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Flucht und Vertreibung der Deutschen in medialen DiskursenVorstellung einer wichtigen Handbuchs-Neuerscheinung aus PaderbornIn vielen Gemeinschaften, die in der Vergangenheit kollektiv verfolgt worden sind, ist das Opfernarrativ, wenngleich durchwegs an negative Ereignisse und schmerzliche Erfahrungen erinnernd, von höchster Bedeutung für die gegenwärtige gruppale Identität dieser Gruppen. Dies trifft auf betroffene Gruppen wie Armenier, Hereros, Sinti und Roma oder die jüdische Glaubensgemeinschaft ebenso zu wie auf die Deutschen, die wegen Flucht und Vertreibung „den Osten“ im und unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg verließen oder verlassen mußten. Die Erinnerungsstrategien dieser speziellen Verfolgten-Gruppe sind nunmehr Gegenstand einer systematischen Aufarbeitung geworden, gegossen in die Form eines Handbuches mit Einzelbeiträgen, welche nicht nur den aktuellen Forschungsstand zum Thema abbildet, sondern auch zahlreiche Forschungsdesiderate benennt, um auf diese Weise eine Förderung der wissenschaftlichen Aufarbeitung des mit dem absehbaren biologischen Abtreten der Erlebnis- und Zeitzeug*Innen-Generation historisierten Bereichs von Flucht und Vertreibung anzustoßen und zu unterstützen. Der von Stephan Scholz, Maren Röger und Bill Niven herausgegeben 452-seitige gebundene Band, der 2015 beim Schöningh-Verlag zu Paderborn erschienen ist, versammelt daher unter dem Titel „Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung. Ein Handbuch der Medien und Praktiken“ 35 Einzelaufsätze, in denen Medien wie Literatur, Filme, Denkmäler und Hörfunkstücke und Karten ebenso wie Performanzen – Festumzüge, Reenactment, Ausstellungen, Musik, Trachten und Tanz – behandelt werden. Die myrioramatischsten Formen der Äußerungen über Flucht und Vertreibung besehen explizit die Rolle der Deutschen als Opfer von Krieg und Gewalt, sehen diese Rolle aber differenziert zwischen Trauerarbeit, Revisionspolitik und nachgeborener Erinnerungskultur. Damit liegt erstmals ein Handbuch vor, das systematisch die Thematik umreißt und die neusten Forschungsstände ebenso wie Quellenzugriffsmöglichkeiten ausführlich darlegt. Damit gibt es auch zahlreiche Anregungen für weiterführende akademische Qualifizierungsarbeiten und methodisch-theoretische Ansätze aus der Distanz der Nichterlebenden. Nicht zuletzt die erinnerungs- und memorialmethodischen Anregungen können dabei exemplarisch auch für andere Forschungen stehen, die ähnliche Rahmenbedingungen aufweisen. So kann die wechselhafte und von vielen Legitimierungs- ebenso wie Copingstrategien geprägte Geschichte der vertriebenen Deutschen auch als eine Art von Diasporaforschung gesehen werden, deren Grundzüge ebenso auf andere Diasporen übertragen werden kann, freilich mit dem Unterschied, dass diese spezielle Vertriebenendiaspora nicht in gänzlich fremde, sondern nur in anders-deutsche Konstellationen und Gesellschaftsformationen der Vorkriegszeit einrückte. Das Handbuch vermittelt dabei einen analytischen Blick auf die innere Welt der Vertriebenen, die aus sich heraus, in ihren je myrioramatischsten Mitteln und Wegen, erläutert wird, jedoch stets wissenschaftlich gerahmt. Das vorliegende Handbuch darf daher getrost als rahmendes Standardwerk zu einer der wichtigsten zeitgeschichtlichen Epochen gelten, die sich a conto der Generationenfrage und -folgen gerade in einem Umbruch – weg von einer von der Erlebnisgeneration geprägten Erinnerung und hin zu einer Historisierung – befindet. Kein künftiges Forschungswerk wird um seine Konsultation herumkommen, zumal die Autor*Innen als Fachkenner*Innen in ihren Artikeln auch aktuelle Literaturlisten beigefügt haben, die den Einstieg – oder die Überprüfung eigener Bestände und Heuristiken – bei Forschungsfragen wirkungsvoll zu flankieren in der Lage sind. Das Handbuch ist für 39,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. |
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