Institut Deutsche Adelsforschung
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Spuren altgriechischer Renommage in der Kunst

Rezension zu einer Neuerscheinung der Prestigeforschung

Als der norwegisch-amerikanische Soziologe Thorstein Bundle Veblen (1857-1929) sich zum Ende des XIX. Jahrhunderts anschickte, eine weltumfassende soziologische Studie über die Bedeutung von Prestige und Remommage in der Geschichte der Menschheit, vor allem freilich der Menschheit des kapitalistischen Zeitalters in Europa und in den USA zu schreiben, behauptete er zugleich die Globalität und Universalität seines Ansatzes. [1]

Dieser besagte kurz: Wenn Menschen sich in Gesellschaften zusammenfinden, bilden sie Statusgruppen, die sich - hier kann man fernerhin auch mit Pierre Bourdieu sprechen - durch den Verfügbarkeitsgrad auf kulturelles, soziales und ökonomisches Kapital voneinander unterschieden. [2] Allen egalisierenden klassenhaft bestimmten Gleichheitsforderungen zum Trotz, die eine einheitliche und schichtenlose Gesellschaft erfinden wollten [3] - nicht zu verwechseln mit der Gleichheit vor dem Gesetz - bilden sich in Gemeinschaften stets soziale Unterschiede heraus. Diese Unterschiede sind Unterschiede in der Art und Weise, wie Menschen eines bestimmten Ranges ihre Lebenswirklichkeit gestalten. Ausschlaggebend ist dabei, laut Veblen, nicht zuletzt der Willen der sich als elitär verstehenden Schichten, sich besitmmte sonst selten vorkommende Lebenswirklichkeiten anzueignen, die zudem  auch als nonverbale Kommunikationsformen vermittelt werden müssen. Dabei spielt Renommage eine bedeutende Rolle, also eine Beilegung von Würde und Ansehen durch andere, rangleiche oder rangniedrigere Schichten. Diese Anerkennung kann indes nur durch einen Überfluß und die demonstrative Vergeudung von sozialen, ökonomischen und kulturellen Kapital erworben werden: 

Wer durch die Ausstattung und Art der Kleidung, der Architektur, der Fortbewegungsmittel, der Waffen oder der Gebrauchsgegenstände et cetera kommunikativ demonstriert, daß er ein hohes Maß an Verfügungsgewalt über Materielles besitzt, zeigt damit Verschwendung an, die ihrerseits wiederum Renommage erschafft und sozialpsychologisch besehen - in den Augen von Betrachtenden - zu Fehlattributionen führt: [4] Wer Wohlstand zeigt und Dinge oder Zeit oder Gefühle außerhalb des Erwerbslebens scheinbar sinnlos verschwendet, dem traut man zu, erfolgreich zu sein, sowohl im geschäftlichen wie politischen oder religiösen Sinne. Vergeudung im „richitgen“ Maße schafft Attraktivität und Attraktivität ihrerseits wiederum schafft Vertrauen und die Auffassung, attraktive Menschen seien erfolgreicher. Durch diese Zuschreibung bilden sich Vorurteile: Das Vorurteil, daß der, der der Vergeudung huldigt, besondere Fähigkeiten haben muß, die ihn vor „den Anderen“ auszeichnen. Dadurch erhält er, ähnlich wie physisch attraktive Menschen, einen Bonusvorteil, ohne daß die einzelnen Charaktereigenschaften des Menschen oder seine tatsächlichen Fähigkeiten überprüft worden wären. Kurzum gilt: Verschwenderischen Menschen traut man Besonderes zu. Die Eliten jeder Gesellschaft wissen dies und versuchen sich dieser Fehlattributionen daher so umfassend wie möglich zu bemächtigen. 

Ein Beispiel dafür ist der Häkelunternehmer Hermann Anlage aus Hamburg, der kurz nach dem zweiten Weltkrieg Heimarbeiterinnen beschäftigte, die für ihn in Massenproduktion Babyausstattung häkelten. Da sich Unternehmer und Arbeiterinnen nie persönlich trafen, der Unternehmer aber wertvolle Wolle per Post als Grundmaterial ohne Sicherheit verschickte, begann er erst mit kleinen Mengen. Einer 31-jährigen ledigen ländlichen Heimarbeiterin schrieb er nach den ersten erfolgreichen Kontakten und von ihr zu seiner Zufriedenheit gehäkelten Fäusteln im Januar 1956 nach Nordstrand in Nordfriesland: „Ich glaube, Ihnen nun allmählich auch größere Aufträge erteilen zu können. Damit steigen allerdings auch die Werte der Materialien erheblich und dadurch wird die Frage einer eventuellen Sicherheit akut. Diese soll Ihnen gegenüber kein Mißtrauen bedeuten, jedoch ist es sicher verständlich, daß ich mich gegen vermeintliche Ausfälle sichern möchte.“ Er fragt daher anschließend: „Können Sie Bürgen stellen (Hauswirt, Lehrer, Pastor oder sonstige angesehene Personen)? Selbstverständlich ist die Sicherheitsfrage nur für den Anfang erforderlich. Später erledigt sich diese Angelegenheit - ebenso wie bei meinen anderen langjährigen Häklerinnen - allein.“ [5]

Auch hier beruht die Beilegung von Prestige auf einer Fehlattribution: Die Annahme eines pädagogischen oder führenden Berufes in einer Dorfgemeinschaft wird mit Ehrlichkeit, Autorität und Rekommendation verbunden und fehlübertragen. Es schien daher im Denken des Hermann Anlage undenkbar, daß Pastoren sich für Menschen aussprechen könnten, die nicht „redlich“ gewesen sein könnten.

Daß Veblen mit seiner Theorie Recht behalten hat, demonstriert aber nicht nur der zeitgeschichtliche Fall des Hamburger Häkelunternehmers, sondern jetzt auch wieder ein neuer Forschungsband zu altgriechischen Artefakten, der von Hans-Günter Buchholz herausgegeben wurde: „Erkennungs-, Rang- und Würdezeichen“ erschien als vierter Kapitelband einer vielfältigen Reihe „Archaeologica Homerica. Die Denkmäler und das frühgriechische Epos“, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts. [6]

Veblen hat auf die kriegerischen Altkulturen der Antike bereits hinlänglich hingewiesen und leitet von ihnen auch seine Theorie ab, die sich in verschiedenen wandelbaren Formen bis heute erhalten, wenn auch modizifiert haben. Buchholz bringt nun mit ungeheurer Detailkenntnis und Materialfülle Beispiele für eine sehr große Zahl von materiellen Prestigeträgern, die über nonverbale Kommunikation „Ruhm“ und „Ansehen“ produzierten, von denen er selbst sagt, daß sie - aus heutiger Sicht - oft in „Prahlerei“ ausarteten (Seite 12). 

Dennoch ist diese „Prahlerei“ keine persönliche oder angeberische Eigenschaft, sondern hat eine geradezu als systematisch zu bezeichnende soziale und kommunikative Funktion: Sie zeigt auch in der griechischen Antike an, was nicht gesagt werden soll: Soziale Unterschiede, die über Thron, Ornat, Kleidung, Schmuck, Waffen und Szepter manifestiert und symbolisiert werden. Denn alle dieser genannten Materialgruppen haben einen über das rein Ökonomische hinausgehende Ausstattung, die lediglich der Repräsentation eines Statusniveaus gilt, die nicht erforderlich wäre, wollte man die Gegenstände allein zu wirtschaftlichen Zwecken nutzen. Buchholz und seine Mitverfassenden wenden sich akribisch diesen „Mehrwertgegenständen“ zu, die sie nicht nur in Wort und Bild beschreiben, sondern auch analysieren. Im Bereich der Fußbekleidung betrachten sie die Ausführung und stellen fest, welche sinnbildhaften Bedeutungen den Schuhen einst beigemessen wurde; dabei werden teils auch etymologische Studien betrieben (Seite 93-99) sowie über die Nacktheit der Füße referiert. So schafft Buchholz in vielen Bereichen der altgriechischen Artefaktik ein umfangreiches und durch Literatur abgestütztes Kaleidoskop der Werte, die zunächst unerkannt hinter den offensichtlichen Ritualen, Gegenständen, Symbolen und Helden der Kultur stehen. [7]

Buchholz versteht es, den semiotischen Kulturbegriff über die materiale Dimension hinaus sozial zu verorten und mental zu decodieren, Mentalitäten, Selbstbilder, Normen und Werte zu offenbaren. [8] Dazu zählen auch Ausführungen beispielsweise über Schildfiguren auf Schutz- und Verteidigungswaffen. Mit denen, so Buchholz, häufig nonverbal die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit kommuniziert werden sollte. Motive wie sich aufbäumende Pferde, Adler, Gorgonenköpfe, Schlangen et cetera zeigten an, daß sich der Träger dieser Defensivwaffen Gefährlichkeit zuschrieb und hoffte, daß auch diese Fehlattribution seitens seiner Gegner erfolgte, die dadurch dann eingeschüchterter sein sollten, um so deren Kampfeskraft im Krieg bereits im psychologischen Vorwege zu schmälern (Seite 185-190). 

Buchholz, von dem die meisten Beiträge dieses Bandes stammen, nimmt in sienem Werk immer wieder auch interkulturellen und interepochalen Bezug auf kanaäische, phönizische, mykenische, ägyptische, assyrische oder urartäische Vorbilder, mit denen er die altgriechische Würde- und Rangzeichenkunst vergleicht. Insgesamt hat er eine Untersuchung geschaffen, die zahllose Beispiele einer teils kulturell sehr hochstehenden, sozial stark klassifizierten und teils auch korrupten Ämterhierarchie schildert, ohne jedoch ihren für heutige Verhältnisse hohen künstlerischen Wert zu vernachlässigen. Überhaupt ist Kunst zumeist das, was aus dem Alltag herausragt und mit besonderen Attributen versehen ist: Eben das, was Eliten aller Zeiten abseits der rein wirtschaftlichen Zwänge schufen, und das gilt - Buchholz hat dies eindrucksvoll unterstrichen - auch für die altgriechische Kunst, wie sie uns aus Grabungen überliefert ist.

Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XV. (2012), Folge 70

Anntoationen:

  • [1] = Dazu  Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958, 383 Seiten
  • [2] = Siehe hierzu das Diagramm bei Claus Heinrich Bill: Frau, Adel, Stand und Geschlecht im Ancien Regime, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang II., Owschlag 1999, Folge 9, Seite 454
  • [3] = Ein Beispiel hierfür ist Ilse Krasemann & Fred Matho (Herausgebende namens der Parteihochschule Karl Marx beim Zentralkomitee des Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands): Polistisches Grundwissen, (Ost-) Berlin 1972, Seite 107 
  • [4] = Dazu Brian Parkinson: Soziale Wahrnehmung und Attribution, in: Klaus Jonas & Wolfgang Stroebe & Miles Hewstone (Herausgebende): Sozialpsychologie, Heidelberg 5.Auflage 2007, Seite 69-109
  • [5] = Archiv des Instituts Deutsche Adelsforschung, Nachlass 344/55 (Elly Asmussen, 1922-2012), Mappe 43: Schreiben von Hermann Anlage in Hamburg an Elly Asmussen auf Nordstrand vom Januar 1956, Seite 1
  • [6] = Hans-Günter Buchholz (Herausgebender): Erkennungs-, Rang- und Würdezeichen. Mit Beiträgen von Imma Kilian-Dirlmeier, Brinna Otto und Diamatis Panagiotopoulos, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 337 Seiten mit zahlreichen schwarz-weißen Abbildungen, Preis: 89,95 Euro.
  • [7] = Siehe hierzu das „Eisbergmodell der Kultur“ bei Laurenz Volkmann: Die Vermittlung kulturwissenschaftlicher Inhalte und Methoden, in: Klaus Sierstorfer & Laurenz Volkamnn (Herausgebende): Kulturwissenschaft interdisziplinär, Tübingen 2005, Seite 282 sowie das „Zwiebeldiagramm der Kultur“ bei Geert Hofstede & Gert Jan Hofstede: Lokales Handeln, globales Denken. Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management, München 5.Auflage, München 2011, Seite 8
  • [8] = Zum „semiotischen Kulturbegriff“ nach Nünning & Sommer siehe Laurenz Volkmann: Die Vermittlung kulturwissenschaftlicher Inhalte und Methoden, in: Klaus Sierstorfer & Laurenz Volkamnn (Herausgebende): Kulturwissenschaft interdisziplinär, Tübingen 2005, Seite 279

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