Institut Deutsche Adelsforschung
Gegründet 1993
Online seit 1998


Start | Sitemap | Tipps | Anfragen | Publikationen | Neues | Über uns | AGB | Impressum


Bauprogrammatik preußischer Magnatensitze

Profanbauten und Sakralobjekte in beiden Preußen im 17. und 18. Jahrhundert

Mitten im ersten Weltkrieg, die Belle Epoque war im Grunde bereits ihrem Ende entgegen gegangen, erschien im Neuen Wiener Journal, publiziert in der österreichischen Hauptstadt, in der Ausgabe Nummer 8201 vom 29. August 1916 auf Seite 7 ein Zeitungsartikel über eines der in späterer Zeit geradezu ikonisch gewordenen großen ostelbischen Adelshäuser mit der Überschrift „Das Schloß des Fürsten Dohna. Der Stammsitz der Dohnaschen Linie“. Hierin stellt der anonym gebliebene Verfasser das Schloß als Adelsbau des Preußenlandes wie folgt vor:

„Im `deutschen Oberlande´, jenem Teil Ostpreußens, der am lebhaftesten an die Anmut west- und süddeutscher Gegenden erinnert, liegt seit drei Jahrhunderten Schloß Schlobitten, das Stamm- und Wohnhaus der Dohnaschen Linie, deren gefürstetes Oberhaupt soeben gestorben ist. Das stattliche, langgestreckte Bauwerk, abseits von der Heerstraße und meist von holdem Dornröschenschlaf umfangen, ist eigentlich nur dann von vollem Leben erfüllt, wenn der Landesherr in seinen Mauern weilt. Das ist freilich keine gar zu seltene Gunst des Schicksals. Von dem Kurfürsten Georg Wilhelm an haben alle preußischen Herrscher oft und gern bei den Dohnas Quartier genommen, wenn sie sich auf Reisen nach dem Osten befanden und hier die letzte Nacht auf dem Wege nach Königsberg verbrachten. Auch Kaiser Wilhelm II. fühlte sich an manchem heißen Manöver- und Jagdtage gastfreundlich hierher gezogen, zumal er seinem `Oberjägermeister´, dem Fürsten Richard Wilhelm zu Dohna, in echter Freundschaft zugetan war.

Aeußerlich ist das um 1700 im französischen Geschmack umgebaute Schloß nicht besonders prunkvoll, und an seiner gediegenen Schlichtheit werden sich mehr kunstgeübte als Laienaugen erfreuen. Im Haupt- und Mittelbau ragen drei Stockwerke übereinander auf und tragen ein Mansardendach mit zahlreichen hübsch profilierten Schornsteinen. Mit den Galerien und Nebenbauten hat das Schloß eine ansehnliche Raumfülle: 73 Zimmer mit ausgerechnet 366 Fenstern, so daß man jeden Tag des Jahres an einem anderen zubringen könnte. Innen ist das Schloß voll überraschender Sehenswürdigkeiten. Dahin gehört vor allem der 1713 fertiggestellte, durch zwei Stockwerke gehende Festsaal. Ferner das fürstliche Schlafzimmer mit prächtig aus der hölzernen Wandbekleidung herausgeholten Schnitzereien: Rokokoreliefs, die wie aufgelegt erscheinen und doch aus dem vollen Holz geschnitzt sind.

Eine gleich vollendete Leistung kommt in Deutschland wohl nur noch in dem Kronjuwel aller Rokokoschlösser, Wilhelmsthal bei Kassel, vor. Ein Prunkstück des Schlosses sind ferner die königlichen Gemächer, die sogenannten königlichen Stuben. Hier haben wohl alle preußischen Könige gewohnt, hier logierten Königin Sophie Charlotte und Königin Luise, Kaiser Paul von Rußland und viele andere große Herren, hier fühlte sich auch unser Kaiser wohl und heimisch. Die Wände des großen Wohngemaches sind mit drei Gobelins von unberechenbarem Werte geschmückt; sie stellen den Besuch des personifizierten `Frankreich´ beim Kaiser von China dar und sind Duplikate jener Kunstwerke, die Ludwig XIV. dem `Sohn des Himmels´ einst zum Geschenk machte, in den Farben und in der Unberührtheit des Gewebes aber noch schöner als die Originale.

Ein erlesenes Stück ist auch der vier Meter lange, von einem Dohna in einer Schlacht erbeutete türkische Teppich, einer der größten, die es überhaupt gibt. Der Kaiser schätzt dieses seltene Stück, das Geheimrat Bode gelegentlich auf 55.000 Mark taxiert hat, so hoch, daß er bei seinem jedesmaligen Aufenthalt die Ecken des ausgebreiteten Teppichs umzuschlagen pflegt, um ihn nach Möglichkeit zu schonen. In einem japanischen Kästchen, dessen jahrhundertealter Lack noch heute zu duften scheint, sind mehrere zierlich gearbeitete Schachspiele aufbewahrt, eines auch [sic!, gemeint ist jedoch wohl eher „aus“] Achat, zwei aus Elfenbein und eines aus gewöhnlichem Kadickholz, aus dem ein Drechsler in dem ostpreußischen Städtchen Heiligenbeil zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Figürchen kunstvoll herausgeschnitzt hat.

Nicht unerwähnt darf auch das entzückend gearbeitete rotseidene Baldachinbett bleiben, das wohl bald 200 Jahre alt und noch heute würdig und schön genug ist, einem Kaiser als Ruhestätte zu dienen. Das Prunkbett ist, wie es heißt, für König Friedrich I. eigenes [sic!, gemeint ist aber wohl eher „eigens“] angefertigt worden und nahm dann alle preußischen Könige in seine weichen Arme, die in Schlobitten übernachtet haben. An den jetzigen Landesherrn wird man überall im Schlosse erinnert: hier steht sein letztes Porträt aus der Kronprinzenzeit, dort liest man im Vorbeigehen auf einer einfachen Ansichtspostkarte ein einfacheres `Prosit Neujahr! Wilhelm II´, dort wird man auf einen zersprungenen Porzellanteller aufmerksam gemacht, den der kaiserliche Gast in ungezwungener Tischunterhaltung mit einem sehr großen Siegelringe versehentlich zerschlagen hat – ein gediegenes Stück, das durch diesen Unfall noch gewonnen und nun Aussicht hat, `historisch´ zu werden.“

Was in diesem Zeitungsartikel anklang, waren damit nicht nur die äußeren Bauformen und Schlobittener Baulichkeiten an sich, sondern auch die Innenarchitektur, die in besonderem Maße räumlich geprägt war. Spezifischer könnte man hier von einer Interspatialität sprechen: Schlobitten als Baukörper verband durch die mobile Inneneinrichtung ebenso aber auch wie durch immobile Wandgestaltung verschiedene Räume miteinander, die jeweils näher oder ferner lagen. Die jeweils in Schlobitten zu Gast gewesenen Mitglieder der preußischen Königsfamilie imprägnierten das Schloß damit zudem spezifisch patriotisch (und landesherrlich), zeugten von enger Verbundeneheit mit dem Hohenzollernhause, aber auch mit dem altpreußischen Kernlande. Ferner Bezüge weisen jedoch ebenso in entferntere Gegenden, nach China und ins Osmanische reiche, wollten exotisierend wirken und Weitläufigkeit demonstrieren.

Es waren diese zudem Effekte, die wiederum erst durch Publikationen, unter anderem auch den vorliegend zitierten journalistischen Aufsatz, in weitere Gegenden getragen wurden, auch der Mehrung des Prestiges dienten und den sozialen Mitwelten der seinerzeitigen wie nachfolgenden Lesendenschaft Ruhmanreicherungen und ein „Enrichissement“ für die Familie der Dohnas und den ostpreußischen Adel anboten. Verstärkt wurde dieses Angebot um eine Ikonisierung der Erinnerung an die Ereignisse im Jänner 1945 und der Flucht der dort bis ins Kriegsendejahr residierenden Adelsfamilie sowie die Ruinierung und Plünderung des im 17. Jahrhundert erbauten Adelssitzes, der bis heute als Ruine von einstiger baulicher Größe zeugt.

Mit Schlobitten als Adelssitz und Herrenhausbau hat sich indes jüngst auch die Kunsthistorikerin Sabine Jagodzinski in einem Postdoktorandenprojekt des Deutschen Historischen Instituts zu Warschau neu beschäftigt. Der Ertrag dieser von 2015 bis 2021 andauernden Beschäftigung ist ihr zu Anfang März 2024 publiziertes Werk „Prussiae suae bis pater.  Adlige Repräsentationskulturen in beiden Teilen Preußens (17./18. Jh.)“, erschienen als Band XLI in der Schriftenreihe „Deutsches Historisches Institut Warschau“. Es besteht aus X und 366 Seiten, umfaßt 113 Abbildungen, eine Tabelle, ist leinengebunden im Format von 17,00 × 24,00 cm und wiegt 925 Gramm, ist zum Preis um 89,00 Euro im stationären oder virtuellen Buchhandel unter der ISBN „978-3-447-12074-6“ zu erwerben.

Die Kernfrage der Verfasserin war dabei die Vertiefung der auch schon im erwähnten Zeitungsartikel angesprochenen räumlichen Bezüge nicht nur Schlobittens, sondern auch vieler anderer Herrenhäuser des altpreußischen Adels; konkret interessierte sie sich für die Art des baulichen Ausdrucks der Verbundenheit der Adelsherren mit Preußen, sowohl in weltlichen Gebäuden (Schlössern, Herrenhäusern, städtischen Adelshöfen), als auch in geistlichen Gebäuden oder Gegenständen (Grabkapellen, Grablegen, Patronatskirchen, Ausstattungsgegenständen, Stiftungen). Sie widmet sich daher vor allem den Entitäten, die man bei situativer Adelserzeugung nach dem poststrukturalistischen Konzept „un/doing nobility“ als Dingaktanten bezeichen kann, mithin den im Gegensatz zu den sehr flüchtigen Interaktionen unter Humanaktanten besonders langlebigen Raumaktanten bei der fragilen Adelserzeugung, die ihre imprägnierende Wirkung auf Humanaktanten indes nur dann geltend machen konnte, wenn sich diese Humanaktanten dauerhaft oder doch zumindest längerfristig in deren Nähe beziehentlich in ihnen aufhielten, mit ihnen lebten.

Hierzu setzt die Verfasserin allerdings zusätzlich einen polysektionalen Ansatz ein, um auch zur regionalen Identität und ihren aristokratischen Baugesten die drei weiteren Aspekte der Konfessionalität, der adeligen Standeseigenschaft und der Herrscherverbundenheit zu analysieren.  Da sie beide Preußen für die Zeit von etwa 1600 ab bis zu den polnischen Teilungen (1772-1795) untersucht (Seite 241) – den preußischen Westen (Herzogtum Preußen, ab 1701 Königreich Preußen) ebenso wie die polnische (östliche) Rzeczpospolita (Polnisch-Preußen oder Königlich-Preußen) – , daneben auch beide großen (katholischen wie evangelischen) Glaubensbekenntnisse, ergaben sich daraus entsprechend differenzierte Ausformungen.

Allerdings waren diese Ausformungen durchaus nicht nach politischen Grenzen getrennt, sondern verliefen vielfach quer zu ihnen, so daß ein stark heterogener Befund aufzunehmen und zu verarbeiten war (Seite 20-21). Hier machte sich bemerkbar, daß es oft keine klaren Trennlinien gab, sich außerdem landesbezügliche mit konfessionellen Aspekten vermischen konnten, so daß es eine Herausforderung war, hier eindeutige Erkenntnisse zu erlangen, die für die Bildung adeliger Identität zwischen dem königlichen Preußen und der Rzeczpospolita maßgeblich waren (Seiten 124-125 und 235).

Gut herausgearbeitet wird im Vorfeld der Studie der Forschungsstand (Seite 14-20), Als Methode wird klassisch nach der in der Kunstgeschichte üblichen kunsthistorischen Objektanalyse gemäß Panofsky und Warburg gearbeitet, wobei eine zu enge Anlehnung an die alte Kunstgeographie abgelehnt wird. Es geht der Verfasserin mithin nicht darum, einen typisch preußischen oder typisch polnischen Stil herauszuarbeiten, sondern sie stellt die Adeligen der deutsch-polnischen Grenzregion mit ihren Bauten und spatialen Bezügen in den Fokus ihrer Analyse (Seite 20-24).
Für diese Untersuchung wählte die Verfasserin sieben Familien der preußischen Magnateria aus, wobei sie unter Magnaten solche Familien versteht, welche ab Mitte des 17. Jahrhunderts über Gutsbesitz verfügten, politische Positionen zwischen der Schlachta und den herrschenden Fürsten innehatten, untereinander Konnubien pflegten, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Prosperität und ihres Wohlstandes mäzenatisch tätig waren (damit auch mannigfaltige Kunstwerke in Auftrag gaben und durch Sammlung anreicherten) und über eine gewisse politische Unabhängigkeit verfügten (Seite 25).

Den Kernfamilienbestand bilden daher die sieben großen Adelsfamilien der Wejhers, Döhnhoffs, Dzialynskis, Finck v.Finckensteins, Przebendowskis, Dohnas und der Czapskis (Seite 26-29). Den Weg zur Erkenntis der Verflochtenheiten von aristokratischem Bauen und Landesbewußtsein ebnete zudem ein myrioramatischer Quellenfundus. Neben gedruckter Literatur wurden Objekte, Bildquellen, Akten, Grundrisse, Skulpturen, Gemälde und weitere auskunftgebende Materialitäten herangezogen (Seite 29-31). Von besonderer Bedeutung ist namentlich die reichhaltige Quellenheranziehung gerade auch aus polnischen Archiven und Institutionen  (Seite 287-290).

Zwei große Kapitel bilden den Hauptteil der Studie; im ersten Abschnitt unter dem Titel „Gebaute Präsenz, Identifikation und Repräsentation. Adlige Wohnsitze im Land Preußen“ (auf den Seiten 36 bis 123) stehen zunächst die verschiedenen patriotischen Baukulturtechniken und territorialen Bezugnahmen im Mittelpunkt, während der zweite Abschnitt mit der Überschrift „Geschlecht und Konfession. Parameter der Verortung, Vernetzung und Verewigung“ (auf den Seiten 124 bis 234) eher den religiösen Aspekt in den Vordergrund stellt, wobei die Kategorie „Geschlecht“ eher nur am Rande verhandelt wird, jedenfalls nicht im Zentrum steht.

Im Ergebnis zeigt sich beispielsweise für die Dohnas eine stärkere Verknüpfung mit dem preußischen Herrscherhaus, welches vor allem innenarchitektonisch sichtbar geworden sei, im Gegensatz zu den Dönhoffs, die diese Verknüpfung eher äußerlich hätten aufzeigen wollen (Seite 237). Hier zeigt sich, daß er eingangs erwähnte Zeitungsartikel über das Dohnaische Schloß zu Schlobitten eben dieser Erkenntis der Verfasserin folgt; die starke Verknüpfung mit den protestantischen Hohenzollern verkörperte sich vor allem in Dingaktanten wie den Betten, der Ansichtskarte des Kaisers, sogar selbst noch in dem von kaiserlicher Hand irrtümlich zerschlagenen und dadurch individuell aufgewerteten und symbolisch aufgeladenen Porzellanteller. Indes fanden sich auch Gemeinsamkeiten in beiden untersuchten Landesteilen vor, so die Grundform des adeligen Herrensitzes in H-Form, bestehend aus einem ein- oder mehrgeschossigen langrechteckigen Bau mit Eckanbauten, die Höfe bildeten, auch mit einer Diele im Erdgeschoß mit anschließendem Gartensaal nach der Parkseite hin (Seite 93-95 und 238).

Gemeinsam war den Adelsfamilien in der Memoriaarbeit auch die Benützung von oft mehrere Quadratmeter großen blechernen, seidenen oder ledernen Grabfahnen während und nach der Beisetzung eines Familienmitgliedes, auch wenn sie künstlerisch unterschiedlich ausgestaltet worden sind (Seite 163-173). Dagegen konnten konfessionell gebundene Dingaktanten im katholischen Osten besonders vielfältig ausgestaltet sein; hierzu zählten Altargerätschaften sowie materielle Aktanten, die der Dreieinigkeits- oder Marienverehrung dienlich sein sollten (Seite 240).
Ganz allgemein kann man für beide preußischen Landesteile aber auch von entsprechenden Transformationen sprechen, die sich an den aristokratischen Baukörpern abgespielt haben, die zudem nicht voraussetzungslos entstanden waren.

Bauten in beiden Landesteilen beruhten vielfach auf dem architektonischen Erbe des Deutschordensstaats, der 1561 unterggeangen war; hierzu benützt die Verfasserin das Konzept „Räume der Macht“ und die darin ausformulierten vier Ablaufstadien „Besetzen und Ordnen“, „Stiften und Stabilisieren“, „Umformen und Integrieren“ sowie „Erinnern und Monumentalisieren“ (Seite 242), ohne indes nähere Transformationsarten voneinander zu unterscheiden; nicht rezipiert wurde von der Verfasserin daher der dazu einschlägige instruktive Sammelband von Hartmut Böhme / Lutz Bergemann / Martin Dönike / Albert Schirrmeister / Georg Toepfer / Marco Walter / Julia Weitbrecht (Herausgebende): Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels, München / Paderborn: Wilhelm Fink GmbH & Companie Verlags-KG 2011, 242 Seiten.

Als schwierig erweist sich zudem in der Studie, daß die Verfasserin zwei Adelskulturgruppen unterscheiden möchte, so, als ginge sie davon aus, daß diese Gruppen jeweils eine feste Entität gewesen sei. Dabei gilt mit Latour, daß Gruppen ständigen Fluktuationen unterworfen waren und man daher gar nicht erst von Gruppen, sondern nur von Gruppenbildungen sprechen sollte. Da die Verfasserin zudem ohnehin bereits eine gewisse kulturelle Heterogenität in den profanen wie sakralen Ausdrucksformen verschiedenster Größe ermittelt hat, fragt sich, wie fest diese Kulturgruppen wirklich waren und ob überhaupt das doch sehr strukturalistische Prinzip der Kultur geeignet ist, um hier Analyseerkenntnisse zu erlangen. Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, daß gerade räumliche Dingaktanten wie die Herrenhäuser oder auch die Kirchenausstattung auf eine relative „longue durée“ angelegt waren, mithin auch kulturelle Prägungen als strukturelle Elemente aufnahmen.

Gleichwohl erforderten auch diese auf längere Dauer gestellten Aktanten immer wieder die Einbindung in erneut aufgeführte flüchtige Praktiken und Performanzen, bedurften einer erneuten Aktualisierung in Verbindung mit Humanaktanten, um überhaupt wirksam zu werden (und zu bleiben); siehe dazu grundlegend den interdisziplinär orientierten Sammelband von Lucas Haasis und Constantin Rieske (Herausgeber): Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns, Paderborn: Verlag von Ferdinand Schöningh 2015, 243 Seiten, noch deutlicher ausformuliert bei Frank Hillebrandt: Ereignistheorie für eine Soziologie der Praxis. Das Love and Peace Festival auf Fehmarn und die Formation der Pop-Musik, Wiesbaden / Heidelberg 2023, VIII und 365 Seiten.
Im Anhang ergänzen die insgesamt aufschlußreichen Detailstudien noch ein hilfreiches Namensregister (Seite 327-334), ein Objektregister (255-284), Abbildunges- und Literaturverzeichnis (Seiten 287-326). Mit ihrer Studie hat die Verfasserin jedenfalls einen interessanten Doppelaspekt in seinem Binnenverhältnis vermessen: Adel und Landesherrschaft versteht sie als bauliches Konglomerat, als Medium der Kommunikation des adeligen – speziell magnatischen – Selbstverständnisses, das aufgrund des Reichtums der untersuchten Familien neben dem praktischen architektonischen auch den symbolischen Sinn in besonderem Maße herausbilden konnte, da finanzielle Mittel hierbei keine Rolle spielten.

Hierbei galt für die Adelsfamilien einerseits bestehenden oder traditionellen Verknüpfungen der Vergangenheit und Gegenwart eine bauliche aristokratische Gestalt zu geben, andererseits aber auch Modifikationen dieses Verhältnisses in den folgenden Zeiten – nach dem Bau – zu berücksichtigen, so daß es zu zahlreichen Hybridisierungen in der Bausubstanz und der Rezeption von Kunsthandwerk, wie beispielsweise der Möbelausstattung, kam. Die vorliegend besprochene Studie, die dies akribisch beobachtet, geht daher viel tiefer in ihrer Analyse, als es dies  der Zeitungsartikel aus dem Wien des Jahres 1916 vermochte; dies geht hin bis zu detaillierten Analysen der Glockenstiftungen, der Glockenaufschriften und der sakralen Memoria. So entstand ein detailreiches Doppelbild adelig-profaner ebenso wie religiöser Praxis und Materialität in der kurze Zeit nach der Zeitungsartikelpublikation untergegangenen großadeligen Lebenswelt des Ostens, der mit der vorliegend besprochenen Studie ein neues Erkenntniswerk hinzugefügt worden ist.

Diese Rezension erscheint zugleich im Kalenderjahr 2024 in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung und stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill.


©  Institut Deutsche Adelsforschung - Quellenvermittlung für Wissenschaft, Familienforschung, Ahnenforschung | Seitenanfang