Institut Deutsche Adelsforschung
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Biographica und Daten zum pommernschen Adel

Güter und Offizierskarrieren im Detail bei hunderten Adeligen des 18. Jahrhunderts

Pommernscher Adel war im Ancien Régime zutiefst mit den beiden Tätigkeitsbereichen des Militärs in Form des Offizierdienstes und der Landwirtschaft in Form der Ritterguts- oder zumindest Rittergutsanteilbewirtschaftung verknüpft. Es ist dies eine Zeit zwar des Umbruchs in die Moderne, dennoch eine Zwischenzeit, eine „Sattelzeit“, in der sich schon neue soziale Umwälzungen abgezeichnet haben. Dazu zählen nicht nur die Ideen des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten hinsichtlich der Reservierungen bestimmter Staatsstellen für den Adel, noch entstanden aus einem altständischen Verständnis von Gesellschaft und Politik, sondern auch das Angewiesensein des ärmeren Adels auf die subalternen Militärstellen und finanziellen Versorgungen, ferner die für den Gesamtvermögenserhalt der Adelsfamilien schädlichen Erbteilungen, die bisweilen in Zersplitterungen von nicht mehr lebensfähigen landwirtschaftlichen Einheiten endeten. Zwischen dieser Beförderung des Adels durch Friedrich den Großen einerseits, aber auch öffentliche Infragestellungen neuer Machteliten andererseits stand der pommernsche Adel im stetigen Spannungsfeld zwischen Legitimation und Bezweiflung seiner Bevorzugung. Deutlich wird dies auch in einer Zeitungsmeldung, die im Oktober 1846 im äußersten Westen Deutschlands erschien:

„Aus Hinterpommern, 4. Oktober. Zu verschiedenen Zeiten haben einige Zeitungen wiederholt von einer Kolonisation im Innern des Landes, namentlich in Hinterpommern berichtet. Es sollen ausführliche Erörterungen hierüber gepflogen, ausgedehnte Meliorationspläne entworfen und 300,000 Thlr. aus Staatsmitteln zugesagt seyn, um die großen und zahlreichen Moore in Hinterpommern, namentlich im Bütower Kreise, trocken zu legen und urbar zu machen. Einen Theil der urbar gemachten Moore soll zu Armenkolonien verwendet werden. Ob die Sache sich so verhält, oder ob sie mit einer Unterstützung der Rittergutsbesitzer aus Staatsmitteln, wobei an innere Kolonisation nicht gedacht wird, verwechselt ist, lassen wir dahingestellt. Wenigstens ist von einer innern Kolonisation, von Kultur der Moore etc. in Hinterpommern nichts bekannt geworden, wohl aber sind den Rittergutsbesitzern der fünf hintern Kreise der Provinz im Mai aus Staatsmitteln 300,000 Thlr. Meliorationsgelder bewilligt. Durch Parzelli[e]rung, Kolonisation, durch Heranziehen gewerbfleißiger Ansiedler könnte in Pommern noch ein zweites Pommern erobert werden.

Das wird aber nicht bezweckt, wenn man großen Grundbesitzern Kapitalien zu Meliorationen aus Staatsmitteln verabreicht, denn diese werden dadurch nur in der Sucht, große Kolosse von Landgütern zu bilden, bestärkt. Die Vermehrung der kleinen Grundbesitzer ist dringendes Bedürfniß der Provinz, damit die Zahl der Umherziehenden, fast Heimathlosen sich vermindere. Dieser Vermehrung kleiner Gutsbesitzer und Erbpächter wird aber durch Meliorationsgelder, die aus Staatskassen den Rittergutsbesitzern bewilligt worden, geradezu entgegengearbeitet. Die Rittergutsbesitzer Pommerns haben aus Staatskassen Millionen zu Meliorationen erhalten und immer von neuem wird die Hülfe des Staats in Anspruch genommen. Der Landesökonomierath Hering behauptet in den Möglinschen Jahrbüchern der Landwirchschaft, daß die fünftehalb Millionen Thlr. Meliorationsgelder, welche der Pommersche Adel nach dem siebenjährige Kriege in einem Zeitraume von zwanzig Jahren der Freigebigkeit Friedrichs d.[es] G.[roßen] verdanke, nichts genutzt, oft sogar von nachtheiligen Folgen gewesen seyen. Viele Meliorationen sind höchst oberflächlich ausgeführt, andere gar nicht unternommen, denn die Hauptsache waren die Meliorationsgelder. Hatte man diese erlangt, so trat häufig ein Stillstand ein. So haben die direkten Geldunterstützungen Friedrichs d.[es] G.[roßen] nur geringen Erfolg gehabt [...] 

Schon vor Beginn des Krieges von 1806, vor Beginn der agrarischen Gesetzgebung, waren die Güter im Verhältniß zu den Betriebmitteln viel zu groß. Es fehlten schon damals bei der großen Verschuldung des Adels – im Jahre 1814 hatten die Rittergutsbesitzer in Pommern 21 Mill. Thlr. hipothekarische Schulden – die nöthigen Betriebskapitale zur zweckmäßigen Bewirthschaftung. In Folge der Eigenthums-Verleihung der Bauer[n]höfe konnten die Rittergüter eine Entschädigung in Geld oder Land wählen. Statt einer sichern Rente nahmen die meisten Land, wodurch sich ihr Grundbesitz vergrößerte, nicht aber ihr Betriebskapital. Vielen Rittergutsbesitzern fehlt es beim Ueberfluß an Grundstücken häufig an Betriebskapitalien, daher die immer wiederholten Gesuche um Meliorationsgelder. Die Bauern dagegen bestehen ohne Meliorationsgelder.

Die Bauern in den Domainendörfern der Provinz Pommern haben kurz vor, während und in den ersten Jahren nach dem Kriege beinahe eine Million Erbstandsgelder in die Staatskasse gezahlt und sich dabei im Besitz ihrer Wirthschaften erhalten. Das sind lautredende Thatsachen. Nachdem so viele Millionen, die andern Klassen der Staatsbürger, die sie aufbringen müßten, entzogen und auf Verbesserung der Rittergüter in Pommern verwandt sind, sollte man meinen, diese müßten endlich in den Zustand der Unverbesserlichkeit versetzt seyn. Dem ist aber nicht so, wie fortwährend nothwendige neue Unterstützungen klar beweisen. Wo der Mangel eines angemessenen Vermögens die zweckmäßige Bewirthschaftung großer Güter, die oft den Flächenraum von einer halben Quadratmeile umfassen, unmöglich macht, parzelli[e]re man, wodurch das Ganze, der Staat, nur gewinnt, während durch Meliorationsgelder nur einzelnen und nicht genügend geholfen wird. Man hebe den Lehnsverband, die Fideikommisse, die Patrimonial-Gerichtsbarkeit auf, damit Niemand abgeschreckt werde, sich auf dem Lande anzusiedeln. Man gebe den Landgemeinden durch eine Gemeinde-Ordnung das Recht der Selbstverwaltung; statt die Parzelli[e]rung zu erschweren, befördere man sie, und es wird nicht ferner nöthig seyn, eine Klasse von Staatsbürgern aus öffentlichen Mitteln zu unterstützen.“ [1]

Auch wenn nun diese Zeitungsmeldung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammte und die Kämpfe um einseitige Unterstützung nach dem Matthäuseffekt kritisierte („Wer hat, dem wird gegeben!“), so wird daran doch recht gut deutlich, wie auch schon im Ancien Régime der Adel protegiert worden ist, je nach seinen aufgaben, die im Landrecht festgelegt worden waren. Wie Rittergüter intergenerationell weitergegeben werden konnten, erhalten blieben oder aber auch, mit oder ohne finanzielle Unterstützung seitens des Staates, verloren gingen, ist auf der familiären Ebene oft durch Familiengeschichten nachvollziehbar. Allein es sind eben doch von den pommerschen Adelsfamilien nicht immer derlei Familiengeschichten überliefert oder angelegt worden. Hier schafft nun ein neues, zweibändiges und voluminöses Werk Abhilfe, welches sich mit „Grundbesitz und Militärdienst“ befaßt, den Untertitel „Kurzbiographien pommerscher Offiziere (1715 bis 1806)“ tragend. [2] Dabei wird auch Bezug genommen auf die eingangs erwähnten und von einem Anonymus kritisierten Meliorationsgelder, die Adelige in der Tat teils eher für Ihren Gütererhalt einsetzten (beispielhaft der Fall Pawelsz in Band 1 auf Seite 488).

Eine solche historische Fleiß- und Kärrnerarbeit, wie sie in den beiden zu besprechenden Bänden nun erschienen ist, läßt sich indes kaum, sieht man einmal von Ausnahmen ab, innerhalb akademischer Qualifikationsarbeiten leisten, sondern eher als persönliches Liebhaberprojekt verwirklichen, wie es hier in vielen Jahren von dem ohnehin schon durch derlei Biographiearbeiten bekannt gewordenen Historiker Rolf Straubel vorgelegt worden ist. [3] Wertvoll ist die zweibändige Sammlung und Dokumentation von Lebensläufen, mit genealogischen Daten ergänzt, aber nicht nur wegen ihrer Fülle an Viten, Dienstlebensläufen, Karrierestationen als Offiziere und deren Details, sondern auch wegen der desolaten Aktenüberlieferung zu Hinterpommern für das 18. Jahrhundert, verursacht vor allem durch den zweiten Weltkrieg, Flucht und Vertreibung, Aktenzernichtungen, Aktenkassationen, Erklärungen zur Archivunwürdigkeit, die den Adel in antinobilistischer Manier hart trafen, wurde er doch in den hinterpommernschen Gebieten, ebenso wie nachbarschaftlich in der DDR, noch lange Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zu einer verfemten sozialen Gruppenbildung deklariert, teils als „Junkerklasse“ beschimpfklatscht. [4]

Da diese desolate Aktenlage auch auf absehbare Zeit nicht wesentlich verbessert werden wird, von Ausnahmen wie die lobenswerten Digitalisierungsarbeiten polnischer Archive abgesehen, ist Straubels Ansinnen und Akribie in der Datensammlung ein Werk mit bleibendem und vor allem grundlegendem Wert. Beide Bände schaffen in hunderten von Fällen Klarheit, sowohl, was die Berufsverläufe der Offiziere – auch der, die nur in Subalternstellungen kamen, bevor sie fielen (beispielhaft dafür der Fall Selasinsky in Band 1 auf Seite 629), kassiert wurden (beispielhaft dazu der Fall Puttkamer in Band 1 auf Seite 553), desertierten (beispielhaft dazu der Fall Below in Band 1 auf Seite 60) oder anderweitig ausschieden (beispielhaft dafür der Fall Koehne in Band 1 auf Seite 330) und in Zivilverwendungen übernommen („versorgt“) wurden (exemplarisch dazu der Fall Manteuffel-Szoege in Band 1 auf Seite 414) – anlangt als auch die chronologisch gereihten Abfolgen der Besitzendennamen der Güter und teils vielen kleinen zersplitterten Güteranteile (so weist Straubel allein für das Gut Polczen im Distrikt Bütow zehn Anteile in Band 2 auf Seite 969-970 auf).

Ergänzt wird der Doppelband zudem mit seltenen bildlichen Zeugnissen und Portraits von Offizieren in Uniformen und Offiziersehefrauen (in einem mit der Überschrift „Tafelteil“ betitelten Abschnitt auf Kunstdruckpapier in Band 2 auf den Seiten 1105 bis 1128). Hierzu ist lediglich als Supplement noch hinzuweisen auf die originalen Ölgemälde pommerscher Offiziere, wie sie aktuell noch im Eutiner Schloß im Treppenaufgang zum Museum zu sehen sind. Sie waren dorthin gelangt, da auch Georg Ludwig Herzog von Holstein-Gottorp (1719-1763) zeitweise (im Jahre 1757) preußischer Offizier in Pommern gewesen war und seine Regimentskameraden in Öl hatte verewigen lassen. [5]

Straubels Werk ist eine, wie stets für seine Verhältnisse, ungemein informative, mit tausenden Details angefüllte Versammlung biographischer und geographischer Daten, die für die regionale, prosopographische wie Familienforschung von immenser Bedeutung ist und stellt ein Fundamentwerk dar, gerade angesichts der mehr oder minder bleibenden schwierigen wie herausfordernden Aktenlage zum hinterpommernschen Adel, die hier über viele verschiedene Ersatzüberlieferungen (Straubel benützte Handschriften aus der Staatsbibliothek Berlin, reichlich Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv in Dahlem, gedruckte Familiengeschichten, private genealogische Sammlungen, et cetera) zumindest partiell kompensiert und – trotz dieses kompensatorischen Charakters vorbildlich – umfänglich aufgearbeitet werden konnte.

Dies eröffnet zudem ganz neue Perspektiven für die Adelsforschung; so kann hier personalisiert werden, wer seinerzeit tatsächlich Meliorationsgelder erhielt – und welcher Erfolg in Sachen der eingangs angesprochenen Gutsfinanzsanierung (oder Binnenkolonisation) damit erzielt werden konnte.

Dieser Aufsatz stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form.

Annotationen:
  • [1] = Aachener Zeitung (Aachen), Ausgabe No. 281 vom 8. October 1846, Seite 1-2.
  • [2] = Rolf Straubel: Grundbesitz und Militärdienst. Kurzbiographien pommerscher Offiziere (1715- bis 1806), Band 1 (Biographien A bis Z) und Band 2 (Güter A bis Z), Wien / Köln: Böhlauverlag 2022, zusammen 1294 Seiten, mit 31 farbigen Illustrationen, Band 56/1-2 der Schriftenreihe „Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern“, zum Gesamtpreis von 200,00 Euro erhältlich im Buchhandel unter der ISBN „978-3-412-52214-8“; besitzt die Maße 175 mm Breite x 245 mm Höhe (beide Bände zusammen) x 85 mm Tiefe bei einem Gewicht von 2633 Gramm.
  • [3] = Straubel (*1951) wurde bereits 1984, seinerzeit noch in der DDR mit der Dissertation „Der Berliner Polizeidirektor und das Textilgewerbe der brandenburgisch-preußischen Residenz. Ein Beitrag zum Verhältnis von Lokalbehörde und Wirtschaftsentwicklung (1740-1789)“ bei der Berliner Akademie der Wissenschaften der DDR promoviert worden. Auch weitere seiner (teils für die Adelsforschung bedeutsamen) Arbeiten beschäftigten sich in der Folge mehrfach mit preußischen Behörden und Beamten. Exemplarisch sei dazu erwähnt Rolf Straubel: Adlige und bürgerliche Beamte in der friderizianischen Justiz- und Finanzverwaltung. Ausgewählte Aspekte eines sozialen Umschichtungsprozesses und seiner Hintergründe (1740-1806), Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2010, 551 Seiten.
  • [4] = Als Beispiel dafür, neben eher sachlichen Forschungen schon bald nach 1945 in Polen, steht Dorota Kluszynska: Jak szlachta rozpijała chlopów [„Wie der Adel die Bauern betrunken machte“, herausgegeben vom „Zentralrat der Gewerkschaften“], Warszawa [Wraschau]: Wydawnictwo Związkowe 1951, 22 Seiten.
  • [5] = Nomen Nescio: George Ludewig Herzog von Holstein-Gottorp, in: Anton Balthasar König (Hg.): Biographisches Lexikon aller Helden und Militairpersonen, welche sich in Preußischen Diensten berühmt gemacht haben, Band 2, Berlin: Arnold Wever 1789, Seite 172-177.


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