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Ritualforschung im frühneuzeitlichen MilitärwesenRezension zu einer bemerkenswerten historischen MethodikIm Jahre 2012 erschien unter der Regie und Herausgabe von Prof Dr. Ralf Pröve und der gerade bei ihm promovierenden Magistra Carmen Winkel, beide aus der klassischen Historik an der Universität Potsdam kommend, ein Sammelband mit dem Titel „Übergänge schaffen. Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft“. Der Band befaßt sich mit verschiedenen Aspekten unter der Klammer der Aufführungsforschung, die ganz allgemein jede Form von Ritualistik als bewußte Inszenierung, abgeleitet aus der Theaterwissenschaft, behandelt und hier in diesem Falle an der Thematik des Militärs in den Jahrhunderten von 1500 bis 1789 (also der sogenannten Frühen Neuzeit) orientiert war. Dabei verwenden die Herausgebenden verschiedene Begriffe wie „Ritual“, „Performanz“, „Zeremonie“, „Zeremoniell“ oder „Inszenierung“, deren Charakteristika wegen der Begriffsunschärfe zunächst einmal geklärt werden mußten. Unter Performanz, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Performativität aus der Austinschen Sprechakttheorie der klassischen Literaturwissenschaft (aus der sie gleichwohl hervorgeht), [1] verstehen die Herausgeber dabei „jede Art von Aufführung, egal ob es sich um einen Staatsakt, eine Hochzeit oder ein Fußballspiel handelt“ (Seite 9). Ausschlaggebend sei zudem, daß jede Performanz einmalig, flüchtig, transitorisch und durch Räumlichkeit, Körperlichkeit und Lautlichkeit geprägt sei sowie - „ganz wichtig“ - eine soziale Koexistenz von Zusehenden und Akteuren benötigen würde (Seite 9). [2] Soweit haben die Verfassenden ihr Modell von der Theaterwissenschaftlerin Fischer-Lichte [3] übernommen. Anstatt nun folgend aber stringent ihren definitorischen Untersuchungsbegriff der Performanz weiter zu erläutern oder zu untergliedern, behaupten sie dann aber überraschenderweise, „getrennt“ von der Performanz existiere noch „die Inszenierung“ als „Modus der Herstellung von Aufführungen“ und diese nun lasse sich a) in „die Zeremonie“ und b) in „das Ritual“ untergliedern. „Zeremonie“ sei dann eine transzendenzlose oder antimetaphysische Inszenierungsstrategie, ablaufend nach „dem Zeremoniell“ als den Regeln einer Zeremonie und Ritual sei eine transzendenzhafte und metaphysische Inszenierungsstrategie. Demnach wäre z.B. das Händeschütteln bei der Begrüßung unter postmodernen Westeuropäern des Kommunikationszeitalters kein Ritual, sondern eine Zeremonie, denn sie dient allein sozialer Vergewisserung [4] und hat keinerlei metaphysischen Charakter, auch wenn man landläufig diese Begrüßungsform wohl eher populär als Ritual bezeichnen würde. Dies Beispiel zeigt bereits, daß die Begrifflichkeitsvielfalt nicht ganz ungefährlich ist. Eine genaue und vor allem widerspruchslose oder auch nur zusammenhängende Definition der verwendeten Begriffe wäre daher vorweg daher absolut geboten gewesen. Leider leisten das die beiden Herausgebnden nicht, da sie ja umgehend wieder von ihrem Performanz- und Aufführungsbegriff abweichen. Gemeint war aber vermutlich, daß Performanz jede Art von Aufführung sei und sich innerhalb der Performanz als Oberbegriff wiederum (und nicht „getrennt“ von ihr) „Zeremonie“ und „Rituale“ untergliedern lassen? Die Trennung der Begriffe nach Pröve und Winkel ergibt daher keinen Sinn. Wozu wird eine Überordnungsdefinition eingeführt, wenn sie dann gleich wieder als nebenstehend bezeichnet wird? Um die Verwirrung vollkommen zu machen, wird dann auch noch seitens der Herausgebenden behauptet, „Rituale“ seien nun doch „performative Akte“ (Seite 10), obgleich sie zuvor doch angeblich „getrennt“ von ihnen zu betrachten seien. Die Einführung der beiden Herausgebenden ist daher sprachlich unglücklich gewählt, definitorisch unscharf und trägt nicht gerade zur Klärung des Begriffes „Performanz“ und seiner Satelliten bei. [5] Wie sehen den Begriff indes Andere? Die kulturwissenschaftlich orientierte „Enzyklopädie der Neuzeit“ schreibt dazu, Performanz sei eine „schauspielerische Bühnenleistung“, die sich stets durch die vier Aspekte a) der Inszenierung, b) der Korporalität, c) der Wahrnehmung und d) der Aufführung charakterisieren lasse. „Performativ“ seien außerdem alle menschlichen Handlungen, die durch einen Sprechakt soziale Tatsachen schaffe. Darüber hinaus sei eine Performanz eine „cultural performance“, wenn in ihr handelnde Personen a) an bestimmten Orten, b) zu bestimmten Zeiten und c) mit entsprechender Autorität handeln würden. [6] Besehen wir dazu ein Beispiel aus dem Themenbereich der Herausgebenden, dem preußischen Militär am Ende des Ancien Régime. Am 13. Januar 1798 erließ der preußische König Friedrich Wilhelm III. eine Kabinettsorder, in der er einige persönliche Zeilen an den Generalmajor v.Roeder nach Potsdam sandte: „Da Euer herannahendes Alter, und die auf eine lange rastlose Anstrengung sich gründende Abnahme Eurer Kräfte Euch die Ausübung der, mit Euren bisher so rechtschaffen bekleideten Posten, verbundenen Dienstverrichtungen sehr erschweren und Euch daher, selbst gegen Eure Neigung, den Wunsch abnöthigen muß, für den Überrest Eures thätigen Lebens die Ruhe genießen zu können, so glaube Ich blos einer Pflicht zu genügen, wenn Ich Euch hiermit von aller fernern Dienstleistung entbinde, und dadurch dem rühmlichen Geständnisse zu begegnen suche, welches Ihr mit Selbstaufopferung, nur aus unbegränzter Anhänglichkeit an den Dienst, zu unterdrücken bemüht gewesen seyd. Ich danke Euch verbindlichst für Eure dem Staate so viele Jahre hindurch treu und gut geleisteten Dienste, und damit Ihr im Stande seyn möget. Euch hinführo in Euerm Ruhestande, zur bessern Erhaltung Eures Mir werthen Lebens, die erforderliche Pflege zu gewähren, sollet Ihr Eure bisherige extraordinäre Zulage von 1.500 Rthlr. jährlich, nebst der Revenue von der Amtshauptmannschaft Bolja, als Pension behalten. Um Euch hiernächst auch ein öffentliches Merkmal Meines Wohlwollens und Meiner vollkommenen Zufriedenheit mit Euerm stets bezeigten Diensteifer zu geben, habe Ich nicht allein dem Ober-Krieges-Collegio aufgetragen. Euch den Abschied als Generalleutnant auszufertigen, sondern will Euch auch Meinen hierbei kommenden großen Rothen Adler-Orden conferiren. Euer Bataillon bleibt für jetzt noch vakant; dagegen aber habe Ich den General-Major v.Rüchel zum Commandeur des Regiments Garde und Commandanten von Potsdam ernannt, auch demselben die Euch anvertrauet gewesene General-Inspection übertragen; und könnet Ihr demselben also die Geschäfte sowohl der Commandatur als der Inspektion übergeben. Schließlich wiederhole Ich Euch hiermit die Versicherung, daß Ich mit Vergnügen jede Gelegenheit wahrnehmen werde. Euch die Wertschätzung zu bezeigen, womit Ich bin Euer wohlaffectionirtcr König 1798 Friedrich Wilhelm.“ [7] Betrachtet man sich diese Order unter dem Blickwinkel der Performanz, haben wir es - streng genommen - allerdings nicht mit einer „schauspielerischen Bühnenleistung“ zu tun und daher auch nicht mit einer Performanz. Allerdings betonen Teile der kulturwissenschaftlichen Forschung mithilfe eines recht geschickten, aber nicht unbedingt überzeugenden Kunstgriffes, man habe es hier trotzdem mit einer abgewandelten Form der Performanz zu tun, weil in der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit die einst „vollständige Performanz“ in eine andere Form der Performanz (offenbar eine unvollständige?) modifiziert worden sei, da der reine Sprechakt durch die Maßnahme der Verschriftlichung zu einem geronnenen Schreibakt [8] geworden sei, der nicht mehr mit den Körpern der Betreffenden handele, sondern Buchstabenkörper ausgebildet habe. [9] Trotzdem gilt, daß Roeders angekündigte Versetzung in den Ruhestand trotzdem keine Performanz war. Denn dem Akt fehlten die Zuschauenden. Die Handlungen wurden nicht auf einer Bühne aufgeführt, sondern sind lediglich in Schriftform geronnene Sprechakte. Aber es handelt sich zweifelsohne um einen performativen Sprechakt mit dem Charakter eines Übergang oder einer Passage, der vier soziale Tatsachen in einem Schreibakt schafft: Roeder wurde a) demissioniert, b) zum Ende seiner Laufbahn zum Generalleutnant ernannt, c) mit bestimmten Einkünften versehen und d) teilweise durch Generalmajor v.Rüchel ersetzt. Allerdings war dieser Schreibakt des Königs auch keine „cultural performance“, da sie orts- und zeitunabhängig war: Der König konnte, wo und wann er wollte, diese Kabinettsorder ausstellen, der Sachverhalt der Pensionierung Roeders blieb unabhängig davon der gleiche. Das angeführte Roedersche Beispiel zeigt die Problematiken, die sich ergeben, wenn man verschiedene Begriffsdefinitionen des Performativen anwenden und untersuchen will. Je nach Blickwinkel hätten wir es also mit einer Performanz oder auch nicht mit einer Performanz zu tun. Trotzdem wird „Performanz“ dann doch noch in den zu besprechenden Sammelband aufgenommen, beispielsweise bei dem Aufsatz von Angela Strauß über die jeweils einmaligen Reaktionen König Friedrich II. von Preußen auf Demissionierungswünsche seiner Offiziere im XVIII. Centenarium. Allein dieser Beitrag muß näher betrachtet werden, da er von „rituell-performativen Zügen“ in einem Bereich der militärischen Frühneuzeitgeschichte spricht (Seite 110), bei der man vermuten könnte, daß es sich weniger um Performanzen oder Rituale als mehr um die Behandlung von Einzelfällen handeln könnte. Zudem führt die Verfasserin den Begriff „Ritual“ ein. Daher muß zunächst auch noch eine Definition dessen gegeben werden, was in dem Sammelband allgemein unter „Ritual“ verstanden wird. Hier bieten Pröve und Winkel (Seite 10) als die Herausgebenden folgende Definition: Rituale seien demnach kulturelle Äußerungen zur Bekräftigung sozialer Ordnungen mit transzendentem (auf Überirdisches bezogen) oder metaphysischem (auf den letzten Grund es Seins bezogen) Bedeutung. Als Merkmale nennen die beiden Herausgebenden: a) standardisierte Wiederholungen von Handlungen, b) dramatisches (d.h. Aufregendes; in der Literaturwissenschaft jedoch eher gebraucht als Stück des Theaters mit Figurenrede) und expressives (ausdrucksstark) Pathos (Feierlichkeit). [10] Strauß behauptet nun, die Behandlung der Demissionswünsche von Offizieren hätte rituellen Charakter. Sie stellt dazu fest, welche Möglichkeiten der Reaktion der preußische König hatte, wenn ihn Offiziere um ihre Entlassung baten und macht hier drei Wege aus: a) den der Ablehnung, b) der der Diskussion mit abwartenden Nachfrage und c) den der Genehmigung (Seite 112). Strauß sagt dabei explizit, es handele sich bei allen drei Möglichkeiten um Rituale zur Festigung königlicher Macht und der sozialen Statusverhältnisse und insofern um Rituale, als diese Vorgänge mit symbolischem Inhalt aufgeladen wären (Seite 109-126). [11] Dem kann man zustimmen oder auch nicht. Für eine solche Definition spricht, daß der König mit diesen Behandlungswegen in der Tat soziale Hierarchien bestätigte und erneut festigte. Das Verhältnis zwischen frühmodernem Arbeitgeber und Arbeitnehmer war geprägt von dem Eid des Militärs auf den König (und nicht auf die Verfassung) und das galt insbesondere für das Zeitalter des Ancien Régime. Der persönliche Eid schuf und bekräftigte in der Tat ein persönliches Treueverhältnis zwischen den semantischen und den tatsächlichen Körpern des König und des Offizier (oder Soldaten), bei dem die jeweiligen Aufgaben und sozialen Standpunkte klar gegliedert waren: Der König befahl und der Militär hatte zu gehorchen und - nicht nur notfalls - für den König zu sterben. Es war daher unwahrscheinlich, daß der König bei Entlassungsgesuchen diese soziale Hierarchie und den Eid aufgegeben hätte. Insofern ist es einleuchtend und korrekt, dieses Vorgehen und das Verhalten der Akteure, hier namentlich des Monarchen, als „Bekräftigung sozialer Ordnung“ zu bezeichnen. Doch bleibt trotzdem die Frage, was daran ein „Ritual“ und was eine „Performanz“ gewesen gewesen sein soll? [12] Denn, wie gesehen, soll ein Ritual nach Pröve und Winkel ja unbedingt im Gegensatz zur Zeremonie einen transzendenten oder einen auf den letzten Grund des Seins bezüglichen Inhalt haben. Woraus könnte man diesen Sinn aber bei weltlichen Entlassungsgesuchen ableiten? Woraus ergibt sich im Vorgang der Demissionsbehandlung zwischen König und untergebenem Militär eine metaphysische Qualität? Sehen wir uns dazu einmal einen solchen Vorgang näher an, der als prototypisch gelten kann und so auch nicht anders von Strauß in den von ihr verwendeten Beispielen angeführt worden ist: „Ein Herr v.Rochow (aus dem Hause Plessow), der Gelegenheit fand eine vortheilhafte Heirath zu machen, forderte wiederholt seinen Abschied. Der König schlug ihm selbigen immer auf eine sehr gnädige Art ab, indem er ihm bald versicherte, er könne einen so schönen und tüchtigen Offizier unmöglich verlieren, bald versprach er ihm, ganz vorzüglich für sein künftiges Glück zu sorgen. Als sich Rochow durch alles dieses nicht abhalten ließ, nochmals um den Abschied zu schreiben, so schickte er ihn in Arrest und ließ ihm nach Verlauf einiger Tage sagen, wenn er sich noch einmal um den Abschied meldete, so würde man ihn ein halbes Jahr nach Spandow schicken und alsdann nach einem Garnison-Regiment setzen. Rochow mußte natürlicherweise bei dieser sehr deutlichen Weisung sich beruhigen. Nach etwas länger als einem halben Jahre bekam er aber den Schwind im Arm. Der Oberst meldete dem Könige den Lieutenant v.Rochow als krank. Sehr verdrießlich fragte der König: Was fehlt ihm? Der Oberst antwortete: er hat den Schwind im Arm! Den Teufel auch, antwortete der König, ich weiß besser, was ihm fehlt, den Abschied will er haben; gehe er gleich hin und sage er ihm, er solle gehen.“ [13] Aus diesem Exempel ergibt sich, daß es in der Tat bei den mehrfachen ingeniösen Abschiedsgesuchen des Leutnants um eine stetige Verhandlung von Status- und damit von Machtverhältnissen ging. Es zeigte sich zwar, daß der Offizier kein alleiniger Gegenstand der königlichen Verfügbarkeit war, aber dennoch ein starkes Abhängigkeitsverhältnis bestand. Denn als der junge Offizier seine Libationen lieber im Zivilleben mit seiner Frau finden wollte, anstatt dem König im militärischen Rock zu dienen, erweiterte der König seinen Sanktionskatalog auf die Stufe des tatsächlich vollzogenen Arrestes und drohte ihm fürderhin sogar einen Festungsaufenthalt in Spandau an, wenn er weiter den Abschied suchen würde. [14] Der Fall zeigt: Als Offizier konnte man seinen durch einen Eid bekräftigen Arbeitsvertrag nicht ad hoc kündigen und hier hatte der Leutnant zu sehr auf die Bonhomie des Königs gesetzt. Aber er zeigt auch: Das Ringen um eine Demission aus Militärdiensten war ein stets Ringen zwischen den beteiligten Akteuren, ein Aushandeln der Positionen und ein Aushandeln von Macht. Dieses Kräftemessen war vor allem geprägt von der königlichen Machtausübung in zweierlei Hinsicht, zunächst von dem Einsatz der königlichen Belohnungsmacht, indem der Souverän Rochow eine erste psychische Gratifikation erteilte („einen so schönen und tüchtigen Offizier unmöglich verlieren“), der bald darauf eine zweite derartige Gratifikation („ganz vorzüglich für sein künftiges Glück zu sorgen“) in Aussicht stellte. Als diese Machtmittel bei Rochow aber nicht verfingen, wechselte der König die Strategie und ließ seinen Untergebenen nun seine Bestrafungsmacht spüren, zuerst mit dem Mittel einiger Arresttage, in denen der König über den Körper des Offiziers verfügte, dann in einer verschärften Stufe mit der Androhung weiterer physischer Sanktionen. Die Strategien des Königs wider die Demission bestanden hier also aus Versprechen und Drohungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten des sozialen Konflikts. Mit ihnen verhandelten König und Offizier ihre potentiell und latente Macht, die letztlich, jedoch häufig nicht ohne zähes Ringen, ein Übergewicht und einen Erfolg des Königs zeitigte. [15] Letztlich setzte der König hier auch mit einem absolutistischen Gepräge, welches nicht selten in Beschimpfungen ausartete, [16] das Gehorsamsprinzip nach dem Milgramexperiment um: Menschen gehorchen auch, wenn es wider ihre Überzeugungen ist. Strauß nun führt ähnliche Fälle an und behauptet, sie habe festgestellt, daß diese Demissionsvorgänge „rituelle Züge“ hätten. Sie führt dabei an, daß sie den Ritualbegriff von van Gennep benutzt, der sich vor allem dadurch auszeichnet, daß Rituale Übergangsriten wären, die sich in die drei Phasen a) Trennung, b) der Umwandlung und c) der Angliederung an soziale Ordnungen kennzeichnen würde. [17] Nun stellt sich also die im Buch nicht beantwortete Frage: Nimmt Strauß nun Bezug auf die beiden Begriffe der Performanz und des Rituals, wie sie zuvor von Pröve und Winkel formuliert worden sind oder schafft sich Strauß hier einen eigenen Ansatz? Im letzteren Falle, wenn man also annehmen möchte, daß Rituale nur dadurch charakterisiert würden, daß sie irgendeine Form von Vertex- und Passagehandlungen wären und somit auf ihre reine Funktion reduziert würden, könnte man die Straußschen Exempel durchaus als „Rituale“ verstehen. Dann aber wäre die Frage, was sie dann in einem Werk zu suchen haben, welches sich mit „Performanz“ befaßt? Im ersteren Falle aber - immerhin ist im Untertitel des Sammelbandes von „Ritual und Performanz“ die Rede - entspricht die Ritualbegrifflichkeit von Strauß nicht der Ritualbegrifflichkeit von Pröve und Winkel. Allein dieses Beispiel macht deutlich, wie verfahren die Begriffssituation
in diesem Sammelband ist, dem es an der Einheitlichkeit der Definitionen,
mit denen hier leichtfertig hantiert wird, mangelt. In konstruktivistischem
Sinne könnte man hier freilich entschuldigend anführen, daß
alle Verfassenden ihre eigene Definition mitbringen und dies auch als legitim
gelten kann (Glaube erschafft schließlich Wahrheiten). Allerdings
nützt es der Forschung wenig, wenn bei all den auftretenden definitorischen
Inkongruenzen nicht einmal klar ist, worum es eigentlich im Grunde geht
und was denn nun unter „Performanz“ oder „Ritual“ genau zu verstehen ist.
Bei den übrigen Beiträgen sind diese metaphysischen Bezüge indes augenscheinlicher: Rituale des Todes und der Beerdigungen im Militär behandelt der Beitrag von Marian Füssel (Seite 127-152) und Stephan Theilig schreibt über die „Türkentaufen“ als Passageriten mit starkem Transzendenzbezug (Seite 45-59). Eher weniger metaphysisch konnotiert sind wiederum die Beiträge von Ulrike Ludwig über das Duell als eine Möglichkeit einer Kollektiverfahrung (Seite 61-80) [20] und Carmen Winkels Aufsatz über den Fahneneid und den Wachdienst als Initiationsritual (Seite 25-44). Über eine ungewöhnliche Hinrichtungsart - die eines ganzen Regiments - berichtet dahingegen Bastian Muth anhand des Beispiels des Regiments Madlo aus dem Jahre 1642, wobei er verschiedene Arten von Infamie und Exekutionsformen auf ihre Ehrenbedeutung hin abklopft (Seite 81-108). Bemerkenswert dabei war, daß durchaus aber nicht das ganze Regiment hingerichtet wurde, sondern nur die Repräsentanten desselben: Die Offiziere und Unteroffiziere (sofern sie nicht begnadigt wurden) und jeder zehnte gemeine Mann. [21] Die Verbindung von Ritualforschung und dem Militär als Untersuchungsgegenstand ist in diesen Aufsätzen stark evident: Denn überall dort, wo besonders seitens von Institutionen oder Einzelpersonen Wert auf die Erzeugung und Erhaltung von Prestige gelegt wird, sind Rituale hoch angesehen. Das Ritual ist - und zwar auch ohne den von Pröve und Winkel postulierten metaphysischen Hintergrund - in seinem symbolischen Charakter geradezu eine Bedingung und Ausdrucksform der Renommagesucht, die vor allem dort lebt, wo es um die Abkehr von ökonomischen und pragmatischen Tätigkeiten geht und darum, daß sich Eliten präsentieren und abgrenzen: Militär und Religion, ökonomisch zunächst sinnlose Institutionen, benutzen bevorzugt Rituale als Ausdrucksmittel, um demonstrativ Ressourcen zu verschwenden (Uniformen, Kleider, Personal, Gesten, Gesundheit, Menschenleben) und eine Zurschaustellung der Fernhaltung von jedweder produktiven Arbeit zu inszenieren. [22] Darüber schreibt der amerikanisch-norwegische Soziologe Veblen, daß die Klassen und Schichten, die sich als elitär empfinden und demonstrativen Müßiggang pflegen (und dazu zählt das Militär, da es keine produktive Arbeit leistet, sondern durch Gewalttätigkeit Erschaffenes zerstört) „aus großen Eiferern der Form und des Vortritts, aus Verfechtern der hierarchischen Ordnung, des Rituals, der zeremoniellen Gewänder und ähnlichem ... Zubehör“ bestünden. [23] Die Verbindung zwischen der als ehrenvoll empfundenen (da mit höheren Transzendenzvokabeln wie „Recht“ oder „Gott“ aufgeladenen) Gewalttätigkeit der Militärs [24] und der Performanzkultur sind also militärischerseits geradezu systemimmanent. Die sechs erwähnten Beiträge des Buches widmen sich daher auch typischen Themen, die eben diese Vorlieben der müßigen Klasse widerspiegeln. Ein besonderes Ritual im Militär war dabei das Zerbrechen des Degens bei Offizieren, die sich nonkonform verhalten haben; darauf geht besonders Muth in seinem erwähnten Beitrag ein (Seite 98). Dabei wurde die Militärperson für infam erklärt und als Zeichen der Infamie der Degen zerbrochen. [25] Diese Zerbrechung kann als Übergangs- oder Passageritual verstanden werden. Sie war jedoch nicht voraussetzungslos, kann als Ausgangsritual bezeichnet werden und bedurfte zur Grundlage freilich auch eines Eingangsrituals. Was aber war das Eingangsritual zum Degenzerbrechen? Edelknaben wurden an den europäischen Fürstenhöfen durch die Umhängung des Degens wehrhaft gemacht und durch diesen Initiationsritus vom Kind zum Manne ernannt. [26] Das Degenanlegen kann somit als Eingangsritual, das Zerbrechen, neben dem Ablegen des Degens mit der Uniform bei der Pensionierung oder Demission, als eine besondere Art des militärischen Ausgangsrituals verstanden werden. Ein solches Ausgangsritual mußte auch der niederländische General La Roque über sich ergehen lassen, dem in Breda „vor der gantzen Armee“ der Degen zerbrochen wurde, bevor er zum „ewigen Gefängniß“, das heißt lebenslanger Haft, nach Schloß Löwenstein verbracht wurde. [27] Auch die Anführer der russischen Dekrabisten von 1825, der Eidesverweigeurng für den Zaren, wurden ähnlich behandelt. Über das am 13. Juli 1826 stattfindende öffentliche Ausgangsritual in Petersburg berichtete später ein betroffener russischer Dekabrist, der unter den Verurteilten war: „Bei jeder Abtheilung befand sich ein General, bei der unsrigen mein gewesener Brigade-Commandcur Golowin. Nach der Reihe der Kategorien wurden wir einzeln hervorgerufen; jeder mußte sich auf seine Knie niederlassen, dann zerbrach der Henker den Degen über seinem Haupt, riß ihm die Uniform ab, und warf die zerbrochenen Schwerter und die Kleidung in die brennenden Scheiterhaufen. Als ich mich auf die Knie niederließ, streifte ich meine Uniform rasch ab, bevor der Henker mich berühren konnte; der General schrie ihm zu: - reiß sie ab! - sie war aber schon abgeworfen. Die Degen waren im Voraus angefeilt, so daß der Henker sie ohne große Kraftanstrengung zerbrechen konnte, nur dem armen Jakubowitsch wurde durch Unvorsichtigkeit des Henkers dabei sein Haupt verletzt, das von einer Tscherkessenkugel über der rechten Schläfe durchbohrt war. Der Letzte in unserer Abtheilung war M. I. Puschtschin, Capitän der reitenden Garde-Pioniere; er war verurtheilt als gemeiner Soldat mit Beibehaltung seiner Adelsvorrechte zu dienen. Gesetzlich hätte über seinem Haupt nicht der Degen zerbrochen werden dürfen; er machte dem General diese Bemerkung, dieser aber ließ den Degen zerbrechen. Diese Ceremonie währte über eine Stunde; dann gab man uns gestreifte Schlafröcke, wie sie in den Hospitälern getragen werden, anzuziehen, und geleitete uns in der Ordnung, in welcher wir gekommen waren, in die Festung zurück.“ [28] Was an dieser Schilderung besonders deutlich wird, ist der rituelle Charakter der Bestrafung und Infamieerklärung, [29] der der Exekution und Verbannung nach Sibirien vorausging. Damit das Ritual (nicht das Zeremoniell [30]) auf keinen Fall gestört werden konnte, wurden die Degen zuvor sogar präpariert, um den Richtenden keine Blöße zu geben, wenn diese die Degen nicht hätten zerbrochen werden können. Das Nichtzerbrechen hätte die empfindlich die soziale Hierarchie gestört, indem die Dekabristenoffiziere für einen Moment weiterhin der Staatsmacht widerstanden hätten. Diesen Gesichtsverlust zu vermeiden mußte daher oberstes Ziel der Richtenden sein, wofür sie auch manipulative und vor allem nicht sichtbare Techniken (Lug und Trug) zur Aufrechterhaltung der Performanz einsetzten. Überhaupt war das Fehlschlagen eines Rituals der schlimmste Fauxpas, der geschehen konnte: Es entlarvte das Ritual als bloße Formalität, durchbrach die Sinnhaftigkeit und gab es der Lächerlichkeit und Absurdität preis. Denn nichts mehr als das Eindringen von Humor fürchteten Ritualisierende gegen über Ritualisierten und Zusehenden. Denn Rituale bedeuteten zugleich die konstruierte und inszenierte Abwesenheit jeder Art von Humor, weil Humor prestigemindernd war. Soziale Unterschiede konnten aber nur durch Formalien und Rituale aufrechterhalten werden. Eine Störung durch Humor hätte diese Hierarchie kurzfristig aufgehoben. Daher vermieden es Ritualisierende tunlichst, ihre Rituale selbst ab adsurdum zu führen, indem sie peinlich darauf achteten, Fehler in ihrer Inszenierung zu vermeiden. Offensichtlich beispielsweise wird diese Absurdität beispielsweise des Gelöbnisrituals vom 20. Juli 2012 im Hof des Bendlerblocks im Verteidigungsministerium zu Berlin. Obgleich gegen die Demonstrierenden eine Bannmeile zur Vermeidung von verbalen oder Pfeif-Störungen eingerichtet worden war, ereignete sich unmittelbar nach der Ableistung des Gelöbnisses, bei dem die Truppenfahne des Wachbataillons mit einer Abordnung aus sechs ausgewählten freiwilligen Rekruten dreier Truppengattungen im Fokus stand, bei Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière eine Unsicherheit darüber, zu welchem Zeitpunkt er zu den Rekruten hinzugehen habe, um ihnen in seiner Bekräftigung des Gelöbnisses einige (im übrigen ritualisierte) Fragen über ihren Werdegang (Herkunft, Alter, Numerus Clausus, Schulabschluß, Verplfichtungsdauer, Familienverhältnisse, Wetter, Zukunftspläne) zu stellen. [31] Doch bevor dies geschehen konnte, mußte ein Uniformierter Lothar da Maizière zurückhalten, da er hilflos um sich blickend zu früh seinen Platz auf der Tribüne verlassen wollte. [32] Diese offensichtliche Unvertrautheit ausgerechnet der Ritualisierenden mit dem eigens entworfenen Ritual kann aus Sicht der Performanzforschung als Scheitern des Rituals gewertet werden, der prestigeherabsetzend wirkte. Auch bei einer böhmischen Königskrönung im XVII. Centenarium geschah im liminalen Passagevollzug ein Mißgeschick, das die politisch-soziale Ordnung der auftretenden Figuren empfindlich störte und daher auch keine Erwähnung in offiziellen Krönungsberichten fand. Nur der Kardinal Ernst Adalbert v.Harrach, ein kritischer Beobachter, überlieferte den Fauxpas in seinen Schriften, der sich durch das unbemerkte Herunterfallen eines Augenglases eines Burggrafen bei der Eidesvorlesung ergeben hatte. [33] In diesem Zusammenhang, wie überhaupt bei allen Ritualen, könnte man sinnvollerweise die bisher geübte Praxis, zwei personelle Beteiligtengruppen bei Ritualen zu benennen, auch noch auf drei Gruppierungen erweitern: 1. Ritualisierende wären demnach diejenigen, die ein Ritual erdenken, ausrichten, abhalten und veranstalten, 2. Ritualisierte wären die, mit denen ein Ritual abgehalten wird und 3. Zusehende wären diejenigen, die dem Ritual als Rezipienten, auf die das Ritual eine Wirkung haben soll, beiwohnen. Diese Dreiteilung wäre insofern angebracht, als sie verschiedene Gruppen und ihre jeweiligen Aufgaben im Ritual bezeichnen können und zu weiterer Differenzierung einladen. Deutlich wird dies insbesondere bei Ritualen wie Exekutionen, strafrechtlichen Gerichtsverhandlungen, Parlamentssitzungen, Graduation-Zeremonien bei neu eingestelltem Flugbegleitpersonal, dem ritualhaften Verhalten der weiblichen Verkehrsoffiziere auf den öffentlichen Kreuzungen in Nordkorea oder Initiationsritualen wie Taufen, Kommunionen, Konfirmationen, Wachablösungen, Zeugnisübergaben nach bestandener Prüfung, Annahmen von Freimaurern im Tempel oder auch spezielle Abläufe von Gottheitsdiensten bei religiösen Gemeinschaften, in denen die angesprochene Dreiteilung mit je unterschiedlichen Aufgaben bewußt wird. Bis auf wenige Fälle, in denen, wie beispielsweise bei einem Kuß eines Liebespaar im privaten Bereich, Ritualisierende und Ritualisierte personell identisch sind und bei denen keine Zusehenden vorhanden sind oder beim Gebet eines Mönches in seiner Klause, wird man daher regelhaft von dieser Dreiteilung ausgehen können. Der vorliegend zu besprechende Band stellt nun insgesamt besehen - und abseits der erwähnten Begriffsverwirrungen - einen kulturwissenschaftlichen Beitrag zur klassischen (Militär-) Geschichte dar, eine lobenswerte Erweiterung der gewöhnlichen Erzählstrategien der ehedem rein schulwissenschaftlichen Historiker. Er kann daher als anregend Lektüre zu weiteren Forschungen dienlich sein und hat neue Horizonte alter Vorgänge erfolgreich ausgeleuchtet. Der Band ist gebunden, besitzt fünf schwarz-weiße Abbildungen, ist im Verlag „V&R Unipress“ als 16.Band der Reihe „Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit“ in Göttingen erschienen, umfaßt 152 Seiten und kostet 34,99 Euro. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in der Zeitschift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XV. (2012). Annotationen:
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