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Konfessionswechsel des Adels im ReformationszeitalterUntersuchungen zum nassauischen Einflußfeld zwischen Rheingau und SiegerlandAls im 16. Jahrhundert die große Spaltung der katholischen Kirche – gleichzeitig mit einer ersten großen Medienrevolution durch gedrucktes Wort auf Flugblättern – stattfand, da hatte die dadurch einsetzende Konfessionalisierung in deutschen Landen erhebliche Folgen. Dazu hieß es – mit Bezug auf Tirol – in einer evangelischen (und daher einseitig berichtenden) Kirchenzeitung im Jahre 1863: „Der Kirchen reinigende und neubelebende Hauch des 16. Jahrhunderts war wohl auch nach Tyrol gedrungen und Viele hatten die Nothwendigkeit erkannt, den Sauerteig des Evangeliums aufzunehmen in die todte Masse. Durch Bergleute, welche aus Mansfeld nach Tyrol gerufen waren, war auch neues evangelisches, oder altes apostolisches Leben ins Land gekommen, und wie stark das Verlangen nach dem begrabenen Evangelium war, zeigt wohl die Nachricht, daß das Heer, welches der Feldhauptmann Georg v. Freundsberg 1526 in der Gegend von Meran und Bozen zu dem Römerzuge sammelte und dessen Stärke auf 11,000 Mann angegeben wird, größtentheils aus Evangelischen bestand. Das Tyroler Volk fühlte, was ihm fehlte. Doch war die Aufnahme der reformatorischen Ideen nicht so allgemein, wie im übrigen Oesterreich, wo der Adel sich fast ausschließlich der Reformation anschloß. Zieger in seinem Wiener Volkskalender von 1861 weist nach, daß die Ahnen der österreichischen Adelsgeschlechter, die jetzt im Reichsrath saßen, nur mit einzelnen Ausnahmen sich einst zur evangelischen Kirche bekannt hatten. In solcher Weise hatte allerdings die evangelische Bewegung Tyrol nicht erfaßt, aber wie auch dort das Volk zur Reformationszeit gesinnt war, erhellt aus dem Postulat, welches, aus zwanzig Artikeln bestehend, vom Bauernconvent in Meran [...] aufgesetzt wurde und worin von der Versammlung einstimmig erklärt wird: die von Gott verhängte Empörung sei deßhalb gekommen, weil das Wort Gottes verhindert, die Christenliebe erstickt sei.“ [1] Dieses Zitat zeigt bereits eindrücklich auf, wie Konfessionalisierungsgräben durch die Stände verliefen, wobei die Gräben des Glaubens – seinerzeit noch als von Gott gelenkt verstanden – auch innerhalb der Stände, hier speziell des Adels, an der Tagesordnung waren. Diese Gemengelage traf indes nicht nur auf Tirol zu, sondern auch auf den sogenannten „nassauischen“ Raum zwischen Rheingau und Siegerland. Dies haben jetzt etliche Beiträger*innen zu einem Sammelband konstatiert, der jüngst in der Schriftenreihe der Historischen Kommission für Nassau – und anläßlich des 500. Reformationsjubiläums – erschienen ist. [2] Nebst einem einleitenden Vorwort über die novitäre Bedeutung der Verknüpfung zwischen Adelsforschung einerseits und Reformationsforschung andererseits, insbesondere mit Herausstreichung der Beleuchtung des bisher vernachlässigten Niederadels, bringt der Band eine Reihe von Aufsätzen, die spezielle Ausleuchtungen des Themas bereithalten. Alexander Jendorff informiert über die zunächst unübersichtliche und weithin zersplitterte Territorienlage, die aus Reichsgrafschaften, Ganerbenfamilien, Reichsrittern und Niederadel bestand (Seite 13-73). Sie nahmen die Reformation teils an, teils machten sie sie auch wieder rückgängig, basierend auf längeren Überlegungen ökonomischer wie auch religiöser Art. Jendorff fordert zudem dazu auf, die Reformation und den Konfessionswechsel nicht als einsträngige und teleologische Entwicklung zu sehen, sondern hier auch etliche Gegenbewegungen wahrzunehmen. Konfessionelle Netzwerke dagegen analysiert Sabine Arend in einem weiteren Aufsatz (Seite 75-96). Anhand der Grafschaft Nassau-Dillenburg zeigt sie, daß hier dynastische wie religiöse Rücksichten zur Übernahme fremder (z.b. mecklenburgischer und sächsischer) Kirchenordnungen führten, die man als Vorbilder – und aus personalen fürstlichen Netzwerken stammend – positiv rezipierte. In einem weiteren Artikel fragt dann Dieter Wunder nach konfessionellen Profilen von Adelsfamilien, die er anhand der Geschlechter Schütz v.Holzhausen, Frei v.Dehrn, Langwerth v.Simmern und vom Stein zum Stein analysiert (Seite 97-146). Auch hier ist das Ergebnis vielfältig: Lutheraner, Reformierte und Katholiken existierten in den Familien vielfach nebeneinander. Einen ganz ausgesprochen protestantischen Charakter hatte dagegen die Hohe Schule Herborn, die Rüdiger Störkel in den Blick nimmt (Seite 147-190). Lehrpläne, Professoren, Zahl und Herkunft der Studenten sowie Unterstützerkreise werden vorgestellt, ebenso Publikationsprojekte der Schule für ein protestantisches Netzwerk. Gräflichen Rekatholisierungsprozessen nähert sich sodann Lorenz Baibl mit der Frage an, ob es den nassauischen Grafen in Hadamar und Siegen gelang, auch die Beamtenschaft – ihre Bürokratie – auszutauschen. Baibl verneint dies, da die vollständige Ersetzung protestantischer durch katholische Beamte eine Illusion gewesen sei (Seite 191-215). Weitere Ansätze beschäftigen sich ferner mit einzelnen personalen Konversionsgeschichten, mit der Herausforderung der Multikonfessionalität als dynastischem Problem, schließlich auch mit Religionsprozessen vor dem Reichskammergericht, dem Judenschutz und der konfessionellen kaiserlichen Nobilitierungspolitik. Der Band schließt mit Bemerkungen zur protestantischen Kunst – am Beispiel der Idsteiner Unionskirche – und zu Konfessionsfundamentalismen. Es ist das Verhältnis zwischen religiöser Verhärtung und Aufweichung, das Nebeneinander von sich theoretisch Ausschließendem, das Ungleichzeitige im Gleichzeitigen und die Differenzierung eines bisher oft nur scheinbar allzu klar konturierten Bildes, das mit dem Sammelband – hervorgegangen aus einer 2016 erfolgten Tagung im Hessischen Hauptstaatsarchiv auf dem Mosbacher Berg – präsentiert wird. Dabei wird der informatorische Lesegewinn durch die farblich hochqualitative und ästhetische Leseerfahrung des Buches (mitsamt einem funktionalen, zusätzlichen und gemeinsamen Personenregister über alle Aufsätze hinweg auf den Seiten 367-379) ergänzt, die nicht zuletzt durch ganz- oder gar doppelseitige Gemäldereproduktionen, Aktenfotos und Portraits bereichert wird. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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