Institut Deutsche Adelsforschung
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Kontinuitäts-Aspekte bleibender Unsicherheit im historischen Adel

Instabilität und Fragilität als beständige Begleiter gentilhommesker Existenz

Im Jahre 1849 erschien eine Abhandlung über die Spannungen und Konflikte, die sich aus staatlich verordneter Adelsaufgabe einerseits – denkt man noch an die unter anderem vom Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten 1794 ausgerufene Aufgabe des Adels, der Staatsführung zu obliegen [1] – und wahrnehmbarer Empirie des Adelslebens andererseits offenbart hatte. Dazu verlautbarte ein Anonymus (1849): „Der demokratisch-constitutionelle Staat darf auch keine Klasse in seinem Schooße dulden, welche durch ihre Ansprüche, auf Zufall gegründet, sich gleichsam außerhalb des Volkes und über dieses gestellt erachtet, durch ein nothwendig jährlich wachsendes Proletariat in ihrer Mitte jährlich mehr und mehr von dem Volke sich sondern, jährlich dienstfertiger und enger an die Dynastie und an die vollziehende Gewalt sich anklammern wird; wobei der wahre Grundadel mehr und mehr in den Schatten sich zurückgedrängt sieht, die Weißlingen [2] mehr und mehr sich erheben, die Verfassung in beständiger Gefahr schwebt, die Reaction sich in der Stille für permanent erklärt, und um so eifriger wirkt, weil sie selbst sich weißmacht, daß sie dem Gefühle des Standesberufs und der Standesehre entspringe. Der demokratisch-constitutionelle Staat ist sogar verpflichtet, den Nachkommen der täglich zunehmenden Zahl des Adelsproletariats volle Entbindung von den Standesvorurtheilen und volle Freiheit zu verschaffen, sein Brod auf anderen, ehrenvollen, dem Ganzen nützlichen Wegen sich erwerben zu können, weder dem Fürsten noch dem Staate zur Last zu fallen, dem Hidalgothume entwunden, in das volle wirkliche Staatsbürgerthum überzugehen. Ist es denn ein Glück, zu Dingen, welche man nicht erreichen kann, sich für geboren zu halten, und vom Vorurtheile genährte Ansprüche, welchen kein vernünftig organisi[e]rter Staat unbedingte Erfüllung zu Theil werden lassen kann, stets wie einen nagenden Wurm mit sich im Herzen herum zu tragen?“ [3]

Der Problematik des Proletariats beziehentlich der mit ihr verwandten Prekarisierung stand im Adel auf der anderen Seite ein Versuch der Sicherung des Wohlstand entgegen, oder, anders gewendet, diente die Erhaltung von Wohlstand im Adel der Absicherung vor drohender Prekarisierung. Dazu notierte ein Anonymus (1818): „Nicht minder natürlich ist es, daß Diejenigen in einem gemeinen Wesen am meisten vermögen, welche das sicherste Eigenthum besitzen, wenn sie anders nicht, was kaum zu fürchten ist, an Bildung des Geistes hinter dem Uebrigen zurückstehen: das sicherste Eigenthum aber ist der Grundbesitz. Der Reichthum ist zwar an sich nichts, aber durch den Gebrauch desselben mögen Diejenigen, welche sich seiner erfreuen, großen Einfluß auf die Aermeren gewinnen, und wenn sie ihn so anwenden, daß theils die Aermeren einzeln von ihnen abhängig werden und theils das gemeine Wesen selbst bei ihnen die meiste Unterstützung findet: so wird dem reicheren Theil der Menschen in diesem gemeinen Wesen von dem ärmeren Theil desselben um so leichter ein Vorrecht eingeräumt werden, je sicherer ihr Reichthum ist.

Sie werden mehr [sein], als die Ander[e]n, weil sie mehr haben. Die Gesetzgeber des Alterthums haben die natürliche Macht des gesicherten Reichthums, d.h. des Grundbesitzes, in der menschlichen Gesellschaft tief erkannt, und darum in gesetzmäßige Schranken einzuschließen gesucht.“ [4] Sicherheit, so sieht man hieraus, war auch durch Grundbesitz, die klassische „Schollenbindung“, die der Adel nach Möglichkeit in seinem Selbstverständnis als Idealtypus suchte, vor allem in der Formierungsphase der Moderne unter zunehmendem bürgerlichen Konkurrenzdruck auf dem Gütermarkt nicht immer finden konnte,  nicht absolut zu erreichen. Auch adeliger Grundbesitz, an sich Inbegriff von Dauer und Stabilität, blieb fragil, kamen Agrarkrisen wie beispielsweise im Spätmittelalter, zu Beginn des XIX. Jahrhunderts oder in der Weimarer Zeit. [5]

Beide Aspekte, die Prekarisierung des Adels und das Bemühen um die (wenn auch nur vermeintliche) Sicherheit des Landbesitzes als Perpetuierungsstrategie, waren Folgen und Antworten der Modernisierung. Zwar besaß der Adel oft eine erstaunlich erfolgreiche Neigung zum „Obenbleiben“ durch Wandel und Anpassung (man denke nur an den beruflichen Wandel vom Ritter zum Hofmann, Gutsherrn und Akademiker), allein der Schein trog, war doch die Adelsexistenz grundsätzlich fragil. [6] Jene Fragilität, die sich bei näherer Betrachtung in geradezu myrioramatischer Weise auffächert und zu einer der Grundkonstanten des gesellschaftlichen wie individuellen Lebens zu gehören schien, wird indes nun auch aufgegriffen durch einen Sammelband mit lexikonartigen Kurzbeiträgen, die in Essayform gehalten sind [7] und grundsätzlich viel zur Adelsforschung beitragen können. Auf den ersten Blick scheint dies indes nicht der Fall zu sein, befaßt sich der Band doch vor allem mit Phänomenen, die für die Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft des XXI. Jahrhunderts relevant erscheinen mögen. Gleichwohl ist auch der Blick zurück, auf den historischen Adel, gerade unter dem vereinenden Aspekt der „Unsicherheit“ lohnend.

Adel wurde gern allgemeinhin assoziiert mit Langlebigkeit, Tradition, Oldmoney-Ästhetik, dem Bestehen von Generationenfolgen über Jahrhunderte. Die Fragilität des Adels dagegen war bis vor wenigen Jahren noch eher selten ein Thema in der Adelsforschung, [8] doch flackern nun immer wieder einmal Lichter auf, die eben jene Aspekte thematisieren, seien es unsichere Genderkonstruktionen, [9] fragile Erbfälle, [10] Statusunsicherheiten, [11] Prekarisierung, [12] Hochstapler, [13] des Adels verlustig Gegangene, [14] aber auch allgemeine Krisen des Adels als Stand mit der Infragestellung seiner korporativen Existenz in Revolutionen oder Reformbestrebungen. [15] Der Sammelband vereinigt dabei sowohl Unsicherheitssituationen (mit den Lemmata „Destabilisierung“, „Dunkelziffer“, „Prekarisierung“, „Übergangsräume“, „Ungewißheit“, „Fragilität“, „Vulnerabilität“) als auch Beschreibungen von Räumen der Verunsicherung (mit den Lemmata „Zone“, „Übergangsräume“) [16], ebenso aber auch Bewältigungsstrategien und „Sekuritätspraktiken“ („Resilienz“, [17] „Prognose“, „Warnung“, „Kontrolle“ [18]), enthält daneben auch Lemmata, die sich auf den ersten Blick nicht erschließen (beispielsweise „Fischmarkt“), erst auf den zweiten Blick als Orte der Unsicherheit und Umschlagplätze des Ungewissen und von Akteur:innen (wie beispielsweise „Viren“) erklärlich sind.

Immer wieder sind einzelne Artikel im Sammelband historisch ausgerichtet; dieser erfreuliche Umstand bildet nicht allein die im Bande immer wieder einmal beschworene gegenwartsbezogene Relevanz ab, sondern macht die Artikel auch für die Adelsforschung interessant. Hier ist noch ein weites Feld erforschbar, die mit den erwähnten Faktoren oder Aktanten in Verbindung steht. So lassen sich beispielsweise auch „Frühwarnsysteme“, im Band bezogen auf Naturkatastrophen (Seite 95-103), auf Warner und Mahner und deren Vorschläge für Adelsreformen anwenden, die als personelle „Frühwarnsysteme“ den Adelsstand oder die Staaten, in denen Adel eine verfassungsmäßige Stellung besaß (wie immer diese dann auch ausgesehen haben mag), durch Reformen auch für die Zukunft erhalten wollten, um der Gefahr einer Adelsabschaffung oder eines Aristozids durch mögliche künftige gewaltsame Revolution zu entgehen. [19]


In diesem Kontext ist hier ergänzend auf ein nicht im Sammelband vorhandenes Lemma zu verweisen (gleichwohl wird es in anderen Artikeln erwähnt), das als „gute alte Zeit“ umschrieben werden kann, das zudem dann aufgerufen wird, wenn in der Retrospektive eines Humanaktanten auf die wahrgenomenen (vermeintlichen) Sicherheiten verflossener Zeiten rekurriert wird, in denen „alles besser“ gewesen sein soll. [20] Hier macht auch der Adel keine Ausnahme, der vor allem in kollektiven Krisenzeiten diese verklärende Rückschau anwandte. Die einzelnen Artikel des Sammelbandes greifen zumeist weit aus und sind vielfach transdisziplinär angelegt. [21] Zwar sind die Autor:innen Fachwissenschaftler:innen, die die einzelnen Artikel verfaßt haben, so daß die jeweiligen fachlichen Zugänge für sich stehen. In der Einleitung, die von Autor:innen aus verschiedensten Disziplinen (Literaturwissenschaft, Geschichte, Soziologie) erstellt wurde, sind aber Ansätze zu einer übergreifenden disziplinären Perspektive integriert worden, so anhand kleiner literaturwissenschaftlicher wie soziologischer Beispiele (z.B. die kafkabezügliche Erwähnung des Werkes „Der Bau“ oder die Erwähnung von Becks Zeitdiagnose der „Risikogesellschaft“ und Schützens „Lebenswelt“-Studie als Klassiker). Auch ausgesprochen mathematisch orientierte Ausarbeitungen mit Formelanwendungen lassen sich in dem Band in einzelnen Artikeln finden, verfaßt von einem Mathematiker und einem Psychologen (so bei den Lemmata „Handeln unter Unsicherheit“ und „Chaos“).

Daneben finden sich viele transdisziplinär angelegte Lemma-Erörterungen (beispielsweise „Fragilität“), die die angerissenen Sachverhalte fachübergreifend darstellen. Zugegebenermaßen haben disziplinäre Sachverhaltsdarstellungen auch ihre Vorteile, sie „verwässern“ nicht, bleiben in der „reinen Lehre“, sehen aber auch über den „Tellerrand“ nicht hinaus. In dieser Diskussion herrscht der Konflikt zwischen „Fundamentalist:innen“ und „Realist:innen“, Traditionalist:innen und Progressivist:innen vor. [22] Der Sammelband präsentiert hier eine gute Mischung, die sowohl (einzel-)fachkundigen Sachverstand und Expertise einbringt wie die reizvolle (fach-)übergreifende Perspektive, vielfach als „tour d‘horizon“ dargeboten, darbietet.  Letzteres darf allerdings auch bei einem Thema wie der „Unsicherheit“ erwartet werden, handelt es sich doch nicht um einen fachspezifischen Begriff, sondern ein Phänomen, das in nahezu allen Lebensbereichen als anthropologische Grundkonstante aufscheint, gleich ob in Gegenwart oder Vergangenheit (auch des historischen Adels der deutschsprachigen Länder).

Trotz der insgesamt begrüßenswerten Anlage und Zusammenstellung des Sammelbandes sind einige wenige Punkte kritisch zu bemerken. So ist die Behauptung der Herausgebenden, das Lemma „Unsicherheit“ sei bisher in kultur- und sozialwissenschaftlichen Wörterbüchern nicht behandelt worden (Seite 12), unrichtig. Verwiesen sei hierzu nur auf den Artikel „Unsicherheit“ bei Ralf Stoecker / Christian Neuhäuser / Marie-Luise Raters (Herausgebende): Handbuch Angewandte Ethik, Stuttgart / Weimar: Verlag J. B. Metzler 2011, Seite 108-113, auf den Eintrag zur „Unsicherheitsrelation“ bei Morris Stockhammer: Philosophisches Wörterbuch, Essen: Magnusverlag 1980, Seite 354, auf den Abschnitt „Unsicherheitsvermeidung“ bei Christoph Barmeyer: Taschenlexikon Interkulturalität, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, Seite 169-170, aber auch auf die beiden Lemmata „Unsicherheitsabsorption“ und „Unsicherheit“ bei Thorsten Benkel / Andrea D. Bührmann / Daniela Klimke / Rüdiger Lautmann / Urs Stäheli / Christoph Weischer / Hanns Wienold (Herausgebende): Lexikon zur Soziologie, Wiesbaden: Springer VS, Siebtauflage 2024, Seite 1321, [23] wo Unsicherheit definiert wird als „allgemeines Kennzeichen von Situationen, in denen die Akteure nicht wissen können, ob ein bestimmtes, für die Wahl einer Handlung relevantes Ereignis eintreten wird oder nicht (bzw. bereits eingetreten ist). Das mögliche So- oder Anderssein von Etwas heißt dabei auch Kontingenz. Die Abschätzung von Eintrittswahrscheinlichkeiten auf Grund gegebener Informationen und damit die Bestimmung eines Risikos schafft U.[nsicherheit] in einer gegebenen Situation nicht aus der Welt.“

Bisweilen fällt in dem Sammelband aber auch die unter Modernisierungstheoretisierenden anzutreffende dichotomistische Trennung der Vor/Moderne ins Auge, etwa, wenn der illokutionäre Sprechakt des Meisternarrativs einer strikten Trennung der beiden Großzeiten verkündet wird. So heißt es in einem Beitrag, „moderne Gesellschaften seien „komplexe Gebilde voller Widersprüche, die sich im Gegensatz zu vormodernen Gesellschaften durch abstrakte Wirtschafts- und Herrschaftsformen auszeichnen“ würden (Seite 294-295), auch würde in der Moderne „das Individuum aus ständischen Zugehörigkeiten freigesetzt. Soziologen sagen, es definiere sich jetzt nicht mehr durch Inklusion, sondern durch Exklusion, durch den besonderen Ort, den nur es selbst außerhalb funktionaler Zusammenhänge einnimmt. Individuen begreifen sich jetzt bald als Subjekte.“ (Seite 91). Man muß nun nicht so radikal denken wie Latour (1991) mit seinem Credo „Wir sind nie modern gewesen“, [24] um die scheinbar sichere (göttlich eingerichtet geglaubte) Ordnung der Vormoderne und der Ständegesellschaft als Kontrastfolie anzusehen. Sie dürfte aber doch mehr als Sekuritätspraktik von nach Deutungshoheit strebenden Humanaktanten mit dem Zugang zur Medienausweitung ihrer Ideen zu bezeichnen sein, [25] lenkt sie doch davon ab, daß Unsicherheit in Instabilität, wie sie in einigen Beiträgen durchaus betont wird (beispielsweise auf den Seiten 123-129 im Lemma „Interregnum“), alltäglicher Begleiter auch vormoderner Menschen und Institutionen war.

Diese kleine Mängel schmälern jedoch nicht den Wert des Bandes, der vor allem als Anregung zu weiteren Forschungen gerade auch in der Adelsforschung, dienlich sein kann, um hier Fragilitätsaspekten mehr Raum zu geben. Denn bei aller Stabilität des Adels als imaginierter sozialer „Gruppe“ bleibt er doch, so zumindest in neuerer Lesart, eine fragile Gruppenbildung im Latour‘schen Sinne. [26] Hier neue und weitere Aspekte dieser ständischen historischen Fragilität zu entdecken, bleibt das Verdienst des Bandes, der zwar nicht auf Adel ausgerichtet ist, dennoch aber wertvolle Anregungen und Impulse setzt. Seine leichte Lesbarkeit das Mäandern der Gedanken über die Fachgrenzen hinaus aus der großen Fülle der Kenntnis der Verfassenden machen den Band aber auch zu einem Lesevergnügen.

Man kann ihn heranziehen, ohne ihn vollständig zu lesen, sondern man kann auf einzelne Artikel leicht zugreifen, sie rasch rezipieren, auch für eigene Forschungen weiterverwenden. Allemal schärft der Band das Bewußtsein und die Sensitivität für eine vielleicht schon verlernte Fragilität der Dinge und Verhältnisse, wie sie auch die nordfriesische Franziska Gräfin zu Reventlow aus Husum, selbst zu einer devianten Adeligen als Münchener Bohemienne geworden, in ihrer autobiographischen Erzählung „Das gräfliche Milchgeschäft“ (1897) eindrücklich geschildert hatte. Reventlow, noch aufgewachsen mit der scheinbar sicheren Existenz des Gutsbesitzes, hatte sich mehr oder minder freiwillig ins ökonomisch fragile Adelsprekariat begeben, brach aus den Konventionen ihres Standes aus, die Sicherheit suggerierten. Die Protagonistin ihrer kleinen Erzählung, kurz nur „die Gräfin“ –  ohne Vornamen – genannt, hatte viele Beschäftigungen, unter anderem betrieb sie ein Milchgeschäft, mit dem sie keinen wirtschaftlichen Erfolg hatte, sie war kurzfristig Jongleurin bei einer Akrobatengesellschaft, dann schrieb sie Schauerromane für eine Zeitung:

„Gott ja, die Gräfin, was ist aus der geworden? Wo ist sie hingekommen? Ich seh' sie noch vor mir, wie sie abends hereinkam, wenn wir alle schon da saßen. Heile Stiefel hatte sie nie an, aber dafür eine Reitgerte mit silbernem Griff, von der sie sich nie trennte. Die stammte noch aus ihrer Glanzzeit auf den väterlichen Gütern. Sie kam immer allein und meist sehr spät und dann knallte sie mit ihrer Peitsche auf den Tisch. ‚Donnerwetter, Kinder, jetzt muß ich zuallererst einen Nervenreiz haben!‘ […] ‚Ist sie denn wirklich ins Ausland?‘ ‚Wenigstens war sie fort. Sie soll damals irgendwo hier in der Nähe auf[‘]s Land gegangen sein, und die Münchener Polizei hat sie nicht ausfindig gemacht. Sie schrieb nie und ließ nichts von sich hören, um jede Spur zu verwischen. Man hörte nur hier und da noch irgendwelche Gerüchte über sie […] Wer weiß […], solche Existenzen tauchen immer mal wieder auf.“ [27]
 
In der Adelsforschung tauchen „solche Existenzen“ indes nicht nur als Erzählfiguren, sondern auch als empirisch beobachtbare Randseiter:innen und „marginal wo/man“ leider noch eher selten auf; der Sammelband kann hier Abhilfe schaffen und das zur Transferierung in die Adelsforschung geeignete Rüstzeug bereitstellen, künftig auch neben die erfolgreiche Geschichte „großer Männer“ zu blicken, auch Unstetigkeit, Mißerfolg und sozialen Niedergang – oder auch die individuelle Selbstbehauptung im Adelsprekariat – verstärkt in den Blick zu nehmen.

Diese Rezension stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill (März 2025) und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Zu den Annotationen:

1 = Der entsprechende Passus lautete im Original: „Dem Adel, als dem ersten Stande im Staat, liegt, nach seiner Bestimmung, die Vertheidigung des Staats, so wie die Unterstützung der äußeren Würde und innern Verfassung desselben, hauptsächlich ob.“; zitiert nach C. F. Koch: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Band IV, Berlin / Leipzig: Verlag J. Gutttentag 8. Auflage 1886, Seite 1.

2 = Gemeint sind sich abweichend verhaltende menschliche Individuen, die nicht den sozialen derzeit virulenten Adelsrollen als gesellschaftlichen Erwartungen entsprachen.

3 = Ferdinand Freiherr v.Biedenfeld: Die gepriesene Glückseligkeit unserer dermaligen Zustände in Deutschland und unsere Aussichten in die Zukunft nebst kritischer Beleuchtung unsers neuesten National-Regiments, Weimar: Bernhard Friedrich Voigt 1848, Seite 108.

4 = Nomen Nescio: Zwei Capitel aus einer ungedruckten Schrift über den Adel, in: Nemesis. Zeitschrift für Politik und Geschichte, Band XII, Stück Nr. 4 (ohne Datum), Weimar 1818, Seite .

5 = Dazu siehe weiterführend Friedrich Wilhelm v. Oertzen: Junker. Preußischer Adel im Jahrhundert des Liberalismus, Oldenburg in Oldenburg / Berlin 1939, 388 Seiten (betrifft unter anderem Agrarkrise des 19. Jahrhunderts); Christof Dipper: Agrarkrisen, in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels, München: C. H. Beck 2005, Seite 42-43; Tobias Pietsch: Führende Gruppierungen im spätmittelalterlichen Niederadel Mecklenburgs, Kiel 2019, 460 Seiten (Dissertation Universität Kiel 2017; betrifft unter anderem das Untergehen mindermächtiger Familien in der spätmittelalterlichen Agrarkrise); Robert M. Berdahl: The politics of the prussian Nobility. The Development of a conservative Ideology 1770-1848, Princeton 1988, XIII und 384 Seiten (vertritt die These großer Re-Invenstions- und Anpassungsfähigkeit des preußischen Adels und der Junker in Zeiten der Umbrüche zwischen dem späten 18. Jahrhundert und der Revolution von 1848 in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Dimension, Formen der Kompensation der Nachteile der Aufhebung der Leibeigenschaft 1807 und der Agrarkrise der 1820er Jahre durch die Entwicklung einer kapitalistischen Landwirtschaft); Hartmut Harnisch: Grundherrschaft oder Gutsherrschaft. Zu den wirtschaftlichen Grundlagen des niederen Adels in Norddeutschland zwischen spätmittelalterlicher Agrarkrise und Dreißigjährigem Krieg, in: Rudolf Endres (Hg.): Adel in der Frühneuzeit. Ein regionaler Vergleich, Köln 1991, Seite 73-98; Matthias Donath: Adel in der Oberlausitz im 19. und 20. Jahrhundert. Forschungsperspektiven, in: Lars-Arne Dannenberg / Kai Wenzel (Hg.): Zwischen mächtigen Fürsten. Der Adel der Oberlausitz in vergleichender Perspektive (16. bis 19. Jahrhundert), Görlitz 2016, Seite 348-359 (betrifft automatische Nobilitierungen beim Rittergutserwerb für Nichtadelige von 1806 bis 1820 mit der Folge schwunghaften Güterhandels zum Zweck des Adelserwerbs); Nomen Nescio: Die von Hochsattel, in: Westfälische Tageszeitung (Arnsberg), Nr. 257 vom 5. November 1908, Seite 2 (betrifft das gleichnamige Lustspielaufführung im Arnsberger Theater, bei dem „noble Passionen“ „die finanzielle Position des Baron von Hochsattel erschüttert“ haben, „so daß ihm nichts anderes übrig bleibt, als an der Erinnerung zu zehren. Starres Festhalten an den überlieferten Vorurteilen seines Standes machen ihn zum Pedanten, der nicht begreifen kann und will, daß praktische Gegenwartsarbeit zum Adelsprädikat berechtigt. Hochmut und Verkennung der Situation lassen ihn in jedem noch so hochsinnig erscheinenden Akt eine Intrigue, eine Beleidigung seiner Person wittern, die bei ihm zur krankhaften Manie wird. Sein Gegenpartner und jetzige Besitzer der von Hochsattelschen Besitzung, der neugeadelte Finanzier von Rosenstock, ist der Hauptstein des Anstoßes für den launenhaften Baron. Erst das mit den üblichen Hindernissen gespickte Verlöbnis des jungen Barons, der gegen den Willen seines Vaters Opernsänger wurde, mit der Tochter Rosenstocks bringt die beiden Familien nach anfänglichem harten Widersträuben des Barons näher“; betrifft auch als Figur eine „protzenhafte Parvenuesgattin“, Verhandlungen sozialen Abstiegs des Adels und den Übergang von Rittergütern in kaufmännisch-bürgerliche Hände).

6 = Marian Füssel: Die relationale Gesellschaft. Zur Konstitution ständischer Ordnung in der Frühen Neuzeit aus praxeologischer Perspektive, in: Dagmar Freist (Hg.): Diskurse, Körper, Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung, Bielefeld 2015, Seite 115-137 (betrifft unter anderem Adelskonstruktion durch Praktiken als Vorläufer des Konzeptes „un/doing nobility“); Stefan Frey: Fromme feste Junker. Neuer Stadtadel im spätmittelalterlichen Zürich, Zürich 2017, 216 Seiten (Dissertation an der Universität Zürich 2015, betrifft unter anderem die Frage, wie soziale Aufsteiger:innen als Personen und Familien als adelig anerkannt wurden und damit unausgesprochen das Konzept „un/doing nobility“).

7 = Uwe Vormbusch / Michael Niehaus / Fabian Fechner / Peter Risthaus / Eryk Noji (Herausgebende): Glossar der Unsicherheit, Softcoverbindung, Größe: 15 x 21 cm, 352 Seiten, Gewicht: 510 g, enthält vier Farbabbildungen und sieben Schwarzweiß-Abbildungen, erschienen am 23. Jänner 2025 unter der ISBN „978-3-95808-450-6“ im Neofelisverlag zu Berlin, erhältlich im analogen und virtuellen Buchhandel um den Preis von 24,00 € (gedruckt oder als eBook). 

8 = Dazu siehe entsprechende schrifttumskundliche Nachweisungen bei Claus Heinrich Bill: Neue Adels-Bibliographie von 1494 bis 2025. Monographien, Sammelbände und Aufsätze zum Adel in den deutschsprachigen Ländern, Sonderburg: Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2025, 1802 Seiten.

9 = Ilona Scheidle: Queering biography. Methodische Überlegungen am Beispiel der Biographie von Großherzogin Luise von Baden (1838-1923), in: Susanne Blumesberger / Ilse Korotin (Hg.): Frauenbiografieforschung. Theoretische Diskurse und methodologische Konzepte, Wien 2012, Seite 488-512; Patricia Kleßen: Adelige Selbstbehauptung und romantische Selbstentwürfe. Die queeren Inszenierungen Herzog Augusts von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772-1822), Frankfurt am Main / New York: Campus-Verlag 2022, 387 Seiten (Band LXXVIII der Schriftenreihe „Geschichte und Geschlechter“).

10 = Jürgen Dendorfer / Jörg Peltzer (Herausgebende): Adeliges und fürstliches Erben im Reich (ca. 1150-1250). Recht, Praktiken, Aushandlungen, Ostfildern 2025, 496 Seiten (Band 98 der Reihe „Vorträge und Forschungen“, entstanden aus dem Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte; Sammelband mit Aufsätzen, die auf den Vorträgen der gleichnamigen Tagung von 2021 beruhen; betrifft an Einzelfällen verschiedene Hochadels-Vererbungskrisen infolge des Fehlens eines männlichen Erben, Erbkonflikte, Herrschaftsauflösungen und -transformationen, Formen der Aushandlungsprozesse, weibliche Handlungsspielräume, differenziertes hochadeliges Erbrecht); Siegrid Westphal: Adel, in: Wim Decock (Hg.): Konfliktlösung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2021, Seite 249-256 (vertritt die These des „Obenbleibens“ des Adels durch zahlreiche Rechtsprivilegien und Hausverträge, die aber auch Konflikte zur Folge hatten im Streit um Erbfolgen, vor allem im Hochadel; erörtert zudem Quellen- und Forschungsprobleme zum Thema); J. Schott: Über die Natur der weiblichen Erbfolge in Allodial-, Stamm- und altväterliche Güter nach Erlöschen des Mannstammes sowohl beim hohen als niedern Adel in Teutschland, Erlangen: Palm 1809, 252 Seiten.

11 = Claus Heinrich Bill: „Eine gräfliche Schönheit als Ladenmädel“. Inkonsistenz adeliger Rollen in der Formierungsphase der Moderne (1/3), in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXIV, Folge Nr. 115, Sonderburg: Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2021, Seite 39-52; Teil 2/3, in: Ibidem, jedoch Folge Nr. 116, Sonderburg 2021, Seite 2-52; Teil 3/3, in: Ibidem, jedoch Folge Nr. 117, Sonderburg 2021, Seite 2-21.

12 = Dazu siehe den trotz seines Alters immer noch instruktive soziologisch orientierte Pionieraufsatz des Biebricher Kulturhistorikers Wilhelm Heinrich Riehl: Das aristokratische Proletariat. Mit einer Einleitung über die Entwicklung des „vierten Standes“, in: Meyer's Geschichts-Bibliothek für allgemeine Kunde des Kultur- und Völkerlebens, Band XIV/1, Hildburghausen ohne Jahr (um 1860), Seite 161-192.

13 = Anett Kollmann: Mit fremden Federn. Eine kleine Geschichte der Hochstapelei, Hamburg 2018, 252 Seiten.

14 = Reinhard Heydenreuter: Zur Rechtsstellung des landsässigen Adels im Kurfürstentum Bayern zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, in: Walter Demel / Ferdinand Kramer (Hg.): Adel und Adelskultur in Bayern, München 2008, Seite 43-105 (betrifft unter anderem Überwachung der adeligen Lebensführung und strafrechtlichen Adelsentzug und Adelsverlust durch knechtische Hantierung und kleine Kaufmannschaft); Berthold Waldstein-Wartenberg: Aus dem Adelsrecht 1804 bis 1918, in: Heinz Siegert (Hg.): Adel in Österreich, Wien 1971, Seite 347-366 (betrifft auch den Adelsverlust); Johannes Rogalla v.Bieberstein: Adelsaberkennung einschließlich Niederlegung des Adelstitels, in: Dresdner Residenztreff (Hg.): VII. Kolloquium zur sächsischen Genealogie mit dem Thema „Adelsgenealogien und Adelsverlust in Sachsen“, abgehalten im Stadtarchiv Dresden am 17. April 2010, Dresden 2010, Seite 21-33.

15 = Jay M. Smith: Nobility, in: David Andress (Hg.): The Oxford Handbook of the French Revolution, Oxford 2013, Seite 40-55 (betrifft Reformbereitschaft des Adels in Frankreich am Ende des Ancien Régimes bei gleichzeitiger Herausbildung des Antinobilismus, Adel als verachtetes Ziel französischer Revolutionäre, bestärkt durch vielfältige Debatten des gesamten 18. Jahrhunderts über differenzierte Adelsidentitäten zwischen Wiederbelebung, Ausweitung, Kritik und Schwächung, so daß die Adelsstellung insgesamt als kontingent, unsicher und umstritten aufgefaßt worden sei und in Diskursen „kulturelle Zweideutigkeit“ zum Ergebnis gehabt habe); Frank Kleinehagenbrock: Adel und Bauernkrieg in Franken, in: Franz Fuchs / Ulrich Wagner (Herausgebende): Bauernkrieg in Franken (Band II der „Publikationen aus dem Kolleg Mittelalter und Frühe Neuzeit“), Würzburg 2016, Seite 393-412; Nomen Nescio (E.W.): Der Adel in der Republik. Leben und Treiben der österreichischen Aristokratie, in: Luxemburger Tageblatt (Luxemburg), Nr. 300 vom 23. Dezember 1925, Seite 1 (betrifft Adelskrise der Umbruchszeit 1918 als Stadtadelskrise, Scheitern des Planes einer Aristokratenbank, Adelige als Bankangestellte, Adelige beim Film und in der Industrie, adelige Stickerinnen, adelige Chauffeure, adelige Tanz- und Sprachlehrer, adelige Auktionatoren); Ronald Gregor Asch: Adel, in: Heinz Thoma (Herausgebender): Handbuch Europäische Aufklärung, Stuttgart 2015, Seite 3-10 (Vorgeschichte, Aufklärung, Adelskrise des 18. Jahrhunderts, Modernisierungsversuche, Adelsselbsterneuerung, Heterogenität im Ancien Régime); Wolfram Siemann: Die Adelskrise 1848/49, in: Elisabeth Fehrenbach (Herausgebende): Adel und Bürgertum in Deutschland 1770-1848, München 1994, Seite 231-246; Hans-Christof Kraus: Adelskrise und Umbruch 1918/19. Das Ende des deutschen Kaiserreichs in den Adelsromanen des Fedor von Zobeltitz, in: Zdenek Hazdra / Vaclav Horcicka / Jan Zupanic (Herausgebende): Šlechta střední Evropy v konfrontaci s totalitními režimy dvacátého století (Der Adel Mitteleuropas in Konfrontation mit den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts), Prag 2011, Seite 13-20; Bernhard Spring: Bedrohte Feinde. Adelsfiguren im Zeittheater der Weimarer Republik 2015, 593 Seiten (Dissertation Universität Halle 2015); Horst Carl / Rainer Babel / Christoph Kampmann (Herausgebende): Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert – Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen, Baden-Baden 2019 (betrifft innerhalb des Sammelbandes die Sicherheit adeliger Frauen bei Hof im Kapitel „Höfische Körper als Sicherheitsproblem(e)“, den Wandel adeliger Legitimationsmuster in der Frühneuzeit im Kapitel „Geiselstellung und Rechtssicherheit“, adeliges Patriziat im Kapitel „Der städtische Raum und die bedrohte Sicherheit“ sowie zusammengefaßt noch einmal alle hier erwähnten adelsbezüglichen Aspekte im Kapitel „Resümees“); Carlton L. Clark: Modernization and the noble/common distinction. Reading modern literature through Luhmannian and Foucauldian lenses, in: Systems Research and Behavioral Science, Band 38, Nr. 1, Seite 158-172 (These, wonach im Lichte der luhmannschen und foucaultschen Gesellschaftstheorien ein Niedergang der Unterscheidung „Adel“ und „Bürgertum stattfand, dargelegt anhand der Analyse von Traktaten, Abhandlungen, Briefen, Romanen und anderen Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert; These der Installierung eines neuen Unterschiedes zischen „wahrem“ und „vorgetäuschten Adel“, mit der der Adel versucht habe, die Bedrohung des Fortbestandes der Ständegesellschaft zu verarbeiten); Sheila Patel: Adeliges Familienleben, weibliche Schreibpraxis. Die Tagebücher der Maria Esterházy-Galántha (1809-1861), Frankfurt am Min 2015, 436 Seiten (Dissertation Universität Bochum 2013; zugleich Band LXVI der Reihe „Geschichte und Geschlechter“; betrifft Schreiben über Politik, Selbstreflektion über Adelsbedrohungen durch die Revolutionen von 1830 und 1848/49); Karin Baumgartner: „Der verarmte Edelmann wird Mäkler, Speculant, oder gemeiner Bauer“. Geld, Ökonomie und Adel in den konservativen Texten des Vormärz, in: Jutta Nickel (Herausgebende): Geld und Ökonomie im Vormärz (19. Jahrbuch des Forum Vormärz-Forschung 2013), Bielefeld 2014, Seite 37-55 (betrifft die Adelsdystopien vor entsicherter Ständegesellschaft in den Romanen der Caroline de la Motte-Fouqué zur Verhandlung des Verhältnisses von Adel und Kapitalismus und die Rolle des bedrohten Adels in Verbindung mit den Staatstheorien Adam Müllers anhand scheiternder adeliger Romanfiguren und „Hagestolze“, die kinderlos bleiben); Christopher Bayly: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914, Frankfurt am Main 2006, 650 Seiten (vertritt auf Seite 521-532 die Braun´sche „Obenbleiben“-These in der globalen Entwicklung des weltweiten und auch des europäischen Adels, mit Vergleichen des chinesischen, japanischen und britischen sowie zum Kolonialadel; beinhaltet u.a. auch vier adelsbezügliche Abschnitten namens „Der Wandel des niederen Adels“, „Bedrohungen für den niederen Adel“, „Wege zum Überleben: Staatsdienst und Handel“, „Männer mit wenigen großen Gütern in Europa“ zum weltweiten, aber auch europäischen und deutschen Adel); Claus Heinrich Bill: Die Adelsabschaffung im Herzogtum Anhalt-Köthen 1848, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 4. Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sonderburg: Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2018, Seite 28-29; Miloš Rezník: Formierung der Galizien-Stereotype und die Adelskritik in der Habsburgermonarchie. Zur Rolle der Reiseberichte und „Briefe“ aus dem späten 18. Jahrhundert, in: Renata Skowronska / Helmut Flachenecker / Roman Czaja / Stanislaw Roszak / Janusz Tandecki (Herausgebende): Selbstzeugnisse im polnischen und deutschen Schrifttum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jahrhundert), Torun 2014, Seite 305-348 (betrifft auch Adelsstereotyope und negative Adelsimages der galizischen Nobilität).

16 = Piritim Sorokin: Soziale Bewegungsvorgänge, in: Kölner Vierteljahrsshefte für Soziologie, Band VI, Berlin 1927, Seite 146-152; Paula Kronheimer: Grenzglieder des Standes, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie, Band VI, München 1927, Seite 248-268; Claus Heinrich Bill: 25 Jahre Institut Deutsche Adelsforschung 1993-2018, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Herausgeber): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXI., Folge Nr. 100, Sonderburg: Selbstverlag des Instituts Deutsche Adelsforschung 2018, Seite 2-52 (enthält einen versteckten Aufsatz zum Entwurf einer an Raummetaphern orientierten „Soziotopographie von `social displaced persons´ im Adel“).

17 = Dazu beispielhaft als Resilienzmaßnahme Frank Behr: Adel und Militär in Ost- und Westpreußen zum Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin 2021, 254 Seiten (Dissertation Universität Berlin 2021; enthält am Beispiel Ostpreußen eine Bestätigung der Widerlegung der Annahme, verarmter grundbesitzender Landadel sei als Überlebensstrategie ins Militär eingetreten; wesentlicher seien Netzwerke, familiäre und regionale Traditionen als Motive gewesen]; Tina Eberlein: Adel und Industriekapitalismus. Das Beispiel katholischer Unternehmer im 19. Jahrhundert, in: Markus Raasch (Herausgebender): Adeligkeit, Katholizismus, Mythos. Neue Perspektiven auf die Adelsgeschichte der Moderne, München 2014, Seite 78-107 (betrifft unter anderem die kulturelle Praxis der Schollenbindung); Winfried Wagner,: Leben auf der alten Scholle. Was machen eigentlich die nach 1990 zurückgekehrten Gutsherren im Osten? Ein Fotoprojekt gibt Einblick in die Familien, ihre Pläne und was aus ihnen wurde, in: Sächsische Zeitung (Dresden), Ausgabe vom 23. Januar 2012, Seite 21 (Vorstellung des zweiten Photoprojektes des neubrandenburgischen Photographen Bernd Lasdin über 65 mecklenburgische Wiedereinrichtenden-Familien, vorwiegend des ehemaligen Adels); Salvatores: Die soziale Frage des Adels und ihre Lösung. Programm für ein freiweltliches Hochstift, Wien 1894, 46 Seiten (betrifft Gründung einer österreichischen Adelsorganisation zum Zweck der Unterstützung des Adelsproletariats).

18 = Hier ließe sich vor allem denken an Adelsbehörden für die Adelskontrolle und Adelsaufsicht durch Matrikel (wie in Baden) oder, wenn dies nicht möglich war (wie in Preußen), durch partielle adelsrechtliche Überprüfungen; dazu siehe Harald v.Kalm: Das Preußische Heroldsamt 1855-1920. Adelsbehörde und Adelsrecht in der preußischen Verfassungsentwicklung, Berlin: Duncker & Humblot 1994, 273 Seiten (Band V der Reihe „Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Verfassungsentwicklung; zugleich Dissertation Universität Bonn 1993); Edgar Freiherr v.Rotberg: Die badische Adelsmatrikel, in: Deutsches Adelsblatt (Berlin), Ausgabennummer 24 vom 1. September 1925, Seite 606.

19 = Dazu siehe exemplarisch Oberst v.der Decken: Soziale Aristokratie oder soziale Demokratie. Ein Beitrag zur Adelsreform, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XII, Berlin 1894, Seite 3-5, 24-26, 44-46 und 66-68; Gerhard v. Dewitz: Noblesse oblige!, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang VIII, Berlin 1890, Seite 656 (Adelsreformvorschläge in Stichworten 1890); Erich Botzenhart: Adelsideal und Adelsreform beim Freiherrn vom Stein, in: Westfälisches Adelsblatt, Band V, Nr. 8/12 vom August-Dezember 1928, Seite 210-241; Nomen Nescio: Föderativ-Paritätisch. Eine Forderung der Adelsreformbewegung, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XVI, Berlin 1898, 562-563; Nomen Nescio: Gedanken zur Adelsreformbewegung, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XX, Berlin 1902, Seite 250-251, 334-335, 413-414 und 434-435; Friedrich Wilhelm v. Oertzen: Junker. Preußischer Adel im Jahrhundert des Liberalismus, Oldenburg in Oldenburg / Berlin 1939, 388 Seiten (darin auch Adelsreformpläne des Generals Friedrich August Ludwig v.der Marwitz auf Seite 49-53, liberalen Adelshaß, Agrarkrise und die Revolution 1848); Freiherr von Wrangel: die Adelsreform der 40er Jahre (betrifft Gedanken zur Adelsreform unter den preußischen Königen Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. 1836-1847), in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XVI, Berlin 1898, 710-711; Gunter Heinickel: Elitenreform als „Aristokratisierung“? Die schlesische Adelslandschaft im Spiegel dreier Adelsreformpositionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Walther Schmitz / Jens Stüben / Matthias Weber (Herausgebende): Adel in Schlesien, Band III (Adel in Schlesien und Mitteleuropa. Literatur und Kultur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart), München 2013, Seite 313-342; Heinz Reif: Friedrich Wilhelm IV. und der Adel. Zum Versuch einer Adelsreform nach englischem Vorbild in Preußen 1840-1847, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin 1995, Jahrgang XLIII, Ausgabe Nummer 12, Seite 1097-1111; Gunter Heinickel: Adelsreformideen in Preußen zwischen bürokratischem Absolutismus und demokratisierendem Konstitutionalismus (1806-1854), Berlin 2014, 696 Seiten (Band XVI der Reihe „Elitenwandel in der Moderne“; zugleich Dissertation Universität Berlin; betrifft unter anderem die Aspekte der Elitenspaltung, des soziokulturellen Adelsvorbildes und die nachständische Adligkeit beziehentlich Adeligkeit, neue Radikalität der Adelskritik nach 1806, Provinzialständeverfassung als latente Adelsformierung, Adelsreformdebatte der 1840er Jahre als diskursives Social engineering, Etablierung des Herrenhauses als Adelsformierung ohne Adelsreform). Zur Flucht als Sekuritätspraktik vor dem Aristozid siehe zudem Schönpflug, Daniel / Voss, Jürgen (Hg.): Révolutionnaires et émigrés. Transfer und Migration zwischen Frankreich und Deutschland 1789-1806, Stuttgart 2002, 249 und 12 Seiten (Band LVI der Reihe „Beihefte der Francia“; betrifft französische Adelige als Emigranten in den Rheinlanden nach der französischen Revolution; konservative Reaktionen auf Freiheitsideen, Koblenz als Emigrantenzentrum, Revolutionsflüchtlinge in Westfalen 1792-1802, Emigranten in Preußen und Sachsen, Memoiren französischer Adeliger aus Koblenz). Zum Aristozid siehe dagegen Ellis Archer Wasson: Aristocracy and the modern world, Basingstoke 2006, VIII und 296 Seiten (betrifft den europäischen „Aristocide 1917-1945“).

20 = Die retrospektive Verklärung des (räumlich, sozial oder zeitlich) Verlorenen bedienten unter anderem (als psychische Bewältigungsstrategie von Verlust, Vertreibung und Flucht) die zahlreichen Nachkriegs-Memoiren von Angehörigen der Erinnerungsgemeinschaft des historischen (vor allem ostelbischen) Adels beispielsweise in den sogenannten „Grafenerzählungen“. Siehe dazu Malinowski, Stephan: Autobiographien und Memoiren adliger Autoren, in: Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2004, Seite 616-622 (enthält als Spezialbibliographie eine auf einer unpublizierten DFG-Datenbank des Berliner Elitenwandelprojektes beruhende Liste mit 176 Titelaufnahmen zu Egodokumenten, dem Erzähltypus der „Grafenerzählungen“ und Selbstzeugnissen der adeligen Erfahrungsgeschichte der Erscheinungsjahre 1904 bis 1994); Beata Halicka: Erinnerungsliteratur, in: Stefan Scholz / Maren Röger / Bill Niven (Herausgebende): Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung. Ein Handbuch der Medien und Praktiken, Paderborn 2015, Seite 89-99 (betrifft literarische Ausgestaltungen des Opfernarrativs in Form der aus den Reihen des ehemaligen Adels stammenden Grafenerzählungen nach 1945); Stephan Malinowski: Adelsmemoiren, in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels, München: C. H. Beck 2005, Seite 33-34 (betrifft unter anderem den literarischen Erzähltypus der „Grafenerzählungen“).

21 = Die seit 2015 bestehende Forschendengruppe vorwiegend von Forschenden der FernUniversität zu Hagen, aber auch einiger weniger Externer, hat bisher mehrere Tagungen abgehalten, auf denen Vorträge gehalten worden sind, die in einem ersten Sammelband bereits veröffentlicht worden sind. Dabei handelt es sich um Eryk Noji / Uwe Vormbusch / Arndt Neumann / Uwe Steiner (Herausgebende): Figurationen von Unsicherheit, Wiesbaden: Springer VS 2022, VI und 258 Seiten). Ein zweiter Band für eine im Mai 2023 abgehaltene Tagung steht noch aus, ist in Planung.

22 = Dazu siehe die frühe Studie von Aloys Fischer: Psychologie der Gesellschaft, in: Gustav Kafka (Hg.): Handbuch der vergleichenden Psychologie, Band II (Die Funktionen des normalen Seelenlebens), München: Verlag Ernst Reinhardt 1922, Seiten (darin auf Seite 375-387 der Unterabschnitt „Milieu, Tradition, Organisation“ betreffend unter anderem den Korpsgeist des Adels und auf Seite 392-413 der Unterabschnitt „Psychologie der Staende und Klassen“, ebenfalls betreffend den Adel). Die Gegenüberstellung der Idealtypen von Tradition und Progressivität findet sich ibidem auf den Seiten 380-381.

23 = Beide waren auch bereits vorhanden in der Sechstauflage von 2020 auf Seite 813-814.

24 = Bruno Latour: Nous n'avons jamais été modernes. Essai d'anthropologie symétrique, Paris: Editions La Découverte 1991, 210 Seiten.

25 = Das Narrativ der scheinbar statischen Ständegesellschaft hält sich immer noch hartnäckig, so auch implizit bei Otthein Rammstedt: Ständegesellschaft, in: Thorsten Benkel / Andrea D. Bührmann / Daniela Klimke / Rüdiger Lautmann / Urs Stäheli / Christoph Weischer / Hanns Wienold (Herausgebende): Lexikon zur Soziologie, Wiesbaden: Springer Fachmedien, Siebente Auflage 2024, Seite 1211-1212. Ausgeblendet werden bei den Blicken auf die Standards die Abweichungen und „das Rauschen“ (die „social incivilities“ des Adels), die aber unauflöslich zum Standard der Gentilhommerie dazu gehören. Siehe dazu auch Paula Kronheimer: Grenzglieder des Standes, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie, Band VI, München 1927, Seite 248-268. Unsicherheit und der Verlust von Sicherheit, so wird man auch formulieren können, ist eben nicht allein „ein Grundproblem der Moderne“, wie es eine neuere Zeitdiagnose von Andreas Reckwitz unter der Titulierung „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ (Berlin: Suhrkamp 2024) behauptet. Der jener Studie vorgestellte Ausspruch „Der Weg der Realität ist mit verlorenen Objekten gesäumt“ (Paul Ricœur) gilt ebenso auch für die vormoderne Adelshistorie. Siehe dazu nur schlaglichtartig Solterbeck, Sven: Blaues Blut und rote Zahlen. Westfälischer Adel im Konkurs 1700-1815, Münster 2018, 455 Seiten (Band 653 der Reihe „Internationale Hochschulschriften“; zugleich Dissertation Universität Münster 2018; betrifft Adel und Kredit, Konkurs und Norm, Statuskonsum, Erhalt und Verlust symbolischen Kapitels); Löffler, Bernhard: Privilegienverlust und politische Teilhabe, in: Jahn, Wolfgang / Hamm, Margot / Borckhoff, Evamaria (Hg.): Adel in Bayern. Ritter, Grafen, Industriebarone, Augsburg 2008, Seite 224-225; René Schiller: Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, 587 Seiten (Band III der Reihe „Elitenwandel in der Moderne“; zugleich Dissertation Universität Berlin 2001; stützt empirisch die These des „Obenbleibens“ des brandenburgischen Adels als ländliche Elite nach 1800 bei gleichzeitigem Niedergang mit der Folge von Verlusterfahrungen in der Erinnerungskultur].

26 = Hierzu Bruno Latour: Eine neue Soziologie der Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt am Main 2010: „Sobald man aufhört, Gruppen zu bilden und umzubilden, gibt es keine Gruppen mehr“ ( Seite 63) sowie die Auffassung, nach der „soziale Aggregate nicht Gegenstand einer ostensiven Definition sind, […], sondern nur einer performativen Definition“ (Seite 62) sein könnten.

27 = Franziska Gräfin zu Reventlow: Autobiographisches, München 1980, Seite 416-428 (Erstabdruck in der Neuen Rundschau 1897).


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