Institut Deutsche Adelsforschung
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Vormärzlicher Adel in interdisziplinärer geisteswissenschaftlicher Perspektive

Aspekte zu Adelskultur und Adelsleben zwischen den Revolutionen von 1789 und 1848

Ein progressiv eingestellter Anonymus beklagte sich 1917, mitten im ersten Weltkrieg, darüber, daß die Gegenwart des Alltagslebens nicht nur aus gegenwärtig Nötigem bestehe, sondern viele soziale Entitäten und Umgangsweisen zur Erzeugung von Gesellschaft aus der Vergangenheit stammen würden, oft ungeprüft und langwierig weiterlebten, ohne daß noch recht ein vernünftiger Grund für deren Dasein und Existenz zu bestimmen wäre. Er spielte damit auf die „faits sociaux“ an, die sozialen Tatsachen, wie sie von Durkheim formuliert worden sind, die nur schwerfällig und langsam veränderbar seien. [1] In diesem Sinne äußerte sich der Anonymus auch über Umgangsweisen zwischen Ständen, die ihm, zum gefühlten (und dann ja kurze Zeit später tatsächlich auch eintretenden) Ende einer Epoche, einer Zeitenwende, deplaziert vorkamen.

Dazu notierte er kritisch: „[noch Seite 3] Man darf nicht glauben, daß das Leben, in das wir hineingeboren werden, diese sogenannte Gegenwart, ein Haus ist, das nach einem zeitgemäßen Plan alle Bequemlichkeiten der Neuzeit schon in der Anlage vorgesehen enthält und gestern gebaut wurde, um uns heute aufzunehmen. Diese Gegenwart ist viel mehr ein bejahrter und geflickter Kasten, dessen Grundmauern fast so alt sind wie die Zeit, während seine Wände von jeder Generation verändert wurden, die ihre Um- und Anbauten machte, soweit es ihr unbedingt nötig erschien, bis endlich die heutige Gestalt herauskam. Wir haben die ‚Gleichheit aller Staatsbürger‘, da neben haben wir aber auch den Ausdruck ‚jemanden in den Adelsstand erheben‘ und die Gepflogenheit, einem Adeligen den Bürgerstand zu verleihen, wenn er wegen eines Verbrechens verurteilt wurde. Wir haben die ritterliche Genugtuung und daneben den Ehrenbeleidigungsprozeß. Die Freiheit der Meinung und die [folgt Seite 4] Theaterzensur, welche zwar die Schlüpfrigkeiten eines Pariser Schwanks durchläßt, dem Ausdruck einer ernsten künstlerischen Ueberzeugung aber gewöhnlich Schwierigkeiten bereitet. Wir haben gesetzlich die Freiheit des Glaubens zugestanden, dulden aber in Wirklichkeit lieber die Freiheit des Unglaubens, wenigstens gestatten wir jedem, der kein guter Christ oder Jude ist, ein so lauer zu sein, wie er nur mag – bereiten ihm aber in dem Augenblick große Schwierigkeiten, wo er kein lauer sein will, so er ein guter nun einmal nicht sein kann.

Wir tun auch viele Dinge zum Teil, deren andrer Teil längst in der Ewigkeit versunken ist. So verleihen wir mit jedem Orden die Zugehörigkeit zu einer Ordensgemeinschaft, die gar nicht existiert. Wundern uns, daß einst das öffentliche Rauchen mit Strafen belegt war, und wollen es doch den Frauen nicht gestatten. Fühlen uns über die Zeit der Kleiderordnungen erhaben, sind aber sittlich verletzt, wenn eine Frau beim Sport Hosen trägt. Man könnte in solcher Art tagelang fortfahren, Widersprüche aufzuzählen, ohne ein Ende zu finden. Niemals hatte eine Zeit das Ungestüm, ihren Willen allen Erscheinungen des öffentlichen Lebens aufzudrücken, jede hinterließ Reste der von ihr im übrigen überwundenen Vorzeit und späteren Zeiten lohnte es erst recht nicht mehr der Mühe, sie aufzulösen. Wenn nirgend anders, so erhalten sie sich in den Formen und Formeln, vor allem denen der Höflichkeit und guten Sitte. Auch unsere Briefanreden stammen aus solchen Tiefen der Vergangenheit und die Art, in der man sich ihrer bedient, läßt wie ein Leitfossil das Alter der Schichte erkennen. Wer um keinen Preis einem Nichtadeligen Hochwohlgeboren schreibt, lebt für diese Minute in einer Zeit, wo es noch starr geschiedene ‚Stände‘ gab, mit Adelsrecht und Bürgerrecht. Wer aber nicht widerstehen kann, diese Ehrfurcht auch auf höhergestellte Beamte zu erstrecken, macht eine Verbeugung vor jener Zeit, wo alles Untertan und untertänig war und der Mensch mangels Gegenbeweis als verdächtig galt, wer sich damals weder durch einen Adelsbrief noch durch ein Beamtendiplom ausweisen konnte, wurde als ein ‚Individuum‘ bezeichnet, als ein ‚gewisser‘ oder ‚sicherer‘ So und so, auf den eine ‚hohe‘ Polizei ein doppelt scharfes Auge hatte. Ganz allmählich wird auch diese Sitte absterben und von etwas weniger Altem ersetzt werden, das aber dann auch schon alt sein wird. Es sind unschuldige Gedankenlosigkeiten, die so mitgeschleppt werden, denn je weniger solche Gebräuche vom Nachdenken berührt werden, desto besser erhalten sie sich. Sie strömen in ihrer Abgestorbenheit aber doch eine leise Ungesundheit aus.“ [2]

Diese kritischen Worte bezogen sich auch auf den Adel als ständisches „Überbleibsel“, als Rudiment einer vergangenen und doch auch noch andauernden Zeit, die erst 1918 einem gewissen Ende entgegensehen sollte. Übergangszeiten nun waren schon immer gern untersuchte Gegenstände der historischen Wissenschaften, das gilt auch für den in der Überschrift angesprochenen Vormärz, die Zeit zwischen französischer und deutscher Revolution, die Ära zwischen 1789 und 1848/49, die Zeit der Metternichschen Restauration. Hier kämpften Adelige ebenso wie Nichtadelige für neue Ideen oder den Beibehalt bisheriger Zustände, auf politischem wie sozialem Gebiet. Ein neuer Sammelband nun beschäftigt sich ebenfalls wieder einmal mit dem Themenkomplex von „Adel im Vormärz“. In einem Vorwegwort wird in das Thema eingeführt (Seite 7-32), Kontinuitäten und Bruchlinien werden betont, auch die sich daraus ergebenden Spannungen. [3]

En Passant entwirft das Vorwort außerdem, recht unerwartet aus dem Moment heraus, nachdem es bisher um Fragen des Blicks auf den Adel – Krise oder Beharrungskraft des Adels in der Krise? (Seite 9-11) – ging, einen doch ganz eigenständig-solitären Beitrag zur Frage des Wesenskerns des Adels, der zwar bisher schon vielfach formuliert worden ist, im Grunde aber keinen Konsens finden konnte, vor allem deswegen, weil sich die Autor:innen meistens nicht aufeinander bezogen haben. [4] So wird auch hier, sozusagen frei schwebend, ein neuer – aber durchaus origineller und bedenkenswerter – Versuch gewagt (Seite 12-13). „Adel“ beruhe demnach auf vorgeblich fünf Säulen; dazu zählten erstens in diesem Modell ein herausgehobener Erbstatus in einer ungleichen Gesellschaft (von Humandifferenzierungen, könnte man hier ergänzend vermerken) [5] und ein Zurückstehen von Individualinteressen hinter das Familienwohl, das zweitens auf dem Prinzip der familiären Ehre beruhe, drittens standesgemäß eingehegte In-Group-Heiratskreise fordere, viertens die Verfügung über Grund und Boden innehabe, die fünftens schließlich in einen Herrschaftsanspruch münde. Dieses Modell hat einiges für sich, bewegt es sich doch im Rahmen der „offenen Horizonte“, die mit dem Adelsbegriff assoziiert werden. [6] Leider läßt aber auch dieses Modell außen vor, daß eben auch soziale Mitwelten den Adel mit gestalten und erzeugen, so daß der Fokus in dem neuen Entwurf leider zu sehr adelszentriert bleibt und damit nur unvollständig – trotz des forschungsseitigen Standortes des 21. Jahrhunderts – in einer eher altständischen Weise die Konstruktion, Hervorbringung und Tradierung von Adel als sozialer Schicht und „Gedankending“ nachvollzieht. [7]

Positiv hervorzuheben ist indes am Sammelband die interdisziplinäre Herangehensweise, da literatur- und geschichts- ebenso wie musik- und kulturwissenschaftliche Blicke gleichberechtigt nebeneinander stehen, auch Literaturstellen oft als Destillat bestimmter Gedanken herangezogen werden, so aus Pückler-Muskaus „Tutti Frutti“ (1834), wo es heißt: „[noch Seite 117] Da ich schon im Gasthof erfahren, daß die Herrschaft abwesend sey, so meldete ich mich unverzüglich bei der alten Schaffnerin, um die Erlaubniß zu erhalten, das Innere des Schlosses zu besehen. Es war diese Person als Inventarienstück von der Familie [v.] Niederthal mit dem Gute verkauft worden, und schien durch den ehemaligen Dienst in einem hohen Hause sehr aristokratische Gesinnungen eingesogen zu haben. Sie führte mich zuerst in den Speisesaal, wo ich mit Verwunderung eine Menge Ahnenbilder erblickte. ‚Sind diese‘, frug ich [folgt Seite 118] lächelnd, die Vorfahren Malecke's v.Goldsberg?‘ – ‚I Gott bewahre!‘ erwiederte [sic!] eifrig die Schaffnerin, ‚das sind alles alte Niederthale.‘ ‚Hat man denn die auch mit verkauft?‘ frug ich weiter. ‚Ach, du lieber Himmel! Die alte Herrschaft wußte wohl gar nichts davon, und ästimirte das alte Zeug auch nicht.

Die Bilder lagen zerrissen und verstaubt auf einer alten Rumpel­kammer, wo sie der neue Herr erst gefun­den, und gleich sorgfältig hat repariren und aufhängen lassen, damit es, wie er sagte, recht alterthümlich hier aussehen möchte. Gleich daneben in der Frau ihrer Stube (sie nannte ihre neue Gebieterin niemals anders als: die Frau, tout court), wo unsere gnädige Gräfin auch wohnte, da hängen die Malecke's, die sehen nun freilich ganz anders aus.‘- ‚Das macht die moderne Tracht,‘ sagte ich, ‚denn es war allerdings nicht zu läugnen, daß die Ritter des goldenen Vließes, die blau und roth bebänderten [folgt Seite 119] Herren mit ihren strengen Gesichtszügen und großen Allongenperücken, die stolzen Damen in ihren Reifröcken, denen Mohren und Zwerge die Schleppe nachtrugen, ziemlich sonderbar mit dem Stillleben contrastirten, welches die Familienbilder der Malecke's in ihren modernen Jagdpikeschen und kurzen Damenröcken darboten. Indessen der Glanz jener Alten ist erloschen, die Fracks und Jacken daneben sind in Besitz der Herrschaften, und dabei des sichersten Adels unserer Tage, nämlich des Geldes. In fünfhundert Jahren werden die jetzt Neuen überdies ziemlich eben so vornehm sein, als es die Alten waren, ja vielleicht geht es ihnen dann eben so wie Jenen, und ein neuer Mann von 2325 ersteht das Gut der alten Malecke's, und hängt ihre halbvermoderten Ahnenbilder wiederum in seinem Eßsaal auf, ‚damit es alterthümlich aussieht‘. Denn die divina Comoedia geht immer so fort, und nichts wahrhaft [folgt Seite 120] Neues, wiewohl immer etwas anders bestrahlt, entsteht unter der Sonne!“ [8]

Das Vorwort des Sammelbandes liest diesen Abschnitt als den Gegensatz zwischen einem in Jahrhunderten sozialisierten Altadel der Geburt und dem rasch – und daher parvenühaft – sozial aufgestiegenen Neuadel des Geldes, der sich aristokratisiert habe. Dabei sei der Altadel vergangen, der Neuadel komme und werde aber auch in ferner Zukunft wieder vergehen. Man kann diese Stelle aber auch als „un/doing nobility“ lesen, wonach soziale Mitwelten, Adelsbeanspruchende und Zeit maßgebliche Mit-Akteur:innen waren, um Adel überhaupt entstehen zu lassen, da auch der Altadel irgendwann einmal in der verflossenen Vergangenheit ein „Neuadel“ gewesen ist. [9] Auf „alt“ oder „neu“ kommt es also eigentlich gar nicht an, lediglich auf die Erzeugung von Adel in einem ganz grundsätzlichen Sinne. Auch hier wird daher wieder die geradezu altständische Sichtweise dessen, was man als Adel bezeichnet (nach dem herkömmlichen Konzept „being nobility“), verfolgt, im Grunde eine Apologie des Adels geliefert, indem die Forschung kritiklos den einstigen (wenngleich doch äußerst wirkmächtigen) Selbstdefinitionen von Adel „aufsitzt“ und sie diskursiv weiterträgt. [10]

Abgesehen von dieser Rahmung bieten die weiteren Beiträge des Sammelbaned teils neuformulierte, teils auch nur neu gekleidete Sichtweisen, so auf „den Gotha“ als adeliges Selbstverständigungs- und Identitätsinstrument, dem „Pathos der Distanz“ verpflichtet. [11] Dort wird detailliert nachgezeichnet, wie „der Gotha“ vom Staatskalender mit pragmatischem Nutzen zum Standeskalender und Werkzeug des Wiedererkennens „entre nous“ wurde. [12] Dabei werden auch spannende Einblicke in die literarischen Verwendungsweisen „des Gotha“ präsentiert, deren systematische Betrachtung indes derzeit aussteht und einen eigenen künftig noch erst zu erstellenden Beitrag wert wäre. [13] Weiters erfahren die Lesenden in einem Beitrag über die vormärzliche „Zeitung für den deutschen Adel“ von einem beachtenswerten literarisch (satirisch) ausgefochtenen Konflikt zwischen dem Sozialisten Friedrich Engels und der aus Adeligen bestehenden Zeitungsredaktion (Seite 62-70). Ein weiterer Aufsatz des Sammelbandes widmet sich sodann Form und Inhalt von Nobilitierungsgesuchen; der Beitrag kann als Ausgliederung und Zusammenfassung einer noch nicht publizierten Dissertation betrachtet werden. [14] Lobenswert ist hier hervorzuheben, daß in dem Aufsatz nicht nur letztlich positiv beschiedene Gesuche um eine Adelung berücksichtigt werden, sondern explizit auch abgelehnte Eingaben zur Betrachtung kommen: Wer große Geldmengen durch Spekulation schnell erworben hatte, schien es nicht wert zu sein, adelig zu werden; zu suspekt kam den Behörden solche ein ökonomisches Verhalten vor (Seite 87). [15]

Auf sehr innovative Weise befassen sich zwei weitere Beiträge außerdem mit interständischen Umgangsweisen (man könnte ergänzen: als immateriellen Aktanten zur Adelserzeugung). Hier werden anhand zweier bürgerlicher Reisender, die über ihre Reise und Begegnungen mit Adeligen Berichte verfaßten, die positive Herablassung seitens Adeliger thematisiert, mithin die temporäre Aufhebung ständischen Abstands im Bewußtsein einer besonderen Auszeichnung der Nichtadeligen und bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eben jener Distanz als notwendiges Mittel humandifferenzierender Kategorien. [16] Anhand von Fanny Lehwalds Erzählung „Jenny“ (1843) wird der Fokus außerdem auf die „Désinvolture“ gelenkt, die „Ungezwungenheit“, die ebenfalls als eine Art kurzzeitiger Verringerung des „Pathos‘ der Distanz“ durch Leutseligkeit der Adeligen gegenüber Nichtadeligen gelten darf. [17] Zu einer vollständigen Erörterung alltäglicher vormärzlicher interständischer Kommunikationsweisen würden zwar auch Gefühle und Handlungsweisen des Nichtadels gegenüber dem Adel (so Ehrerbietigkeit, Ehrfurcht, Passivität [18]) gehören, doch ist mit den beiden Aufsätzen schon einmal ein Anfang gemacht, der darauf hoffen läßt, daß derlei affektiv-immaterielle Tauschgeschäfte zwischen Adel und Nichtadel zukünftig intensiver ausgeleuchtet würden. Schließlich spielen sie für die kommunikative und performative Erzeugung von Adel eine ganz wesentliche Rolle, werden bisher aber zu wenig beachtet.[19]

In weiteren Facetten behandelt der Sammelband ferner unter anderem auch die Bedeutung von Reiseberichten, hier ausgeführt am Beispiel der Autorin Elise v.Hohenhausen und ihrer Schilderung „Natur, Kunst und Leben“ (1820), indem sie unter anderem über interständische Begegnungen spricht. Es ist ein Verdienst des Aufsatzes, daß er aufmerksam macht auf das Potential vormärzlicher Reiseliteratur hinsichtlich des adeligen Selbstverständnisses, das dort vielfach zum Ausdruck zu kommen scheint, wenn eben nicht nur Orte, Sehenswürdigkeiten, Landschaften, Städte und Sitten eines bereisten Landes geschildert werden, sondern Selbsteinschätzungen am jeweils „generalisierten Anderen“ reflektiert werden, etwa, wenn Hohenhausen über die Dummheit und Trägheit Nichtadeliger, über „Menschen niedern Standes“ um Paderborn spricht und schreibt (Seite 191). Hier wäre noch ein reiches Betätigungsfeld für die Adelsforschung, indem einmal systematisch oder vielleicht auch nur exemplarisch weitere Reiseberichte als Selbstvergewisserungsorgan und -medium des Adel gelesen werden könnten. Auch wenn die Selbstverständnisforschung zum Adel ein leider schon stark ausgetretener breiter Pfad der Forschung ist und sich in „aristokratischer Nabelschau“ ergeht (anstatt intensiver die Wechselwirkungen mit der nichtadeligen Umwelt zu besehen), [20] könnte doch dieser Zugriff noch recht erfolgversprechend sein. [21] Das gilt wohl nicht zuletzt auch und gerade für Krisenzeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, für Zeiten der Renovation alter Verhältnisse, in der der Adel indes fast permanent war, je nachdem, wie groß man die Zeiträume fassen will. [22]

Aspekte von Autorschaft und Adel, den Selbstverständnissen als adeliger Schriftsteller und schriftstellernder Adeliger (am Beispiel der Bekanntschaft zwischen Astolphe du Custine und Hermann Fürst v.Pückler-Muskau), aber auch Spezifika adeliger „Salonliteratur“, „Salonpoesie“ oder „Konversationsprosa“ werden in weiteren Beiträgen des Sammelbandes erörtert (Seite 246-247). [23] Hier wird die Qualität der Textsorte des speziellen Romans in zeitgenössischen Aristokratiekreisen erörtert und definiert; sie stellt einen bislang nur wenig betrachteten Gegenstand der Germanistik dar, eine Unterform des Adelsromans. Damit teilt die „Salonliteratur“ das Schicksal des ebenso bisher in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft wenig analysierten Offiziersromans. [24]

Insgesamt wird damit ein Kaleidoskop von Adelsthemen des Vormärz in den unterschiedlichsten Bereichen angesprochen, die als innovativ gelten dürfen, vielfältige Anregungen geben, teils auch explizit als Hinweis auf Forschungsdesiderate verstanden werden wollen (Seite 255). Insofern ist das Erscheinen des Bandes, mit geringen Abstrichen, überaus begrüßenswert, nicht zuletzt als mannigfaltiger und breit aufgestellter Impulsgeber für die Adelsforschung in Bezug auf die vormärzliche Epoche. Denn eben jener Vormärz erwies sich als Epoche, in der der Adel zwar als politische Institution gefährdet war und angegriffen wurde; aber er war eben nicht nur, wie der obige Anonymus vermeinte, eine „unschuldige Gedankenlosigkeit, die so mitgeschleppt“ wurde, sondern bewies ein gehöriges Maß an Innovations- und Renovationsvermögen zum Überleben auch über die Revolution von 1848/49 hinaus.

Dieser Aufsatz stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form.

Annotationen:
  • [1] = Dazu siehe Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band X., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Spalte 916-919; Gerd Reinhold (Hg.): Soziologie-Lexikon, München: Oldenbourg 4. Auflage 2000, Seite 589.
  • [2] = Soldaten-Zeitung („Im Felde“, eigentlich aber, da es sich um eine südtirolische Zeitung handelte, in Bozen), Ausgabe Nr. 39 vom 4. März 1917, Seite 3-4.
  • [3] = Claude D. Conter / Urte Stobbe (Hg.): Adel im Vormärz. Begegnungen mit einer umstrittenen Sozialformation, Bielefeld 2023, 296 Seiten, erschienen im Aisthesis-Verlag; erhältlich im Buchhandel um den Preis von 40,00 Euro unter der Internationalen Standardbuchnummer „978-3-8498-1859-3“ (übrigens auch als eBook, dann jedoch unter der ISBN „978-3-8498-1860-9“), angelegt als Sammelband mit 12 Aufsätzen aus den drei Bereichen „Formen adliger Selbstvergewisserung“, „Adlige Salons“ und „Adligkeit und Schreiben“ und den Disziplinen der Literatur- und Musikwissenschaft, der Geschichts- und Kulturwissenschaft und der Philosophie; hervorgegangen aus der Tagung „Adel im Vormärz“ vom 15. bis 17. Juli 2021 in der Nationalbibliothek in Luxemburg. Der Band steht daher in der Tradition von Rudolf Brandmeyer: Biedermeierroman und Krise der ständischen Ordnung. Studien zum literarischen Konservatismus, Tübingen 1982, VI und 170 Seiten (Band 5 der Reihe „Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur“; betrifft den Adel im Vormärzroman). Leider wird allerdings an keiner Stelle des Bandes auf dieses für das Thema einschlägige Werk Bezug genommen. Dass der Forschungsstand im Vorwegwort allgemein bedauerlicherweise nicht hinreichend ausgeleuchtet wurde, zeigt auch die Nichtberücksichtigung von Literaturpositionen, die ebenso einschlägig gewesen wären. Dazu zählen a) Laura Hirschberg: Die Rolle der adeligen Frau im Vormärz. Annette Droste-Hülshoffs „Am Turme“, Norderstedt 2015, 13 Seiten (Hausarbeit Universität Düsseldorf 2015), b) Harald Müller: Von der Ungemütlichkeit des Geldes. Kraftprobe zwischen Bourgeoisie und Adel, in: Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier, Münster in Westfalen 1994, 433-440, c) Karin Baumgartner: „Der verarmte Edelmann wird Mäkler, Speculant, oder gemeiner Bauer“. Geld, Ökonomie und Adel in den konservativen Texten des Vormärz, in: Jutta Nickel (Hg.): Geld und Ökonomie im Vormärz (19. Jahrbuch des Forum Vormärz-Forschung 2013), Bielefeld 2014, Seite 37-55, d) Carl Heiner Beusch: Adlige Standespolitik im Vormärz. Johann Wilhelm Graf von Mirbach-Harff (1784-1849), Münster 2001, 638 Seiten, e) Jost Hermand: Adliger Schloßherr und bürgerlicher Fabrikant. Karl Leberecht Immermanns „Die Epigonen“ (1836), in: Hermand, Jost (Hg.): Das liebe Geld! Eigentumsverhältnisse in der deutschen Literatur, Köln 2015, Seite 91-104, f) Gert Zang: Der badische Adel im Vormärz (bis 1848), in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.): 1848/49. Revolution der deutschen Demokraten in Baden, Baden-Baden 1998, Seite 75-79, g) Elisabeth Fehrenbach: Ein Rechtsstreit des Vormärz um die Adelsprivilegien im Königreich Württemberg, in: Tiziana J. Chiusi (Hg.): Das Recht und seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag, Berlin 2008, Seite 215-228, h) Uta von Pezold: Adelige Standesherrschaft im Vormärz. Die Tagebücher des Grafen Carl von Giech (1795-1863), München 2003, XIII und 251 Seiten (Band 17 der Reihe „Materialien zur bayerischen Landesgeschichte“; zugleich Band 52 der Reihe „Die Plassenburg für Heimatforschung und Kulturpflege in Ostfranken“), i) Nomen Nescio: Aus der Geschichte der Wiener Gesellschaft im Vormärz (Teil 5). Österreichische Adelsverhältnisse im Allgemeinen. Die zweite Gesellschaft Wiens und ihr Verhältniß zur ersten, in: Neues Fremden-Blatt (Wien), Ausgabe Nr. 337 vom 8. Dezember 1867, Seite 4-5, j) Milan Hlavacka: Das Versagen der adligen Eliten in Böhmen. Die Reformkonzepte des Grafen Wilhelm Wurmbrand in der Vormärzzeit, in: Miloš Rezník / Lubos Velek (Hg.): Adelsgeschichte als Elitenforschung, München 2012, Seite 121-138, k) Karin Schneider: Höfische Eliten im Vormärz – Die Obersten Hofchargen als Beispiel, in: Tatjana Tönsmeyer / Libos Velek (Hg.): Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie, München 2011, Seite 167-180, l) Gernot Stimmer: Kontinuität und Wandel regionaler Eliten zwischen Ancien Régime und Vormärz. Zur Einführung, in: Marco Bellabarba (Hg.): Eliten in Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz, Innsbruck 2010, Seite 15-28.
  • [4] = Dazu siehe beispielhaft a ) Marcus Funck / Stephan Malinowski: Geschichte von oben. Autobiographien als Quelle einer Sozial- und Kulturgeschichte des deutschen Adels in Kaiserreich und Weimarer Republik, in: Historische Anthropologie, Band 7, Heft 2, Köln: Böhlau 1999, Seite 236-270, b) Eckart Conze: Adel, in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels, München: C. H. Beck 2005, S. 15-16, c) Heinrich Theodor Grütter / Magdalena Drexl / Axel Heimsoth / Reinhild Stephan-Maaser (Hg.): Eine Klasse für sich. Adel an Rhein und Ruhr, Essen 2021, Seite 10-11 und 17, d) Heinz Reif: Adel, Aristokratie, Elite, Berlin: De Gruyter Oldenbourg 2016, Seite 303-326, e) John H. Kautsky: Funktionen und Werte des Adels, in: Peter Uwe Hohendahl / Paul Michael Lützeler (Hg.): Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200-1900, Stuttgart: J. B. Metzler 1979, Seite 1-16; Gerhard Dilcher: Der alteuropäische Adel, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990, S. 87-95; Otto Gerhard Oexle: Aspekte der Geschichte des Adels im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990, Seite 19-56.
  • [5] = Dazu siehe Dilek Dizdar / Stefan Hirschauer / Johannes Paulmann / Gabriele Schabacher (Hg.): Humandifferenzierung. Disziplinäre Perspektiven und empirische Sondierungen, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2021, 370 Seiten. Sowie grundlegend zu diesem innovativen Konzept (auch als Impulsgeber für die Adelsforschung) Stefan Hirschauer: Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten, in: Zeitschrift für Soziologie, Band 43, Heft 3, Juni 2014, Seite 170-191.
  • [6] = Dazu siehe Thomas Luckmann: Von der alltäglichen Erfahrung zum sozialwissenschaftlichen Datum, in Ilja Srubar / Steven Vaitkus (Hg.): Phänomenologie und soziale Wirklichkeit, Opladen: Leske & Budrich 2003, Seite 15. – Das Fünfsäulenmodell stellt, wie jede Abstraktion, eine „Authentizitätsfiktion“ dar, zumal es seitens der Herausgebenden des Sammelbandes leider ohne jede Quellenangabe isoliert entworfen wird. Andere Modelle jedenfalls finden sich zuhauf in der Forschung, so beispielhaft auch bei Marcus Funck / Stephan Malinowski: Geschichte von oben. Autobiographien als Quelle einer Sozial- und Kulturgeschichte des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik, in: Historische Anthropologie, Band 7, Heft Nr. 2 (Dezember), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, Seite 236-270; enthält auf den Seiten 245-260 die These von „Adeligkeit“ als Set von fünf Haltungen und Kernmerkmalen „des Adels“). – Zur Authentizitätsfiktion siehe ferner Siegfried J. Schmidt: Lernen, Wissen, Kompetenz, Kultur. Vorschläge zur Bestimmung von vier Unbekannten, Heidelberg: Auer 2005, Seite 85.
  • [7] = An dieser Stelle sei angemerkt, daß die exemplarisch erwähnten Studien auch hätten systematisch erwähnt werden können mit einem schlichten Verweis auf die in dem Vorwort zum Sammelband nicht zur Kenntnis genommene umfassendste Adelsbibliographie, die derzeit im deutschsprachigen Raum existiert. Siehe dazu Claus Heinrich Bill: Neue Bibliographie zum deutschen Adel. Monographien, Sammelbände und Aufsätze des Erscheinungszeitraums ab 1494 bis heute zum Adel in den deutschsprachigen Ländern, Sonderburg: Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2023 (Band XXVI der Schriftenreihe des Instituts Deutsche Adelsforschung), virtuelle Auflage vom 7. Februar 2023, 1420 Seiten. – Die Art der Anführung von Forschungsliteratur macht sich auch bemerkbar in der Fußnote 51 auf Seite 26. Es werden dort viele Belege zitiert, die aber nicht zeigen, daß die Beschäftigung mit Adel in der Literatur weit älter ist. Siehe dazu exemplarisch Nomen Nescio (X): Wilhelm v.Polenz als Schilderer der agarischen Verhältnisse des deutschen Ostens, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XX, Berlin 1902, Seite 767-768, 784-785 und 798-800; Oldwig v. Uechtritz: Der deutsche Adel in der Literatur, in: Deutsches Adelsblatt 1894, Seite 108 und 148; Schickfus: Die Welt des Adels in den Romanen des Freiherrn Georg v.Ompteda und des Grafen Eduard v.Keyserling, in: Deutsches Adelsblatt (Berlin), Ausgabe Nr. 2 vom 9. Januar 1937, Seite 37-39; Benno Radau: Der deutsche Adelsroman in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Freiburg im Breisgau 1930, IV und 263 Seiten [Dissertation Universität Freiburg]; Richert: Adelsproblem in Omptedas Adelstriologie, in: Akademische Blätter, Berlin 1902, Seite 329-331; Hildegard v. Roosz: Die Rolle des Adels in der ungarischen Literatur, in: Deutsches Adelsblatt, Ausgabe Nr. 15 vom 9. April 1938, Seite 486-487; Nomen Nescio: Vergessene adelige Dichter (betrifft Rehfues, Schütz, Malsburg, Miltitz, Krug-Nidda), in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang VIII, Berlin 1890, Seite 641-642; Irene Leibbrandt: Die alten Stammbäume sind nun gefällt. Adel in der Literatur am Ende des alten Reiches, Köln 1997, 132 Seiten; Nomen Nescio: Deutscher Adel in Kunst und Literatur. Von Kleist bis heute. Die Vorliebe für die bildenden Künste. Hugo v. Hofmannsthal und Wilhelm Scholz. Die falsche Theorie von der Prädestinierung. Schriftstellernde Adelige, in: Neues Wiener Journal (Wien), Nr. 4382 vom 5. Januar 1906, Seite 3-4; und viele mehr. – Zum Terminus „Gedankending“ siehe auch Barbara Stollberg-Rilinger: Nur ein bloßes Gedankending? Der deutsche Adel in der Anpassungskrise um 1800, in: Werner Frese (Hg.): Zwischen Revolution und Reform. Der westfälische Adel um 1800, Münster: Selbstverlag der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive 2005, Seite 59-24.
  • [8] = Nomen Nescio [das ist Hermann von Pückler-Muskau]: Tutti Frutti. Aus den Papieren des Verstorbenen, Band 2, Stuttgart: Hallbergersche Verlagshandlung 1834, Seite 118-120.
  • [9] = Dazu siehe Claus Heinrich Bill: Zur Einführung in die erneuerte Adelstheorie „Un/doing nobility 2.0“ mit empirischen historischen Beispielen (1/3), in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXIV, Folge Nr. 117, Sonderburg 2021, Seite 45-52; Teil 2/3, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXIV, Folge Nr. 118, Sonderburg 2021, Seite 2-52; Teil 3/3, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXIV, Folge Nr. 119, Sonderburg 2021, Seite 2-6.
  • [10] = Zur Steuerung möglicher Mißverständnisse sei gesagt, daß diese Sicht nicht als falsch bezeichnet werden kann und daher ebenso wie jede andere Perspektive legitim ist, aber eben nicht besonders innovativ und eher im Althergebrachten verbleibend. Immerhin ist das sonst lesenswerte Vorwort ein Exempel für die immer wieder erstaunlich einfach funktionierende und dabei höchst effektvolle Beharrungskraft simpler Pfadabhängigkeit eines Zitierkartells um die üblichen Namen Reif, Matzerath, Malinowski (Seite 24-25). Dazu siehe weiterführend Jürgen Beyer: Pfadabhängigkeit, in: Georg Wenzelburger / Reimut Zohlnhöfer (Hg.): Handbuch Policy-Forschung, Wiesbaden: Springer VS 2015, Seite 149-171. Wie dies abläuft, hat eindrücklich gezeigt Cyriacus Spangenberg: Ander Teil des Adelspiegels, Schmalkalden 1594, Seite 21: „Das alter machet einem dinge ein ansehen: Je elter / je edler vnd wirdiger.: „vnser deutsches Sprichwort sagt: Das alter sol man ehren [...] das alter ist aller ehren werth. Also hat nun auch der Adelstand seine ehre vnd wirde / wegen seines alters / Denn er ist je nicht ein erst newlich erfundener stand / sondern es ist allezeit von anfang der Welt her Adel gewesen […] Darnach ists auch in sonderheit einem jeglichen Adelichem Stamme eine besonders grosse ehre / wenn man denselben viel Jar und zeitlang zu rücke beweisen kan / denn je viel elter ein Adelich Geschlecht ist / so viel herrlicher ist es auch.“ – Siehe dazu auch Claus Heinrich Bill: Herkunft und Legitimation höherer Adelsehre (Modell Bill), in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 5. Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sonderburg: Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2018, Seite 28-29.
  • [11] = Dazu siehe G. L. Duprat: Soziale Typen oder soziale Klassen?, in: G. Salomon (Hg.): Jahrbuch für Soziologie. Eine internationale Sammlung, Band 1, Karlsruhe: Braun 1925, Seite 378-285; Nomen Nescio: Stammbaumkomödien, in: Neues Wiener Journal (Wien), Ausgabe Nr. 4019 vom 1. Jänner 1905, Seite 4; Johann Christoph König (Hg.): Briefe über die Erziehung der adelichen Jugend (herausgegeben von Johann Christoph König, der Weltweisheit Magister), Nürnberg: Felßeckerische Buchhandlung 1784, XXXVIII und 312 Seiten; Volker Gerhardt: Pathos der Distanz, in: Joachim Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Basel: Schwabe 1989, Seite 199-200.
  • [12] = Über eine Aquarellistin: „Denn Isa Jechl war die Malerin der österreichischen Aristokratie, ihrer Kinder und ihrer Hunde. Noch in der Erinnerung gerührt, erzählt sie, daß die schöne, dunkelgrüne Seide des Kleides, das sie trägt, ein kürzlich eingelangtes Geschenk der Exkaiserin Zita sei. ‚Ich trage keine Farben mehr‘, hat die verbannte Frau, die von höchstem Menschenglück zu tiefstem Leid gelangte, zu dieser Sendung als Erklärung geschrieben. Und die Malerin gedenkt mit Wehmut der Stunden, da sie die bildschönen, strahlenden Kaiserkinder gemalt. Damals drängten sich in ihrem Atelier die Gräfinnen und Fürstinnen, noch während des Krieges traf man alles, was im Gotha steht, bei ihr, die ganz im Stile der alten österreichischen Aristokratie eine Einfachheit zeigt, die nahezu an Kleinbürgerlichkeit grenzt. Für den Hosglanz hat sie nun den Glanz auf den Gesichtern junger Mädchen eingetauscht, die glücklich sind, unter der Leitung der verehrten Meisterin ein Stück Natur einfangen und wiedergeben zu können.“ Zitiert nach Nomen Nescio (E. T.): Atelierempfänge, in: Neues Wiener Journal (Wien), Ausgabe Nr. 11160 vom 15. Dezember 1924, Seite 8 – Anders unter entgegengesetzten Vorzeichen bei Benützung „des Gothas“ als Mittel der Diskriminierung beispielhaft bei Theodor Horn in einer Buchbesprechung (Die Memoiren der Frau v.Hervay, in: Czernowitzer Tageblatt, Nr. 741 vom Seite 2) ausgeführt:„In den Memoiren ist noch eine Fülle von Details enthalten, die rein menschliches Interesse wachrufen und nicht nur die Gier nach der Sensation befriedigen. So die Hetze der Verwandten gegen die bevorstehende Vermählung. Alle jene unsäglich feigen Mittel der anonymen Verdächtigung, der Hinweis, daß die Frau nicht im ‚Gotha‘ steht, gehässige Spionage u. dgl., wie sie den kleineren und kleinlichen Geistern zur Verfügung stehen. Bis endlich der gequälte Mann rasend vor Wut mit der Verleumdungsklage droht und erklärt, er würde sein ‚Mädchen‘ heiraten, auch wenn sie zwanzigmal verheiratet gewesen, wenn sie zwanzig uneheliche Kinder hätte und wenn sie im Zuchthause gesessen wäre.“ – Am Rande sei auf einen fehler im Sammelband hingewiesen auf der Seite 52 in Fußnote 46. Dort wird fälschlich angegeben, das deutsche Adelsarchiv in Marburg an der Lahn würde noch heute (mithin 2023!) eine Reihe „des Gotha“ herausgeben, die sich mit dem Briefadel befassen würde. Dies ist nicht richtig, da die ehemalige Trennung in „Adelige Häuser A“ für den so benannten Uradel und „Adelige Häuser B“ für den so benannten Bullenadel bereits vor 15 (sic!) Jahren aufgegeben wurde. Siehe dazu als Nachweis Heinrich (Heiner) Baron v.Hoyningen genannt Huene: Die Teile A und B der Bände des GhdA Adelige Häuser werden zusammengelegt in: Deutsches Adelsblatt. Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände (Kirchbrak), Jahrgang 46, Ausgabe Nr. 12 vom 10. Dezember 2007, Seite 301 (Gründe für diesen Schritt der Abschaffung der Unterscheidung zwischen „Uradel“ und „Bullenadel“ beziehentlich „Briefadel“ in den Genealogischen Handbüchern des Adels ab dem Jahre 2008). – Eigentlich unnütz ist diesbezüglich übrigens im Sammelband ein überflüssiger Widerspruch. Einmal heißt es auf Seite 53, „es wäre fatal, diese Gebrauchsfiguration des Nachschlagens mit einer empirischen Beschreibung oder einem historischen Rezeptionsbefund zu verwechseln. Die genauen Verwendungen des Gotha beruhen auf Diskursivierungen aus der Außenperspektive, um nicht zu sagen aus bürgerlich-intellektueller Perspektive.“ Diese aus unbekannten Gründen dezidiert als Anti-New-Historicism geäußerte Haltung wird dann nämlich auf Seite 55 konterkariert mit der Bemerkung: „Barbara Coudenhove-Kalergi, aus reichsgräflichem böhmischem Adel stammende Doyenne der journalistischen Begleitung ostmitteleuropäischer Zeitgeschichte, erzählt in ihrer Biographie und noch jüngst in einem Interview , dass [sic!] sie ihrem Vater 1975 die Verehelichung mit dem Widerstandskämpfer und Reformkommunisten Franz Marek verschwiegen hatte. Er hat es dann ausgerechnet über den ‚Almanach de Gotha‘ erfahren und war nicht glücklich“. Der Beiträger kommt daher zu dem Schluß: „Immerhin scheint der Gebrauch des Gotha durch den Adel bis in die jüngere Vergangenheit exakt nach den Mustern zu funktionieren, wie sie die Literatur heiter darstellt“ (Seite 55). Auch dem Versuch einer Militarisierung „des Gothas“ als „Truppenregister“ für den Adel muß man nicht folgen.
  • [13] = Dazu exemplarisch Roda Roda: Gnädigste!, in: Das interessante Blatt (Wien), Ausgabe Nr. 12 vom 24. März 1932, Seite 22: „Gnädigste! Sie können sich niemand vorstellen, der so erfüllt von echtem, natürlichem Hoheitsgefühl ist wie die böhmische Gräfin Gradski. Eine Dame mittleren Alters, doch sagen wir lieber rund heraus: von einundvierzig Jahren (In der Schicht der Gräfin Gradski ist nämlich gar nicht üblich, das Geburtsjahr zu verschweigen oder zu verschieben, es ist ja deutlich für jedermann im Gotha angegeben). Gräfin Gradski ist so vornehm, daß sie bürgerliche Namen nicht behält. Sie stockt, so oft sie ‚Meier‘ sagen soll – so heißt ihr Arzt, Universitätsprofessor (Dies Stocken ist nicht Mache – lesen Sie in Freuds ‚Psychopathologie des Alltags‘ nach, woher das Stocken rührt). Die Brüder der Gräfin sind malteserfähig, sie selbst hätte jederzeit ins Damenstift eintreten können, wenn sie es nötig gehabt hätte (Man braucht, um aufgenommen zu werden, eine Ahnentafel mit vierundsechzig adeligen Quartieren, doch müssen die Urgroßeltern der letzten Ahnenreihe noch adelig geboren sein: macht insgesamt die Kleinigkeit von 1024 erprobten Ahnen). Einst redet Gräfin Gradski leutselig mit ihrem Meier. Anders als leutselig redet eine wahre Gräfin nie, auch wenn sie ihren Titel verlor.“
  • [14] = Es ist daher irritierend (Sammelbandseite 74), diesen Titel bibliographisch bereits als „Adelspolitik in der späten Habsburgermonarchie, München 2021“ zu bezeichnen. Im elektronischen Katalog der Universitätsbibliothek München (LMU) ist eine solche Arbeit derzeit nicht nachweisbar, auch im Bayerischen Bibliotheksverbund nicht und schließlich auch nicht im Karlsruher Virtuellen Katalog, im Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek oder der Deutschen Nationalbibliothek. Ebenso kennen die Verzeichnisse der elektronischen Dissertationen der TU München oder der LMU München eine solche Arbeit nicht. Vollends ärgerlich ist, daß nicht nur pauschal auf diesen Titel verwiesen wird (Seite 74 in Fußnote 12), sondern auch Seitenzahlen als Belege genannt werden (Seite 86 in Fußnote 62), die aus oben genannten Gründen aber nicht geprüft werden können. In dieser Hinsicht völlig inakzeptabel ist, dies Prinzip der Nennung unerschienener Arbeiten noch weit mehr übertreibend, ein angeblicher Band von Albrecht Cordes: Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Band 65 (Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.-19. Jahrhundert), ohne Ort 2065 [sic!] aus dem Böhlauverlag, der aber bereits jetzt, 42 Jahre früher als angeblich „erschienen“, katalogisiert („https://kxp.k10plus.de/DB=2.1/PPNSET?PPN=856793426“) worden ist.
  • [15] = Thematisiert wurden derlei Fälle auch schon bei Harald v.Kalm: Das Preußische Heroldsamt 1855-1920, Adelsbehörde und Adelsrecht in der preußischen Verfassungsentwicklung (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Verfassungsentwicklung Band 5), Berlin 1994, Seite 71, und bei Claus Heinrich Bill: In öffentlichen Angelegenheiten ist er wenig thätig gewesen. Ablehnungen von Anträgen auf Adelsverleihung in Pommern, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr. 16, Jahrgang IV, Sonderburg 2001, Seite 783-789.
  • [16] = Dazu siehe auch Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Band 2, Leipzig 1796, Seite 1112: „Die Herablassung, plur. die -en, von der R.A. herab lassen, die Handlung des Herablassens. Die Herablassung eines Steines, wenn solches vermittelst der Seile von einem höhern Orte geschiehet. Am häufigsten im figürlichen Verstande, die Bequemung nach anderer geringerm Stande, oder schwächern Einsichten. Mit der größten Herablassung zu seinen Bedienten reden. Die Herablassung zu andrer Schwachheiten, Fähigkeiten und Einsichten“.
  • [17] = Dazu als Exempel die freundlich herablassende Befassung eines Grafen mit den Nahrungsfragen des Nichtadels bei Nomen Nescio: Die Wunderkartoffeln, in: Feldkircher Anzeiger (Feldkirch), Ausgabe Nr. vom 7. Februar 1893, Seite 2-3: “[noch Seite 2] Graf (leutselig): ‚Na, Waldhuber, mit was für einer Mästung habt denn Ihr Euch [folgt Seite 3] so schön abgerundet?‘ Waldhuber: ‚Das machen Alles die guten Kartoffeln, Herr Graf.‘ Graf: ‚Nicht möglich, das müßten ja geradezu Wunderkartoffeln sein, die so brillant nähren.‘ Waldhuber (lächelnd); ‚Ja wohl, aber damit werden vorerst meine Schweine gefüttert, dann erst ess' ich [die] Schweine.“
  • [18] = Dazu siehe auch, obgleich aus pädagogischer Sicht verfaßt, dennoch eindringlich auf das Adels-Nichtadels-Verhältnis übertragbar, Hermann Rolfus / Adolph Pfister (Hg.): Real-Encyclopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens nach katholischen Principien, Band 1, Mainz: Florian Kupferberg 1863, Seite 417-418: „[noch Seite 417] Ehrerbietigkeit und Ehrfurcht. Ehrerbietigkeit nennt Lossius die Hoch­achtung, welche sich der Unterwürfigkeit nähert. Es ist diese Gesinnung vorzüglich den Kindern eigen. Ihre Schwäche und Hilfsbedürftigkeit läßt [folgt Seite 418] sie die Ueberlegenbeit Anderer ihnen in Demuth zu beugen, in Hochachtung zu unterwerfen haben, und es braucht daher nicht viel, ihnen diese Art von Hochachtung einzuflößen. Nur ein Umstand kann dieses Bestreben des Erziehers erschweren, wenn nämlich die Eltern Trotz und Respectlosigkeit gegen Erwachsene bei ihren Kindern gleichsam pflanzen, was leider nur zu häufig geschieht. Andererseits begeht mancher Lehrer den Fehler, die Pflege der Ehrerbietigkeit bei seinen Schülern zu vernachläßigen. Da er diese in Unterwürfigkeit gegen seine Person zu erhalten weiß, so fällt es ihm nicht bei, dafür zu sorgen, daß sie auch andern Menschen Ehr­erbietigkeit beweisen, obwohl ihm klar sein muß, daß die Ehrerbietung, welche er genießt, eine blos legale ist und einen moralischen Werth erst dann er­hält, wenn sie auf christliche Grundsätze gegründet ist. Einem christlichen Lehrer genügt aber ein legales Benehmen seiner Schüler nicht; ihre Hoch­achtung soll eine innere, ihre Ehrerbietigkeit aufrichtig sein, und darauf hat er hinzuwirken. Zu diesem Behufe wird er a) jede Ungeschliffenheit derselben gegen hochgestellte Personen, jede Mißachtung der Vorgesetzten, jede Geringschätzung alter Leute strenge rügen, und die Fehler abzustellen suchen, welche die Eltern dadurch begehen, daß sie mit ihren Kindern in einer Art tändeln, welche ihnen die hohe Meinung nimmt, die sie von jenen haben sollten. Ruft man die Mitwirkung der Eltern nicht an, um die Kinder zur Ehrerbietigkeit zu erziehen, so werden die diesfallsigen Bemühungen des Lehrers und Geistlichen nur einen geringen Erfolg erzielen. Es muß daher den Eltern die Ueberzeugung beigebracht werden, wie vieles daran liege, daß sie und alle Höhergestellten von den Kindern mit Ehrerbietigkeit behandelt werden, daß sie in dieser Absicht ihre eigene Würde vor denselben bewahren und sie an­halten sollen, sich demüthig den Vorgesetzten und allen ehrwürdigen Personen gegenüber zu benehmen, daß sie aber andererseits sich hüten sollen, die Hand­lungen, Anordnungen, Ermahnungen der Lehrer und Obrigkeiten in Gegen­wart ihrer Kinder und um diesen zu schmeicheln oder der eigenen verlegten Em­pfindlichkeit Luft zu machen, zu bekritteln. So z. B. soll es den Kindern nicht gestattet sein, unaufgefordert sich in die Gespräche der Eltern zu mischen, etwas mit den Worten ‚ich will‘ zu verlangen, oder etwas zu verweigern mit den Worten ‚ich mag nicht‘. Auch soll es ihnen nicht gestattet sein, die Dienstboten zu tadeln, und sie selbst untereinander sollen nicht das Recht haben, daß das Eine die Leistungen des Andern mustert und geringfügig beurtheilt. Besonders sehe man darauf, daß sie [von] Gott geheiligte Personen und Sachen ehrerbietig behandeln. Mit der Ehrerbietigkeit ist die Ehrfurcht verwandt, worunter man jene Hochachtung versteht, welche sich bis zur Bewunderung steigert und ein Betragen verabscheut, durch welches man den Beifall dessen verliert, den man hochachtet und dem man unterworfen ist. Vor einem großen, mit seltener Würde oder besondern Vollkommenheiten versehenen Manne hat man Ehrfurcht, und wenn von der Ehrfurcht vor Gott die Rede ist, so wird darunter die thätige Anerkennung seiner Majestät verstanden, die nicht sowohl in Furcht besteht, als vielmehr in der Vorstellung von seinen unaussprechlichen Vollkommenheiten, und in den hier aus fließenden Gesinnungen und Gefühlen der Demuth, Bewunderung, Er­gebenheit und Unterwerfung unter seine heiligen Gefeße und Rathschlüsse.“
  • [19] = Ausnahmen sind beispielhaft Kurt Andermann / Peter Johanek (Hg.): Zwischen Nicht-Adel und Adel, Stuttgart 2001, 456 Seiten (Band 53 der Vorträge und Forschungen der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte), aber auch Stefan Frey: Die Entstehung eines neuen Adels?. Zum Wandel der Zürcher Oberschicht im 15. Jahrhundert, in: Zürcher Taschenbuch, Band 125, Zürich 2005, Seite 127-150, sowie Stefan Frey: Fromme feste Junker. Neuer Stadtadel im spätmittelalterlichen Zürich, Zürich 2017, 216 Seiten (Dissertation an der Universität Zürich 2015, betrifft unter anderem die Frage, wie soziale Aufsteiger:innen als Personen und Familien als adelig anerkannt wurden und damit unausgeprochen das Konzept „un/doing nobility“, das der konventionellen Auffassung von „being nobility“ entgegen steht).
  • [20] = Für die Fülle solcher Untersuchungen siehe exemplarisch nur die Literaturpositionen von Susanne Tienken: Zwischen Mehrsprachigkeit und wortlosen Gebärden der Gunst. Stammbücher und Stammbucheinträge als Form adeliger Selbstverständigung im Schweden des 17. Jahrhunderts, in: Dessislava Stoeva-Holm / Susanne Tienken (Hg.): Von Köchinnen und Gelehrten, von Adeligen und Soldaten. Interdisziplinäre Zugänge zum Erschliessen menschlichen Daseins in der Vormoderne, Uppsala 2014, Seite 105-130; Georg Scheibelreiter: Wappen und adeliges Selbstverständnis im Mittelalter, in: Mediävistenverband (Hg.): Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbandes, Band 11, Heft Nr. 2, Berlin 2006, Seite 7-27; Vicky Rothe: Adeliges Selbstverständnis und Strategien des „Obenbleibens“ Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel der Familie von Schönberg auf Thammenhain, in: Sächsisches Staatsarchiv (Hg.): Die Adelsfamilie von Schönberg in Sachsen (Fachkolloquium des Sächsischen Staatsarchivs im Staatsarchiv Leipzig am 22. Oktober 2010), Dresden 2011, Seite 36-58; Gerd Althoff: Anlässe zur schriftlichen Fixierung adeligen Selbstverständnisses, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, Band 134, Karlsruhe 1986, Seite 34-46; und viele mehr.
  • [21] = Grundlage dazu könnte im Übrigen die gut befüllte Reiseliteraturbibliographie („Deutschsprachige Reiseliteratur vom 18. bis 20. Jahrhundert“) sein, die von der holsteinischen Landesbibliothek zu Eutin gepflegt wird und unter der Adresse „https://lb-eutin.kreis-oh.de/index.php?id=275“ virtuell einsehbar ist. Hieraus stammt unter anderem auch die wahrscheinlich unter den vorgenannten Hohenhausenaspekten besehen ähnlich lesenswerte (und das vormärzliche Jahr 1819 behandelnde) Reisebeschreibung von Julius v.Maltzan Freiherr zu Wartenberg und Penzlin: Erinnerungen und Gedanken eines alten Doberaner Badegastes, Rostock: Meyer 1893, 38 Seiten. Zu denken wäre aber auch beispielhaft weiters an Carl Theodor Baron von Uklanski: Briefe über Polen, Österreich, Sachsen, Bayern, Italien, Etrurien, den Kirchenstaat und Neapel, an die Comtesse Constance de S., geschrieben auf einer Reise vom Monat Mai 1807 bis zum Monat Februar 1808, Band 1-2, Nürnberg: Campe 1808, 386 und 653 Seiten.
  • [22] = Adelskrisen gab es zu allen Zeiten, nicht nur im Vormärz. Siehe dazu Hans-Christof Kraus: Adelskrise und Umbruch 1918/19. Das Ende des deutschen Kaiserreichs in den Adelsromanen des Fedor von Zobeltitz, in: Zdenek Hazdra / Vaclav Horcicka / Jan Zupanic (Hg.): Šlechta střední Evropy v konfrontaci s totalitními režimy dvacátého století, Prag 2011, Seite 13-20; Klaus Graf: Adelskrise, in: Friedrich Jaeger (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Band I., Stuttgart 2005, Spalte 62-64;
  • [23] = Dazu ferner Eckart Conze: Adelsroman, in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels, München 2005, Seite 38-39; Walter Manggold: Der deutsche Adelsroman im 19. Jahrhundert, Quakenbrück 1934, III und 117 Seiten; Ulrich Gaier: Wozu braucht der Mensch Dichtung? Anthropologie und Poetik von Platon bis Musil, Stuttgart 2017, 300 Seiten (betrifft Adelsromane als Textsorte auf den Seiten 224-226). – Zu dieser Art von Literatur (am Beispiel einiger Erzählungen des Schriftstellenden-Ehepaars v.Binzer) notierte man bisweilen warnend: „Möge der Verfasser [der Rezensent wußte nicht, daß es sich hierbei um zwei unter dem verbürgerlichten Pseudonym „A. T. Beer“ schreibende adelige Personen handelte], welcher ein schönes Talent zum angenehmen Erzählen zeigt und der die Grenzen des Schicklichen mit Feinheit in diesen Erzählungen beobachtet, das Publikum bald mit mehren Früchten seiner Musse wieder erfreuen; aber [der von sich slebst in der dritten Person sprechende] Rec.[ensent] möchte auch den Wunsch aussprechen, dafs der H[er]r. Verf.[asser] nach Classicität im Stil streben und sich nicht der unseligen Zeitrichtung hingeben möchte, welche die Conversationsprosa der höhern Stände, als Musterprosa der Romane und Erzählungen, einzuführen sucht.“ Zitiert nach Nomen Nescio: Schöne Literatur, in: Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle an der Saale), Ausgabe Nr. 142 vom August 1837 (ohne genaue Tagesangabe), Spalte 528. – Ferner abfällig auch in ähnlicher Weise zu den Binzerschen Schöpfungen Nomen Nescio: Romanenliteratur, in: Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig), Ausgabe Nr. 327 vom 23. November 1837, Seite 1327. – Zum Lebenslauf des gebürtigen Schleswig-Holsteiners siehe im Übrigen ergänzend Nomen Nescio: Freiherr August Daniel v.Binzer, in: Fremden-Blatt (Wien), Morgenblatt-Ausgabe Nr. 93 vom 3. April 1868, Seite 10: „Freiherr August Daniel v.Binzer, dessen am 20. März in Neisse erfolgter Tod gemeldet ist, war im Jahre 1793 in Kiel geboren als jüngster Sohn des dänischen Generalmajors v.Binzer, eines hochgeachteten gelehrten Soldaten, in dessen Hause die berühmtesten Professoren der Hochschule verkehrten. Der Philosoph Reinhold war der Busenfreund des alten Generals, und später auch der Vormund seines Sohnes August, der den Vater schon im 16. Lebensjahre verlor. Er machte seine Universitätsstudien theils in Kiel, theils in Jena, wo er auch zum Doktor promovirt wurde. Noch mehr als durch gelehrte Studien zeichnete er sich dort durch Seelen- und Sittenreinheit, die sich auf seinem schönen Antlitz malte, sowie durch sein bedeutendes musikalisches Talent aus; er besaß eine prachtvolle Stimme, und komponirte bis in seine letzten Jahre eine Menge Lieder, die er im Manuskript aufbewahrte, und von denen viele der Veröffentlichung werth sind. In Holstein lebt noch Mancher, der die Erinnerung jener Kompositionen, die er mit seiner Gattin Emilie (geb. Freiin v. Gerschau) sang, sich bewahrt hat. Das allbekannte Grablied der deutschen Burschenschaft: ‚Wir hatten gebauet ein stattliches Haus‘, wurde von ihm in Jena gedichtet und komponirt. Binzer war ein stilles Gemüth, wußte sich nicht hervorzudrängen und die Wege der Weltklugen zu gehen: er suchte seine Ehre in einem tadellosen Leben und in der Erziehung seiner Kinder, so lange sie seiner Leitung bedurften. Seine älteste Tochter ist dem preuß. Oberst und Brigade-Kommandanten v.Colomb vermält; um sie zu besuchen, war er mit seiner Gemalin von Linz nach Neisse gekommen, wo er nach kurzem Krankenlager starb. Sein Sohn Karl hat sich mit Geist und Herz der Malerkunst gewidmet, und lebt jetzt in Paris, auch vielfach mit schriftstellerischen Arbeiten auf den verschiedenen Gebieten der Kunst, Literatur und Politik beschästigt. Die jüngere Tochter lebte mit den Eltern theils in Linz, theils in Aussee in Steiermark, wo die Familie ein liebliches Landhaus besaß. Binzer hatte Oesterreich zur Heimat gewählt, seit sein jüngster Sohn als Oberlieutenant in österreichischen Diensten 22ährig ein Opfer des Krieges gegen die Ungarn geworden. Uebrigens war Binzers Leben doch ein vielfach bewegtes und zugleich literarisch und publizistisch thätiges. Von Jena aus ging er nach Altenburg und besorgte dort großentheils die Redaktion des ersten Bandes vom Encyklopädischen Wörterbuch (später Pierers Universal-Lexikon), lebte dann in Glücksburg, Flensburg und seit 1831 in Neumühlen bei Altona, wo er eine Zeit lang ein Erziehungsinstitut leitete; 1834 redigirte er in Leipzig die Zeitung für die elegante Welt; 1835 aber siedelte er nach Köln über, wo er längere Zeit die Redaktion des ‚Allgem.[einen] Organs für Handel und Gewerbe‘ führte. Er schrieb ‚Beiträge zur Beantwortung der Frage: Was kann zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes in Deutschland geschehen?‘ (Jena, 1820); ‚Die Dämmerungsstunden der Familie Aebert‘ (Altona 1833); übersetzte ‚Benj.[amin] Franklin's Leben und Schriften‘ (Kiel, 1829); ‚Youngs Nachtgedanken‘, 1 Th.[eil], und gab mit seiner geistvollen Gattin unter dem Pseudonym A. T. Beer ‚Erzählungen und Novellen‘ heraus (3 B[än]de. Leipzig, 1836). Im Anfang der 1840er Jahre lebte er längere Zeit in Augsburg. Frucht eines Winteraufenthalts der Gatten in der Lagunenstadt war ‚Venedig im Jahre 1844‘ (Pest, 1845) – eine sehr werthvolle Monographie über die merkwürdige Stadt und das dortige Volksleben, die noch jetzt wie vor 24 Jahren jedem Reisenden empfohlen werden darf. Von da an hat der Selige zumeist ein glückliches und geistig angeregtes Stillleben in Oesterreich geführt.“ – Zu erwähnen ist noch kritisch an dem Beitrag des Sammelbandes, daß hier behautet wird, daß „die freiwillige Annahme einer anderen, im sozialen Status nach unten abgestuften Identität [...] auch im 19. Jahrhundert der gängigen Kulturpraxis des europäischen Adels.“ Dieser Auffassung ist nur halb zuzustimmen, da die Formulierung den falschen Eindruck erweckt, es habe nur eine einzige Kulturpraxis des Europaadels gegeben; besser wäre es also gewesen, von „einer der gängigen Kulturpraxen“ zu sprechen. Nicht ganz korrekt ist ferner auch, daß im Vormärz die Personalunion des Beer-Pseudonyms mit Binzer nicht bekannt gewesen sei (Seite 238-239). Siehe dazu vielmehr Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jahrgang 31 (Wien), Ausgabe Nr. 189 vom 21. September 1846, Seite 756, wo es heißt: „Franz Ritter, dessen Mohnblätter (bei Heckenast in Pesth erschienen) unlängst eine beinahe ganz allgemein günstige Beurtheilung erfuhren, soll eine Frau von Binzer sein, Gattin des Schriftstellers von Binzer, der unter dem Pseudonamen T. A. Beer bekannt ist, indessen auch unter seinem eigenen, unter welchem er vor einigen Jahren die Redaktion der Zeitung für die elegante Welt führte bis er auf die Requisition Preußens aus Leipzig verwiesen wurde; eben so schrieb er unter eigenem Namen ‚Venedig im Jahre 1844.‘“ – Zur Kulturpraktik der Benützung nichtadeliger Pseudonyme bei adeligen Schriftstellenden siehe ferner H. H. Houben: Flucht aus dem Namen in den Namen. Zur Psychologie des Pseudonyms, in: Kölnische Zeitung mit Handelsblatt, Abendblattausgabe C Nr.133 vom 13. März 1935, Seite 6 (Beilage „Das bunte Leben“).
  • [24] = Dazu jedoch jüngst siehe Claus Heinrich Bill: Narrative Verhandlungen über führende adelige Militärs an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXIII., Folge Nr. 114, Sonderburg 2020, Seite 10-51.


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