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Status- und Prestige-Konsum als Strategien des AdelsZum Spannungsverhältnis zwischen Statuskonsum und KreditverpflichtungZwei nebeneinander gestellte Pressemeldungen aus unterschiedlichen Zeiten wie Räumen und damit Veröffentlichungen privater adeliger Verhältnisse, die einen tieferen Einblick in die Selbstbehauptungsstrategien von Adeligen – und die Reaktionen sozialer Umgebungen darauf – in einer noch ständisch geprägten Gesellschaft ermöglichen, scheinen – zunächst – ein gemeinsames Thema nicht zu haben. Der ersten Meldung, die hier beispielhaft als Typus herangezogen wird, liegt ein Ereignis zugrunde, welches sich 1880 im oberösterreichischen Innviertel abspielte. Hierzu berichtete eine Zeitung:„Wie uns aus Oberndorf unterm 30. v. berichtet wird, erschien vor einigen Tagen zu Ostermiething an der Salzach im Gasthause des Franz König ein fremder, gut gekleideter, schöner und hochgebauter Mann, welcher sein Nachtquartier im Pferdestalle nahm. Als am folgenden Morgen sehr zeitlich eine Gendarmerie-Patrouille von Wi1dshut die übliche Nachschau nach Fremden pflog und auch jenen Stall betrat, wurde der Fremde zur Aufzeigung seiner Nachweisungen aufgefordert, worauf sich derselbe als Graf Max v. Tattenbach, in Rußland geboren, nach München zuständig, auswies. Da derselbe aber ganz ohne Subsistenzmittel war, er hingegen nur eine Hotelrechnung jüngster Zeit von 288 fl. und einen Schneiderkonto über 38 fl. bei sich hatte, so stieg im wachsamen Organe der öffentlichen Sicherheit der Verdacht auf, daß in dem angeblichen Grafen irgend ein Hochstapler maski[e]rt sein könne und nahm dessen Verhaftung vor [...] (Dürfte der am 19. Oktober 1842 gebor[e]ne Graf Maximilian von Tattenbach und Rheinstein, Graf von Valley etc. sein, dessen Mutter eine gebor[e]ne Russin und der sammt [sic!] 4 Brüdern und einer Schwester in Rußland geboren ist. Uebrigens hat das uralte und berühmte Geschlecht der Grafen Tattenbach wiederholt solche verunglückte Familienmitglieder aufzuweisen; so ist beispielsweise vor mehreren Jahren ein Graf Tattenbach als Arbeiter bei der Bastei-Demoli[e]rung in Wien in Noth und Elend gestorben. Anm. d. Red.).“ [1] Die zweite Meldung dagegen betraf einen anderen Fall. In Bayern lebte im 19. Jahrhundert Hugo Graf v.Waldbott-Bassenheim (1820-1895), als Oberhaupt eines standesherrlichen Hauses das Recht auf die Anrede „Erlaucht“ besitzend. Obschon Erbe eines bedeutenden und weit verzweigten Grundvermögens, hatte er sich wegen eines extravaganten Lebensstils finanziell stark übernommen. Daher wurde 1867 in den Zeitungen seine Zahlungsunfähigkeit bekannt gemacht: „Der Konkurs des Grafen Bassenheim kommt dieser Tage bei dem Bezirksgerichte in München zur Verhandlung, nachdem die bisherigen Arrangementsversuche erfolglos geblieben sind. Die Aktivmasse besteht zur Zeit nur aus einer Barschaft von 46.800 fl., während die bisher bekannten Passiven den Betrag von 1.900.000 fl. übersteigen; ob wohl der Herr Graf aus diesem Konkurse nicht reicher hervorgehen wird, als er je gewesen?“ [2] Daraufhin sollte das gräfliche Allodialvermögen im Juni 1867 öffentlich in München vor dem Bezirksgericht versteigert werden. Die 46.800 Gulden wurden zwar auf der Habenseite um 27.000 Gulden Außenstände des Grafen noch vermehrt, doch wurden diese Außenstände teils bereits durch Dritte beansprucht und konnten daher nicht ganz zur Aktiva gerechnet werden. [3] Beide Meldungen betreffen, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, ein zentrales Phänomen des Adeligseins, das sich mit dem Begriff des Statuskonsums umschreiben läßt. [4] Im ersten Falle fehlte entsprechender Statuskonsum aufgrund der Verarmung des Grafen Tattenbach, der jedoch nicht über seine Verhältnisse lebte, sondern bescheiden war. Doch gerade diese Bescheidenheit brachten den Grafen in Schwierigkeiten, da soziale Umwelten sein Adeligsein anzweifelten. Er konnte dabei publikumsseitige Erwartungen nicht erfüllen und mußte daher einen mindestens temporären Image-Schaden an seiner Identität in Kauf nehmen. Auch Graf Bassenheim mußte unter diesem Imageschaden leiden, allerdings wegen eines unverhältnismäßig hohen Statuskonsums, der ihn schließlich zum Konkurs brachte und bereits zuvor durch den Verkauf zahlreicher Grundvermögen von der landsässigen Grundlage seiner Familie abbrachte. In beiden Fällen gefährdete damit ein quantitativ unangemessener Standeskonsum die Herstellung von Adeligkeit in den Augen der sozialen Umwelten. Daher wiesen die beiden Fälle auf die Wichtigkeit hin, einen jeweils adäquaten Ausgabenstil zu pflegen, um Adeligkeit zu erhalten, nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig. Denn Adel war, gemäß des Konzeptes „Un/doing Nobility“, nicht nur von Selbstinszenierungen, sondern auch der Anerkennung von anderen Adeligen und Nichtadeligen abhängig, konnte so erst entstehen, perpetuiert oder bezweifelt werden. [5] Dabei dürfte Tattenbachs Understatement eher revidierbar gewesen sein als Bassenheims Overstatement in Sachen notwendiger Standesausgaben. Die beiden scheiternden Fälle des Einsatzes statuskonsumistischer Strategien haben gezeigt, wie wichtig das richtige Verhältnis zwischen Ausgabe und Repräsentation beim Adel war. Selten indes ist dieses allgemein spannungsgeladene Verhältnis in der geschichtswissenschaftlichen Adelsforschung analysiert worden. Diesem Forschungsdesiderat widmete sich im Jahre 2018 jedoch Sven Solterbeck in seiner Münsteraner Dissertation „Blaues Blut und rote Zahlen“ [6] Er untersucht 17 verschiedene Konkursverfahren westfälischer Adelsfamilien, u.a. anhand der Theorie der Normenkonkurrenz und dem Konzept der „sozialen Rollen“; [7] dies alles zwischen den Jahren 1700 und 1815. So versuchten die Familien einerseits einmal eingegangene Schuldverpflichtungen möglichst zu erfüllen, um sozialen Umwelten keinen Anlaß für die Vermutung eines Prestige-, Ansehens- und damit Vertrauensverlustes zu bieten. Andererseits wollten die Familien des Adels aber vielfach auch nicht auf Grund und Boden verzichten, da beispielsweise ein Verkauf dieser adeligen Grundlagen (der „Schollenbindung“), vor allem für die adelige „Folgewelt“ ebenso abträglich war. [8] In beiden Fällen ging es um die Erhaltung des „splendor familiae“ (des Familienglanzes), [9] spezifischer der Familienehre. Adelige nahmen daher nicht nur persönlich Kredite bei sozialen Umwelten auf, sondern hafteten bei dieser Kreditnahme stets auch mit ihrer und der Ehre ihrer Familien und ihres Namens. So konnten nichtadelige Gläubiger*innen ehrvermindernde Verfahren bei säumigen Adelschuldner*innen anwenden, indem sie Konkurse öffentlich machten, Schmähungen publizierten und verbreiteten oder Schuldforderungen bis zur Zwangsversteigerung exekutierten. Zwar erwuchsen den finanziell in Not geratenen Adeligen – aus Gründen der Standessolidarität – bisweilen Hilfestellungen der jeweiligen fürstlichen Landesherrschaften, jedoch waren auch diese Hilfen nicht selbstverständlich. Hierbei erwiesen sich Lehngüter und Fideikommisse sowohl als hinderlich als auch als förderlich, waren diese gebundenen Familienvermögen doch einerseits eine Versicherung zur Erhaltung der Familienehre, konnten aber andererseits (wegen ihrer Unveräußerlichkeit) nicht als Schuldsicherheitsmasse für Gläubiger zur Verfügung stehen. Diese Vorgänge hat Solterbeck beispielhaft in seiner mikrohistorischen Studie, die sich auf vier Adelsfamilien (Wendt, Plettenberg, Nagel, Kerckerinck) beschränkt, ausgelotet, dabei reichhaltiges unpubliziertes Material aus hessischen, Bundes-, westfälischen und ehedem adeligen Privatarchiven herangezogen. Solterbeck versteht die Kreditnahme und -vergabe in seinem theoretischen Ansatz als Gabentausch nach der Theorie von Marcel Mauss, als reziprokes Verhältnis zwischen Kreditgebenden und -nehmenden. Diese Theorie könnte indes besonders auch für die neuere Adelsforschung allgemein und die Genese und Produktion von Adeligkeit eine wichtige Rolle spielen. Denn Solterbeck bemerkt, daß man es in der Vormoderne vielfach bei Sozialkontakten mit einem Gabentausch zu tun habe, der über eine „moralische Ökonomie“ geregelt worden sei, d.h. mit dem System der Gabe und ungeschriebener Verpflichtung der Gegengabe (Seite 16-17), wobei es keine Rolle spiele, ob die Gabe materiell oder immateriell sei. Demnach würden Beziehungen zwischen Menschen auf Reziprozität beruhen. Dies scheint besonders hinsichtlich der Temporaradelsforschung von Bedeutung zu sein. [10] Gegeben wurde von Temporaradeligen, bislang vielfach in der Forschung „Hochstapler“*innen genannt, die auf „niedere“ Stände abfallende Huld ihres Abglanzes (Equity-Theorie), von den anderen Beteiligten wurden Kredite vergeben, meist in Form geldwerter Gaben. Auch dies war somit eine Art von Gabentausch, auch wenn er oft abrupt durch die Flucht der Temporaradeligen abgebrochen wurde. Doch nichts Anderes war seitens der Temporaradeligen beabsichtigt; sie wollten den Gabentausch-Zyklus unterbrechen und nicht ihrerseits erneut mit einer Gegengabe antworten. Ihnen ging es auch nicht vordergründig um die soziale Beziehung und deren Festigung, sondern allein die Annahme der Gabe. [11] Wird dies schon bei gewöhnlichen Temporaradeligen deutlich, so noch mehr bei sogenannten „Heiratsschwindler“*innen, bei denen sowohl Temporaradelige als auch deren soziale Umwelten von gänzlich unterschiedlichen Zielen und Motiven ausgingen. Dennoch sind die Parallelen auffallend: Solterbeck forscht über Kredite und nichts Anderes waren ja auch die Gabentauschaktionen zwischen Gesellschaft und Temporaradeligen – Vertrauen war auch ein Kredit. Solterbeck betont jedoch auch, daß eine Nichtrückzahlung eines geldlichen Kredits einen Wortbruch und damit eine Ehrschädigung bedeutete. Mithin konnte drohender Ehrverlust oder auch eine Ehrminderung [12] ein existentielles Problem für Adelige werden (Seite 393), da sie diese Schädigungen meist zu verschweigen suchten, beispielsweise durch Aufrechterhaltung ständischer Lebensweise nach außen. Kreditnahmen bei Adeligen waren daher vielfach eine schwierige Gratwanderung, da sich in Normenkonkurrenz der Statuserhalt und die Verpflichtung von Geldzahlungen gegenüberstanden. Besonders prekär wurde die Lage bei Zahlungsunfähigkeit und bei Konkursen. Solterbeck hat hierzu herausgearbeitet, daß es dann verschiedene Möglichkeiten der Reaktion gab. Einige Erben lehnten die Verantwortung für die Schulden ihrer Väter ab, andere strebten zum Erhalt der Familienehre Vergleiche an, wo die volle Summe nicht mehr beglichen werden konnte (Seite 396-397). Einzelne Familien hingegen mußten ihre Güter verkaufen, litten dadurch an Ehre und Privilegien, verloren den Status als Reichsritter oder Ritterschaftler (Seite 397). Die schlimmste Ehrschädigung aber war die Erklärung zum Verschwender. Dabei existierte eine grundsätzliche Spannung zwischen demonstrativer Verschwendung im Sinne des Statuserhalts [13] und einer übermäßigen Verschwendung, die – durch das Aufbrauchen von Subsistenzmitteln – in den ökonomischen Untergang führen konnte. Diesen grundsätzlichen Spagat beschrieb ein den Adel abwertender bürgerlicher Text des Jahres 1908 zudem sehr treffend anhand eines gräflichen Ehepaars, das über seine Verhältnisse gelebt hatte. Kennzeichnend dabei war, daß der unbekannte Autor des Zeitungsartikels kein Verständnis für Statusausgaben des Adels finden konnte. Bemerkenswert war ferner die Selbstsicht und Erklärung der hohen Geldausgaben der betroffenen Grafenfamilie. Hierzu hieß es zeitgenössisch: „Vor den Pariser Gerichten findet zurzeit ein Ehescheidungsprozeß statt, der einen interessanten Einblick gewährt in die Fähigkeiten einer Frau, Geld und Geldeswert nur so umherzuschleudern. Der Graf de Cholet heiratete vor mehreren Jahren ein Fräulein Boulères-Seillière und jetzt klagt der Gatte auf Scheidung wegen der immensen Verschwendungssucht seiner Frau, die den finanziellen Ruin der Familie herbeigeführt hat. Als der Graf die Ehe schloß, war er Direktor einer türkischen Eisenbahngesellschaft und bezog ein Gehalt von 80.000 Franken. Seine Frau brachte außerdem die Kleinigkeit von 2.200.000 Franken in die Ehe mit. Das neuvermählte Paar zog nach Konstantinopel und auf Betreiben der Frau nahm man eine Wohnung in Konstantinopel und mietete gleichzeitig eine Villa in Therapia. Außerdem besaß die Gräfin zwei Wohnungen in Paris, von denen die eine 8.000 und die andere 16.000 Franken jährliche Miete kostete. Besuchte das Paar aber einmal die französische Hauptstadt, so bestand Madame darauf, daß man in einem eleganten Hotel abstieg und in einem mondainen Restaurant speiste, was den Tag 200 Franken kostete. Nach zwei Jahren wurde dem Paar ein Kind geboren, und die Gräfin ließ aus Paris zwei Hebammen und einen berühmten Arzt nach Konstantinopel kommen. Dem Manne kostete die Geburt infolgedessen 15.000 Franken. Die Gräfin Cholet verstand es nun, ihren Gatten zu überreden, daß er ihr ein Schloß bei Brüssel kaufte. Hier bekam Madame eine wahre Bauwut. Sie ließ große Hühnerställe, Kuhställe, Orangerien und Volieren erbauen, die allein ein kleines Vermögen verschlangen. Schließlich mußte der Graf Konkurs ansagen, nachdem seine Frau für 140.000 Franken Edelsteine, Schmucksachen und echte Spitzen versetzt hatte. Vor Gericht erklärte die Verschwenderin, daß sie nur standesgemäß gelebt habe. In acht Tagen soll das Urteil gesprochen werden.“ [14] Die in diesem Text exemplarisch zum Ausdruck kommende Dichotomie von zugleich gültigen Normanforderungen hat auch Solterbeck für sein westfälisches Untersuchungsgebiet, u.a. aus der „Sattelzeit“, eindrücklich analysiert, so daß seine Dissertation als ein weiterer begrüßenswerter Baustein zu einer immer umfänglicher werdenden Adelsdevianzthematik in der deutschsprachigen Nobilitätsforschung verstanden werden kann. Diese Rezension stammt von Dr. Claus Heinrich Bill, M.A., B.A., und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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