|
|||||
Start | Sitemap | Tipps | Anfragen | Publikationen | Neues | Über uns | AGB | Impressum |
|||||
|
|||||
Repräsentationsformen der GentilhommerieDas Beispiel kleinerer Höfe im sächsischen Ancien RégimeIm Jahre 1745 erschien eine quantitativ eher unbedeutende, qualitativ aber doch weniger unscheinbare Nachricht in einer Wiener Zeitung: „Aus Teutschland. Leipzig 12. Augusti. Des Herrn Grafen Wilhelm Heinrichs von Schönburg-Lichtenstein Frau Gemahlin, Wilhelmina, geborne Gräfin von Solms, ist den 10. dieses auf dem Schlosse Lichtenstein mit einer Gräfin entbunden worden, und letzterer in der Heil. Tauffe der Name Sidonia Albertina beygeleget worden.“ [1] Hierbei handelte es sich nicht nur um eine gewöhnliche Geburts- und Taufanzeige, sondern eine von der entstehenden Öffentlichkeit eines räsonnierenden Bürgertums [2] in Verbindung mit lesenden adeligen Gesellschaftsteilen [3] wahrgenommenen und repräsentierten Ausschnitt aus einer Vielzahl von Meldungen, die durch buchstäbliche Vermittlung Sachverhalte herzeigte und durch ein langfristig perpetuiertes Agenda-Setting dem Haus Schönburg – thüringischer Uradel, 1130 urkundlich zuerst erwähnt, Stammreihenbeginn 1212, Reichsgrafenstand 1700, Reichsfürstenstand 1790 [4] – eine hohe Aufmerksamkeit in der rezipierenden Leser*innenschaft ermöglichen sollte. Somit war die kleine Zeitungsmeldung der „Gräfinnengeburt“ ein kleiner Baustein im Gebäude einer Repräsentationsstrategie, die von nichtadeligen Journalist*innen und Zeitungsverlegenden mitgetragen wurde.Eine neue Dissertation, 2016 in Jena angenommen, 2019 nun im Druck (überarbeitet und ergänzt nach dem Stand von März des letzterwähnten Jahres) erschienen, nimmt jene Repräsentation der Schönburgs – politisch ein Grenzgeschlecht zwischen regierendem Hochadel mit eigenem großem Territorium und dem eher bescheiden auftretenden güterbesitzendem Landadel – näher in den Blick, verfaßt von der Lehramtlerin und sächsischen Museumspädagogin Alexandra Thümmler (*1980) aus Waldenburg, die zuvor Geschichte und Hispanistik studiert hatte. Dabei kann unter Repräsentation eine Trias aus Verweisen verstanden werden, die sich auf das absichtsvolle Sichtbarmachen bestimmter Entitäten bezieht. Wagner (2013) formuliert es so: „R. ist jeweils eine Darstellung von etwas/jemand durch etwas/jemand für etwas/jemand. Die bei R. benutzen Zeichen gewinnen [hier wäre zu ergänzen: aber erst] Bedeutung im Rahmen von Codes und Systemen […]“. Ferner wird dort allerdings auch in ergänzender Sicht auf die Trias festgestellt, „dass der englische Terminus representation mehrdeutig“ sei, Repräsentation „die Vorstellung des Wiederholens und Abbildens (Mimesis) beinhaltet“, auch wird betont, „wie bei der […] Rezeption [...] Vielstimmigkeit“ entstehe,“ weil Repräsentation in diesem Sinne nicht nur die Trias der Aufzeigung sei, sondern sich „nur im Geist des Rezipienten entfalten“ könne „und daher nicht [hier wäre zu ergänzen: nur] Mimesis ist, sondern ein performativer Akt“. [5] Die Beliebtheit des Wortes und der dahinter stehenden Idee hat, dies hat das kleine Beispiel hier bereits gezeigt, indes eine Vielzahl von Definitionen hervorgebracht. Thümmler nun benutzt für ihre Arbeit eine hybridisierte Definition aus kultur- und politikwissenschaftlicher Perspektive. Sie interessiert sich für eine doppelte Sicht auf Handlungs- und Symbolrepräsentation, d.h. das Herzeigen, die Visualisierung und die Visibilisierung von Herrschaft durch menschliche Substitute und Akteur*innen, die im Namen der Herrschenden handelten (Untergebene, abhängig Beschäftigte, Diener, Domestiken, Beamte), ebenso aber auch das Herzeigen von Herrschaft durch gegenständliche Zeichen und Aktanten (S. 13: „Wappen, Burg oder Schloss, Hermelin, Krone, Zepter, Thron, Degen etc.“). Thümmler geht es darum, zu ermitteln, wie sich die Herrschenden selbst sahen und inszenierten, eine in der Adelsforschung leider immer noch sehr verbreitete Sichtweise, die allein Herrschafts- und damit Legitimitätsansprüche, nicht aber Herrschaftsdurchsetzungen in den Blick nimmt. [6] Gerade aber auch die von Thümmmler ins Feld geführte Politologie – und dort speziell der Teilbereich der politischen Soziologie [7] – hat mit dem Modell der Legitimität darauf hingewiesen, daß Herrschaft nicht nur im Anspruch besteht, sondern auch in der möglichen Annahme dieses Anspruchs der Beherrschten, in der Herrschafts- oder Legitimitätsüberzeugung. [8] Thümmler jedoch schließt – gegen den Sinn der Walterschen und politologischen Begriffsauffassung – die performative Sicht aus, interessiert sich mithin – so auch ihre erklärte Arbeitsabsicht (S. 13) – nicht für die erfolgreiche, partiell erfolgreiche oder verweigerte Annahme der Symbole durch soziale Umwelten, auch nicht für beabsichtigte oder unbeabsichtigte „Lesefehler“ dieser Zeichen. [9] Vom Anspruch her kann die Arbeit daher bedauerlicherweise neuesten Forderungen einer ganzheitlicheren Perspektive auf die Genesis von Adel als sozialem Phänomen nicht genügen, [10] verbleibt daher im oben erwähnten reduzierten Triasbereich des bloßen Herzeigens. Diese Haltung ist umso erstaunlicher, als Thümmler selbst bemerkt, daß „Herrschaftsrepräsentation immer gleichzeitig auch Herrschaftslegitimation bedeutete“ (Seite 39), sich dann aber im Verlauf ihrer Untersuchung nicht mehr danach richtet. Doch auch hier – im bloßen komplex- und kontingentreduzierten Bereich des reinen Zeigens – ist der Forschungsbedarf noch groß, wie der voluminöse Band zeigt. Es sind drei Besonderheiten, die den Band auszeichnen. Zunächst fokussiert sich Thümmler auf eine neue Anwendung des Hofkonzepts auf Haushalte mediatisierter Standesherrschaften (S. 22), mithin auf kleinere, bisher nicht in den Blick der sonst reichhaltigen Hofforschung geratenen sozial-räumliche Konstrukte. Ferner geht Thümmler von drei Thesen aus (S. 15-16). Erstens müsse zwar die deutschsprachige Gentilhommerie als heterogen bezeichnet werden, gleichwohl aber könne sie doch auf eine Reihe von Gemeinsamkeiten zurückblicken. Zweitens würden sich Adelige, gleich ob größere Landes- oder kleinere Grundherren, in spezifischen Handlungsfeldern betätigen und drittens nimmt sie an, daß die gentilhommeske Repräsentation nicht allein in (nur großen) höfischen Kontexten möglich sei. Daraus entwickelt Thümmler schließlich in Anlehnung und in Auseinandersetzung mit früheren Hoftypologien (S. 37-38) wie denen von Moser (glänzender, prächtiger, galanter, ordentlicher und stiller Hof), Bauer (hausväterlicher, zeremonieller, geselliger, musischer und kaiserlicher Hof) oder Schattkowsky (paternalistische, konsensuale und gewaltvolle Herrschaft) zuletzt eine eigene Typologie von Weberschen Idealtypen der Repräsentation. [11] Das Herzeigen höfischer Adeligkeit könne demnach in ein Quintett paternalistischer, opulenter, militärischer, ökonomischer und mäzenatischer Ausprägung unterschieden werden. Beispiele für diese Einteilung präsentiert Thümmler sodann ausführlich anhand verschiedener Familienangehöriger der Schönburgs. Hierbei werden aber nicht nur die Typologien detailliert exemplarisch erläutert, sondern auch in mehrere Items je Typ gegliedert und analysiert, so beispielsweise anhand des politischen Programms der Landschaftsarchitektur des englischen Landschaftsgartens mit dem programmatischen Flurnamen „Greenfield“ in Waldenburg. [12] Dem Park Greenfield, der auch heute noch existiert und Besuchenden zugänglich ist, wenn auch mit weniger Bauten als früher, widmet Thümmler ein ausführliches Kapitel (Seite 467-507), was verständlich wird, wenn man bedenkt, daß das landschaftsarchitektonische Objekt auch der Arbeitsplatz der Verfasserin als Führerin gewesen ist. Hier sind insbesondere ihre Versuche einer Hermeneutik der Bauten (Obelisk, Eremitage, Badehaus, holländisches Landhaus) als bemerkenswert hervorzuheben. Thümmler formuliert schließlich an weiter vorangeschrittener Stelle ihrer Arbeit, daß es drei Mentalitätskerne des Adels gegeben habe, gleich, ob es sich um Landadel oder ein regierendes Haus gehandelt habe: a) privilegiertes Leben, b) Herrschaft und c) Kulturentfaltung. [13] Aufbauend auf diesen Feldern hätten sich alle Adelige – Thümmler spricht im Original tatsächlich von einer Anwendung „auf den gesamten Adel“ (!) – in den Bereichen Religion (als fromme Hausväter), Militär (als mutige Feldherren), Ökonomie (als erfolgreiche Unternehmer) und Kunst (als schöngeistige Fördernde) inszeniert (Seite 563). Hier wäre kritisch einzuwerfen, daß Kleinadelige kaum über die nötigen Ressourcen verfügten, um derlei Repräsentationen zu finanzieren, wenn auch unverkennbar die Neigung bestand, sich über die Masse der Bevölkerung durch Maßnahmen der Selbstexkludierung mittels Habitus oder dem Hantieren mit bestimmten Distinktion ermöglichenden Dingen abzuheben. So bemerkte Seld (1865) über die Schlachta, den im quantitativen Vergleich mit nord-, süd-, und westeuropäischen Ländern zahlreichen polnischen Adel: [14] „Das ganze Eigentum eine solchen Edelmannes bestand häufig in einem Hause ohne Schornstein, das Haus aber bestand aus einem einzigen Raum, in welchem Eltern und Kinder, Ferkel und Hühner, Kälber und Gänse in traulicher Gemeinschaft lebten. Monatelang bestand die Nahrung der Menschen aus nichts als Buchweizengrütze, Kartoffeln und rohem Sauerkraut, das sich jeder nach Belieben mit der Hand aus einem Fasse nahm, welches zur Hälfte in dem Lehmfußboden der Wohnstube eingegraben war. Wohnstube ist freilich nicht das rechte Wort; es ist schwer, ein Wort zu finden, das Küche, Stall, Schlafstube, Besuchzimmer, Hausflur, Vorratskammer usw. in sich vereinigt. Wurde einmal ein Schwein geschlachtet, so genoß die ganze Familie so lange gar nichts anderes als Fleisch und Speck, bis der Vorrat verzehrt war, um dann wieder zu Kartoffeln, Grütze und Sauerkraut zurückzukehren. Das einzige, was die Wohnung eines solchen Edelmannes von der des ärmsten Bauern unterschied, das war ein Säbel, der an der Wand hing und den nur der Adel führen durfte.“ [15] Dies zeigt, ebenso wie das Beispiel des verarmten Halbadels in gesellschaftlich wenig anerkannten beruflichen Stellungen [16] oder der „social displaced persons“ in der Gentilhommerie, [17] eindrücklich, daß Adel nicht in jedem Falle die Thümmlerschen Repräsentationsformen anwenden konnte, wenngleich am Beispiel des Säbels an der Wand beim polnischen verarmten Edelmann unverkennbar ist, daß auch und selbst bei diesem Soziotyp das Streben nach Exklusivität und Prestige vorhanden war. Sonst allerdings ist nicht zu verkennen, daß es vor allem die gentilhommeske militärische wie christliche Affinität war, die zu den Kernmerkmalen des Adels gehörte, während Ökonomie und Kunst von der Vorbedingung der Existenz von Landgütern und frei verfügbarem finanziellen Kapital abhingen. Der Thümmlersche Terminus des „gesamten Adels“, auf den dieses Set an Merkmalen zutreffen soll, dürfte daher zu pauschalisierend sein. Thümmlers Studie hat jedoch, abgesehen davon, gezeigt, wie sehr standesherrliche Familien – die Grafen Schönburg hatten Stimme und Sitz auf dem Reichstag, suchten über eigens angestellte Hofräte Verwaltungsstrukturen zu etablieren (Seite 567), livrierten ihre hierarchisch gegliederten Domestiken [18] – den Anspruch erhoben, ihre Macht auszuweiten, auch wenn ihnen dies, so Thümmler, aufgrund der personalen Zersplitterung nicht im erwünschten Umfang gelungen ist, hierbei das weithin bekannte und typische Bild der deutschen Kleinstaaterei, wie es immer wieder karikiert worden ist, abbildend. [19] Ein weiterer Vorteil der Thümmlerschen Typologie sind die Überlegungen, warum sich Adelige für einen bestimmten Repräsentationstyp entschieden (Seite 571-573 und wortgleich doppelt auch Seite 43 ohne weitere Information), denn zumindest theoretisch erwähnt nun Thümmler hier auch „das Verhältnis zu Landständen, Bürgertum und Untertanen“ (Seite 571), lehnt sich also unbewußt an das Konzept „Un/doing nobility“ an. [20] Ohne jedoch die Legitimationsüberzeugungen der Adressaten zu analysieren, kommt Thümmler zu dem Ergebnis, daß die Schönburger vor allem den paternalistischen Repräsentationstyp bevorzugt hätten (Seite 568), auch wenn alle anderen Typen in teils abgeschwächten Formen ebenfalls in der Familie vorgekommen wären. Für eine Dissertation eher ungewöhnlich und auch für eine um Objektivität bemüht sein sollende Typologie nachteilig sind indes die stark wertenden und nicht neutral formulierten Gestaltungen der Items. So ist deutlich erkennbar, daß die Verfasserin persönlich von ihrem Metastandpunkt aus die Position einer Richterin über ihre Untersuchungsgegenstände einnimmt, [21] weil sie die ökonomische (und damit „bürgerliche“) Repräsentation mit positiven Adjektiven lobt (S. 56-57: fortschrittlich, stilvoll, regelmäßig), während sie die opulente Repräsentation verurteilt (S. 52: verschwenderisch, [22] ausschweifend, rücksichtslos, nachlässig, exzessiv). Dies mindert etwas den Wert der ansonsten innovativ zu nennenden Typologie, die ihrer Bewährung im künftigen Forschungsalltag mit Spannung entgegensehen darf. Gerade auch mit dem Anspruch und der Möglichkeit der über den speziellen Schönburgfall hinausweisenden Bedeutung der Typologie ist dem Werk dennoch eine weite Verbreitung und Benützung zu wünschen, wenngleich das Werk insgesamt erneut eine gentilhommeske „Nabelschau“ einer sozialen Gruppenbildung betreibt, ohne die Rezipierenden mit einzubeziehen – denn Adel wurde eben nicht nur konstruiert durch Ansprüche der Adelsbehauptenden und Adelsrepräsentierenden, die bei Thümmler wiederholt und zugleich als Schriftakte auf einer „Lesebühne“ aufgeführt werden, sondern auch durch den Glauben – oder auch fehlenden Glauben – an diese Ansprüche bei den sozialen Umwelten. Man darf jedoch auf weitere komparatistische Studien zu anderen ähnlichen Adelshäusern gespannt sein; die Thümmlersche Untersuchung bietet dafür ein gutes Ausgangsmaterial – und außerdem die Möglichkeit, die neu entworfene fünffache Typologie weiter zu verifizieren oder zu falsifizieren. [23] Diese Rezension stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
|
|||||
© Institut Deutsche Adelsforschung - Quellenvermittlung für Wissenschaft, Familienforschung, Ahnenforschung | Seitenanfang |