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Der Balladendichter Börries Freiherr von Münchhausen

Rezension zu einem neuen Buch von Jutta (von) Ditfurth

Es erscheint nicht ganz einfach, ein ausgewogenes Urteil über den Schriftsteller und Juristen Börries Freiherr v.Münchhausen (1874-1945) zu fällen. Zu widersprüchlich sind, oberflächlich besehen, die Aussagen, die dieser Dichter, der sich bei Kriegsende suizidierte, im Laufe seines Schaffens tätigte. Es erscheint indes wie ein Fanal, daß sich Münchhausen ausgerechnet mit dem Ende des Dritten Reiches selbst entleibte. Gingen hier zwei Welten unter, eine materielle und eine intellektuelle, zwei identische Welten? Doch Münchhausen ist nicht tot. Eine quantitativ nicht geringe Rezipierendenschaft in Deutschland hielt sein Andenken wach, rezitierte oder verschmähte ihn, wobei wohl eher vielfach das Erstere zutraf und bisweilen auch noch immer zutrifft.

Münchhausen ist Ehrenbürger der Stadt Göttingen, auch jetzt noch. Dabei war er mit Goebbels bekannt, verehrte ihn, besaß Bilder diverser NS-Führer, die er in Windischleuba, seinem Schloß in Thüringen, an prominenter Stelle plazierte. Gleichwohl gilt: Münchhausen hat jüdische Figuren in seiner Werken, vor allem in seiner Anfangszeit, positiv konnotiert, später dann negativisiert, verzichtete aber in der Folge (am Kriegsende) auf jede weitere politische Betätigung und antisemitische Äußerung, lehnte entsprechend öffentlichkeitswirksame Aufsätze unter seinem Namen und aus seiner Feder ab. 

Das insgesamt nicht ganz einfache Bild hat Jutta (v.) Ditfurth nun in einer neuen Biographie minutiös nach gezeichnet: „Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte“ erschien im September 2013 mit 395 Seiten und zahlreichen schwarz-weißen Abbildungen beim Verlag Hoffmann & Campe in Hamburg, wo es für 21,99 Euro erwerbbar ist.  Ditfurth, von Haus aus Soziologin und Frankfurter Kommunalpolitikerin, arbeitet darin einen Teil ihrer Familienhistorie auf; Münchhausen war ihr Urgroßonkel. 

Sie beginnt ihre Schilderungen mit einer 1990 stattgefundenen Reise mit ihrer Mutter nach Thüringen, wo sie alte Stätten aus deren Leben von vor 1945 besuchte. Das Bild, daß Ditfurth zeichnet, ist freilich geprägt von stark antagonistischer Haltung. Daher schildert sie viel Kritisches, das in anderen Schilderungen zum Thema zu kurz kommt, verschwiegen wird, weggelassen wird oder schlichtweg auch nicht bekannt war. So schöpft sie beispielsweise aus unveröffentlichten Korrespondenzen ihrer Familie. Ditfurth hat fernerhin Archivstudien betrieben, sich nicht nur auf das literarische Wirken des Urgroßonkels beschränkt, untersuchte auch die Persönlichkeit des Dichters, sein Verhältnis zu Frauen, zum Judentum, zum Adel, zu „Rassefragen“. 

Daher ist das Buch letztlich mehr als nur eine chronologische Biographie mit Exkursen: Ditfurth sucht aktiv die Auseinandersetzung mit den einseitigen Dönhoff´schen Mythen, die den im Nationalsozialismus widerständigen Adel zum Thema hatten und die noch heute mit einem sehr spezifizierten Gedenken an die Verschwörer des 20. Juli 1944 einen Anknüpfungspunkt und identitären Bestandteil für das kollektive Gedächtnis Deutschlands bilden. Demokratiekritische Worte von Stauffenberg, die Ditfurth bringt, werden in „öffentlichen Bildern“ der Presse eher weniger wahr genommen, auch wenn die konservative oder weiter rechts stehende Grundhaltung etlicher Verschwörer schon seit langem in der geschichtswissenschaftlichen Forschung durchaus bekannt ist. 

Münchhausen zeigt aber ebenso wie der Stauffenbergkomplex, wie selektiv Gedenken in einer postmodernen Erinnerungskultur sein kann, wie es zu aktuellen Zwecken eingesetzt werden kann. Die Unmöglichkeit historische Vergangenheit in seiner ganzen Fülle zu rekonstruieren, ist eine der Geschichte (denn dies ist nie per se vorhanden, sondern wird immer erst von nachfolgenden Generationen „gemacht“) allgemein eingebranntes Phänomen. Insofern ist das Ditfurth´sche Buch auch und vor allem ein politisches Buch, das ohne wissenschaftliche Methodik auskommt, gern Zitatabschnitte synkretistisch zusammenfügt, populär geschrieben ist, bisweilen auch bissig. Diese Vorgehensweise erhöht die Lesbarkeit und den Unterhaltungswert, verhindert freilich die intensive methodische Auseinandersetzung mit dem Stoff. Allerdings ist dies bei einem auf populärwissenschaftliche LeserInnen ausgerichteten Verlag auch nicht zu erwarten. 

Das Buch soll aufrütteln, vergangene Sichtweisen zu ergänzen, sie manngifaltiger zu machen. Münchhausen war eben nicht nur, wie er von manchen Rezipierenden wahr genommen wurde, ein unpolitischer „Balladendichter“, sondern auch Antisemit und in seinem Denken rassisch orientiert. Die Angehörigen der ehemaligen Sozialgruppe des Adels werden vermutlich dieses für sie und ihr Selbstverständnis abträgliche Buch verdrängen, indem sie es schlicht nicht zur Kenntnis nehmen. Eine Buchbesprechung dürfte im Deutschen Adelsblatt wohl nur dann erfolgen, wenn die Lesereisen der Autorin eine breite gesellschaftliche Diskussion lostreten würden und das Thema eine derartige Relevanz erhielte, das über das normale Maß hinausgeht (wie bei dem Werk von Stephan Malinowski über den Adel „Vom König zum Führer“ aus dem Jahre 2003). Aufmerksam machen wird dieses Buch jedoch allemal, sei es auf Details aus dem ambivalenten Leben Münchhausens, aber auch auf manche These zum Verhältnis des Adels zum Nationalsozialismus.

Diese Rezenison stammt von Claus Heinrich Bill und erschien gedruckt in gleicher Fassung zudem  in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (Jahrgang 2014).


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