Institut Deutsche Adelsforschung
Gegründet 1993
Online seit 1998

Start | Sitemap | Tipps | Anfragen | Nobilitas Zeitschrift | Neues | Über uns | AGB | Impressum

Ritualforschung im frühneuzeitlichen Militärwesen

Rezension zu einer bemerkenswerten historischen Methodik

Im Jahre 2012 erschien unter der Regie und Herausgabe von Prof Dr. Ralf Pröve und der gerade bei ihm promovierenden Magistra Carmen Winkel, beide aus der klassischen Historik an der Universität Potsdam kommend, ein Sammelband mit dem Titel „Übergänge schaffen. Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft“. Der Band befaßt sich mit verschiedenen Aspekten unter der Klammer der Aufführungsforschung, die ganz allgemein jede Form von Ritualistik als bewußte Inszenierung, abgeleitet aus der Theaterwissenschaft, behandelt und hier in diesem Falle an der Thematik des Militärs in den Jahrhunderten von 1500 bis 1789 (also der sogenannten Frühen Neuzeit) orientiert war. Dabei verwenden die Herausgebenden verschiedene Begriffe wie „Ritual“, „Performanz“, „Zeremonie“, „Zeremoniell“ oder „Inszenierung“, deren Charakteristika wegen der Begriffsunschärfe zunächst einmal geklärt werden mußten. Unter Performanz, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Performativität aus der Austinschen Sprechakttheorie der klassischen Literaturwissenschaft (aus der sie gleichwohl hervorgeht), [1] verstehen die Herausgeber dabei „jede Art von Aufführung, egal ob es sich um einen Staatsakt, eine Hochzeit oder ein Fußballspiel handelt“ (Seite 9). Ausschlaggebend sei zudem, daß jede Performanz einmalig, flüchtig, transitorisch und durch Räumlichkeit, Körperlichkeit und Lautlichkeit geprägt sei sowie - „ganz wichtig“ - eine soziale Koexistenz von Zusehenden und Akteuren benötigen würde (Seite 9). [2] 

Soweit haben die Verfassenden ihr Modell von der Theaterwissenschaftlerin Fischer-Lichte [3] übernommen. Anstatt nun folgend aber stringent ihren definitorischen Untersuchungsbegriff der Performanz weiter zu erläutern oder zu untergliedern, behaupten sie dann aber überraschenderweise, „getrennt“ von der Performanz existiere noch „die Inszenierung“ als „Modus der Herstellung von Aufführungen“ und diese nun lasse sich a) in „die Zeremonie“ und b) in „das Ritual“ untergliedern. „Zeremonie“ sei dann eine transzendenzlose oder antimetaphysische Inszenierungsstrategie, ablaufend nach „dem Zeremoniell“ als den Regeln einer Zeremonie und Ritual sei eine transzendenzhafte und metaphysische Inszenierungsstrategie. Demnach wäre z.B. das Händeschütteln bei der Begrüßung unter postmodernen Westeuropäern des Kommunikationszeitalters kein Ritual, sondern eine Zeremonie, denn sie dient allein sozialer Vergewisserung [4] und hat keinerlei metaphysischen Charakter, auch wenn man landläufig diese Begrüßungsform wohl eher populär als Ritual bezeichnen würde. 

Dies Beispiel zeigt bereits, daß die Begrifflichkeitsvielfalt nicht ganz ungefährlich ist. Eine genaue und vor allem widerspruchslose oder auch nur zusammenhängende Definition der verwendeten Begriffe wäre daher vorweg daher absolut geboten gewesen. Leider leisten das die beiden Herausgebnden nicht, da sie ja umgehend wieder von ihrem Performanz- und Aufführungsbegriff abweichen. Gemeint war aber vermutlich, daß Performanz jede Art von Aufführung sei und sich innerhalb der Performanz als Oberbegriff wiederum (und nicht „getrennt“ von ihr) „Zeremonie“ und „Rituale“ untergliedern lassen? 

Die Trennung der Begriffe nach Pröve und Winkel ergibt daher keinen Sinn. Wozu wird eine Überordnungsdefinition eingeführt, wenn sie dann gleich wieder als nebenstehend bezeichnet wird? Um die Verwirrung vollkommen zu machen, wird dann auch noch seitens der Herausgebenden behauptet, „Rituale“ seien nun doch „performative Akte“ (Seite 10), obgleich sie zuvor doch angeblich „getrennt“ von ihnen zu betrachten seien. Die Einführung der beiden Herausgebenden ist daher sprachlich unglücklich gewählt, definitorisch unscharf und trägt nicht gerade zur Klärung des Begriffes „Performanz“ und seiner Satelliten bei. [5] 

Wie sehen den Begriff indes Andere? Die kulturwissenschaftlich orientierte „Enzyklopädie der Neuzeit“ schreibt dazu, Performanz sei eine „schauspielerische Bühnenleistung“, die sich stets durch die vier Aspekte a) der Inszenierung, b) der Korporalität, c) der Wahrnehmung und d) der Aufführung charakterisieren lasse. „Performativ“ seien außerdem alle menschlichen Handlungen, die durch einen Sprechakt soziale Tatsachen schaffe. Darüber hinaus sei eine Performanz eine „cultural performance“, wenn in ihr handelnde Personen a) an bestimmten Orten, b) zu bestimmten Zeiten und c) mit entsprechender Autorität handeln würden. [6] 

Besehen wir dazu ein Beispiel aus dem Themenbereich der Herausgebenden, dem preußischen Militär am Ende des Ancien Régime. Am 13. Januar 1798 erließ der preußische König Friedrich Wilhelm III. eine Kabinettsorder, in der er einige persönliche Zeilen an  den Generalmajor v.Roeder nach Potsdam sandte: „Da Euer herannahendes Alter, und die auf eine lange rastlose Anstrengung sich gründende Abnahme Eurer Kräfte Euch die Ausübung der, mit Euren bisher so rechtschaffen bekleideten Posten, verbundenen Dienstverrichtungen sehr erschweren und Euch daher, selbst gegen Eure Neigung, den Wunsch abnöthigen muß, für den Überrest Eures thätigen Lebens die Ruhe genießen zu können, so glaube Ich blos einer Pflicht zu genügen, wenn Ich Euch hiermit von aller fernern Dienstleistung entbinde, und dadurch dem rühmlichen Geständnisse zu begegnen suche, welches Ihr mit Selbstaufopferung, nur aus unbegränzter Anhänglichkeit an den Dienst, zu unterdrücken bemüht gewesen seyd. Ich danke Euch verbindlichst für Eure dem Staate so viele Jahre hindurch treu und gut geleisteten Dienste, und damit Ihr im Stande seyn möget. Euch hinführo in Euerm Ruhestande, zur bessern Erhaltung Eures Mir werthen Lebens, die erforderliche Pflege zu gewähren, sollet Ihr Eure bisherige extraordinäre Zulage von 1.500 Rthlr. jährlich, nebst der Revenue von der Amtshauptmannschaft Bolja, als Pension behalten. Um Euch hiernächst auch ein öffentliches Merkmal Meines Wohlwollens und Meiner vollkommenen Zufriedenheit mit Euerm stets bezeigten Diensteifer zu geben, habe Ich nicht allein dem Ober-Krieges-Collegio aufgetragen. Euch den Abschied als Generalleutnant auszufertigen, sondern will Euch auch Meinen hierbei kommenden großen Rothen Adler-Orden conferiren. Euer Bataillon bleibt für jetzt noch vakant; dagegen aber habe Ich den General-Major v.Rüchel zum Commandeur des Regiments Garde und Commandanten von Potsdam ernannt, auch demselben die Euch anvertrauet gewesene General-Inspection übertragen; und könnet Ihr demselben also die Geschäfte sowohl der Commandatur als der Inspektion übergeben. Schließlich wiederhole Ich Euch hiermit die Versicherung, daß Ich mit Vergnügen jede Gelegenheit wahrnehmen werde. Euch die Wertschätzung zu bezeigen, womit Ich bin Euer wohlaffectionirtcr König 1798 Friedrich Wilhelm.“ [7]

Betrachtet man sich diese Order unter dem Blickwinkel der Performanz, haben wir es - streng genommen - allerdings nicht mit einer „schauspielerischen Bühnenleistung“ zu tun und daher auch nicht mit einer Performanz. Allerdings betonen Teile der kulturwissenschaftlichen Forschung mithilfe eines recht geschickten, aber nicht unbedingt überzeugenden Kunstgriffes, man habe es hier trotzdem mit einer abgewandelten Form der Performanz zu tun, weil in der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit die einst „vollständige Performanz“ in eine andere Form der Performanz (offenbar eine unvollständige?) modifiziert worden sei, da der reine Sprechakt durch die Maßnahme der Verschriftlichung zu einem geronnenen Schreibakt [8] geworden sei, der nicht mehr mit den Körpern der Betreffenden handele, sondern Buchstabenkörper ausgebildet habe. [9] 

Trotzdem gilt, daß Roeders angekündigte Versetzung in den Ruhestand trotzdem keine Performanz war. Denn dem Akt fehlten die Zuschauenden. Die Handlungen wurden nicht auf einer Bühne aufgeführt, sondern sind lediglich in Schriftform geronnene Sprechakte. Aber es handelt sich zweifelsohne um einen performativen Sprechakt mit dem Charakter eines Übergang oder einer Passage, der vier soziale Tatsachen in einem Schreibakt schafft: Roeder wurde a) demissioniert, b) zum Ende seiner Laufbahn zum Generalleutnant ernannt, c) mit bestimmten Einkünften versehen und d) teilweise durch Generalmajor v.Rüchel ersetzt. Allerdings war dieser Schreibakt des Königs auch keine „cultural performance“, da sie orts- und zeitunabhängig war: Der König konnte, wo und wann er wollte, diese Kabinettsorder ausstellen, der Sachverhalt der Pensionierung Roeders blieb unabhängig davon der gleiche. 

Das angeführte Roedersche Beispiel zeigt die Problematiken, die sich ergeben, wenn man verschiedene Begriffsdefinitionen des Performativen anwenden und untersuchen will. Je nach Blickwinkel hätten wir es also mit einer Performanz oder auch nicht mit einer Performanz zu tun. Trotzdem wird „Performanz“ dann doch noch in den zu besprechenden Sammelband aufgenommen, beispielsweise bei dem Aufsatz von Angela Strauß über die jeweils einmaligen Reaktionen König Friedrich II. von Preußen auf Demissionierungswünsche seiner Offiziere im XVIII. Centenarium. Allein dieser Beitrag muß näher betrachtet werden, da er von „rituell-performativen Zügen“ in einem Bereich der militärischen Frühneuzeitgeschichte spricht (Seite 110), bei der man vermuten könnte, daß es sich weniger um Performanzen oder Rituale als mehr um die Behandlung von Einzelfällen handeln könnte. Zudem führt die Verfasserin den Begriff „Ritual“ ein. Daher muß zunächst auch noch eine Definition dessen gegeben werden, was in dem Sammelband allgemein unter „Ritual“ verstanden wird. Hier bieten Pröve und Winkel (Seite 10) als die Herausgebenden folgende Definition: Rituale seien demnach kulturelle Äußerungen zur Bekräftigung sozialer Ordnungen mit transzendentem (auf Überirdisches bezogen) oder metaphysischem (auf den letzten Grund es Seins bezogen) Bedeutung. Als Merkmale nennen die beiden Herausgebenden: a) standardisierte Wiederholungen von Handlungen, b) dramatisches (d.h. Aufregendes; in der Literaturwissenschaft jedoch eher gebraucht als Stück des Theaters mit Figurenrede) und expressives (ausdrucksstark) Pathos (Feierlichkeit). [10]

Strauß behauptet nun, die Behandlung der Demissionswünsche von Offizieren hätte rituellen Charakter. Sie stellt dazu fest, welche Möglichkeiten der Reaktion der preußische König hatte, wenn ihn Offiziere um ihre Entlassung baten und macht hier drei Wege aus: a) den der Ablehnung, b) der der Diskussion mit abwartenden Nachfrage und c) den der Genehmigung (Seite 112).

Strauß sagt dabei explizit, es handele sich bei allen drei Möglichkeiten um Rituale zur Festigung königlicher Macht und der sozialen Statusverhältnisse und insofern um Rituale, als diese Vorgänge mit symbolischem Inhalt aufgeladen wären (Seite 109-126). [11] Dem kann man zustimmen oder auch nicht. Für eine solche Definition spricht, daß der König mit diesen Behandlungswegen in der Tat soziale Hierarchien bestätigte und erneut festigte. 

Das Verhältnis zwischen frühmodernem Arbeitgeber und Arbeitnehmer war geprägt von dem Eid des Militärs auf den König (und nicht auf die Verfassung) und das galt insbesondere für das Zeitalter des Ancien Régime. Der persönliche Eid schuf und bekräftigte in der Tat ein persönliches Treueverhältnis zwischen den semantischen und den tatsächlichen Körpern des König und des Offizier (oder Soldaten), bei dem die jeweiligen Aufgaben und sozialen Standpunkte klar gegliedert waren: Der König befahl und der Militär hatte zu gehorchen und - nicht nur notfalls - für den König zu sterben. Es war daher unwahrscheinlich, daß der König bei Entlassungsgesuchen diese soziale Hierarchie und den Eid aufgegeben hätte. Insofern ist es einleuchtend und korrekt, dieses Vorgehen und das Verhalten der Akteure, hier namentlich des Monarchen, als „Bekräftigung sozialer Ordnung“ zu bezeichnen. 

Doch bleibt trotzdem die Frage, was daran ein „Ritual“ und was eine „Performanz“ gewesen gewesen sein soll? [12] Denn, wie gesehen, soll ein Ritual nach Pröve und Winkel ja unbedingt im Gegensatz zur Zeremonie einen transzendenten oder einen auf den letzten Grund des Seins bezüglichen Inhalt haben. Woraus könnte man diesen Sinn aber bei weltlichen Entlassungsgesuchen ableiten? Woraus ergibt sich im Vorgang der Demissionsbehandlung zwischen König und untergebenem Militär eine metaphysische Qualität?

Sehen wir uns dazu einmal einen solchen Vorgang näher an, der als prototypisch gelten kann und so auch nicht anders von Strauß in den von ihr verwendeten Beispielen angeführt worden ist: „Ein Herr v.Rochow (aus dem Hause Plessow), der Gelegenheit fand eine vortheilhafte Heirath zu machen, forderte wiederholt seinen Abschied. Der König schlug ihm selbigen immer auf eine sehr gnädige Art ab, indem er ihm bald versicherte, er könne einen so schönen und tüchtigen Offizier unmöglich verlieren, bald versprach er ihm, ganz vorzüglich für sein künftiges Glück zu sorgen. Als sich Rochow durch alles dieses nicht abhalten ließ, nochmals um den Abschied zu schreiben, so schickte er ihn in Arrest und ließ ihm nach Verlauf einiger Tage sagen, wenn er sich noch einmal um den Abschied meldete, so würde man ihn ein halbes Jahr nach Spandow schicken und alsdann nach einem Garnison-Regiment setzen. Rochow mußte natürlicherweise bei dieser sehr deutlichen Weisung sich beruhigen. Nach etwas länger als einem halben Jahre bekam er aber den Schwind im Arm. Der Oberst meldete dem Könige den Lieutenant v.Rochow als krank. Sehr verdrießlich fragte der König: Was fehlt ihm? Der Oberst antwortete: er hat den Schwind im Arm! Den Teufel auch, antwortete der König, ich weiß besser, was ihm fehlt, den Abschied will er haben; gehe er gleich hin und sage er ihm, er solle gehen.“ [13]

Aus diesem Exempel ergibt sich, daß es in der Tat bei den mehrfachen ingeniösen Abschiedsgesuchen des Leutnants um eine stetige Verhandlung von Status- und damit von Machtverhältnissen ging. Es zeigte sich zwar, daß der Offizier kein alleiniger Gegenstand der königlichen Verfügbarkeit war, aber dennoch ein starkes Abhängigkeitsverhältnis bestand. Denn als der junge Offizier seine Libationen lieber im Zivilleben mit seiner Frau finden wollte, anstatt dem König im militärischen Rock zu dienen, erweiterte der König seinen Sanktionskatalog auf die Stufe des tatsächlich vollzogenen Arrestes und drohte ihm fürderhin sogar einen Festungsaufenthalt in Spandau an, wenn er weiter den Abschied suchen würde. [14] 

Der Fall zeigt: Als Offizier konnte man seinen durch einen Eid bekräftigen Arbeitsvertrag nicht ad hoc kündigen und hier hatte der Leutnant zu sehr auf die Bonhomie des Königs gesetzt. Aber er zeigt auch: Das Ringen um eine Demission aus Militärdiensten war ein stets Ringen zwischen den beteiligten Akteuren, ein Aushandeln der Positionen und ein Aushandeln von Macht. Dieses Kräftemessen war vor allem geprägt von der königlichen Machtausübung in zweierlei Hinsicht, zunächst von dem Einsatz der königlichen Belohnungsmacht, indem der Souverän Rochow eine erste psychische Gratifikation erteilte („einen so schönen und tüchtigen Offizier unmöglich verlieren“), der bald darauf eine zweite derartige Gratifikation („ganz vorzüglich für sein künftiges Glück zu sorgen“) in Aussicht stellte. Als diese Machtmittel bei Rochow aber nicht verfingen, wechselte der König die Strategie und ließ seinen Untergebenen nun seine Bestrafungsmacht spüren, zuerst mit dem Mittel einiger Arresttage, in denen der König über den Körper des Offiziers verfügte, dann in einer verschärften Stufe mit der Androhung weiterer physischer Sanktionen. Die Strategien des Königs wider die Demission bestanden hier also aus Versprechen und Drohungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten des sozialen Konflikts. Mit ihnen verhandelten König und Offizier ihre potentiell und latente Macht, die letztlich, jedoch häufig nicht ohne zähes Ringen, ein Übergewicht und einen Erfolg des Königs zeitigte. [15] Letztlich setzte der König hier auch mit einem absolutistischen Gepräge, welches nicht selten in Beschimpfungen ausartete, [16] das Gehorsamsprinzip nach dem Milgramexperiment um: Menschen gehorchen auch, wenn es wider ihre Überzeugungen ist.

Strauß nun führt ähnliche Fälle an und behauptet, sie habe festgestellt, daß diese Demissionsvorgänge „rituelle Züge“ hätten. Sie führt dabei an, daß sie den Ritualbegriff von van Gennep benutzt, der sich vor allem dadurch auszeichnet, daß Rituale Übergangsriten wären, die sich in die drei Phasen a) Trennung, b) der Umwandlung und c) der Angliederung an soziale Ordnungen kennzeichnen würde. [17] 

Nun stellt sich also die im Buch nicht beantwortete Frage: Nimmt Strauß nun Bezug auf die beiden Begriffe der Performanz und des Rituals, wie sie zuvor von Pröve und Winkel formuliert worden sind oder schafft sich Strauß hier einen eigenen Ansatz? Im letzteren Falle, wenn man also annehmen möchte, daß Rituale nur dadurch charakterisiert würden, daß sie irgendeine Form von Vertex- und Passagehandlungen wären und somit auf ihre reine Funktion reduziert würden, könnte man die Straußschen Exempel durchaus als „Rituale“ verstehen. Dann aber wäre die Frage, was sie dann in einem Werk zu suchen haben, welches sich mit „Performanz“ befaßt? Im ersteren Falle aber - immerhin ist im Untertitel des Sammelbandes von „Ritual und Performanz“ die Rede - entspricht die Ritualbegrifflichkeit von Strauß nicht der Ritualbegrifflichkeit von Pröve und Winkel. 

Allein dieses Beispiel macht deutlich, wie verfahren die Begriffssituation in diesem Sammelband ist, dem es an der Einheitlichkeit der Definitionen, mit denen hier leichtfertig hantiert wird, mangelt. In konstruktivistischem Sinne könnte man hier freilich entschuldigend anführen, daß alle Verfassenden ihre eigene Definition mitbringen und dies auch als legitim gelten kann (Glaube erschafft schließlich Wahrheiten). Allerdings nützt es der Forschung wenig, wenn bei all den auftretenden definitorischen Inkongruenzen nicht einmal klar ist, worum es eigentlich im Grunde geht und was denn nun unter „Performanz“ oder „Ritual“ genau zu verstehen ist.
Insofern könnte man bei Demissionen aus preußischen Militärdiensten unter König Friedrich II.  von „performativen Akten“ sprechen, die „kulturelle Äußerungen zur Bekräftigung sozialer Ordnungen“ beinhalten. Allerdings fehlt, und hier kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück, die metaphysische Qualität dieser Verhandlungsinhalte. Denn weder nehmen der König noch „sein“ Leutnant Bezug auf „die letzten Gründe des Seins“ noch hat das profanweltliche Entlassungstauziehen einen überirdischen Charakter. Solche religiösen Bezüge fehlen auch in den Beispielen von Strauß zum Major v.Hirsch (Seite 113), zum Rittmeister v.Borcke (Seite 115) und zum Graf zu Anhalt (Seite 117). Trotzdem behauptet Strauß, es würde sich bei besagten Demissionsfällen um eine Handlung rituellen Charakters handeln. [18] Gemäß der Definition des Sammelbandes von Pröve und Winkel muß das aber sehr deutlich verneint werden. [19]

Bei den übrigen Beiträgen sind diese metaphysischen Bezüge indes augenscheinlicher: Rituale des Todes und der Beerdigungen im Militär behandelt der Beitrag von Marian Füssel (Seite 127-152) und Stephan Theilig schreibt über die „Türkentaufen“ als Passageriten mit starkem Transzendenzbezug (Seite 45-59). Eher weniger metaphysisch konnotiert sind wiederum die Beiträge von Ulrike Ludwig über das Duell als eine Möglichkeit einer Kollektiverfahrung (Seite 61-80) [20] und Carmen Winkels Aufsatz über den Fahneneid und den Wachdienst als Initiationsritual (Seite 25-44). Über eine ungewöhnliche Hinrichtungsart - die eines ganzen Regiments - berichtet dahingegen Bastian Muth anhand des Beispiels des Regiments Madlo aus dem Jahre 1642, wobei er verschiedene Arten von Infamie und Exekutionsformen auf ihre Ehrenbedeutung hin abklopft (Seite 81-108). Bemerkenswert dabei war, daß durchaus aber nicht das ganze Regiment hingerichtet wurde, sondern nur die Repräsentanten desselben: Die Offiziere und Unteroffiziere (sofern sie nicht begnadigt wurden) und jeder zehnte gemeine Mann. [21]

Die Verbindung von Ritualforschung und dem Militär als Untersuchungsgegenstand ist in diesen Aufsätzen stark evident: Denn überall dort, wo besonders seitens von Institutionen oder Einzelpersonen Wert auf die Erzeugung und Erhaltung von Prestige gelegt wird, sind Rituale hoch angesehen. Das Ritual ist - und zwar auch ohne den von Pröve und Winkel postulierten metaphysischen Hintergrund - in seinem symbolischen Charakter geradezu eine Bedingung und Ausdrucksform der Renommagesucht, die vor allem dort lebt, wo es um die Abkehr von ökonomischen und pragmatischen Tätigkeiten geht und darum, daß sich Eliten präsentieren und abgrenzen: Militär und Religion, ökonomisch zunächst sinnlose Institutionen, benutzen bevorzugt Rituale als Ausdrucksmittel, um demonstrativ Ressourcen zu verschwenden (Uniformen, Kleider, Personal, Gesten, Gesundheit, Menschenleben) und eine Zurschaustellung der Fernhaltung von jedweder produktiven Arbeit zu inszenieren. [22]

Darüber schreibt der amerikanisch-norwegische Soziologe Veblen, daß die Klassen und Schichten, die sich als elitär empfinden und demonstrativen Müßiggang pflegen (und dazu zählt das Militär, da es keine produktive Arbeit leistet, sondern durch Gewalttätigkeit Erschaffenes zerstört) „aus großen Eiferern der Form und des Vortritts, aus Verfechtern der hierarchischen Ordnung, des Rituals, der zeremoniellen Gewänder und ähnlichem ... Zubehör“ bestünden. [23] Die Verbindung zwischen der als ehrenvoll empfundenen (da mit höheren Transzendenzvokabeln  wie „Recht“ oder „Gott“ aufgeladenen) Gewalttätigkeit der Militärs [24] und der Performanzkultur sind also militärischerseits geradezu systemimmanent. Die sechs erwähnten Beiträge des Buches widmen sich daher auch typischen Themen, die eben diese Vorlieben der müßigen Klasse widerspiegeln.

Ein besonderes Ritual im Militär war dabei das Zerbrechen des Degens bei Offizieren, die sich nonkonform verhalten haben; darauf geht besonders Muth in seinem erwähnten Beitrag ein (Seite 98). Dabei wurde die Militärperson für infam erklärt und als Zeichen der Infamie der Degen zerbrochen. [25] Diese Zerbrechung kann als Übergangs- oder Passageritual verstanden werden. Sie war jedoch nicht voraussetzungslos, kann als Ausgangsritual bezeichnet werden und bedurfte zur Grundlage freilich auch eines Eingangsrituals. Was aber war das Eingangsritual zum Degenzerbrechen? Edelknaben wurden an den europäischen Fürstenhöfen durch die Umhängung des Degens wehrhaft gemacht und durch diesen Initiationsritus vom Kind zum Manne ernannt. [26] Das Degenanlegen kann somit als Eingangsritual, das Zerbrechen, neben dem Ablegen des Degens mit der Uniform bei der Pensionierung oder Demission, als eine besondere Art des militärischen Ausgangsrituals verstanden werden. 

Ein solches Ausgangsritual mußte auch der niederländische General La Roque über sich ergehen lassen, dem in Breda „vor der gantzen Armee“ der Degen zerbrochen wurde, bevor er zum „ewigen Gefängniß“, das heißt lebenslanger Haft, nach Schloß Löwenstein verbracht wurde. [27] Auch die Anführer der russischen Dekrabisten von 1825, der Eidesverweigeurng für den Zaren, wurden ähnlich behandelt. Über das am 13. Juli 1826 stattfindende öffentliche Ausgangsritual in Petersburg berichtete später ein betroffener russischer Dekabrist, der unter den Verurteilten war:

„Bei jeder Abtheilung befand sich ein General, bei der unsrigen mein gewesener Brigade-Commandcur Golowin. Nach der Reihe der Kategorien wurden wir einzeln hervorgerufen; jeder mußte sich auf seine Knie niederlassen, dann zerbrach der Henker den Degen über seinem Haupt, riß ihm die Uniform ab, und warf die zerbrochenen Schwerter und die Kleidung in die brennenden Scheiterhaufen. Als ich mich auf die Knie niederließ, streifte ich meine Uniform rasch ab, bevor der Henker mich berühren konnte; der General schrie ihm zu: - reiß sie ab! - sie war aber schon abgeworfen. Die Degen waren im Voraus angefeilt, so daß der Henker sie ohne große Kraftanstrengung zerbrechen konnte, nur dem armen Jakubowitsch wurde durch Unvorsichtigkeit des Henkers dabei sein Haupt verletzt, das von einer Tscherkessenkugel über der rechten Schläfe durchbohrt war. Der Letzte in unserer Abtheilung war M. I. Puschtschin, Capitän der reitenden Garde-Pioniere; er war verurtheilt als gemeiner Soldat mit Beibehaltung seiner Adelsvorrechte zu dienen. Gesetzlich hätte über seinem Haupt nicht der Degen zerbrochen werden dürfen; er machte dem General diese Bemerkung, dieser aber ließ den Degen zerbrechen. Diese Ceremonie währte über eine Stunde; dann gab man uns gestreifte Schlafröcke, wie sie in den Hospitälern getragen werden, anzuziehen, und geleitete uns in der Ordnung, in welcher wir gekommen waren, in die Festung zurück.“ [28]

Was an dieser Schilderung besonders deutlich wird, ist der rituelle Charakter der Bestrafung und Infamieerklärung, [29] der der Exekution und Verbannung nach Sibirien vorausging. Damit das Ritual (nicht das Zeremoniell [30]) auf keinen Fall gestört werden konnte, wurden die Degen zuvor sogar präpariert, um den Richtenden keine Blöße zu geben, wenn diese die Degen nicht hätten zerbrochen werden können. Das Nichtzerbrechen hätte die empfindlich die soziale Hierarchie gestört, indem die Dekabristenoffiziere für einen Moment weiterhin der Staatsmacht widerstanden hätten. Diesen Gesichtsverlust zu vermeiden mußte daher oberstes Ziel der Richtenden sein, wofür sie auch manipulative und vor allem nicht sichtbare Techniken (Lug und Trug) zur Aufrechterhaltung der Performanz einsetzten. Überhaupt war das Fehlschlagen eines Rituals der schlimmste Fauxpas, der geschehen konnte: Es entlarvte das Ritual als bloße Formalität, durchbrach die Sinnhaftigkeit und gab es der Lächerlichkeit und Absurdität preis. Denn nichts mehr als das Eindringen von Humor fürchteten Ritualisierende gegen über Ritualisierten und Zusehenden. Denn Rituale bedeuteten zugleich die konstruierte und inszenierte Abwesenheit jeder Art von Humor, weil Humor prestigemindernd war. Soziale Unterschiede konnten aber nur durch Formalien und Rituale aufrechterhalten werden. Eine Störung durch Humor hätte diese Hierarchie kurzfristig aufgehoben. Daher vermieden es Ritualisierende tunlichst, ihre Rituale selbst ab adsurdum zu führen, indem sie peinlich darauf achteten, Fehler in ihrer Inszenierung zu vermeiden. 

Offensichtlich beispielsweise wird diese Absurdität beispielsweise des Gelöbnisrituals vom 20. Juli 2012 im Hof des Bendlerblocks im Verteidigungsministerium zu Berlin. Obgleich gegen die Demonstrierenden eine Bannmeile zur Vermeidung von verbalen oder Pfeif-Störungen eingerichtet worden war,  ereignete sich unmittelbar nach der Ableistung des Gelöbnisses, bei dem die Truppenfahne des Wachbataillons mit einer Abordnung aus sechs ausgewählten freiwilligen Rekruten dreier Truppengattungen im Fokus stand, bei Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière eine Unsicherheit darüber, zu welchem Zeitpunkt er zu den Rekruten hinzugehen habe, um ihnen in seiner Bekräftigung des Gelöbnisses einige (im übrigen ritualisierte) Fragen über ihren Werdegang (Herkunft, Alter, Numerus Clausus, Schulabschluß, Verplfichtungsdauer, Familienverhältnisse, Wetter, Zukunftspläne) zu stellen. [31] Doch bevor dies geschehen konnte, mußte ein Uniformierter Lothar da Maizière zurückhalten, da er hilflos um sich blickend zu früh seinen Platz auf der Tribüne verlassen wollte. [32] Diese offensichtliche Unvertrautheit ausgerechnet der Ritualisierenden mit dem eigens entworfenen Ritual kann aus Sicht der Performanzforschung als Scheitern des Rituals gewertet werden, der prestigeherabsetzend wirkte.

Auch bei einer böhmischen Königskrönung im XVII. Centenarium geschah im liminalen Passagevollzug ein Mißgeschick, das die politisch-soziale Ordnung der auftretenden Figuren empfindlich störte und daher auch keine Erwähnung in offiziellen Krönungsberichten fand. Nur der Kardinal Ernst Adalbert v.Harrach, ein kritischer Beobachter, überlieferte den Fauxpas in seinen Schriften, der sich durch das unbemerkte Herunterfallen eines Augenglases eines Burggrafen bei der Eidesvorlesung ergeben hatte. [33]

In diesem Zusammenhang, wie überhaupt bei allen Ritualen, könnte man sinnvollerweise die bisher geübte Praxis, zwei personelle Beteiligtengruppen bei Ritualen zu benennen, auch noch auf drei Gruppierungen erweitern: 1. Ritualisierende wären demnach diejenigen, die ein Ritual erdenken, ausrichten, abhalten und veranstalten, 2. Ritualisierte wären die, mit denen ein Ritual abgehalten wird und 3. Zusehende wären diejenigen, die dem Ritual als Rezipienten, auf die das Ritual eine Wirkung haben soll, beiwohnen. Diese Dreiteilung wäre insofern angebracht, als sie verschiedene Gruppen und ihre jeweiligen Aufgaben im Ritual bezeichnen können und zu weiterer Differenzierung einladen. Deutlich wird dies insbesondere bei Ritualen wie Exekutionen, strafrechtlichen Gerichtsverhandlungen, Parlamentssitzungen, Graduation-Zeremonien bei neu eingestelltem Flugbegleitpersonal, dem ritualhaften Verhalten der weiblichen Verkehrsoffiziere auf den öffentlichen Kreuzungen in Nordkorea oder Initiationsritualen wie Taufen, Kommunionen, Konfirmationen, Wachablösungen, Zeugnisübergaben nach bestandener Prüfung, Annahmen von Freimaurern im Tempel oder auch spezielle Abläufe von Gottheitsdiensten bei religiösen Gemeinschaften, in denen die angesprochene Dreiteilung mit je unterschiedlichen Aufgaben bewußt wird. Bis auf wenige Fälle, in denen, wie beispielsweise bei einem Kuß eines Liebespaar im privaten Bereich, Ritualisierende und Ritualisierte personell identisch sind und bei denen keine Zusehenden vorhanden sind oder beim Gebet eines Mönches in seiner Klause, wird man daher regelhaft von dieser Dreiteilung ausgehen können.

Der vorliegend zu besprechende Band stellt nun insgesamt besehen - und abseits der erwähnten Begriffsverwirrungen - einen kulturwissenschaftlichen Beitrag zur klassischen (Militär-) Geschichte dar, eine lobenswerte Erweiterung der gewöhnlichen Erzählstrategien der ehedem rein schulwissenschaftlichen Historiker. Er kann daher als anregend Lektüre zu weiteren Forschungen dienlich sein und hat neue Horizonte alter Vorgänge erfolgreich ausgeleuchtet. Der Band ist gebunden, besitzt fünf schwarz-weiße Abbildungen, ist im Verlag „V&R Unipress“ als 16.Band der Reihe „Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit“ in Göttingen erschienen, umfaßt 152 Seiten und kostet 34,99 Euro.

Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in der Zeitschift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XV. (2012).

Annotationen:

  • [1] =  Dazu siehe John Austin: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 2002
  • [2] = Sie unterschlagen dabei die gesamte Bandbreite der insgesamt siebenfachen Fischer-Lichteschen Aspekte der Performativität, nämlich:  a). Leibliche Ko-Präsenz, b) Räumlichkeit, c) Körperlichkeit, d) Lautlichkeit, e) Rhythmus, f) Wahrnehmung und Erzeugung von Bedeutung sowie g) Ereignishaftigkeit von Aufführungen. Siehe dazu detaillierter Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, Bielefeld 2012
  • [3] = Erika Fischer-Lichte: Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe, in:Jürgen Martschukat & Steffen Patzold (Herausgebende): Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, Seite 33-54
  • [4] = Darunter ist in diesem Fall eine interdependente Sicht auf das Selbst zu verstehen. Das heißt, daß das eigene Selbst vergleichend Bezug zu sozialen Mitakteuren nimmt und durch sie in einer Kollektivgesellschaft, wie sie die Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit darstellt, mitbestimmt wird. Siehe dazu Lioba Werth & Jennifer Mayer: Sozialpsychologie, Heidelberg 2008, Seite 172. Eine spannende Frage wäre es, ob auch außerhalb der Ständegesellschaft Rituale eine solche selbstvergewissernde Funktion haben. Zumindest für militärische Gelöbnisse der Jetztzeit kann das angenommen werden. Bemerkenswert dürfte fernerhin die Fragestellung sein, ob dann stark individualistische Gesellschaften weniger Rituale vollziehen?
  • [5] = In ihrem Vorwort verbreiten die beiden Herausgebenden weitere Merkwürdigkeiten, beispielsweise behaupten sie auf Seite 11, daß öffentliche Rekrutengelöbnisse „der Geschichte“ angehören würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr veranstaltet auch in der nunmehrigen Berufsarmee (seit 2011) ohne die Wehrpflichtigen öffentliche Gelöbnisse. Zuletzt wurde am 20. Juli 2012 im Bendlerblock in Berlin ein Gelöbnis mit 400 freiwilligen Rekruten vor rund 2.000 Zusehenden abgehalten.
  • [6] = Kai Bremer & Uwe Wirth: Performanz, in: Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (Herausgebender): Enzyklopädie der Neuzeit, Band IX., Stuttgart & Weimar 2009, Spalte 956-957
  • [7] = Nomen Nescio: Jahrbücher der preußischen Monarchie unter der Regierung Friedrich Wilhelm III., Jahrgang 1798, Band I., Berlin 1798, Seite 308-309
  • [8] = Diese Bezeichnung aus der Forschung ist ebenfalls verwirrend. Man könnte höchstens den Sprechakt hernehmen und gerinnen lassen, so daß er dann als Schreibakt bezeichnet werden könnte.  Ein geronnener Schreibakt ist ja das Ergebnis der Modifikation eines Sprechaktes und nicht dessen Voraussetzung.
  • [9] = Kai Bremer & Uwe Wirth: Performanz, in: Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (Herausgebender): Enzyklopädie der Neuzeit, Band IX., Stuttgart & Weimar 2009, Spalte 957
  • [10] = Eine andere Ritualbegrifflichkeit vertritt Iris Gareis: Ritual, in: Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (Herausgebender): Enzyklopädie der Neuzeit, Band XI., Stuttgart & Weimar 2010, Spalte 297-306. Bei Gareis ist ein Ritual (lediglich) „eine nach einer weitgehend festgelegten Ordnung stattfindende Abfolge von Handlungen vor Zuschauern“. Gareis unterscheidet religiöse Rituale (z.B. Liturgien in Gottheitendiensten) von säkularen Ritualen (z.B. dem Handgeben beim Begrüßen). Für Gareis liegt die Funktion der Rituale bei der Bekräftigung sozialer Ordnungen, wodurch eine Selbstvergewisserung der Gesellschaft stattfinden würde.  Als Merkmale von Ritualen definiert Gareis a) mehrere Beteiligte, b) die Eröffnung eines Kommunikations-Raumes, in dem diese Beteiligten agieren und c) den Vollzug eines Übergangs- oder Schwellenzustandes. Rituale können zudem nach Gareis nur gelesen werden, wenn man die kulturspezifischen Codices (Annotation des Rezensenten: mittels interkultureller Kompetenz) entschlüsseln kann, die dem Ritual zugrunde liegen. Gareis bemerkt dahingegen nichts von einer metaphysischen oder transzendenten Qualität des Rituals und vertritt damit einen profanweltlichen und somit antisakralen Begriffskanon. Diese Gareissche Begriffsdefinition erscheint dem Rezensenten wesentlich angebrachter als der vaporöse Rückgriff auf die Metaphysik und die Transzendenz bei Pröve und Winkel. Noch eine weitere - recht salopp-populäre - Ritualbegrifflichkeit verwenden die beiden (aus der Betriebswirtschaft kommenden und daher primär ökonomisch orientierten Hofstedes (Geert Hofstede & Jan Gert Hofstede: Lokales Denken, globales Handeln, München 5.Auflage 2001, Seite 518): „Kollektive Tätigkeiten, die für das Erreichen des gewünschten Ergebnisses praktisch überflüssig sind, in einer Kultur aber  als gesellschaftlich wesentlich angesehen werden; sie werden daher um ihrer selbst willen ausgeübt.“ Eher enttäuschend ist in Hinsicht auf die Begriffsklärung übrigens Ansgar Nünning (Herausgebender): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart & Weimar 4.Auflage 2008, Seite 629-631. Hier wird „Ritual“ gar nicht definiert, sondern nur in zahlreichen Funktionen nach Gennep namentlich als „Übergangshandlung“ geschildert.  Bei der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte schließlich heißt es zum Ritual: „eine bestimmte Gattung von Aufführungen, die der Selbstdarstellung und Selbstverständigung, Stiftung bzw. Bestätigung oder auch Transformation von Gemeinschaften dienen und unter Anwendung je spezifischer Inszenierungsstrategien und -regeln geschaffen werden.“ Um Rituale von bloßen Alltagshandlungen (Warten auf eine grün leuchtende Ampel im Straßenverkehr, Gerichtsverhandlung, Aufstehen, Zubettgehen, Spaziergang, Frühstück, Abendbrot, Fernsehen) zu unterscheiden, erweitert Fischer-Lichte den Begriff „Ritual“ a) um seine Symbolträchtigkeit (etwas Stellvertretendes muß gemeint sein) und b) um seine Dreiteilung in Trennungs-, Übergangs- und Inkorporationsphase nach van Gennep. Siehe dazu Erika Fischer- Lichte: Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe, in: Jürgen Martschukat & Steffen Patzold (Herausgebende): Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, Seite 47-49 
  • [11] = Strauß vollzieht ihre Urteile auf recht magerer Quellenbasis. Bei Rolf Straubel (Er möchte nur wißen, daß die Armée mir gehöret. Friedrich II. und seine Offiziere. Ausgewählte Aspekte der königlichen Personalpolitik, Berlin 2012, Seite 469-470) kommt eine weitere Komponente hinzu: Friedrich II. ließ sich ungern schriftlich auf Demissionen ein, sondern wollte diese gern nach Möglichkeit im persönlichen Gespräch mit dem Offizier face-to-face regeln. Er baute dabei u.a. auf die Revuen (Besichtigungen) der Regimenter und darauf, daß die Offiziere Angst vor ihm hätten und daher ihren Demissionswunsch nicht vortragen würden. Auf diese Weise glaubte der König - übrigens vergebens - der „Demissionswut“ von 5-30 monatlichen Anträgen auf Entlassung aus dem Offiziers-Militärdienst Herr zu werden.
  • [12] = Strauß spricht in ihrem Beitrag nicht nur von Ritualen, sondern auch von Performanz. Siehe dazu ihren Abschnitt „Die Performanz der Königsherrschaft“ (Seite 123-124). Sie hält die Behandlung der Demissionswünsche der Offiziere durch den König tatsächlich für „Aufführungen“, geht daher auch auf den Widerspruch gar nicht erst ein, daß es keine Zuschauer dieser (geronnenen Sprech- oder) Schreibakte gab.
  • [13] = Kurd Wolfgang v.Schöning: Geschichte des Königlich Preußischen Regiments Garde du Corps, Berlin 1840, Seite 123-124
  • [14] = Der Ausgang des Beispiels ist indes nicht ganz klar. „Er solle gehen“ kann sowohl verstanden werden als Genehmigung, daß er den Dienst nun doch noch endgültig quittieren dürfe (bewilligte Demission) oder er als Aufforderung des Königs, zurück ins einen Dienst zu gehen, ohne noch länger auf einen abschied zu drängen (verweigerte Demisson) 
  • [15] = Zu den Mitteln sozialer Machtausübung siehe Lorenz Fischer: Grundlagen der Sozialpsychologie, München 2.Auflage 2002, Seite 492
  • [16] = Beispiele dazu bei  Rolf Straubel: Er möchte nur wißen, daß die Armée mir gehöret. Friedrich II. und seine Offiziere. Ausgewählte Aspekte der königlichen Personalpolitik, Berlin 2012, Seite 175 („daß in dem Tettenbornschen Rgtme immer noch die Schläffrigkeit herrschet“), Seite 487 („Sie soll sich doch was schämen“), Seite 491 („Er hat nicht Lust länger zu dienen und will nach Hause, das ist seine Kranckheit!“), Seite 505 („So möget Ihr denn zum Teufel gehen!“), Seite 511 („und selbige nicht einen Schus-Pulver [sic!] werth sein müßen“), Seite 532 („kann er zum Teufel gehen“), Seite 581 („was der Mensch da schreibet“), Seite 599 („Solche Leute wie Er, nähme man bey keiner Armee in der gantzen Welt.“), Seite 710 („den e rmacht sich da wohl groß mit seinem Posten, aber er thut nicht, was zur Sache gehöret“) 
  • [17] = Der französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873-1957) hat in seinem Buch „Les rites de passage“ (Paris 1909) weltweit Riten untersucht und kommt zu dem Ergebnis, daß Rituale soziale „Übergänge“ markieren. Gennep war also vor allem an der Funktion von Ritualen interessiert und weniger an der Definition des Begriffes „Ritual“. 
  • [18] = Der einzige tranzendente Bezug (auf die christizistische Gottheit) liefert Strauß (Seite 115, Fußnote 26) in der Bemerkung des Königs zur dann doch erteilten Demission des Rittmeisters v.Borcke von 1785, man müsse Gott danken, daß man den Rittmeister v.Borcke „los wirdt“. Dieses „Gottseidank“ ist jedoch weniger als eine Einbeziehung der Transzendenz zu werten als vielmehr als eine stehende Redewendung ohne einen realitären Transzendenzbezug. Früher und an anderem Orte - in der römischen-katholischen Liturgie des christizistischen Gottheitsdienstes - hatte das „Deo gratia“ ins einer lateinischen Form freilich schon eine transzendente Bedeutung.
  • [19] = In dieser Hinsicht aufschlußreich ist übrigens die sehr detaillierte Untersuchung von Rolf Straubel über „Abschiedsgesuche und unfreiwillige Entlassungen aus dem Militärdienst“ in dessen Buch „Er möchte nur wißen, daß die Armée mir gehöret. Friedrich II. und seine Offiziere. Ausgewählte Aspekte der königlichen Personalpolitik, Berlin 2012, Seite 466-542. Dieses Buch ist von Strauß in ihrem Aufsatz des hier besprochenen Sammelbandes nicht benutzt worden, vermutlich, weil es zeitlich parallel zu dem Buch von Straubel erschienen ist.
  • [20] = Gekennzeichnet durch das Paradox, daß Duelle einerseits juristisch verboten, andererseits aber aus ehrenkodexalen Gründen  geboten waren. Siehe dazu den Abschnitt „Differenzierte Sicht auf und Ahndung von Duellen“ bei Rolf Straubel: Er möchte nur wißen, daß die Armée mir gehöret. Friedrich II. und seine Offiziere. Ausgewählte Aspekte der königlichen Personalpolitik, Berlin 2012, Seite 608-612 sowie detailliert bei Claus Heinrich Bill: Duellkultur des norddeutschen Adels 1580-1945 (in fünf Teilen), in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgänge II./III., Owschlag 1999/2000, Folgen 8-13 
  • [21] = Diese „decimatio“ (oder Dezimation) benannte tatsächliche und zugleich symbolische Todesart, bei der jeder zehnte Gemeine hingerichtet wurde, entstammt dem römischen Militär (Jörg Rüpke: Domi Militiae. Die religiöse Konstruktion des Krieges in Rom, Stuttgart 1990, Seite 92) und wurde späterhin auch in europäischen Armeen der Frühen Neuzeit als „Dezimierung“ übernommen. Zu einem ähnlichen Fall eines auszulöschenden Pontonnieren-Bataillons infolge kriegsgerichtlichen Erkenntnisses aus der schleswig-holsteinischen Erhebung siehe Otto Fock: Schleswig-Holsteinische Erinnerungen, Leipzig 1863, Seite 161 
  • [22] = Dazu ausführlich Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958, Seite 94, 163
  • [23] = Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958, Seite 352-353 und 358 
  • [24] = In den meisten vormodernen wie modernen Gesellschaften gilt die von der jeweiligen müßigen Klasse verursachte Gewalt als ehrenvoll, während eine von der arbeitenden Klasse verursachte Gewalt als Verbrechen gilt. Siehe dazu Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958, Seite 36, 237 und 291
  • [25] = Auf die Erkenntnis, daß das Zerbrechen des Degens ein Simulkarum nach Baudrillard und ein semantischer Aspekt war, wies bereits Nicolus Hieronymus Gundling in seinem Werk „Ausführlicher Discours über das Natur- und Völcker-Recht“ (erschienen Frankfurt am Main & Leipzig 1734) auf Seite 95 hin.
  • [26] = Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste, Franckfurt am Mayn MDCCLXXXIII., Band VII., Seite 18
  • [27] = Die neue europäische Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der vornehmsten Höfe entdecket, Band 145, ohne Ort 1747, Seite 1070-1073 (Rubrik „Von Holland und den Niederlanden“)
  • [28] = Aus den Memoiren eines russischen Dekabristen, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, Jahrgang XXVII., 2.Semester, Band II., Leipzig 1868, Seite 181
  • [29] = Wenn man die Definition von Pröve & Winkel aus deren Vorwort beziehentlich des Begriffes „Ritual“ heranziehen will, so darf man das Zerbrechen des Degens nicht als „Ritual“ bezeichnen, denn diesem Vorgehen fehlte der metaphysische Charakter.
  • [30] = Nach der Enzyklopädie der Neuzeit ist ein Zeremoniell ein „Medium der symbolischen Herstellung und Darstellung von politisch-sozialer Ordnung“, hat im Gegensatz zum Ritual aber keine statusverändernde Qualität. Da die Dekabristen aber durch die erwähnte Performanz in ihrem Status modifiziert wurden, handelt es sich hierbei nicht um ein Zeremoniell. Siehe dazu Marian Füssel: Zeremoniell, in: , in: Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (Herausgebender): Enzyklopädie der Neuzeit, Band XV., Stuttgart & Weimar 2012, Spalte 451-457
  • [31] = Diese Fragen waren Fragen, bei denen der konkrete Inhalt bedeutungslos war. Es kam hierbei vielmehr auf die Bekräftigung per Handschlag durch Gespräch und Glückwunsch an, wenngleich die Fragen Persönliches berührten. Damit verbunden war aber weniger ein Informationsgewinn, sondern eine persönliche Wahrnehmung der Rekrutierten.
  • [32] = Video mit dem Titel „Rekrutengelöbnis der Bundeswehr vom 20.07.2012“ (unter der Adresse „http://youtu.be/-zkLCg5rJMs“ nach dem Abruf vom 20. November 2012). Die entsprechende Szene mit dem Fauxpas ist bei 00:56:34 min zu sehen. Proteste und Demonstrationen wider die öffentlichen Gelöbnisse werden zumeist von der Bundeswehr oder der Politik mit dem Hinweis darauf, daß es die Bundeswehr sei, die das Recht auf Demonstration schütze und daher Demonstrationen erst ermögliche, beantwortet.
  • [33] = Benita Berning: Nach altem löblichen Gebrauch. Die böhmischen Königskrönungen der Frühen Neuzeit (1526-1743), Köln & Weimar & Wien 2008, Seite 193

©  Institut Deutsche Adelsforschung - Quellenvermittlung für Wissenschaft, Familienforschung, Ahnenforschung | Seitenanfang