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„Adelige“ Lebenswelten in Sachsen 1200 bis 1945Besprechung einer (fast) Vorbildlichen QuelleneditionEs ist schon ein ungewöhnliches und (fast) einmaliges Projekt, das in Sachen derzeit, im zweiten Jahrzehnt des XXI. Säkulums, verfolgt wird, nicht ohne Unterstützung des Verbandes, der sich „Der Sächsische Adel e.V.“ nennt, [1] wohlgemerkt: Es soll ein demnächst, wenn genügend Finanzmittel dafür zur Verfügung stehen, ein so genanntes „Museum zur Geschichte des sächsischen Adels“ begründet werden. [2] Dies erstaunt zunächst exorbitant, namentlich zu einer Zeit, in der der ehemalige deutsche Adel öffentlich keine Rolle mehr spielt. Sind diese Bestrebungen noch Auswirkungen des extremen Pendelschlags der marxistisch-leninistischen Auffassung, nach der vormalige Adelige grundsätzlich „Junker“ waren, die ausschließlich eigenwillige und ausbeuterische Züge gegenüber dem Gros der Bevölkerung durchgesetzt haben sollen? Denn 1964 hieß es dazu noch von dem linientreuen DDR-Historiker Rolf Stöckigt: „Berücksichtigt man noch die vielfältigen Verflechtungen zwischen Finanz- und Agrarkapital, dann kann das Gebiet der Provinz Sachsen als treffendes Beispiel für die Beherrschung des ganzen Landes durch den junkerlich-borgeoisen deutschen Imperialismus bezeichnet werden ... Seit Jahrzehnten, und, was die Junker betraf, seit Jahrhunderten, lastete die Allgewalt dieser Kräfte auf den Schultern des Volkes, das ihre Politik mit gewaltigen Opfern bezahlen mußte. Mit ihren verbrecherischen Kriegen brachten sie zudem noch anderen Völkern schweren Schaden und tiefes Leid.“ [3] Stöckigt pauschalisiert hier stark im Sinne seiner marxistisch-leninistischen Auffassung von der Gesetzmäßigkeit der Geschichte, ohne konkrete Beipiele oder empirische Untersuchungen anzuführen. [4] Der jetzt herausgegebene Sammelband von Prof. Dr. Dipl.-Hist. Martina Schattkowsky, [5] ihres Zeichens Historikerin im 1997 von der sächsischen Landesregierung ins Leben gereufenen „Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V.“ in Dresden, versucht diese Sichtweise zu ergänzen und zu korrigieren und einen anderen Blickwinkel auf den ehemaligen sächsischen Adel zu eröffnen. Es werden, im Gegensatz zu der Ansicht Stöckigts, fast keine Pauschalisierungen vorgenommen, sondern ad fontes gegangen, zugleich auch medias in res. Anhand vieler einzelner Quellen, die in Wort und Bild vorgestellt und in den Adelsforschungsstand eingeordnet werden, ist ein Kaleidoskop der sächsischen Adelsgeschichte, zeitlich gestreut von den ersten bekannt gewordenen Anfängen im Mittelalter bis hin zur Enteigung und Vertreibung im Jahre 1945, entstanden. Diese Quellen, 55 Stück an der Zahl, wurden exemplarisch für die Vielfalt der Aspekte der Nobilitätsgeschichte herausgegriffen, wobei auf eine große Diversität der Quellengattungen geachtet wurde. Baudenkmäler werden ebenso wie Urkunden, Aktenstücke, Briefe, Photographien, Gästebücher, Karten und Skulpturen besprochen, wobei der Großteil der herangezogenen Stücke aus sächsischen Archiven stammt. Die große Menge an AutorInnen des Bandes ist erstaunlich, aber nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß Sachsen sich in den letzten Jahren seit der Jahrtausendwende zu einem Zentrum regionaler Adelsforschung entwickelt hat, welches vor allem durch die sehr rege Tätigkeit von HistorikerInnen wie Martina Schattkowsky oder auch Josef Matzerath [6] gekennzeichnet ist. [7] Beeindruckend ist auch die Qualität des Bandes, ausgestattet vom Verlag Böhlau, weil er durchgehend erstklassige Abbildungen der besprochenen Objekte bringt. Was die Einordnung und Forschungsperspektive eingeht, bemüht sich der Band erfolgreich um eine ausgewogene Betrachtung, die zwar oft von der Öffentlichkeit mit dem Wunsch nach plakativen und eindeutigen Ergebnissen verachtet wird, jedoch wissenschaftlich genannt werden darf. So kommt es immer wieder in dem Band zu nicht eindeutigen Urteilen, beispielsweise über die Adelslandschaften innerhalb Sachsens oder über die ambivalente Haltung des sächsischen Adels zum Nationalsozialismus. [8] Zugleich werden Desiderate der Adelsforschung angeschnitten, ausstehende Grundlagenforschungen beklagt. Besonders erfreulich ist, daß sich bereits Fürchte der Recherchen von Bachelor- und Masterarbeiten von den Universitäten Leipzig und Dresden in dem Band finden, also auch Nachwuchswissenschaftler mit bedacht wurden. [9] Mit ihrer Heranführung an das Adelsgeschichtsthema wurde also auch mithilfe dieses Sammelbandes die Kontinuität und das Agenda-Setting betrieben, welches für die große Resonanz, die der historische Adel in der sächsischen Wissenschaftslandschaft einnimmt, mit verantwortlich zeichnet. Dabei scheint der Spagat zwischen der Verflechtung mit dem Adel selbst und den wissenschaftlichen Anforderungen größtenteils gelungen: Angehörige des ehemaligen sächsischen Adels gaben zwar zahlreiche Unterstützung durch Leihgaben für den Band, doch machten sich die WissenschaftlerInnen nicht unbedingt deren Auffassungen zu eigen, auch wenn der Grad schmal erscheinen mag, den sie zu gehen hatten. So arbeitet leider dann eben doch der Historiker Dr. Andreas Thüsing (*1966) in seinem Beitrag über das Verhältnis von sächsischem Adel und Nationalsozialismus weitgehend mit Pauschalisierungen, Spekulationen und Vermutungen, auf die er allerdings auch, zumindest halbwegs, angewiesen ist, weil der entsprechende Forschungsstand derzeit noch wenig ausgereift ist. [10] Bemerkenswert ist zuletzt, das macht der Sammelband wieder einmal deutlich, die große Lobby, die sich in Sachsen für die Erforschung und Darstellung der landeseigenen Adelsgeschichte einsetzt. Ist dies sinnvoll? Braucht die Gesellschaft ein Museum zur sächsischen Adelsgeschichte und wie soll dieses Museum konzipiert sein? Dient es der Selbstdarstellung des Adels als Legitimation der erneuten Anwesenheit des Adels vor Ort, der Heranziehung traditionalen Erzählens als Form bewußt gestalteter Erinnerungs- und Gedächtniskultur der wenigen Angehörigen der Sozialgruppe des ehemaligen Adels? Oder soll ein derartiges Museum, welches irgendwann in der Zukunft als „Dauerausstellung“ auf Schloß Nossen11 zu sehen sein soll, die Bedeutung des ehemaligen sächsischen Adels in der Vergangenheit beleuchten, aus den Perspektiven von interkultureller, genderischer, performativer und anderer „moderner“ Richtungen der historischen Wissenschaft erkunden und darstellen? Oder dient das Thema nur der akademischen Profilierung der Geschichtsinstitute der Universitäten Leipzig und Dresden? Und welchen Sinn hätte dies alles? Hierzu ist freilich die Konzeption, maßgeblich offensichtlich unter Federführung von Prof. Dr. Schattkowsky entstanden, heranzuziehen. Gemäß einem Zeitungsinterview von 2013 soll sie gesagt haben: „Auch darum geht es ja in einem Museum zur Geschichte des Adels: nicht nur die Außensicht auf diese soziale Gruppe, die unsnach den DDR-Zeiten, als der Adel an sich als `Klassenfeind galt, relativ fremd ist, sondern auch darum, wie sich der Adel selbst präsentierte und präsentiert und wie er sein Adligsein heute definiert.“ [12] Diese Äußerung zeigt, daß die Mitinitatorin davon überzeugt ist, daß es „den Adel“ heute noch geben würde. Er ist aber vielmehr in Deutschland bereits seit 1919, mit der Weimarer Reichsverfassung, zum Namensbestandteil erklärt worden. Folglich existiert seither kein Adel mehr, nur noch indirekt als filiatorische Formation von Personen des ehemaligen Adels. Schattkowskys Äußerungen zu dieser historisch unzulässigen Prolongierung „des „Adels“ lassen für das projektierte Museum und seine Inhalte wenig Gutes vermuten. [13] Denn damit bleibt die Frage vorläufig unbeantwortet, ob das geplante Museum zu einem Gedächtnisinstrument der Verbände werden soll, die diese Filiationsgemeinschaft umfassen. Der vorliegend besprochene Sammelband selbst verbleibt jedoch noch weitgehend in der wissenschaftlichen Perspektive und kann daher als in weiten Teilen gelungen bewertet werden. Diese Rezension wurde Anfang Oktober 2013 erstellt und erscheint nicht hier nur online, sondern auch zugleich in der institutseigenen Print-Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung. Der Rezensent ist Claus Heinrich Bill. Es folgen die oben erwähnten Annotationsauflösungen:
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