das langsame Vergessen ihrer selbst wandten. Dabei waren es aber nicht die Dargestellten an sich, sondern explizit deren Porträts, die hier ein Eigenleben entfalteten, welche früher in erster Linie dem Zwecke der Selbstdarstellung, Selbstinszenierung und Memoria-Arbeit ihrer Besitzenden und Auftraggebenden dienen sollten, nun aber selbstständig geworden waren, ohne die dargestellten Menschen weiterexistierten. Derlei Überlegungen führen in die myrioramatische Beziehung zwischen Auftraggebenden, Malenden, Rezipierenden, Räumen, Hängungs-Ensembles und die Agency von Objekten ein, die nun teilweise auch in einem neuen Sammelband verhandelt und angeschnitten worden ist. Dieser Band wurde herausgegeben von den beiden Kunsthistorikerinnen Klaus Niehr und Silvia Schmitt-Maaß, ist hardcovergebunden, trägt den Titel „Welfen und Porträt. Visuelle Strategien höfischer Repräsentation vom 16. bis 18. Jahrhundert“, ist über die ISBN „978-3-412-52688-7“ im analogen wie virtuellen Buchhandel bestellbar, umfaßt 242 Seiten, beinhaltet zudem 108 Farbaufnahmen und kostet 65,00 Euro. Hervorgegangen ist der Band aus einem von 2019 bis 2022 laufenden und nunmehr abgeschlossenen Forschungsprojekt, das ermitteln wollte, welche (oft örtlich weit verstreuten) Portraits von Welfenangehörigen existierten. Neben einem Katalog der Gemälde und Bilder entstand aber auch eine Reihe von thematisch fokussierten Aufsätzen, die die Vielfältigkeit der Konnotationen aufzeigte, welche mit Portraits auftraten. So gab es Porträtgruppen wie Einzelporträts, Männerporträts, Kinderporträts, Familienporträts, Familienporträts mit weiteren Figuren (beispielsweise der Kreuzigungsgruppe zur bildlichen Anbindung an Christus; siehe dazu Seite 150-166). Eben jene Aufsätze (nicht jedoch der Katalog) sind in dem Bande versammelt. Der Terminus der Welfenporträts ist im Band zudem weit gefaßt, beschäftigen sich Aufsätze doch auch mit Vorfahren von Welfen aus anderen Fürstenhäusern (z.B. der Hohenzollern auf Seite 94-100), aber auch mit der künstlerischen Darstellung illegitimer Kinder (der Grafen von Wallmoden), die über Porträts erfolglos eine Rangangleichung zu erlangen versuchten, um ihre mögliche Angst „vor der Unsichtbarkeit“ (so der recht passende Untertitel eines Aufsatzes im Band auf Seite 167) auszugleichen (Seite 167-180). Ebenso werden weibliche Rollenbilder behandelt (Seite 181-198), indem anhand vieler Beispiele (mit Abbildungen) die feminin-welfische Selbstdarstellung als „Braut, Gemahlin, Mutter, Vormundin, Regentin, Witwe“ mit entsprechender Kleidung und mit zugehörigen Accessoires analysiert wird. Hierbei wird auch eingegangen auf die Kompromisse, die in Bildern „zwischen Tugendideal und Selbstbestimmung“ gefunden wurden (Seite 194-197). Für die einst große Salzdahlumer Sammlung werden zudem Aspekte von Erwerb, Präsentation und Zusammenstellung, Bedeutungsebenen und Didaktik untersucht (Seite 125-149). Angesprochen werden hierbei nicht allein die Absichten des herzoglichen Bewohners des Schlosses, sondern auch die Wirkung auf die Familie selbst, auf ihre Traditionsbildung und ihr Selbstverständnis, ihre Erinnerung und damit auch ihre Identität, die sich wesentlich aus der Erinnerung an die eigene Großartigkeit und die genealogisch-biologische Verflechtung mit anderen Herrscherhäusern speiste. Bemerkenswert sind zudem Portraits von Herzögen, die sich in weiblicher Kleidung, versehen mit Locken, roten Lippen und Perlen-Ohrgehängen, malen ließen (Seite 207). Ein den Tagungsband abschließender Aufsatz beschäftigt sich sodann mit der Frage des „Fashioning der welfischen Vergangenheit“ durch die Zuschreibung von Portraits mit unbekannte Dargestellten, die im Laufe der Zeit von den unterschiedlichsten Akteur:innen als Welfen interpretiert worden sind. Wertvoll ist der Band, der vielfach einen rekonstruktiven Charakter hat, vor allem deswegen, weil etliche Bildnisse, die ehedem in welfischen Schlössern vorhanden waren, velroren gegangen sind, wie aus alten Verzeichnissen und Hängungsplänen hervorgeht (so unter anderem auf Seite 48). So beklagt namentlich Niedersachsen eine große Zahl von nicht mehr vorhandenen welfischen Schlössern (Leineschloß Hannover, Schloß Braunschweig, Schloß Herrenhausen, Schloß Salzdahlum, Schloß Monbrillant, Ernst-August-Palais). Eine Perspektive, die in dem Band jedoch vermißt wird, ist die der Porträts in ihrer im Eingangszitat angerissenen Eigenschaft als Sobjekte, da im Band, erstellt vorwiegend von Kunsthistoriker:innen (Seite 241-242) nur von Objekten die Rede ist, so beispielsweise auf dem Buchrücken, wo es heißt, daß „aus dem großen Spektrum der Objekte [...] Einzelporträts und Portraitreihen der Frühen Neuzeit näher in den Blick genommen und analysiert“ werden. Dabei werden in dem Band durchaus Affordanzen besprochen, mithin der Aufforderungscharakter der Bilder angesprochen. [2] Die meistbesprochene Sichtweise ist jedoch die der Selbstinszenierung der Auftraggebenden, die sich auf bestimmte Weisen darstellen ließen oder Porträts mit unterschiedlichen Absichten und Motiven sammelten und in Galerien (Seite 234, allerdings anhand eines ausländischen Beispiels) zusammenstellten. Derlei Ahnengalerien gab es auch in niedersächsischen Schlössern, so im nicht mehr existenten Schloß Salzdahlum (Seite 125-149), aus Gründen der Re-Präsentation per Allelopoiese [3] und per kultureller Aneignung. [4] Daß aber Portraitbilder auch selbst Agency besaßen, auf Dritte (nicht allein auf die Familie) wirkten, kommt noch zu wenig zum Vorschein, stand nicht im Fokus der Analysen. Dies kann aber künftigen (kunst-)soziohistorisch und performativ-praxistheoretischen Ergänzungen vorbehalten bleiben. Aber die mannigfaltigen Betrachtungsweisen von Welfenbildnissen, die aus ihrer im Sammelband dargestellten Betrachtung gewonnen Erkenntnisse und erörternden Rahmungsweisen können indes auch allgemein per Transfer auf Adelsbildnisse überhaupt fruchtbar angewendet werden. Damit bietet der vorliegend besprochene Sammelband ein gutes und breites Fundament mit vielen lesenswerten Überblicken ebenso wie Tiefenbohrungen zur Frage der Adelsporträts, die neben der offen“-sichtlichen“ visuellen Attraktion auch viele weitere Dimensionen ihrer Produktion, Verflechtung und Verwendung offenbaren können. Diese Rezension erscheint auch gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung und stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill (September 2025). Zu den Annotationen: 1 = Agnes Grans: Alte Häuser, alte Geschichten (Teil 1: „Die gespenstische Nonne“), in: Pfälzisches Unterhaltungsblatt (Kaiserslautern), Nr. 33 vom 19. März 1866, Seite 129. 2 = Dazu siehe weiterführend Stefan Meier: Affordanzen als mediale Dispositive. Neue Anregungen zur Konzeptualisierung des Interdependenzverhältnisses zwischen Zeichen, Medien und kommunikativer Praxis, in: Zeitschrift für Semiotik, Band XLI, Heft Nummer 1/2, Tübingen: Stauffenburgverlag 2019, Seite 37-61. 3 = Dazu siehe Hartmut Böhme / Lutz Bergemann / Martin Dönike / Albert Schirrmeister / Georg Toepfer / Marco Walter / Julia Weitbrecht (Herausgebende): Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels, in: Hartmut Böhme / Lutz Bergemann / Martin Dönike / Albert Schirrmeister / Georg Toepfer / Marco Walter / Julia Weitbrecht (Herausgebende): Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels, München / Paderborn: Verlag Wilhelm Fink 2011. 4 = Hierzu siehe Daniela Klimke: Aneignung (kulturelle), in: Thorsten Benkel / Andrea D. Bührmann / Daniela Klimke / Rüdiger Lautmann / Urs Stäheli / Christoph Weischer / Hanns Wienold (Herausgebende): Lexikon zur Soziologie, Wiesbaden: Springer VS, Siebtauflage 2024, Seite 44. |
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