Institut Deutsche Adelsforschung
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Performativkunst als höfischer Repräsentationsaktant im Lustschloß Schwetzingen

Artifiziell gestaltete Natur im Garten und in Operndarstellungen in Beziehung zueinander
 
Sich eine Oper halten (sprich sie zu finanzieren oder die Potenz zu besitzen, ökonomisches in kulturelles Kapital verwandeln zu können), war für einen Barockfürsten ein performativer Repräsentationsaktant, für die Geschichte der Musik oft ein Glücksfall, da fürstliches Mäzenatentum ganze Theater und Opern mit zugehörigem Personal an Tänzer:innen, Musiker:innen, Kostümschneider:innen, Maskenbildner:innen, Komponist:innen und Bühnenbildner:innen beschäftigte; dies nicht nur temporär, sondern teils auch über viele Jahre hinweg. Was Adelskritiker:innen als vielgeschmähte Verschwendungssucht des Adels erschien, war auf der anderen Seite der Medaille aber eben auch eine bisweilen erhebliche Förderung der Künste, eine prestigeträchtige Handlung, da sie vorwiegend keinen nützlichen, sondern in erster Linie ästhetischen Zwecken (die aber auch, in einem anderen Sinne, nützlich waren) diente. [1]

Dies traf beispielhaft zu auf die Oper „Alceste“ zu; sie galt Pasqué (1861) zufolge immerhin als „die erſte deutſche Oper der neuen Zeit“. [2] Dieses Pionierwerk deutscher Singspiele, aufgeführt zuerst von der Seiler’schen Schauspielgesellschaft, wurde unter anderem von Fürst:innen gefördert: „Die erſte Stadt, die nach Weimar die ‚Alceſte‘ zur Aufführung brachte, war Gotha. Dorthin war Seiler mit ſeiner Geſellſchaft gezogen, als am 6. Mai 1774 ein furchtbarer Brand das Schloß zu Weimar, die alte ‚Wilhelmsburg‘ mitſammt dem Theater in Aſche legte, und ſomit das ſo ſchön aufblühende Hoftheater und alle weitern künſtleriſchen Beſtrebungen mit einem Schlage vernichtete. Auch in Gotha machte die Oper großes Glück und Aufſehen, anfänglich in der urſprünglichen Weimarer Beſetzung, dann, nach Abgang des Hrn. und der Fr. Hallmuth, mit Hrn. Dauer als Admet und Dem.[oiselle] Preuſing als Parthenia.

Die Seele des Ganzen blieb aber immer Mad.[ame] Koch, ohne welche eine Aufführung geradezu unmöglich geweſen wäre. Eine weitere Aufführung fand 1774 bei der Marſchandſchen Geſellſchaft zu Frankfurt ſtatt, wobei Hr. Huck und Fr. Borchardt die Hauptrollen ſangen. Doch die folgenwichtigſte Vorführung der ‚Alceſte‘ war die auf den kurfürſtlichen Hoftheatern zu Mannheim und Schwetzingen. Der Kurfürſt Karl Theodor [von der Pfalz], welcher eine (aus italieniſchen und deutſchen Sängern gebildete) italieniſche Oper hielt, befahl 1775 eine Aufführung der ſo allgemeines Aufſehen erregenden deutſchen Oper. Am 13. Auguſt jenes Jahres wurde ſie (zum erſten Male und am 20. desſelben Monats wiederholt) in Schwetzingen und im Beiſein des Kurfürſten, der Kurfürſtin und des ganzen Hofes aufgeführt. Welche Revoluzion dieſe Aufführung der deutſchen ‚Alceſte‘ bei den Sängern und Zuhörern hervorgebracht haben muß, läßt ſich leicht denken. Bisher nur gewohnt, in italieniſcher Sprache zu ſingen, mußten ſich die Künſtler – meiſtens Deutſche – [...] zu der ungewohnten, nicht ſo ſangbaren deutſchen Sprache bequemen, und ſiehe, es gelang über alles Erwarten.

Die Zuſchauer hörten ſtatt der fremden Sprache, in der ſie bisher nur Opern zu hören gewohnt geweſen, plötzlich ihre eigene deutſche Mutterſprache, und da die Muſik durchaus nicht ſchlechter als die der italieniſchen Opern war, ſogar durch die bekannten Laute höhern Reiz erhielt, ſo machte das anfängliche Erſtaunen über das Neue, Ungewohnte, bald einer wahren Befriedigung, ja einem ſeltenen und nach haltigen Enthuſiasmus Platz. Dem ‚Deutſchen Merkur‘ wird aus Schwetzingen berichtet, daß der große Beifall, den die ‚Alceſte‘ gefunden, in vielen, wenn nicht den meiſten Zuhörern den Wunſch erregte[,] deutſche Singſpiele dieſer Art über die ausländiſchen die Oberhand gewinnen zu ſehen. Und ſo geſchah es: Schweitzer's ‚Alceſte‘ verſchaffte der deutſchen Oper nicht allein Eingang am kurfürſtlichen Hofe, ſondern gewann ihr auch feſten Boden und den reichſten fürſtlichen Schutz. Die nächſte Folge war die Berufung Marſchands mit ſeiner Geſellſchaft, und die weitere ſelbſtändige Entwicklung der deutſchen Oper am kurpfälziſchen Hofe. Bald folgten noch andere Aufführungen der ‚Alceſte‘, und ſo lernten denn nach und nach die deutſchen Muſiker und das deutſche Publikum die von ihrem eigentlichen Urheber ſo laut angeprieſene Oper, die neue Gattung von deutſchen muſikaliſchen Darſtellungen kennen.“ [3]

Schwetzingen und die dortige Opernbühne waren also Pasqué (1861) zufolge mithin wichtige Sprungbretter für die Erfolge und die Entstehung beziehentlich das Populärwerden der deutschen Oper, können als Initialisierung verstanden und bewertet werden, trafen sie doch, wie besehen, auf entsprechende Zündungswilligkeit bei dem Publikum. Die Liminalitätsoper „Alceste“ spielt indes, entsprechend der herausgestellten Bedeutung, auch eine Rolle in einer neuen Veröffentlichung einer schweizerischen Theater- und Musikwissenschaftlerin, die damit, im Jahre 2015 bereits, einen Doktorinnengrad erlangt hatte; die Studie erschien indes erst 2024 beim Züricher Chronosverlag unter dem Titel „Oper, Garten, Lustschloss. Natur im Musiktheater und die Gartenanlage der kurfürstlichen Sommerresidenz Schwetzingen im 18. Jahrhundert“. [4] Ihr Alleinstellungsmerkmal ist es, daß sie Musiktheater und gestaltete kulturelle Natur im 18. Jahrhundert in Beziehung zueinander und aufeinander untersucht.

Schwetzingen eignete sich für Musiktheater dabei in besonderem Maße, da in der Garten- und Parkanlage verschiedene Naturzustände dargestellt worden sind, die in den Opern aufgegriffen werden konnten. Der Schwetzinger Garten war zwar eine Barockanlage mit fein gezirkelten Wegen und in geometrische Formen gepreßten Pflanzenanordnungen und Pflanzenformen, die hier, in der kurfürstlichen Sommerresidenz, unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel seinen materiellen Ausdruck gefunden hatte. Dieser Ausdruck korrespondierte auffällig, so eine Erkenntnis der vorliegende zu besprechenden Dissertation, mit der gestalteten Natur. Im Schwetzinger Theater, Mitte des 18. Säkulums eröffnet, wurden viele Stücke gespielt, die vor „natürlicher“ Kulisse gespielt wurden. Dieser Verwandtschaft zwischen Garten- und Theaterbühne spürt die Publikation geschickt und aus einer hybridisierten Perspektive in den vielen beobachtbaren Verästelungen nach.

Eine davon ist das wechselseitige Erleben von Naturschauspiel in der Oper und Gartengenuß außerhalb des Theaterraums, so daß der Garten als Einstimmung oder Ausleitung eines Theaterbesuchs dienen konnte, die Opernwelt im Garten vorbereitet wurde, das Opernerlebnis im Garten ausklingen konnte. Diese Sichtweisen der wechselseitigen Beziehung einer doppelten Bühne (auch der Garten war eine Bühne, innerhalb dessen die abgegrenzte Theater- oder Opernbühne stand) lotet die Arbeit durch eine „dichte Beschreibung“ aus, hybridisiert außerdem immer wieder Garten und Theater im Wesen allgemein, aber auch in der speziellen Kombination von Schwetzingen und den dort aufgeführten Opern. Dies bot sich deswegen an, weil in Schwetzingen viele Opern aufgeführt wurden, aber auch viele Bühnenbildentwürfe und Libretti überliefert sind; zurückgegriffen wurde auf diese und andere Quellen als eine reiche Fundgrube und ein Schatz, der zur Auswertung bereit lag und die eine, wie es aus Sicht der nicht musikwissenschaftlichen, wohl aber kulturwissenschaftlichen Adelsforschung scheint, fachkundige Bearbeiterin gefunden hat.

Auch überzeugt der theoretische Rahmen der umfangreichen Arbeit, der sich namentlich aus der Beachtung des Bourdieu’schen Habituskonzeptes, den Nelle’schen künstlichen Paradiesen und den Foucault’schen Heterotopien speiste (Seite 16-21; mit Bemerkungen zur Verwandtschaft der Begriffe „Habitus“ und „decorum“ auf Seite 20). Zugleich ist die Arbeit dezidiert hermeneutisch aufgebaut, ist in ihrem Erkenntnisinteresse am Verstehen orientiert. Dies impliziert zwar keine praxeologische Sichtweise, aber ermöglicht doch eine Rückbindung der Theater- und Gartenthematik an das Soziale, was namentlich aus Perspektive der Adelsforschung vielversprechend erscheint.

Diese Adelsbezüge zeigen sich nicht allein im Bau des nicht dem praktischen Nutzen gewidmeten Lustschlosses mit Lustgarten, fernab der Mannheimer Residenz, sondern auch in den Opernstoffen, die zur Aufführung kamen. Da ging es in „La contadina in corte“ beispielsweise um „den Werdegang eines Bauernmädchens [...], der durch die Heirat mit einem Adligen die Überwindung ihres Standes gelingt“, während ein anderes, wenngleich ähnliches Motiv aus Schwetzinger Opern darin bestand, daß „sich die tugendhaften Mädchen von vermeintlich niederer beziehungsweise unbekannter Herkunft schließlich doch als von Geburt an adelig und dem bevorzugten Heiratskandidaten vom Stand her ebenbürtig“ erwiesen (Seite 81), wobei die Hauptfigur, „das Begehren des Adels nach größter Natürlichkeit“ (Seite 273) verkörpere, damit Anklänge an die Literatursorte der Schäferspiele und der darin sich ausdrückenden Adelssehnsucht nach den imaginierten schönen Seiten des Landlebens Platz gab. [5]

Aber auch ständeübergreifende Theater im Freien mit Maskenbällen zur Umgehung und temporären Außerkraftsetzung der Hofrangfolge werden thematisiert und vorgestellt, wobei derlei Sozialformen auch dem patriarchalen Idealbild des Fürsten inmitten seiner (möglichst idealiter „braven“) Untertanen dienen sollte (Seite 325-326). Ein besonderes Augenmerk richtete die Verfasserin zudem auf die drei Naturzustände Wildnis („sauvage“), Landschaft („cchapêtre“) und Garten („cultivé“), verstanden durchaus nicht als eine strikte Evolutionsfolge, sondern eher ein zeitgleiches Nebeneinander), die vielfach sowohl im Schwetzinger Park als auch auf der Schwetzinger Opernbühne mit zugehörigem Personal und entsprechenden Ortseffekten (Adelige in Palästen und festen Häusern einerseits und sowie Bauern und Hirten in der Landschaft andererseits; Seite 239) zu sehen war.

Aus einer weiter entfernteren Perspektive meistert die vorliegend zu besprechende Arbeit im Übrigen den Spagat zwischen Garten- und Musikgeschichte. Ein erster Abschnitt ist der Schwetzinger Sommerresidenz insgesamt gewidmet, bevor die dortige Musiktheaterpraxis und die Gartenanlage erörtert werden. Anschließend werden zwei größere Abschnitte den jeweiligen Naturdarstellungen in Opern zwischen 1753 und 1776 gewidmet, um abschließend die Schilderung eines interständisch gefeierten Heckentheaters von 1775 aus Gründen der Genesung des  kranken Kurfürsten von der Pfalz zu thematisieren. Bei diesem Gartentheater erfolgte eine geschickte örtlich-thematische Verknüpfung von Garten, Oper, Libretti und Dekorationsentwürfen. Diese Verbindung herausgearbeitet zu haben, auch die Stellung der Musik und der Oper als teils interständisches Projekt mit den in Theaterkulissen und Garten gleichermaßen symbolisierten Umgebungs- wie Sozialstadien von Wildnis, Landschaft und Garten einerseits, andererseits aber auch die Selbstinszenierung des Kurfürstenpaares als Repräsentantinnen eines Volksfürsten und einer Jagdherrin andererseits machen den Reiz der Untersuchung aus.

Die Arbeit legt zudem überzeugend und innovativ allerlei Spezialaspekte dar, so den Garten als Inselreich, die Faszination “unkultivierter Landschaften“ und des „Ursprünglichen“, das aber zugleich auch Projektionsfläche für Ängste und “das Wilde“, Ungezügelte, Ungeformte werden konnte. Im Fazit mag zwar der Vorschlag für die Intendanz des Schwetzinger Theaters überraschend sein, man möge die bisherigen Stücke absetzen und stattdessen an die Tradition des Schwetzinger Hoftheaters unter dem Kurfürsten Carl Theodor sowie des wieder zu belebenden Heckentheaters anknüpfen. Insgesamt besehen aber ist die innovative Studie detailreich, geht musik- und theaterhistorisch in die Tiefe, zeigt auch die praktische Umsetzung der vielleicht wichtigsten gartenmetaphorischen Verflechtung des Mottos „Du bist die Sonn´, die Blumen wir!“ (Seite 337), die den Untertanen in den Mund gelegt wurde und zeigt, daß Gärten und Parks stets nicht allein natürlich-kultürliche Dimensionen zu eigen waren, sondern daß ihnen – exemplifiziert am Schwetzinger Beispiel auch der deutschen Singspiele – stets auch gesellschaftliche und damit soziale Dimensionen innewohnten.

Diese Rezension erscheint auch gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung und stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill (August 2025). Zu den Annotationen:

1 = Dazu siehe Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 3. Auflage 2015, 381 Seiten.

2 = Ernſt Pasqué: Alceſte von Wieland und Schweitzer. Die erſte deutſche Oper der neuen Zeit, in: Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik (Wien), Band VII, Nr. 37 vom 15. September 1861, Seite 577.

3 = Helena Langewitz: Oper, Garten, Lustschloss. Natur im Musiktheater und die Gartenanlage der kurfürstlichen Sommerresidenz Schwetzingen im 18. Jahrhundert, Zürich: Chronosverlag 2024, 435 Seiten mit Illustrationen und Notenbeispielen, erschienen im Format von 24,4 cm x 16,2 cm sowie als Band XXI der Schriftenreihe „Materialien des Instituts für Theaterwissenschaft Universität Bern. Die Arbeit beruhte auf der dissertation „Heterotopie Schwetzingen. Natur- und Gartendarstellungen im Musiktheater und ihre Interdependenz mit der Gartengenese im gesellschaftlichen Kontext des Sommersitzes von Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz und Elisabeth Auguste zwischen 1753 und 1776“; sie ist über den analogen wie virtuellen Buchhandel unter der ISBN 978-3-0340-1726-8 bestellbar und kostet 48,00 Euro.

4 = Dazu siehe Monika Faber: Verkleidet vor Pappmachee, in: Wiener Zeitung (Wien), Ausgabe vom 10. September 2022, Seite 40 (betrifft die Kunstform der „Tableaux vivant“ und Schäferspielfotos, der zugehörigen rural anmutend sollenden Wald- und Felsdekorationen aus Pappmachée und Portraitfotos von Hochadeligen ab den 1860er Jahren in Wiener Fotoateliers); Wilhelm Voßkamp: Landadel und Bürgertum im deutschen Schäferroman des 17. Jahrhunderts, in: Albrecht Schöne (Hg.): Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines Barocksymposiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel, München 1976, Seite 99-110 und 158-166; Klaus Garber: Martin Opitz' „Schäferei von der Nymphe Hercinie“. Ursprung der Prosaekloge und des Schäferromans in Deutschland, in: Daphnis, Band XI, Heft Nr. 3 (1982), Seite 547-603 (betrifft auch dichterische Adelslegitimationen und literarische Verarbeitungen von Adelstheorien in den Schäferstücken).

5 = Zu den Ortseffekten, auch gut anwendbar auf den Adel, siehe Pierre Bourdieu: Ortseffekte, in: Pierre Bourdieu: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leides in der Gesellschaft, Konstanz 1997, Seite 159-167.


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