|
|||||
Start | Sitemap | Tipps | Anfragen | Publikationen | Neues | Über uns | AGB | Impressum |
|||||
|
|||||
Herkunft als Argument für Adels-HerrschaftStudien zur sozialen Mobilität zwischen Mittelalter und Früher NeuzeitIm Jahre 1821 berichtete eine österreichische Zeitung über das Procedere, wie im Fürstentum Moldau durch performative Rituale und Sprechakte Nichtadelige geadelt wurden. Es war dies ein klassischer Fall von „un/doing nobility“; dazu hieß es zeitgenössisch: „Für sehr merkwürdig und wirklich als ein Beweis römischer Abkunft kann angesehen werden, daß es in der Moldau keinen erblichen Adel gibt. Es gibt nur Parizier-Familien, die zum Adel gerechnet werden, weil seit langen Zeiten mehrere Mitglieder derselben hohe Würden bekleideten. Der Adel ist nur persönlich und wird vom Fürsten durch Verleihung eines Titels, der manches Mahl eine wahre Bedeutung, oft aber nur eine Würde ohne Bürde, irgend ein Hofämtchen, das gar nicht mehr besteht, bezeichnet, verliehen. Die Verleihung aber geschieht, indem dem Geadelten ein goldbrokatner alter Überrock, Kaftan genannt, auf einige Minuten umgehängt und derselbe iu diesem Aufzuge mit Benennung seines Titels dem versammelten Divan vorgestellte wird.“ [1] Andererseits brachte eine weitere österreichische Zeitung eine Meldung über eine Entadelung und persönliche Adelskassation infolge einer als Straftat etikettierten Handlung eines Freiherren; dazu notierte die Zeitung 1913: „ Vor dem Kassationshofe in Wien fand am 10. v. M. die Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde des vom Wiener Landesgerichte wegen Ausspäherei zu vier Jahren schweren Kerkers verurteilten ehemaligen Offiziers Alexander Murmann statt. Der Angeklagte hieß früher Murmann, Freiherr v.Marchfeld, wurde in Przemysl wegen Ausspähung von Festungen zu acht Monaten schweren Kerkers verurteilt, wodurch er den Adel verlor. Die Nichtigkeitsbeschwerde stützte sich vornehmlich darauf, daß das bloße Reisen nach Österreich noch keinen Versuch der Ausspähung bedeute. Der Kassationshof verwarf die Nichtigkeitsbeschwerde und bestätigte das erste Urteil. In der Begründung wird hervorgehoben, daß bei einem berufsmäßigen Spion, und dies sei der Angeklagte erwiesenermaßen, schon das bloße Reisen nach Österreich den Versuch einer Spionage bedeute, weil auch im Eisenbahnwaggon sich Gelegenheit zur Ausspähung ergebe.“ [2] In beiden Fällen, so unterschiedlich sie indes auch sein mochten, war von sozialer Mobilität die Rede, die einmal als „aufsteigend“ und einmal als „absteigend“ bezeichnet werden kann, wenn man sich die (Ver)Gesellschaft(ungen) der jeweiligen Zeit als einen sozialen Raum mit bestimmten (jederzeit verrückbaren) Orten sozialer Hierarchie vorstellt, auf dem bestimmte Menschen saßen, sich setzten oder gesetzt wurden. Auffällig hierbei war, daß stets sich berufen fühlende Aktuer*innen mit behaupteter und auch vielfach geglaubter Autorität Individuen oder Grupenbildungen zu Nicht/Adeligen erklärte, jeweils mithilfe eines hoheitlichen Aktes, sei es einer körperliche Performanz, sei es aber auch nur eines (urteilsbezogenen) Schriftaktes. Soziale Mobilität war abe rnicht nur auf die hier angerissene Formierungsphase der Moderne bezogen, sondern hat es auch in Ständegesellschaften gegeben, auch wenn die Annahme einer ständischen Gesellschaft das Gegenteil zu beinhalten scheint. Doch so starr wie vermutbar sein könnte und in theoretischen Modellen vielfach ehedem postuliert worden ist, scheinen die jeweiligen sozialen Grenzen nicht stets gewesen zu sein. Auch die Vormoderne kannte daher sozialen Wandel, das Aufbrechen der „Stände“, unterschieden sich Idee, Ideal und Praxis. Ein neuer Buchband, der den Titel „Soziale Mobilität in der Vormoderne“ trägt, Erträge aus einer Tagung in Südtirol von 2019 bündelt und der Forschung durch die Publikation zugänglich macht, [3] widmet sich nun eben jenen Vorgängen. Er weckt indes große Erwartungen, ist mit solch einem Bande, namentlich dann, wenn darin auch Adel behandelt wird, doch die Frage verknüpft, wie neue Konzepte und Theorien der aktuellen Adelsforschung eingebaut und berücksichtigt worden sind. In einem einleitenden Beitrag wird dann auch die Richtung skizziert, welche die Beiträge nehmen (Seite 9-31). Angesprochen werden dabei besonders „Fragen, Kontroversen, Thesen“. Als solche bezeichnet der Verfasser des Problemaufrisses die Frage von Starrheit und quantitativer wie qualitativer Unterschiede und Gemeinsamkeiten sozialer Mobilität in Mittelalter und Frühneuzeit. Auch äußert er die Ansicht, daß die wenigsten sozial Aufsteigenden der Unterschicht entstammen würden, sei es nun bei der Frage der Zusammensetzung der Gruppenbildung von Kurienkardinälen im 12. Jahrhundert oder der US-Senatoren im 21. Jahrhundert. Die Frage, ob Leistung oder Herkunft damit maßgeblich für sozialen „Aufstieg“ seien, plädiert er für Herkunft und die besondere Bedeutung von Verwandten in schon ähnlichen Positionen, die es aufsteigenden Personen erleichtern würde, in einer (Ver-)Gesellschaft(ung) respektable Positionen als Eliteangehörige zu erlangen (Seite 15). Schließlich wird auch „der Adel“ behandelt, hier wird davon gesprochen, daß er nicht ausschließlich biologisch und juristisch, sondern auch durch soziale Akzeptanz entstehe und bestehe (Seite 30). Diese Erkenntnis – daß „Herkunft als Argument“ [4] für die Zulassung zu höheren Positionen taugt – läßt, obschon sie nicht neu ist, aufhorchen. [5] Und tatsächlich wird in einzelnen Beiträgen des Sammelbandes auf eben jene soziale Akzeptanz eingegangen, neben den eher üblichen Feststellungen, daß Adel auch durch Selbsternennung und institutionelle Anerkennung gebildet werde. Es waren zunächst aber namentlich Aristokratisierungen, [6] die Nichtadelige dazu benützten, um in den Adel aufzusteigen, wobei eine klare Trennung, vor allem im Mittelalter, nicht als streng getrennt angenommen werden kann.Erwerb und Ausgestaltung eines Ansitzes oder einer Burg (Seite 77-81, 101), der Erwerb eines Adelsbriefes (Seite 85, 101), die Konstruktion von Netzwerken und deren langfristige (wenngleich nicht zeitlos dauerhafte) Absicherung durch eine Betonung adlig-höfischer Kultur (Seite 107) und körpernah geführter Materialitäten (Dinge) wie beispielsweise Grabplatten mit Wappen (Seite 87), selektive Abstammungsnarrative (Seite 86) oder in den Städten die Übernahme von öffentlichen Ämtern (Seite 97) gehörten zu diesen Maßnahmen einer Aristokratisierung in einer „longue durée“. Bezüglich der theoretischen Verankerung der Beiträge kann getrost verwiesen werden auf das in launiger Essayform verfaßte Resumée namens „Bilanz der Tagung“ eines nicht an den Beiträgen beteiligten Beobachtenden der Tagung. [7] Dort heißt es (Seite 408): „In der überwiegenden Mehrheit der durchweg quellengesättigten Beiträge wird indes auf irgendwelche ausführlichen theoretischen Erörterungen, was denn soziale Mobilität in welcher zeitgenössischen Gesellschaftsstruktur auch immer nun eigentlich sein soll, verzichtet beziehungsweise ein einheitlicher Konsens hierüber offenbar vorausgesetzt.“ Wie es in der „Bilanz der Tagung“ weiter heißt (Seite 409), sei eine nähere Theorieerörterung aber ohnehin unerheblich, da im einführenden Beitrag des Sammelbandes mit dem Titel „Soziale Mobilität in Mittelalter und früher Neuzeit. Fragen, Kontroversen, Thesen“ (Seite 9-31) darauf hinreichend eingegangen worden sei; diese Hinführung habe die dann folgenden einzelnen Fallbeispiele „theoretisch entlastet“ und damit hätte sich kurzerhand „ein Stückweit des Definitionsproblems“ (Seite 409) erledigt. Gleichwohl wird deutlich, dass es unter den Beitragenden Kontroversen gegeben hat, die vor allem inoffiziell, bei gemeinsamen Abendessen und sonstigen Gesprächen vor, zwischen und nach den Vorträgen (dessen aufmerksamer Zeuge und Zuhörer der Verfasser der Bilanz gewesen zu sein scheint) geäußert wurden, vor allem hinsichtlich der Definition von „sozialer Mobilität“ (Seite 406) und „Stand“ (Seite 407), alternativ auch „soziale Gruppierung“ (Seite 407). [8] Danach indes, was eigentlich „Adel“ sei, wird nicht gefragt; möglicherweise hat es hier ebenfalls einen Konsens gegeben, der – bedauerlicherweise, wird man konstatieren müssen – stillschweigend an- und hingenommen worden ist. Dabei hat der Verfasser der “Bilanz der Tagung“ wichtige Hinweise auf Kontroversen gegeben, die sich mit Begrifflichkeiten befassen. [9] Dennoch gleicht der Tagungsband insgesamt dem Betrachtenden eines Flusses, der die Quellen ebenso wie die Mündungen desselben nicht hinreichend zur Kenntnis nimmt, sondern an der breitesten Stelle steht, in den Fluß blickt und diesen Ausschnitt für das „non plus ultra“ und die Essenz des Ganzen hält. [10] So entstand neben den Vorträgen in den Gesprächen der Tagung der Gedanke, es könne sich möglicherweise bei „sozialer Mobilität“ um eine „semipermeable Membran“ handeln (Seite 406). [11] Auf die eigentlich naheliegende und auch schon in der Forschung mehrfach ausgesprochene Idee, daß auch „Adel“ als eine solche Membran anzusehen sein könnte, ist man entweder nicht gekommen oder gekommen, aber nicht schriftaktlich in dem Buch geäußert.12 Vielmehr hält man anscheinend immer noch an einer Sichtweise fest, die da lautet, daß die „Stände“ im Kern festgefügt gewesen, an den Rändern aber durchlässiger gewesen seien (Seite 21 und 408). Daß auch „Kerne“ konstruiert waren, scheint hier nicht in Betracht gezogen worden zu sein. [13] Trotz dieser Einschränkung wird man aber die Einzelfälle mit Gewinn lesen können. So wird über den Aufstieg im Hochmittelalter anhand einiger Ministerialen berichtet (Seite 33-64), über die bereits vorerwähnten Artefakte auf dem Weg zur Anerkennung des Adeligseins referiert (Seite 65-92), aber auch der Gleichheitsanspruch bestimmter sich aristokratisierender Nichtadeliger mit dem Adel erforscht (Seite 111-127).Vergleichend werden fernerhin andere soziale Aufstiege herangezogen, so in bestimmten Religionsgemeinschaften (Seite 145-171) oder in stark begrenzen (Sozial-)räumen wie in Dörfern (Seite 129-143). Anspruchshaltungen von Familien und Einzelpersonen auf eine sich möglichst perpetuierende Adeligkeitsanerkennung zeigt eindrücklich weiters ein ikonologisch orientierter Beitrag über die Bildprogramme einer Trinkstube (Seite 221-235). Auch Aufstiege an den Akademien (Seite 173-194) sowie im Montanbereich (Seite 195-220) [14] oder durch Handel in ressourcenarmen Gebirgsgegenden und Talschaften (Seite 387-404) werden hinreichend thematisiert, [15] so daß neben der Perspektive auf den Nicht/Adel jeweils auch andere Bereiche sozialer Mobilität zur Sprache kommen. Besonders für die Nicht/Adelsthemaitk einschlägig ist zudem noch ein ausführlicherer Beitrag zum Sozialprofil des Offizierskorps der k.k. Armee im 17. und 18. Jahrhundert (Seite 271-349; hierbei wird, wie auf Seite 323, auch auf teils stigmatisierende Namenszusätze bei den Adelsverleihungen eingegangen). Zeitlich spannt sich zudem die Frist aller im Sammelband präsentierten Betrachtungen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, räumlich werden europäische Regionen, vor allem aber der südliche deutschsprachige Raum verhandelt. Der voluminöse Sammelband bietet daher eine reiche Fülle an engagierten empirischen Lokal- und Regionalstudien, bleibt aber angesichts des fortgeschrittenen Forschungsstandes auf theoretischer Ebene bisweilen hinter dem „status quo“ zurück. Zweifelsfrei aber bietet der Band aus dem Innsbrucker Universitätsverlag Wagner trotzdem wichtige und bereichernde neue Beiträge zum Thema, die sich mit Gewinn rezipieren lassen, spezifizierenden sie doch weiter das Konzept sozialer Mobilität – dies gilt für beide Richtungen, „aufsteigend“ ebenso wie „absteigend“. Nicht zuletzt diese Doppelorientierung schützt davor, soziale Mobilität nur als „Aufstieg“ zu sehen. Diese Rezension stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A., und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
|
|||||
© Institut Deutsche Adelsforschung - Quellenvermittlung für Wissenschaft, Familienforschung, Ahnenforschung | Seitenanfang |