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Zum Sprachgebrauch im NationalsozialismusKontexte zwischen Macht und Sprache 1933 bis 1945Der gebürtige Düsseldorfer Horst Dieter Schlosser, heute 76 Jahre alt, ist emeritierter Frankfurter Philologe der Goethe-Universität und hat sich nach der Emeritierung mit einem Thema befaßt, daß ihn offensichtlich schon längere Zeit umtrieb: Er untersucht in seiner neuesten Veröffentlichung Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus, erschienen 2013 im Kölner Böhlauverlag, auf 423 Seiten den Gebrauch von Begriffen im NS-Regime der Jahre 1933 bis 1945, nicht aber, ohne auch einen Blick auf Wurzeln und Früchte der Zeiten davor und danach zu werfen.[1] Daß indes ebenso wenig wie die mittleren Eliten auch die deutsche Sprache am Ende des zweiten Weltkrieges eine Stunde Null kannte, sondern immer auf Voraussetzungen aufbaute, zeigte sich bald nicht nur in der Nachkriegszeit und nach der Gründung der BRD 1949 an der Renazifizierung von Verwaltung, Hochschule und Justiz, sondern eben auch in der Sprache. Da konnte der Kriminaldirektor in Rente Friedrich Kleinschmidt im Jahre 1953 Texte in seinem Lehrbuch für den praktischen Kriminaldienst veröffentlichen, die auch aus dem Dritten Reich hätten stammen können: „Wie wir es nach 1918 erlebt haben, so sehen wir auch jetzt nach dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch unseres Staatswesens, wie die dunklen Existenzen sich mehr und mehr breitmachen und wir ein Anwachsen der Kriminalität ... ohne Beispiel in der Kriminalgeschichte unseres Volkes gegenüberstehen“. Nahtlos übernahm Kleinschmidt auch Stereotypisierungen wie die vom Zuhälter als „besonders unerfreulichem Verbrechertyp“, der grundsätzlich „roh und gewalttätig“ sei - er müsse daher, so Kleinschmidt - einer „Unschädlichmachung“ zugeführt werden.[2] Schlosser wendet sich in seiner Novität eben jenen Phänomenen zu, die bei Kleinshcidt anklingen: Der Herrschaftssprache im Dritten Reich. Wie sensibel der Sprachgebrauch im Allgemeinen sein kann, zeigt allein diese Bezeichnung. Sie entstammt dem NS-Jargon und bezeichnete die Tradierung zwei vorangegangener deutscher Reiche, stellte sich also allein damit in eine historische Legitimitätsfolge der beiden deutschen Kaiserreiche vom Mittelalter bis zur Moderne,[3] wenngleich unter anderen Vorzeichen. Man sollte sich daher die Frage stellen, ob dieser Begriff opportun ist für den eigenen Gebrauch im XXI. Jahrhundert? Dies sind Fragen, die Schlosser mit seinem umfangreichen Lesebuch provoziert (die jeweiligen Fußnoten wurde zum Ende jedes Kapitels als Endnoten verbannt, was bisweilen die Quellennachweisermittlung im Buch etwas verkompliziert), so daß auch der eigene Sprachgebrauch auf die Probe gestellt wird. Schlossers Vorgehensweise beinhaltet indes kein thematisches Konzept, sondern eine chronologische Abfolge. Er folgt bei seiner Untersuchung dem Zeitstrahl 1918 bis 1945 und bringt für jeden Abschnitt, der ihm bedeutungsvoll erscheint, Beispiele von Begriffen und Wörtern, die er in den historischen Zusammenhang stellt. So erschient das Wort Reichskristallnacht nicht nur, sondern Schlosser erläutert auch die Etymologie und die euphemistische Absicht hinter diesem Politolekt, der ebenso wie Soziolekte soziale Inklusion und Exklusion herstellen und damit Identität fördern, aber zugleich auch das Andere ausgrenzen sollte.[4] Auf eine auf andere Situationen übertragbare Theorie der Politolektologie,[5] also der Verbindung zwischen Macht und Sprache, hoffen Lesende indes weitgehend vergeblich,[6] denn Schlosser bleibt eng an seiner zeitlichen Abfolgegliederung über Unterdrückung, Arisierung, Volksgemeinschaft, an Shoa und Kriegsrhetorik haften. Dennoch scheint Schlosseres Versuch einer Zusammenfassung auf den Seiten 391 bis 403 Ansätze für eine solche Theorie zu bieten. Es soll daher an dieser Stelle, unter Zuhilfenahme seiner Erkenntnisse, der Versuch unternommen werden, sie einmal versuchsweise als kulturwissenschaftliche Diskursgrundlage für eine Politolektologie aufzustellen. Definiert werden kann Politolektologie oder umgangssprachlicher formuliert Politiksprache oder Politikersprache, bisweilen auch verkürzt Politolinguistik,[7] als eine in der Schnittmenge zwischen den Fachdisziplinen der Linguistik, der Komunikationswissenschaft, der Kommunikationspsychologie, der Politologie, der Soziologie, der Geschichte und den Kulturwissenschaften angesiedeltes interdisziplinäres Feld. sie ist, allgemein formuliert, eine Ideologiesprache.[8] Und sie kann, anders als der Dialekt oder Soziolekt, unabhängig von Regionen oder Bevölkerungsschichten Verwendung finden, kann territorial und sozial übergreifend vorkommen. Vielmehr ist das prägendste Merkmal und der kleinste gemeinsame Nenner die Verwendung von Begriffen in einem spezifischen politischen Kontext. Die Sprache ist zudem eine wertende Sprachverwendung. Sie ist entweder positiv oder negativ, nie jedoch neutral konnotiert.9 Denn entweder versuchen Politiktreibende ein fremdes Denken und Handeln zu verurteilen, namentlich das der Opposition und das von nonkonformen Außenstehenden, oder sie versuchen das eigene Denken und Handeln oder ein dem verwandtes Denken und Handeln von nichtbeteiligen Außenstehenden (z.B. sogenannten Experten) zu loben. Kilian unterscheidet dazu bestimmte Vokabularien, deren sich Kommunikanten bedienen können, so a) das Institutionsvokabular (z.B. Reichstag, Paulskirche, Ministerien), b) das Ressortvokabular (z.B. Justizsprache), c) das Interaktionsvokabular (z.B. im Diskurs) und d) das Ideologievokabular (z.B. eine politische Richtung betreffend).[10] Außerdem klassifiziert Dieckmann im Bereich des Ideologievokabulars, das uns hier besonders interessiert, Schlagwörter (Begriffe, unter denen eine Zahl anderer Begriffe plakativ subsumiert werden kann, z.B. Treue), Hochwertwörter (besonders positiv besetzt, z.B. in der DDR Arbeiterklasse), Fahnenwörter (positive Allgemeinplätze, z.B. Freiheit), Stigmawörter (negativ konnotierte Begriffe wie z.B. Asoziale im Nationalsozialismus) und Schlüsselwörter (herausragende Begriffe, die in einem Diskurs Hegemonialkraft besitzen, z.B. Terrorgefahr nach Nine Eleven).[11] Zusätzlich erwähnt Golonka aus der Werbesprache Plastikwörter (Füllwörter, die den Eindruck von technozentristischer Wissenschaftlichkeit erwecken, z.B. Persil Megaperls) und Triggerwörter (Adjektive und Adverbien mit vager Bedeutung, z.B. elegant).[12] Ohne hier weiter und detaillierter auf diese Klassifizierungen einzusteigen, wird deutlich, daß sich die Forschung auf diesem Gebiet durch eine große Mannigfaltigkeit und Unschärfe der Begrifflichkeiten auszeichnet. Die Begrifflichkeiten sind zudem der Politolingustik entlehnt. Jene Wissenschaft ist dualdisziplinär, aber noch nicht auf die Politolektologie als kulturwissenschaftliches und damit multidiszipliäres Feld erweitert. So fehlt der Politolinguistik beispielsweise die kommunikationspsychologische und philosophische Sicht. Hier wäre es aber denkbar, daß in Zukunft entsprechende Studien, zum Beispiel zum polotilektischen Handeln in der Zeit der Aufklärung, der französischen Revolution oder aber auch zur Sprache des ehemaligen deutschen Adels in der Weimarer Republik, beispielsweise anhand der Verlautbarungen im Deutschen Adelsblatt, untersucht werden könnte. Schlossers Anwendung in seinem neuesten Buch ist ein Beispiel für Politolingustik, aber auch für politolektologische Untersuchungen, weil er Wert drauf legt, nicht nur lexiakalisch zeitgenössische Worte des Nationalsozialismus isoliert zu ermitteln und zu betrachten, sondern auch darauf, sie im Kontext ihres Zusammenhangs zu analysieren (Seite 12). Er setzt sich damit bewußt gegen reine Wörterbücher zum Nationalsozialismus ab.[13] Sein leichtes erzählerisches Werk mit gut zu verfolgender Narration, die sich nicht an ein Fachpublikum wendet, sondern eher an eine breite Massenlesendenschaft, behandelt zu ¾ Teilen die Sprache der Herrschenden im Hitlerismus, aber zu ¼ - in einem 46seitigen Kapitel - auch die Sprache eines anderen Deutschland (Seite 343), die des Widerstandes. Die Frage des spezifisch nationalsozialistischen Humors und seiner
Sprachverwendung klammert Schlosser jedoch aus. [14] Und auch wenn man
Schlosser anmerkt, daß er von Haus aus Philologe ist, weil er geschichtliche
Umstände, die weithin bekannt sind (z.B. die Euphemismen des Nationalsozialismus
oder so allgemeine Vorgänge wie die Aktion T4), ausführlich ausbreitet,
so ist dies aber dennoch zu verschmerzen, weil er sich an ein entsprechendes
Publikum wendet, das sich in beiden Bereichen gern zusammenfassend informieren
möchte.
Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (Jahrgang 2013) und stammt von Claus Heinrich Bill. Annotationen =
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