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Mit Mut, Mörtel und ohne MillionenRezension zur Begleitpubliktion der gleichnamigen NDR-Fernsehserie 2013-2020Das folgende Motto könnte über vielen alten Häusern stehen, die noch heute in einer Art „Dornröschenschlaf“ auf neue Besitzende warten, die sie wieder zum Leben erwecken, große kalte Häuser, aus einer anderen Zeit und einer anderen Gesellschaft: „Das alte Haus gebrechlich, fast verloren, mit Schutt bedeckt, bewachsen mit Gesträuch, das hebt sich wieder jetzt, so schön wie immer, denn neue Hände sammeln seine Trümmer! Oh, tretet wieder in das Haus hinein, lasset uns die Mauern fromm erneuern, dann sitzen wir gar bald, im abendrothen Schein, vor dem alten Ofen, es knackt das Holz beim feuern.“ [1] Das Genre der Gutshausprosaliteratur, dem dieser Text zuzuordnen sein könnte, hat eine lange Tradition, sie ist baukünstlerischer Natur, umfaßt Alben, [2] Erinnerungsliteratur, [3] Kulturgeschichten, [4] Bildbände, [5] Ratgeber, [6] aber auch die sogenannten „Grafenerzählungen“ [7] und Gedichte. Das „alte Gutshaus“ war oft Topos eines Sehnsuchtsortes, fernab der Städte, in ländlicher Einsamkeit, umgeben von Wäldern, Feldern, Wiesen, war Heimstatt ausziehender Kinder, Refugium und Rückzugsort von Familien, die in Generationen dachten. Hier nun reiht sich auch ein weiteres Werk ein, erschienen im Hinstorffverlag zu Rostock mit dem Titel „Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen“. [8] Es ist das Begleitbuch zur gleichnamigen Fernsehsendung, [9] die man als Dokutainment mit emotionalem Einschlag bezeichnen könnte, der mittlerweile sechsteiligen Reihe (2013-2020), die über mecklenburgische Neueinrichtende in oft lange leerstehenden Gutshäusern des ehemaligen Adels berichtete, immer mit dem Blick des Journalisten, wie eine attraktive, anrührende, schicksalhafte Geschichte erzählt werden kann. Der Band beginnt mit einer Einleitung zur „Tischgesellschaft der Gutshausretter“ und berichtet darin von „eigenwilligen Menschen“ und „besonderen Häusern“ (Seite 8-15), wie überhaupt sowohl Buch als auch die Filme aus dieser personalen wie materialen Verknüpfung ihren Charme ziehen. Diese, wie der britische Praxeologe Schatzki (2016) sie bezeichnet hat, Praktiken-Arrangement-Geflechte [10] zwischen baulichen Gegebenheiten und handelnden Akteur*innen ziehen sich durch das ganze Konzept und im Buch werden die Häuser auch teils zu lebendigen Wesen, haben scheinbar oft eine eigene „Persönlichkeit“, ein Fluidum, das sich nicht beschreiben, sondern nur erfühlen läßt. Diese Atmosphären einzufangen hat sich Steffen Schneider, sowohl Autor des Buches als auch der Filme, zur Aufgabe gemacht. Seine Sprache ist fast poetisch, Beschreibungen der Landschaft im Mecklenburger Parkland wechseln sich mit denen der Arbeit der Gutshausrettenden oder Episoden aus deren jetzigem oder früherem Leben ab und bieten eine reizvolle Melange. Auf die Einleitung folgen dann die Vorstellungen der Gutshausrettenden und ihrer Häuser in Rensow, Dölitz, Scharpzow, Kobrow, Vilz, Dersentin und Behren-Lübchin, jeweils eingeleitet mit einer (bisweilen leider in den Bruch gebundenen) Portraitaufnahme der jeweiligen Paare. Bei den Menschen handelt es sich vielfach um junge bis mittelalte Hochsulabsovierende, die viel in der Welt gereist waren, beruflich unter Streß standen und sich nun auf das Land zurückgezogen haben, um in einer Art Lebensendprojekt neue Beständigkeit zu erspüren, sich allein einem einzigen Gebäude, seiner Erhaltung und Verlebendigung zu widmen. In manchen der alten Gutshäuser, die unter der liebevollen Pflege ihrer neuen Besitzenden im Shabby-Stil erblüht sind, können auch Übernachtungen in privaten Ferienwohnungen gemietet werden, so unter anderem auf dem ehemals v.Bülowschen Gutshaus in Kobrow bei Laage, in der Nähe von Rostock, wo man nur mit Öfen unter Holzverfeuerung heizt, was eine besondere Atmosphäre und Wärme schafft. Nach der Vorstellung der sechs Paare schließlich beenden zwei weitere kleine Aufsätze den ästhetisch gestalteten Band einer gelungenen Mischung aus Texten und Bildern. Sie beschäftigen sich mit der ostelbischen Geschichte im besonderen Hinblick auf das bauliche Erbe der Gutswirtschaftslandschaft und die Entstehung der Fernsehserie des Norddeutschen Rundfunks. Der geschichtliche Teil gleicht dabei, in der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes und geschuldet der Zielgruppe, einem Parforceritt durch die Zeit vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert und steckt voller aktueller und durch Schriftakte performativ re/produzierter Stereotype und Images zum Adel, den Schneider als Verfasser des Bandes nicht nur „das Junkertum“ nennt, sondern auch als Verfasser unhinterfragt für eine „Herrschaftskaste“ hält. In diesem Momenten erweist sich das Buch dann doch auch als Zeugnis einer typischen Sprache aus dem sprachlichen Erbe der Zeit zwischen 1945 und 1990. [11] Historisch brauchbar und wertvoll ist dieser Abriß daher vor allem zur Forschung über die Kraft und Virulenz der im Beginn des 21. Jahrhunderts aktuellen Vorurteile zum Adel und ihre schriftliche Wiederaufführung, ignoriert sie doch, daß Adel keine fest umrissene Gruppe war, sondern nur als Gruppenbildung verstanden werden kann. [12] Den Blick auf die Gutshäuser, die häufig auch von den Dorfbewohnenden oder auch unreflektiert vom Verfasser des Bandes als „Schloß“ (Seite 48) bezeichnet werden, obschon sie ermittelbar nicht Sitz regierender Landesfürst*innen gewesen sind, stört dies nicht. Denn in diesem Buch geht es nicht um Reflexivität, sondern um Affektivität, um das Berührtwerden durch das Unverfügbare, [13] was sowohl den Reiz der Gutshäuser als auch der in ihnen wohnenden Menschen und ihrer Lebensgeschichten anlangt. Typisch für diese Art der Wahrnehmungen sind oft die Einordnung eines Hauses als eine Art von Persönlichkeit, als Ort mit unverwechselbarer Geschichte. Man kann hierzu die Zeilen Haerters (2020) exemplarisch erwähnen: „Als altes Haus hat man´s nicht leicht: überall bröckelt was, die Wände sind schief, hier und da regnet es rein, die Balken ächzen und womit will man da punkten gegenüber diesen schicken, modernen Bungalows mit Glanzdach, WLAN und Schottergarten, die man überall sieht? Vielleicht mit Dingen, die es in neuen Häusern nicht gibt: Geschichten zum Beispiel, die tief in den alten Balken stecken und ihrer Entdeckung harren. Oder Spuren der Menschen, die hier einst wohnten. Oder architektonischen Besonderheiten, die das Auge erfreuen und Fragen nach dem ` warum´ stellen. Wie schön, wenn dann eines Tages dem Hause wohlgesinnte Menschen auftauchen und sich seiner annehmen. Auch wenn nicht völlig klar ist, wer hier eigentlich wen gefunden hat.“ [14] Es sind mithin „Geschichte[n] von alten Steinen und jungem Leben und davon, wie gut das doch eigentlich zusammenpasst [...] wunderbare Geschichte[n], [...] inmitten all der provisorischen Unfertigkeit, eine Geschichte von Lebensmut und Gründerzeit, von Optimismus und einer Liebe zu historischer Baukunst und davon, das gar nichts zu spät ist, wenn man es nicht will.“ [15] Menschen, die sich den Häusern annehmen, waren bislang vor allem geistig tätig – vielfach, wenn auch nicht immer, Akademiker*innen und Künstler*innen – und hatten mit ihrem neuen Gebäude eine Mammutaufgabe übernommen, eine nun handwerkliche und materielle Beschäftigung, eine Auseinandersetzung mit der Widerspenstigkeit oder auch dem Gelingen von Handarbeit. Manche der Hausbesitzenden stehen dabei im vorgerückten Alter, andere sind noch in ihren 30ern, doch alle verbindet die Liebe und Zuneigung zu den alten Gutshäusern und ihrer Geschichte mit dem Willen, ihnen über eine schwierige Vergangenheit und Gegenwart eine neue Zukunft zu schenken. Bemerkenswert erscheint, dass die im Band vorgestellten „Gutshausretter“*innen fast alle von einem Initiativpaar ausgingen, von welchem der männliche Teil 2002 das Gutshaus Rensow erworben hatte. Dieses Paar zog kurz darauf nach Mecklenburg und fing mit der Renovierung an, beide wurden darüber hinaus zu Gutshausunternehmenden, kauften verfallende Gutshäuser auf, sicherten sie, verkauften sie dann an neue Gutshausrettende weiter (Seite 72 und 105) oder waren lebendiges Beispiel für alte Freunde, sich auch ein Haus in der Nähe kauften, um es zu renovieren (Seite 35). Schneider nennt sie die „Dirigenten in diesem Ensemble der Wagemutigen“ (Seite 13). Sie, aber auch die ab 2013 ausgestrahlte Fernsehserie, in Deutschland weit über die Grenzen des norddeutschen Sendegebietes hinaus beliebt (Seite 135), trugen wesentlich mit dazu bei, daß im allgemeinen Bewußtsein – im kommunikativen Gedächtnis – der Soziotypus der „Gutshausretter“ entstand, [16] obschon es den Begriff auch zuvor schon gegeben hat. [17] Versehen mit unkonventionellen Ansichten widmen sich die, die von ihren Baukenntnissen her zumeist Laien oder Amateur*innen waren, liebevoll den Häusern, wie einer von ihnen betonte: „Du brauchst gar keinen Architekten für so eine Bude. Das Haus hatte schon mal einen Architekten. Der ist nur meistens tot und Du kannst ihn heute nicht mehr fragen. Insofern mußt Du probieren, diesen Architekten wiederzufinden, in dem, was er sich da ausgedacht hat. Beziehungsweise Dich fragen, was wollte er mit dem Haus. Und wenn man das versteht und das Haus dann nicht versucht aus den Fugen zu biegen, dann ist das doch in Ordnung. Das Haus zu ehren und anzuerkennen, darum geht es uns allen hier.“ (Seite 13). Allerdings stimmt dies nicht immer, denn stets werden die Häuser von ihren Besitzenden auch an heutige Erfordernisse angepaßt, beispielsweise durch die Schaffung von Ferienwohnungen oder Kulissen für Foto- und Filmaufnahmen. Auch der doppelte soziale Charakter jener Häuser, in denen eine stratifikatorische Abstufung gemeinsames Lebens unterschiedlichster vormaliger Gesellschaftsgruppenbildungen des 19. Jahrhunderts stattfand, die sich baulich in Dienerräumen, -eingängen und engen -treppen eingeschrieben haben, [18] wurden teils beseitigt; einer der Protagonisten beispielsweise reagierte besonders affektiv auf das baulich manifestierte „Dienstbotenkarma“ mancher seiner Räume; er schuf neue Wanddurchbrüche (Seite 108). Dennoch ist nicht zu verkennen, daß die Hybridisierung aus baulicher Vergangenheit und neuen Besitzenden vielfach fruchtbar verlaufen ist, die Menschen haben den Häusern, die mehrfach mecklenburgisches Kulturerbe unter Denkmalschutz darstellen, neues Leben eingehaucht und der Rostocker Filmemacher Steffen Schneider hat sie dabei feinfühlig beobachtet. Dies alles ist nun auch in Buchform erhältlich, eingedampft, aber doch atmosphärisch dicht mit Worten und Bildern gewebt. Diese Rezension stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A., und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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