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Briefe eines adeligen Lüneburger RitterakademistenNeuerscheinung einer Edition von rund 200 Briefen der Jahre 1778 bis 1787Selbstzeugnisse aus den Reihen des Adels sind nicht mehr so selten wie ehedem, bilden aber immer noch eine bemerkenswerte Quelle zur Ermittlung der gentilhommesken Selbstsicht, Selbstbefindlichkeit, Selbstinszenierung und Eigenperspektive. Überliefert sind vor allem Briefe von erwachsenen Männern [1] und Frauen, [2] weniger aber von Schüler*innen oder Besuchenden von adeligen Bildungseinrichtungen. Eine Ausnahme bildet die akribisch durchgeführte und mit vielen wertvollen den Zeithorizont und die beteiligten Umstände und Personennamen erschließenden Anmerkungen versehene Editon von rund 200 handschriftlichen Briefen des jungen niedersächsischen Ernst Friedrich Herbert Graf zu Münster (1766-1836), späteren hannoverschen Kabinettsministers in London. Editiert von Sonja Brandt-Michael, [3] diente die detaillierte Arbeit der Transkription jener in den Jahren 1778 bis 1787 verfaßten Korrespondenz zwischen Münster und seiner Mutter zugleich der akademischen Qualifikation der Herausgeberin als Doktorin der Philosophie. Hierbei ist es jedoch erstaunlich, daß man vergeblich sowohl nach einer Theorie als auch nach einer wissenschaftlichen Methode in dem Werk sucht. Beides ist augenscheinlich entweder von Brandt-Michael nicht benützt oder aber, was eher zu vermuten steht, aber ebenso bedauerlich wäre, herausgekürzt worden. Zwar gibt es ein zehnseitiges Kapitel „Methodischer Ansatz: Briefe als Quelle“ (Seite 2-11), doch sind dort neben Bemerkungen zur Briefedition keine methodischen Grundlagen aufgeführt, abgesehen davon, daß Briefquellen nicht als Erläuterung einer Vorgehensweise bezeichnet werden können. Angelegt wurde das Werk indes in fünf Teile. Einführungen und wissenschaftliche Erkenntisse finden sich auf den Seiten 1-124 und im Fazit auf den Seiten 561-570, naturgemäß nimmt die Edition der Korrespondenzen sodann den größten Teil ein (Seite 124-560), angegliedert wurde außerdem ein Farbbildabschnitt (Seite 571-608) sowie der bibliographische, editorische und archivalienkundliche Anhang (Seite 609-664). Die Briefe ermöglichen nun einen besonderen Einblick in die gentilhommeske Standesbildung, die breitgefächert aufgestellt war, der Aufklärung verpflichtet (u.a. war Münster Schüler im Dessauer Philanthropin), auf ästhetische Lebensbildung hinarbeitend, schließlich auf der Lüneburger Ritterakademie durch standesgemäße Tätigkeiten (Fechten, Reiten, Tanzen) vervollständigt. Dabei bildete Münster schon zu diesen Zeiten seiner Jugend für ihn wichtige und lang andauernde personale Netzwerke heraus, die ihm später, als Diplomat, zugute kamen. Mehrsprachigkeit, eine geschliffene Form der Konversation, Kunstinteresse (er nahm unter anderem Unterricht im Blumenmalen), ein gewisser Standesstolz (z.B. Seite 402: er benötigte laufend neue Garderobe zum ostentativen Konsum) zeichneten Münster überdies aus; alles dies, aber auch viele persönliche Bemerkungen bilden das Gros der Edition, die tiefe Einblicke in die Erfahrungswelt eines adeligen Schülers und Göttinger Studenten an der Georgia-Augusta freigibt. Dazwischen finden sich immer wieder Schilderungen zum Jagderfolg oder -mißerfolg, auch eine „schimpfliche“ Auseinandersetzung mit einem anderen Grafen (Seite 483-503), sozialisierte Annotationen zu un/standesgemäßem Verhalten sozialer Umwelten. Brandt-Michael hat insgesamt mit ihrer behutsamen Herausgabe, die nicht nur einen biographischen Abriß ihres Protagonisten liefert, einen wichtigen Beitrag zur weiteren Kenntnis des geistigen Innenlebens eines jugendlichen Adeligen und dessen Erziehung zwischen Adelstraditionen und aufklärerischem Gedankengut am Ende des 18. Jahrhunderts präsentiert und veröffentlicht. Abgesehen vom Gewinn für landeskundlich und familiengeschichtlich Forschende – zwei Register (Seite 622-652) erschließen alle in den Briefen erwähnten Personen sowie die von Münster teils detailreich besuchten und beschriebenen Orte, z.B. Herrensitze und deren Bewohnende – ist die voluminöse Briefedition auch für die Adelsforschung ein weiterer Mosaikstein der Selbstbetrachtung der Nobilität in der Frühen Neuzeit. Diese Rezension stammt von Dr. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., B.A., und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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