|
|||||
Start | Sitemap | Tipps | Anfragen | Publikationen | Neues | Über uns | AGB | Impressum |
|||||
|
|||||
Der Aristokratiebegriff bei Hans-Hasso von Veltheim-OstrauNeue Forschungen zum interkulturellen Schriftsteller einer ZeitenwendeDer Aristokratie-Diskurs beim Schriftsteller und Kunsthistoriker Hans-Hasso von Veltheim-OstrauAm Ende seines Lebens wurde er wieder mit dem (ehemaligen) deutschen Adel, aus dem er stammte, versöhnt: Hans-Hasso von Veltheim (1885-1956), Weltreisender, interkultureller und west-östlicher Mystiker, wurde mit seinen Tagebüchern aus Asien euphorisch von einem gewissen Dr. Reichert im „Deutschen Adelsblatt“ besprochen, [1] auch konnte er hier mehrfach in Folgen Auszüge daraus publizieren. Der überzeugte Anthroposoph lebte seit der Flucht in den Westen – von seinem Schloß Ostrau bei Bitterfeld – in Hamburg, bei Solingen, in seiner Geburtsstadt Köln und schließlich auf Föhr, wo er auch verstarb. [2] Von diesen Exilorten aus verwaltete er seine Vergangenheit, gab die erwähnten Reisetagebücher heraus, blieb der alte Kavalier mit Einstecktuch, auch im Nordsee-Sanatorium auf der abgelegenen nordfriesischen Insel, die – vom Festland aus – nur über eine Fähre durch das Wattenmeer zu erreichen war. Diese geographische Insellage, in der er sein Leben fernab seiner Heimat beschloß, seiner Bibliothek, seinen Schriften und Aufzeichnungen beraubt, entsprach in weiten Teilen auch der persönlichen Insellage Veltheim-Ostraus. Als 15-jähriger sagte ihm sein Vater, daß er ihn für geisteskrank erklärt habe, so daß tiefe familiäre Gräben zwischen Vater und Sohn entstanden waren. Trotzdem übernahm Veltheim, promovierter Kunsthistoriker, 1927 nach dem Tode des Vaters das väterliche Gut Ostrau und renovierte es als immobiles Familienerbstück. Sonst jedoch, das stellt nun John Palatini in einem neuen Aufsatz zu Veltheim fest, war der Ostrauer Gutsherr wenig adelig im Sinne eines traditionellen Adeligkeitskonzeptes. Palatinis Aufsatz steht indes nicht allein, er wird umrahmt von acht weiteren Aufsätzen zum Leben und Wirken des außergewöhnlichen Denkers, die Palatini als Sammelbandeditor im November 2017 herausgegeben hat. [3] Palatinis Aufsatz ist jedoch der einzige Beitrag, der sich explizit mit der Adelsidentität und Selbstkonstruktion Veltheims befaßt, so daß dieser Beitrag hier besonders behandelt werden soll, zumal auch der Titel des Sammelband selbst hervorgehoben auf die Thematik „Alter Adel, neuer Geist“ Bezug nimmt. Palatini kennzeichnet Veltheim darin als „amphibisch“ und mannigfaltig. Dennoch gibt es einige Inkongruenzen in dem Aufsatz. So behauptet Palatini zunächst (Seite 21), man definiere das Konzept „Adeligkeit“ nach Malinowski und Funck – und in der Geschichtswissenschaft, extrahiert als Merkmalsquintett aus 150 Adelsautobiographien der Zwischenkriegszeit (gemeint ist wohl die Zeit von 1918 bis 1939) – als ein durch fünf Eigenschaften operationalisierbares Eigenschaftsbündel (Seite 24). Hierzu würden folgende Aspekte zählen. Erstens sei dies eine spezifische Adelserziehung, zweitens Naturnähe und Großstadtfeindschaft, drittens eine Kultur der Kargheit, viertens ein bestimmter Wertekanon („Ehre, Haltung, Dienst, Pflicht, Opfer, Ritterlichkeit, Anstand“) sowie fünftens ein traditional-charismatisches Herrschaftsideal (Seite 24). Palatini wollte dann anhand einiger dieser Merkmale das Leben Veltheims vermessen, um festzustellen, inwiefern Veltheim eigentlich als adelig anzusprechen sei – beziehentlich welche Form von Adeligkeit er vertrat. Anschließend aber verläßt Palatini seinen Plan und arbeitet keineswegs, wie nach dieser Ankündigung zu erwarten stünde, diese Punkte einzeln ab. So läßt sich nicht erkennen, wo der Punkt der Kargheit ferner noch erwähnt oder analysiert würde. Palatini nimmt stattdessen Bezug auf Veltheims Oszillieren zwischen Stadt und Land, kann jedoch auch nicht leugnen, daß Veltheim mit dem Umzug aus der Stadt nach Ostrau das Leben eines adeligen Herrn, eines Kirchenpatrons und Gutsherrn führte (Seite 32). [4] Auch wurde, was Palatinis These widerspricht, Veltheim Mitglied in der Adelsgenossenschaft. [5] Dies geschah zu einer Zeit, die einen erheblichen Arbeitsaufwand – einen 32er Ahnennachweis – nötig machte, um dort Mitglied werden zu können. Alles dies soll, so Palatini, aus „taktischen Gründen“ geschehen sein (Seite 42), nicht aber aus innerer Überzeugung. Wenn aber Veltheim ohnehin, wie Palatini konstatiert, keinen Wert auf seine Zugehörigkeit zum Adeligkeitskonzept gelegt habe, ist es fraglich, weshalb er dann mit so hohem Aufwand Kontakte zur Adelsgenossenschaft und damit zum traditionellen Erbadel geführt hat. [6] Palatini unterstellt Veltheim hier eine schwache und weitgehend angepaßte sowie ohnmächtige Persönlichkeit, die sich den Umständen beugte. Gerade das aber schien Veltheim, so vermitteln es zumindest die Forschungen im Sammelband, doch gerade eben nicht zu sein. [7] Abgesehen von der Motivation ist zudem festzustellen, daß Veltheim mit seiner Bitte zur Aufnahme in die Edda (das Eiserne Buch Deutschen Adels deutscher Art) das darin vertretene biologische Adelskonzept persönlich unterstützt hat und eine gewisse völkisch orientierte Außenwirkung erzeugte. [8] Zweifellos aber war Veltheim, darin ist Palatini zuzustimmen, kein „klassischer“ ehemaliger Adeliger. Er war Anthroposoph, gleichwohl aber wenig politisch interessiert, sondern ein Feingeist und Durchdenker, hielt Kontakte zur alternativen Künstlerkolonie Monte Verita bei Ascona, [9] besuchte Vortragstees im Hotel Adlon, [10] kurte jedoch auch – eher wiederum adelstypisch – in Karlsbad. [11] Auch eher adelskonform scheinen Veltheims Finanzaktivitäten gewesen zu sein; sie beschränkten sich vermutlich nur auf die Verwaltung von Aufsichtsratsposten in landwirtschaftverarbeitenen Betrieben [12] – und damit auf Bereiche, die dem Adel wegen seiner Naturnähe eher gelegen kamen. [13] Palatini kann mit sich selbst schließlich nicht einig werden, ob denn Veltheim nun ein typischer Adeliger gewesen sei. In zwei aufeinanderfolgenden Sätzen heißt es bei ihm (Seite 34), Veltheims Ostrauer Jahre seien typisch für den Lebensstil des preußischen Landadels gewesen, aber andererseits sei Veltheim in dieses Modell nicht eingepaßt gewesen; dies ist ein Widerspruch, der leider im Buch auch nicht aufgelöst wird. Das Adelsbild, daß Veltheim indes selbst propagierte, lehnte sich an transzendierte Muster an: Ein neuer und nicht vom Geblüt abhängender Adel würde in der Zukunft als „göttlicher Dämonenbanner“ (Seite 49-54) in den Kampf zwischen Gut und Böse eingreifen und das Gute verkörpern. Eigene Vorstellungen wurden hier mit ewigen Prinzipien überhöht. [14] Insgesamt kann konstatiert werden, daß Veltheims Aristokratismus Positionen des politischen Irrationalismus´ ähnlich ist und Anleihen aus ihm bezogen hat. Es waren dies Anleihen, wie sie auch in Thomas Manns Zauberberg zwischen Settembrini und Naphta ausgefochten wurden – und einst von dem Politologen Kurt Sontheimer (1928-2005) im Jahre 1962 in dessen Habilitationsschrift besprochen worden sind. [15] Allerdings zog Veltheim daraus andere Konsequenzen; er war weniger Politiker, sondern mehr Denker, weniger Aktivist, mehr kulturell interessierter Intellektueller. Neben dem erwähnten Aufsatz versammelt der angesprochene Band jedoch noch etliche andere Erkenntnisse aus differenzierten Forschungsansätzen. Von Veltheims Einstehen für Verfolgte über Freundschaftsvermessungen zu anderen Schriftstellenden reicht die Breite bis hin zu Orient- und Okzidentvorstellungen Veltheims, die in einem bemerkenswerten Aufsatz von Stephan Popp eindrücklich mit ihren Aspekten dichotomisch seziert werden (Seite 184-185). Eine Auswahlbibliographie wichtiger Veltheimscher Werke und Rezensionen bzw. Erwähnungen in der Literatur runden den Band ab (Seite 189-205) und legen auf diese Weise Fundamente für eine kommende vertiefte Auseinandersetzung mit diesem „Wanderer zwischen den Welten“, der nicht nur zwischen Adel und Nichtadel stand, zwischen dem Rationalismus seiner Wissenschaft als Kunsthistoriker und „lebendiger Wesensschau“ des Seienden als Esoteriker, zwischen Geist- und Erlebenshegemonie, sondern auch zwischen den Zeiten, teils als Trennender, teils als Verbindender. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
|
|||||
© Institut Deutsche Adelsforschung - Quellenvermittlung für Wissenschaft, Familienforschung, Ahnenforschung | Seitenanfang |