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Der inszenierte Übergang in den Ewigen Orient 1912-2008Zum Wandel deutschadeliger Identitätssemiotik in gedruckten TrauerannoncenI. Vorwegwort Der Gießener »Sonderforschungsbereich 434 Erinnerungskulturen«, welcher "seit 1997 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, untersucht die Inhalte und Formen kultureller Erinnerungen in ihrer Pluralität, Konstruktivität und Dynamik. Sein Anliegen ist es, Formen und Funktionen des Erinnerns von der Antike bis ins 21. Jahrhundert zu analysieren und so das Bewusstsein für die Historizität erinnerungskultureller Konstellationen zu schärfen. Der SFB Erinnerungskulturen verbindet die praxisreflexive Methodik der Sozial- und Geschichtswissenschaften mit dem stärker formenorientierten Zugang der Literatur- und Kunstwissenschaften. Dies ermöglicht die Untersuchung der Rahmenbedingungen historischen Erinnerns, der Ausbildung spezifischer Erinnerungskulturen sowie unterschiedlicher Formen der kollektiven Erinnerung." [18] In Anlehnung an diese fremden Richtlinien soll hier mit einem integrativen Forschungskonzept der Kulturwissenschaften der Phänotypus adeliger Todesanzeigen aus dem Mitteilungsblatt der Deutschen Adelsgenossenschaft beziehentlich seiner Nachfolgeorganisation betrachtet werden. Nun ist die Inszenierung von Sozialdimensionen ist beim Adel an
der Tagesordnung. Um sich selbst zu definieren, erfordert es das ausgeprägte
Sozialprestige in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens, daß
eine Stilisierung und Besetzung von je spezifischen Standpunkten sozialen
Handelns und vor allem Seins angewendet wurde. Nur deren strikte Beachtung
macht "den Adel" aus. In der Vergangenheit sind dafür viele Begriffe
gebraucht worden, die gleichberechtigt nebeneinander stehen können.
Dazu gehören der semiotische Kulturbegriff nach Nünning oder
die ältere Lehre der drei Kapitalarten nach Bourdieu.
II. Allgemeine Definition der Adelstrauerannonce Eine Trauerannonce zum Ableben eines Adeligen oder einer Adeligen wurde im Deutschen Adelsblatt in zwei Formen veröffentlicht. [19] Zum Einen als Kurzmitteilung in der seit Beginn bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes gleichnamigen Rubrik »Todesfälle«. Hier erfolgte die Nennung des Ablebens allein durch das Interesse der Redaktion an der Registrierung der Ablebensfälle. Die Nennung des Todes von Adeligen ist als Fließtext ohne jede Ausschmückung gehalten und brachte außer den Ablebensdaten keine weiteren Informationen. Diesen Listen ist gemein, daß sie nur eine geringe zeichenhafte Dimension besitzen. Daneben gab es aber auch die durch die persönliche Motivation der Hinterbliebenen und daher durch die Insertion per eigenem Geld bezahlten Annoncen, in denen vor allem nahestehende Verwandte, aber auch Corpsbrüder, Offizierskameraden, Familienverbände oder seltener Freunde, von dem Ableben einer Persönlichkeit aus dem deutschen Adel Mitteilung gaben. Diese zweite und aus kulturdimensionaler Sicht interessantere Variante von Todesbekanntmachungen war jedoch im Adelsblatt zunächst gar nicht vorhanden: In den Jahren 1883 bis 1908 erschienen sie nicht. Erst in einer Ausgabe von 1909 kommt es mit der Annonce einer Reichsfreifrau Raitz v.Frentz zu einer privaten Trauerannonce, deren Siegszug gegenüber der Listenform der Genossenschaft fortan eingeleitet wurde. Dennoch blieb das Verhältnis zwischen Listenform und privater Großanzeige zunächst ungleichgewichtig. Privatanzeigen blieben die Ausnahme und erschienen zuerst nur vereinzelt und auch nicht in allen Ausgaben des Mitteilungsblattes, während die schlichte Listenform stets erschien. Auch der Kriegsausbruch im August 1914 änderte daran bemerkenswerterweise nichts. Nur ein Bruchteil der Gefallenen und ebenso der nicht an Kriegsfolgen gestorbenen Adeligen wurde mit einer privaten Anzeige bedacht. Erst im Jahre 1919 dann begann die Regelmäßigkeit Platz zugreifen, daß mehrere Annoncen privater Natur nunmehr auf einer fast ausschließlich dafür reservierten Seite des Blattes veröffentlicht wurden. Schon sehr bald und bereits in den Anfangsjahren der Weimarer Republik wandelte sich dann das Verhältnis zwischen Listen- und Privatform. Seit diesen Jahren bis heute überwog die Privatform. Von 1912 bis 1918 erschienen durchschnittlich nur rund 40 private Todesanzeigen je Jahrgang. Annoncen zum Eintreten von Adeligen in den Ewigen Orient wurden also ab etwa 1919 nicht mehr überwiegend von der Genossenschaft fremdbestimmt publiziert, sondern durch dessen einzelne Glieder standeskorporativ veröffentlicht. Dies spricht für eine stärkere Durchdringung des deutschen Adels mit seinem Standesgedanken nach 1919 und fügt sich damit in Ergebnisse anderer Forschungen nahtlos ein: Durch die Bedrohung der Weimarer Verfassung, die Verwandlung des Adels von einem Rechtestand in eine Namensform und alle nachfolgenden eher adelskritischen staatlichen Maßnahmen suchte der Stand nach Neudefinitionen und Ausdrucksformen des soziokulturellen Überlebens. Nicht nur Pläne für eine Neubestimmung des Adelsbegriffes, sondern auch die Neu- und Umbetonung bestimmter kultureller Dimensionen sollten dem Adel helfen, sich selbst neu zu definieren. Auch Trauerannoncen waren dazu ein probates Mittel. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Zahl dieser phänotypischen Selbstbehauptungssemiotik mit den Jahren immer mehr zunahm: Zwischen 1920, als nur 12 Anzeigen im ganzen Jahr erschienen waren, steigerte sich die Anzahl der Verbleichensannoncen bis in die späten dreißiger Jahre des XX. Centenariums unaufhörlich, bis sie 1940 einen Höchststand von 815 Annoncen erreichte. Im zweiten Weltkrieg veränderte sich die Struktur der Annoncen. Dies betraf zunächst die Menge der Anzeigenwünsche der Inserenten, die beständig bis zum Kriegsende hin zunahm und allein quantitativ nicht mehr zu bewältigen war. Die letzten privaten und individuell gestalteten Todesannoncen erschienen im Oktober 1941. Da zu viele Hinterbliebene vor allem ihren Gefallenen Traueranzeigen widmen wollten, nahmen die Anzeigenabschnitte zuletzt fünf bis sechs Druckseiten ein. Dies war zwar ein einträgliches Geschäft für den Verlag, aber wenn das Adelsblatt nicht zu einem reinen Anzeigeblatt verkommen sollte, mußte eine neue Lösung gefunden werden. Daher entschied man sich seitens der Schriftleitung, die Gefallenenanzeigen zukünftig en corpore auf einer speziellen Seite zu veröffentlichen und zwar ohne privaten oder individuellen Text. III. Häufigkeit, Art und Verteilung der Annoncen Anzeigen von Hinterbliebenen des deutschen Adels im Deutschen Adelsblatt unterlagen seit dem Ersterscheinen des Periodikums im Jahre 1883 und dem Jahre 2008 einem Wandel, der erst bei Auswertung aller Anzeigen sichtbar wird. Denn da sich die zeichenkulturelle Dimension der Anzeigen nur schleichend veränderte, ist ein Blick auf alle je erschienenen Annoncen sinnvoll und nötig. Hier ist festzustellen, daß die Trauerannonce keine lange Tradition besitzt und keinesfalls seit dem Ersterscheinen von 1883 genutzt wurde. Wie erwähnt überwog zuerst die wenig Individualität gewährende Listenform. Die Desindividualisierung ging teils so weit, daß anfangs in einigen Fällen nicht einmal die Vornamen der Verstorbenen genannt wurden ("Herr Landes-Director v.Saldern, Arolsen") oder aber deren Identifizierung nur über deren Herkommen definiert wurde ("Hrn. Rittmeister v.Wienskowski Tochter Olga, Sitzmannsdorf"). [20] Dies aber blieb die Ausnahme. In aller Regel waren Trauerannoncen personalisierte Zeichenanzeiger, die aber besonders über die Gleichförmigkeit des Familiennamens in Verbindung mit Stereotypen des adelsethischen Regeln wieder familiär und gruppenbindend waren und funktionierten. Personalisierte Trauerannoncen waren im Deutschen Adelsblatt indes nicht früher als in der späten Kaiserzeit feststellbar: Erst im Jahre 1909 erschien die erste privat initiierte Offerte dieser Art, die für die verblichene Luisenordensdame Erwine Reichsfreifrau Raitz v.Frentz aus Siegburg (1832-1909). [21] Die private Trauerkundmachung ermöglichte erstmals eine Individualisierung in der Gleichförmigkeit und eine größere Möglichkeit, sich als Stand zu inszenieren. Private Trauerverkündigungen erfüllten daher zwei Aufgaben: Zum Einen demonstrierten sie die Zugehörigkeit zum deutschen Adel durch die Einhaltung gewisser Richtlinien und Formen, zum anderen ermöglichten sie ein spezifisches persönliches Portrait des Verblichenen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die privaten Annoncen nicht etwa ein schriftliches Portrait der in den Ewigen Orient eingegangen waren, sondern immer und ausschließlich Fingerzeige auf das adelige Selbstverständnis der Anzeigenveranlasser und Inserenten. Diese waren es, die die Form und den Inhalt der jeweiligen Anzeige durch ihre Bezahlung steuerten und Anzeigen dieser Art müssen daher als Konstruktionen und Demonstrationen kultureller Zeichen seitens der Inserenten gesehen werden, als Form der Selbstdarstellung. Trauerannoncen sagen daher inhaltlich zwar hauptsächlich etwas über den Verblichenen, soziokulturell und semiotisch besehen aber nur etwas über die Hinterbliebenen und deren Selbstverständnis aus. IV. Inhaltsabschnitte bei Trauerannoncen Sterbeannoncen zeichneten sich in aller Regel durch gewisse Gemeinsamkeiten aus. Sofern sie individualisiert und nicht in Listenform gebracht wurden, so waren sie grundsätzlich mit einem schwarzen Rand versehen. In einer Ankündigung wurde die thematische Einleitung vorgenommen, die einführende Worte enthielt. Bei den Protestanten beschränkte sich diese Ankündigung auf Bezeichnungen wie "Bei Ausübung vaterländischer Pflicht starb am Himmelfahrtstage als Opfer meuchlerischen Überfalls ..." [22] oder "Am 14.Februar 1955, wenige Tage vor Vollendung seines 85.Lebensjahres, verschied, fern von seinem oberschlesischen Mustergut, das wiederzusehen sein sehnlichster Wunsch war, ...". [23] Nur bei den Katholiken aber werden bereits die Hinterbliebenen an dieser Stelle genannt, zum Beispiel: "Johann Wilderich Graf v. und zu Bodman, gibt im eigenen sowie im Namen der Gesamtfamilie, tiefbetrübt Nachricht, daß es Gott dem Allmächtigen gefallen hat, seinen geliebten Onkel und Adoptivvater ...". [24] Sodann folgte als zentrales Motiv in Fettdruck der Name des Verstorbenen, bei den Frauen erfolgten auch in Kleinfettdruck, seltener in Normaldruck, die Angabe des Geburtsnamens oder des Witwennamens. Auch Daten zu den Geburts- und Sterbetagen oder -orten waren die Regel. Hinzu kam gegebenenfalls die Satzvollendung aus der Einleitung oder eine Würdigung, beispielsweise "... nach geduldig ertragenem Leiden, versehen mit den Tröstungen der heiligen katholischen Kirche, zu sich gerufen. Ihr erfülltes Leben war geprägt von der Fürsorge um unsere Familie ..." [25] oder "Von 1895 bis 1909 hat er im 1.Badischen Leib-Grenadier-Regiment 109 gestanden. Die letzten vier Jahre dieser Zeit als Regimentsadjutant. Bis zu seinem Ableben war er seinen alten Regimentskameraden in Treue verbunden. Er war ein ritterlicher Herr und ein vorbildlicher Offizier." [26] In aller Regel erfolgte erst dann die Nennung der Inserenten und Hinterbliebenen ("Elise v.Müller, geborene Kaempff, Dora v.Müller, Erika v.Skopnik geborene v.Müller, Diplom-Ingenieur Beat [sic!] v.Müller ..." [27]) sowie eine Abkündigung betreffend das Verfahren von Trauerfeier ("Die Trauerfeier fand im Krematorium Potsdam am Sonnabend, dem 8.November, vormittags 10.30 Uhr, statt" [28]), erwünschten Beileidsbezeugungen und Beisetzung ("Die Beisetzung der Urne wird später in Lohm in der DDR erfolgen"). [29] Sofern eine standesgemäße Todesart bei Ausübung von Tätigkeiten, die dem Ehrenkodex des Adels entsprachen, vorlag, wurde auch diese gelegentlich angeführt. Das traf vor allem zu bei flugverunglückten jungen Subalternoffizieren der Jahre von 1935 bis 1939, die sämtlich in Ausübung ihres Dienstes starben und die Hinterbliebenen versäumten dann auch nicht, dies in ihren Anzeigen kund zu tun: Mangels kriegerischer Auseinandersetzung entsprach der Fliegertod in Friedenszeiten dem Heldentod an der Front und war als Opfer für die Allgemeinheit und das Vaterland hochgeachtet. Noch später, in langen Friedenszeiten, wie ab 1945, als auch nur noch wenige Adelige zu Offizieren der Luftwaffe ernannt wurden, wurden derlei Nennungen an Todesursachen selten. Der Adel verschob nun sein Interesse in den Trauerannoncen jetzt auf weniger spektakuläre Felder privater Art, ohne jedoch den adelskonformen Rahmen der Betätigungen und Hobbys zu verlassen; es fand lediglich eine Modifikation oder Verschiebung statt: "Bei einem Waldspaziergang mit ihrem Hund Muck stürzte sie schwer" [30] schloß zwei klassische Topoi des Adels in die Semiotik ein: Scheinbare Naturnähe und Tierverbundenheit - mangels Gelegenheit im militärischen Bereich zu reüssieren ein Hinweis auf alte ethisch erwünschte Aspekte adeligen Daseins. Neben der Nennung von Geburts- und Sterbedaten wurden meist durchgehend auch Berufsangaben verzeichnet. Diese waren jedoch sehr unterschiedlich plaziert und vermerkt worden. Ob derlei Informationen über oder unter der Fettdrucknamensnennung standen, blieb weitestgehend Privatsache und ist daher individuell behandelt worden. Was die Beschaffenheit der Angaben in sich anlangt, so wurden sehr unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Wenn Berufsangaben angeführt wurden, so meist die zuletzt innegehabten höchsten profanweltlichen Stellungen. Sie waren daher oftmals versehen mit den Bezeichnungen "i.R." (für im Ruhestand), sehr gern aber mit "a.D." ("außer Dienst"). Da dieses "a.D." wegen seiner Verwendung fast ausschließlich für in Staatsstellen befindliche Amtspositionen verwendet wurde und daher ein größeres Ansehen hatte, wurde es bevorzugt zum "i.R." verwendet, auch in Bereichen, in denen es unpassend erschien: Auf diese Weise . Das zeigte, wir stark das "a.D." das adelige Selbstverständnis definierte und inszenierte. Vor allem galt dies für die Zeit der Weimarer Republik, in der viele Adelige arbeitslos waren und sich nur noch euphemistisch über ihre ehemalige Eigenschaft sahen. Wessen Angehörige als arbeitslose und verarmte Adelige in jenen Zeiten der subjektiven Standesbedrohung verstarben, wurden nicht als Gegenwartsindividuen gekennzeichnet, sondern nur über die ehemalige Eigenschaft "besserer Zeiten". Mit der Bezeichnung "a.D." täuschten sich die Hinterbliebenen daher oftmals über die reale Inbeziehungsetzung eines Verstorbenen zu seiner Umwelt hinweg und bezogen ihr adeliges Selbstverständnis aus dessen ehemaliger als ehrenvoller betrachteten Staatsposition. Diese Praxis fällt vor allem auf für zwei Ären und zwar die jeweils unmittelbaren Nachkriegsjahre nach 1918 und 1945, in denen der Adel in einer Umbruchphase war und sich selbst erst wieder neu definieren mußte. Vor allem in diesen Zeiten wurde über die Verwendung des "a.D." zuerst eine Tradierung des Gewesenen und Vergangenen erzeugt, bis neue ehrenvolle Berufe gefunden wurden. Ansonsten, bei Vorliegen unehrenhaft angesehener Berufe, wurden diese eher nicht genannt. Anzeigen mit den tatsächlich zu ihrer Zeit je gegenwärtigen Bezeichnungen wurden dann vermieden. So starb Lutz Freiherr v.Thüngen nicht als "Versicherungsmakler", ein Nomen Nescio v.Waltersdorff nicht als "Gummiwarenvertreter" [31] und Frau v.Spitz aus Wolfenbüttel nicht als "Staubsaugervertreterin". [32] Derlei Bezeichnungen waren inopportun und in diesen Fällen verzichten die Angehörigen eher auf eine Berufsbezeichnung. Beliebt dahingegen waren zu allen Zeiten Zugehörigkeiten zu karitativen Orden, allen voran bei den Prostestanten die Nennung der Ehrenritter- oder Rechtsritterschaft in der Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem oder die Ehren- und Devotionsritterschaft im Souveränen Malteser-Ritteroden bei den Katholiken. Diese Bezeichnung allein genügte auch bereits, um den Verstorbenen allein als "ritterlich" zu definieren und galt zu allen Zeiten als höchst standesgemäß. In Trauerannoncen des Adels wurde daher jede Durchschnittlichkeit
abgelehnt und vermieden. Benutzt wurden auch Wendungen, wie "Mit ihm starb
ein Preuße alten Schlages voll kindlicher Frömmigkeit bei urwüchsiger
Männlichkeit" [33] oder "Seine rastlose Tätigkeit und Selbstverleugnung,
die er stets für andere übte". [34] Selten glitten die Annoncentexte
bis ins landsknechthaft Rohe ab: "Es war an einem harten Kampfestage, als
bei uns das Signal Offizierruf erklang. Graf Bredow empfing uns mit den
Worten "Ich habe die Führung der Brigade übernommen. Meine Parole
ist Druff!" [35]
Nur als absolute Ausnahme wurden Trauerannoncen für Bekenntnisse
von Konflikten, Zerwürfnissen oder Entfremdung genutzt, was einmal
1934 mit einem Auslandsdeutschen aus Ungarn geschah. Der zugehörige
Familienverband betrauerte sein Verbleichen, "obwohl der nunmehr Entschlafene
selten nach Deutschland kam und den Meisten von uns fremd war". [37]
Mit dem Tod einher ging häufig auch eine Verklärung der Eigenschaften des Verstorbenen. Hier wurde oftmals nach dem Motto »nihil mortibus bene« gehandelt: »Nichts Schlechtes über die Toten«. Auch die Krankheitszeiten wurden verklärt und oftmals wurde behauptet, der oder die Verblichene habe die dem Tode vorangegangenen Krankheit "mit christlicher Geduld getragen". [42] Da aber die Sterbehilfe oder der Suizid, die einzige Alternativen zu dem Erleiden von Krankheit, ohnehin für den Adel in aller Regel als unstandesgemäß betrachtet wurde, [43] gab es gar keine andere Handlungsweise als die des "geduldigen Ertragens", mit der die Nobilität einem körperlichen Leiden begegnen konnte. Als abnorme Skurrilität muß es gewertet werden, daß wirtschaftlich schlecht gestellte Adelige versuchten, mit dem natürlichen Standesinteresse, das Bezieher des Adelsblattes zum Lesen von Todesannoncen veranlaßte, Geld zu machen. So ließ sich Arnold v.Weiß aus Königsberg in Preußen im Jahre 1931 dazu mißbrauchen, von der Schwedter Hagelversicherung in einer Anzeige mit großen Lettern namentlich genannt zu werden, die von der Plazierung und Aufmachung her wie eine Todesanzeige aufgemacht war: Sie stand sowohl unter der irreführenden Rubrik »Familien-Anzeigen«, verwendete sehr ähnliche Lettern der Fraktur wie die gewöhnlichen Trauerannoncen und war außerdem mit einem Doppelschwarzrand umrahmt. Erst bei genauerem Hinsehen konnte der Leser feststellen, daß es sich gar nicht um eine Traueranzeige handelt, sondern um die Ankündigung der Übernahme der Königsberger Geschäftsstelle der Versicherung. [44] V. Zur Semiotik politischer adeliger Traueranzeigen Wie sehr Trauerannoncen nicht nur zum Ausdruck persönlichen
Schmerzes benutzt wurden, sondern auch als Instrument der politischen Stellungnahme,
verdeutlichen einige Ausnahmeerscheinungen, die seit dem Jahr 1918 im Adelsblatt
publiziert wurden. Dort wurde eine deutliche weltanschauliche Abgrenzung
zur ungeliebten Republik vollzogen, indem der Verblichene von den inserierenden
Hinterbliebenen zu ihren eigenen Zwecken instrumentalisiert wurde. Nun
steht zwar zu vermuten, daß der Verstorbene selbst diesen politische
Ausrichtung besessen hat, sie also nicht nur von den trauernden Angehörigen
erfunden wurde, aber deutlich wird doch die reine Verantwortung für
die Formulierung, die allein bei den Inserenten und nicht bei den Betrauerten
lag. Insofern sind die Texte, die bei einer Traueranzeige zum Tode eines
Angehörigen erschienen, aufschlußreiche Zeugen und Zeichen einer
typisch adeligen Semiotik, die gerade auch im weltanschaulichen Bereich
Nachahmer fand.
Entsprechende Schuldzuweisungen an die neue Staatsform wurden häufiger benutzt und zum Beweis dafür herangezogen, daß die Republik Depressionen auslöse, die zum Tode des Angehörigen geführt hätten. In dieser subtilen Art der Schuldzuweisung fanden dann 1926 Formulierungen wie "Er starb voller Stolz auf die alte Armee, der er seine Kräfte widmete, voll Trauer um das zerrüttete Vaterland und voll Hoffnung auf seine Wiedererstehung" Anwendung. [46] Auch die Worte "... der Familie war er ein vorbildlicher Vertreter einer besseren Zeit ..." weist bereits zwischen den Zeilen auf eine Sehnsucht nach der Rückkehr der Angehörigen zur monarchischen Staats- und Gesellschaftsform von vor 1918 hin. [47] Bei einigen Anzeigen wurde auch direkt über die angebliche Schuldhaftigkeit am Tode des Angehörigen gesprochen: "Die Not seines Vaterlandes, die am 9.November 1918 begann, und der Schmerz um seinen Kaiser und König hatten schon seit Jahren die Kraft des alten Soldaten gebrochen", hieß es beispielsweise beim Tode eines Grafen und Königlich Preußischen Generalobersten außer Diensten im Jahre 1925. [48] Von schwacher seelischer Konstitution und gezeichnet von Kraftlosigkeit soll auch der ehemalige Marineoffizier Tessen v.Hertzberg gewesen sein, "dessen Lebensmut durch den Dolchstoß vom 9.November 1918 und den Schandvertrag von Versailles gebrochen wurde ... so ist auch er ein Opfer seiner Treue, die das Mark der Ehre ist und immer bleiben wird, geworden." [49] Dennoch waren die weltanschaulichen Ausrichtungen geprägt von zwei divergierenden Positionen: Die einen Hinterbliebenen verstanden den Verblichenen in einer Art dionysischer Machtposition als Vorkämpfer wider die Republik, die anderen Inserenten wiederum beschränkten sich auf die ohnmächtige Position, nachdem der Tod ein Opfer der Verhältnisse geworden sei. So lassen sich sie die Zeichen höchst unterschiedlich lesen und lassen Rückschlüsse auf das Grundlebensvertrauen und -verhalten der Inserenten zu. Hier standen sie noch unter dem Schock der sie überrollenden politischen Umstürze ("Er ist in den Sielen gestorben, ein Opfer seiner Zeit"), [50] dort hatten sie sich bereits damit abgefunden und erstrebten im aktiven - militaristisch orientierten metaphernreichen - Widerstand einen neuen, wieder hierarchisch gegliederten und Sicherheit gebenden Autoritätsstaat ("... stand er im Kampfe um deutsches Volkstum unerschrocken in vorderster Reihe" [51] oder "Wie er im Weltkriege seinem König gedient, so hat er auch später seine Vaterlandsliebe durch eifriges Wirken für den nationalen Gedanken betätigt." [52] Gleich welcher Ausrichtung auch weltanschauliche Anzeigen waren: Sie demonstrierten erstarkendes Selbstbewußtsein, das noch in der Trauer um den Tod eines Angehörigen bereits wieder aufflammte und das Ableben eines Adeligen zum Instrument und Mittel politischer Kundgebungen machte. Damit rückversicherte sich nicht nur der Inserent einer stabilisierenden politischen Haltung, sondern auch der Anerkennung des Standeskonsenses. Denn es war davon auszugehen, daß die schärfer werdenden rhetorischen Töne gegen die Weimarer Republik im Adelsblatt und vom Großteil der Mitglieder der Genossenschaft geteilt würden. Im eigenen persönlichen Schmerz in einer großen Gemeinschaft aufzugehen war demnach leichter bei der Versicherung der Zustimmung derselben und der Herstellung von Gemeinschaft, die unter anderem über derlei politische Formulierungen erreicht werden konnte. Doch nicht nur die Nennung weltanschaulich allgemeiner Positionen wie zur Republik, zur Monarchie oder zur Staatsformfrage wurden in Todesannoncen abgedruckt, auch Bekenntnisse zu einzelnen Parteien oder Geistesrichtungen wurden vielfältig genutzt und proklamiert. Anfangs traf dies ausschließlich auf altkonservative Gruppierungen zu. Ein eher liberal gefärbte republiktreue Ausrichtung wurde nur in einem einzigen ermittelbaren Fall veröffentlicht: Bodo v.Tresckows Hinterbliebene hielten es für nötig, darauf hinzuweisen, daß ihr Verblichener einfaches Mitglied der Volksnationalen Reichsvereinigung gewesen sei. [53] Auch DNVP-Mitgliedschaften wurden bisweilen versteckt erwähnt: "So stand sie in der schweren Zeit nach dem Kriege als Abgeordnete des mecklenburgischen Landtages tapfer mitten im Kampf gegen die rote Flut." [54] Bei der Verstorbenen handelte es sich um eine Frau, die in Schwerin in den Jahren 1920 bis 1921 als DNVP-Deputierte fungierte. Seltsam mutet auch die regelmäßige Überschrift über
den im zweiten Weltkrieg zwischen 1941 und 1944 veröffentlichten Totentafeln
der Gefallenen an: "Es fielen für Deutschlands Zukunft" hieß
es dort, wobei die vielen Adeligen für eine Zukunft fielen, die nie
stattgefunden hat, sondern lediglich für die Aufrechterhaltung der
Gegenwart des Dritten Reiches fielen. [55]
Andere politische Ereignisse schlugen sich mannigfaltig in den Trauerannoncen nieder, beispielsweise die deutsche Besetzung Polens, die Einrichtung des Militärbezirks Posen sowie endlich die Errichtung des Reichsgaus Posen (später Wartheland) Ende Oktober 1939. Vor allem die in Posen ansässigen Deutschen feierten diese Eingliederung in ihren Trauerannoncen: "Es war ihm vergönnt die Rückkehr seiner geliebten Heimat zum Deutschen Vaterland in voller, geistiger Frische anzumelden", hieß es beispielsweise bei den Nachkommen des am 8.Oktober 1939 verblichenen Georg Graf v.Lüttichau. [58] Und bei der am 14.Oktober 1939 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Angelika v.Treskow las man: "Jetzt konnte sie ihre Augen schließen in der sicheren Gewißheit, daß ihre Heimat Posen ... wieder unter dem starken Schutz des Deutschen Reiches und deutsches Land bleiben werden"; [59] eine Gewißheit die freilich trog und einige Jahre später wieder Fiktion wurde. Von besonderer Brisanz waren ferner Nennungen von Mitgliedschaften in der nationalsozialistischen Partei und ihren Untergliederungen. So findet man in einer Anzeige von 1941 die folgenden Worte: "Zu ihrer Freude durfte sie, eine aufrechte Nationalsozialistin, den Wiederaufstieg unseres Vaterlandes noch erleben." [60] oder im Jahre 1940 auch: "Als eine der ersten in der Familie fand sie trotz ihres hohen Alters den Weg zum Führer." [61] Auch die Formulierung "hat in Krieg und Frieden für Staat und Partei seine Pflicht getan und hervorragend seinen Mann gestanden" weist in die gleiche Richtung. [62] Im Jahre 1934 konnte man aber auch lesen: "So hat er sich noch vor drei Jahren fünfundsiebzigjährig als Parteimitglied der Hitlerbewegung angeschlossen, weil er ohne sie keinen Ausweg aus der Not des Vaterlandes sah; zu seiner Freude und Genugtuung durfte er erleben, daß sein Glaube nicht getrogen hat." [63] Auch die 1935 getroffene Formulierung "Mit Begeisterung verfolgte er das Wiedererstarken des geliebten Vaterlandes durch den starken Willen des Führers" war auffallend. [64] Einige Familien behaupteten in den Trauerannoncen auch, daß sie immer schon nationalsozialistisch gedacht und gefühlt hätten, wie dies 1940 die Familie v.Bonin ausdrückte: "In größter Begeisterung für Führer und Reich fiel getreu seiner Familienüberlieferung ..." titelte sie für einen ihrer gefallenen HJ-Funktionäre, [65] als wenn der Nationalsozialismus immer schon eine prägende Wesensart des Geschlechtes gewesen war. [66] Dennoch blieben nach der Machtübernahme durch den NS-Staat die politischen Kundgebungen in den Traueranzeigen gespalten. Die ältere Generation demonstrierte nach wie vor sehr bewußt ihre altkonservative Haltung. Betrauert wurden hier Männer wie der Hans Freiherr v.Hammerstein als "gottesfürchtiger und kaisertreuer General" (außer Diensten).67 Teils wurde auch eine diffuse Wortwahl für unbestimmte Inhalte angewendet. Denn obgleich am 30.Januar 1933 bereits die Machtübernahme durch Hitler vollzogen worden war, hieß es über den am 22.Februar 1933 verblichenen Fritz v.Kamptz: "Deutschlands Erneuerung mit uns zu erleben, ist ihm versagt geblieben!" [68] Ähnliche Motive leiteten auch andere Adelige bei der Abfassung ihrer Annoncen: "Es war ihm nicht vergönnt, das Morgenrot des werdenden Deutschlands zu erleben, das er so heiß ersehnte" [69] hieß es 1932 über ein adeliges Motorradunfallopfer, ein anderer wiederum war indifferent "begeistert am nationalen Aufbau tätig" gewesen. [70] Diese andeutungsweise publizierte Nähe zum Nationalsozialismus wurde später durch offene Bekenntnisse vermehrt. Der erste dezidiert mit einem NS-Rang genannte Adelstote aus dem Adelsblatt war im Februar 1934 der SA-Gruppenführer und ehemalige Stahlhelmjungendfunktionär Elhard v.Morozowicz. [71] Im gleichen Jahr dann wird die Nennung von Rängen und Ämtern in der NS-Bewegung im Adel en vogue. Auf diesen Attributen wurden nun unter anderem Leuthold v.Oertzen (Parteimitglied), Carl Friedrich Freiherr v.Langen (Obersturmbannführer), Georg v.Alten (Gauführer), Wilhelm Freiherr Marschall v.Bieberstein ("Inhaber des höchsten Ehrenzeichens der Partei vom 9.November 1923" = Blutorden), 1935 dann Hubert Graf v.Pfeil und Klein-Ellguth (NSDAP-Kreisleitungsgeschäftsführer), Alfred v.Harder (1936 der erste, der als "Pg." abgedruckt wurde), 1936 Andreas v.Wilucki (zweiter "Pg."), 1936 Johann v.Lessel ("Mitglied der NSDAP"), 1937 Carl Freiherr v.Saint André (SA-Oberscharführer), 1937 Maximilian v.Ußlar ("Mitglied der NSDAP"), 1937 Dorothea v.Fabeck ("Pgn. seit dem 1.März 1930" sogar mit Datum des Parteieintritts!), 1938 Thilo v.Trotha ("Hauptstellenleiter im Außenpolitischen Amt der NSDAP aus Berlin"), 1938 Walter Pabst v.Ohain ("Hauptscharführer der SS") und 1938 Karl-August v.Laffert ("SS-Standartenführer, Inhaber des Ehrendegens des Reichsführers SS") zu Grabe getragen. Bei anderen Verstorbenen hieß es: "Sein rastloses Denken und Schaffen galt, wie vormals als S.A.-Mann und Student, so jetzt in seinem über alles geliebten Beruf als Soldat, dem Aufbau des Vaterlandes in der Gefolgschaft unseres Führers." [72] Den hohen Stellenwert politischer Bekenntnisse erkennt man aber auch an der Positionierung der Buchstabenfolge "Pg.", die beispielsweise bei Carl v.Herff im Jahre 1939 gleich groß gedruckt wie der Vor- und Nachname erschien, während in kleiner Schrift darüber "Generalleutnant außer Diensten" angegeben wurde. [73] Ähnlich verfuhren auch die Inserenten beim anzuzeigenden Tod von Freda Marie Gräfin v.Schlieffen. [74] VI. Ergebnisse Trauerannoncen im Deutschen Adelsblatt waren seit 1912 bis heute ein wichtiges kulturelles Mittel zur Aufrechterhaltung des Phänotypus der deutschen Adelsethik und eines starken Selbstverständnisses einer bestimmten sozialen Kultur. Nach Pierre Bourdieu sind sie Ausdrucksformen kultuellen Kapitals, in gewisser Weise abgeschwächt auch solche des sozialen (Bekanntmachung des Todes "in eigenen Kreisen", Nennung der Hinterbliebenen) sowie ökonomischen Kapitals (eine Anzeige kostete Geld). Anzeigen über Todesfälle privat im Adelsblatt zu publizieren, hatte außerdem eine identitätsstiftende Ausschluß- und Einschlußfunktion: Ausgeschlossen wurden Nichtadelige im weitesten Sinne (es sei denn, sie waren mit dem Adel verwandt oder dort angestellt), eingeschlossen der Tote in die virtuelle Adelsgemeinschaft. Auf diese Weise stellen Trauerannoncen einen festumschlossenen "Cicuit of culture" [75] dar: Sie repräsentieren Adeligkeit (Kriterium: das "v." im Namen), sie produzieren Adeligkeit (Wachhalten der Erinnerung an die Familie, besonders bei Familienverbandsanzeigen), sie konsumieren Adeligkeit (Abonnenten des Blattes) und sie vertiefen und erneuern unablässig unter den Hinterbliebenen eine feste Gruppenidentität. Auch im Hinblick auf den sogenannten Semiotischen Kulturbegriff lassen sich die Traueranzeigen einordnen, denn sie sind materiale Dimension (Anzeige auf Papier) einer sozialen Dimesion (Einzelner eingebettet in der Gruppe) sowie Spiegel mentaler Dimensionen (sie stellen in ihren Formulierungen Haltungen, Selbstbilder, Mentalitäten, Normen und Werte dar). [76] Vorstehender Aufsatz (Verfasser Claus Heinrich Bill) ist der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XI., Folge 57, Ausgabe vom September 2009, Seite 125-136 entnommen. VII. Annotationen
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