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Moral als Triebfeder und HandlungsmaximeAnmerkungen zu einer Novität auf dem BuchmarktDie noch relativ neue Wissenschaft der Kulturwissenschaften zeichnen sich aus durch erweitere Sichtweisen auf den Gegenstand der Kultur, der vielfach über den intrakulturellen Bereich hinausschaut. Sie sind zudem zutiefst dem Konstruktivismus verpflichtet, das heißt, sie betonen die unterschiedlichen Sichtweisen als gleichberechtigt und beziehen dies mit ein, um Infragestellungen abzuleiten und das Eigentümliche des Eigenen im Fremden zu erforschen und zu erkennen. Anders ausgedrückt: Kulturwissenschaften befassen sich mit der Anthropologisierung des Wissens, dem Versuch, Natur- und Geisteswissenschaften sowie technische und humanitäre Intelligenz miteinander zu verbinden und dadurch neue Gesichtspunkte auf ihren Untersuchungsgegenstand zu gewinnen. In diesem Sinne ist eine Neuerscheinung bedeutsam, die sich eben dieser kulturwissenschaftlichen Sicht verpflichtet fühlt. Sie befaßt sich mit der Frage der Moral als einer bedeutenden Triebfeder menschlichen Handelns. Moral wird dabei verstanden als ein System von Werten und Normen, welches es den Menschen ermöglicht, sich a) in einer Gesellschaft selbst zu verorten und b) wichtige Entscheidungen aus der Haltung der Gesellschaft abzuleiten, die das eigene Tun reflektieren und sogar steuern. Im Grunde geht es bei der Moral also, so das neue Buch, um die Frage der Identität: Jeder Mensch ist geprägt durch ein Kultursystem, in das er hineingeboren und sozialisiert wurde. Seine Individuation und Selbstwerdung vollzieht sich daher stets und generell aus diesem Standpunkt heraus, indem Vorbilder prägen oder durch abschreckendes Beispiel zu einem Orientierungspunkt werden, der die eigene Entwicklung und das intrapersonale Moralsystem beeinflussen - entweder negativ oder positiv. Moral kann Sicherheit geben oder Angst einflößen: Moral ist so besehen die Gewißheit zur vorausschauenden Erwartung von Sanktionen und Konsequenzen: Wer in einer Kultur das Richtige oder das Gute tun wird, löst soziale Anerkennung aus und forciert einen gesellschaftlichen Aufstieg. Dazu zählen als Folgen Prestigeaufbau, Beförderungen, Auszeichnungen, das Reüssieren in Ämtern und Posten, das berufliche und private Fortkommen, aber auch schlicht das Erfüllen von Anforderungen in Prüfungen, in denen sich Prüflinge dessen, was von Anderen als gut erachtet wird, durch Auswendiglernen und Imitation unterwerfen und dadurch als Belohnung akademische Titel oder andere Würden (wie beispielsweise eine Nobiliterung oder schlicht auch nur Ansehen) erhalten. Wer aber das Falsche und das Böse tun wird, darf mit Verachtung und zeitweiser oder dauerhafter Exklusion rechnen, beispielsweise mit Gefängnis als einer Form des Entzuges der persönlichen Bewegungsfreiheit auf körperlicher Ebene und damit auch in Form eines Entzuges von gesellschaftlicher Teilhabe, mit der Todesstrafe als einem Radikalentzug von jeder Gemeinschaft des Lebens durch Zuweisung zur Gemeinschaft der Toten, mit Landesverweisung als dem Entzug der bisherigen Gesellschaftsteilhabe, mit finanzieller Unsicherheit, Berufsbehinderung oder Unterdrückung als Preis für individualisierte Künstlerbiographien, beispielsweise bei den sogenannten durch das Metternich´sche System der politischen Repressionen ausgelösten Demagogenverfolgungen im Vormärz oder bei dem chinesischen Installationskünstler und Bildhauer Ai Weiwei (*1957). Auch unter Schülern ist das Phänomen bekannt und kann in Form von Bullying stattfinden: Überall ist die Exklusion das bevorzugte Mittel der Gesellschaft, mißliebiges Verhalten einzelner ihrer Glieder zu bestrafen. Wer sich allerdings ohne für die Gesellschaft anscheinend ersichtlichen Grund selbst exkludiert, weil er sich von den Menschen zurück zieht, wie die weltlichen Eremiten, so beispielsweise die Figur Alceste des in Moliéres Komödie Le Misanthrope ou l'Atrabilaire amoureux (1667) oder des Christian Wolf aus Schillers Tragödie Der Verbrecher aus verlorener Ehre (1786) wird als seltsam und verschroben abgestempelt. Anders gilt nur für die Inklusen oder Reklusen, die sich aus religiösen Gründen einmauern ließen: Sie genossen, wie zum Beispiel Hildegard von Bingen, im Mittelalter hohes Prestige und allein ihre sprachliche Bezeichnung verneint die Exklusion vehement. Die Inklusen flohen zwar die menschliche Gesellschaft, suchten aber zugleich Inklusion bei Gottheiten, das heißt wesentlich höher gestellten oder zumindest so attribuierten Prestigeträgern. Anders die weltlichen Einsiedler und sogenannte Originale, die sich bewußt außerhalb gesellschaftlicher Normen stellten. Wer weder der Gesellschaft noch einer Gottheit angehören wollte, war selbstgewählt exkludiert und konnte auch nur selten gesellschaftliche Anerkennung finden (oft erst nur nach dem Tode). Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise durch die Zeiten Exzentriker und Sonderlinge wie der Hauptmann von Köpenick, Stadtstreicher (österreichisch: Sandler) Schinderhannes, Störtebeker, Louise Elisabeth de Meuron-von Tscharner in Bern, Heinrich Anton Leichtweiß im Wiesbadener Rabengrund, mithin Personen, die sehr leicht sozial marginalisiert und kriminalisiert wurden. Wenn sie auch nicht per se das Böse vertraten, so waren sie doch gewöhnlich Inkludierten - während ihres Lebens - ein Störfaktor im Weltbild: Sie entsprachen nicht den Verhaltenscodices gängiger Moral.[1] Neben diesen interpersonalen Folgen lassen sich das Gute und das Böse aber auch verorten im intrapersonalen Bereich: Gute Absichten befördern das Gefühl des Individuums im Einssein mit der Welt, schlechte Absichten werden mit den Begriffen schlechtes Gewissen oder, populärer gesprochen, mit der Bezeichnung innerer Schweinehund definiert. Daß aber Moral wesentlich daran beteiligt ist, das Selbstbild eines jeden Menschen sozialpsychologisch zu konstruieren, zu erhalten und zu formen, dürfte fraglos anerkannt sein. Diese Auffassung vertritt auch Norbert Bischof in seinem hier zu besprechenden Werk Moral. Ihre Natur, ihre Dynamik, ihr Schatten, gebunden erschienen im Böhlauverlag 2012 mit 524 Seiten. Dieses Buch widmet sich ganz dem Thema der Moral als Motor von Denken und Handeln des Menschen und Bischof, Erfinder des Zürcher Modell der sozialen Motivation, vollzieht diese seine selbst gestellte Aufgabe auf der Grenzmarke zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Er betont die Herkunft der Moral aus der Biologie, indem er sagt, daß Moral nicht nur anerzogen, sondern teils auch angeboren sei (Seite 421). Dabei berührt er das System von Sicherheit und Erregung, das bereits früher von Erich Fromm als Furcht vor Freiheit und Sehnsucht nach Freiheit benannt worden ist.[2] Hier wie dort - bei Bischof wie bei Fromm - ist der Mensch stets im Wechselspiel zwischen Sozialisiation und Individuation befindlich, zwischen Sehnsucht nach Gemeinschaft und Rückzug in sein Selbst. Und Bischof versinnbildlicht dies mit dem analogistischen mechanisch-hydraulischen Bild von einander beinflussenden Flüssigkeitsgefäßen (fortlaufend ab Seite 292). Die Art und Weise, wie Bischof dies vermittelt und detailreich ausführt, muß allerdings schon als außergewöhnlich bezeichnet werden. Bischof ist ein heute 82jähriger Verhaltensforscher, der auch in Psychologie und Philosophie bewandert ist und infolge eines langen und belesenen Forscherlebens als Wissenschaftler über ein sehr reiches Assoziationswissen verfügt. Seine ganz Schrift - übrigens letzter Teil einer Trilogie - ist als großer Wurf konzipiert, als teils beißend kritische Abrechnung, die fast ohne Fußnoten auskommt. Wissenschaftlich ist das Werk also nur bedingt zu nennen, eher populärwissenschaftlich, wenn auch dann und wann unvollständige Fußnoten angeführt werden. Die Quellennachweise sind in diesem Buch daher nur als uneinheitlich gestaltet (mal mit und mal ohne Seitenzahlen) und als marginal zu bezeichnen. Bischof scheint es nicht so sehr um die Eingliederung in die Wissensgemeinschaft vor ihm zu gehen, sondern mehr um Individuation. Im Rundumschlag spart er damit auch nicht vor der teils satirischen Kritik an wissenschaftlichen Kollegen, die er in immer neuen Wortkaskaden zu kritisieren bereit ist. So kritisiert er den Harvard-Psychologen Steven Pinker (*1954), der die These vertritt, daß die Gewalt als Auseinandersetzungsform zwischen Menschen im Laufe der Jahrhunderte der Geschichte immer mehr abgenommen habe und vermutlich auch weiter zurückgehen werde. Pinker, dem Bischof nebenbei auch noch indirektes Plagiieren bei Norbert Elias vorwirft (Seite 240), vertrete, so Bischof zwar eine positivistische Wertorientierung, vertrete aber im Übrigen teils lächerliche Positionen, beispielsweise, wenn es um die Frage gehe, ob denn die Quantität der Gewaltdarstellungen in den modernen Massenmedien Konsequenzen hätte oder nicht. Pinker meint dabei (in seinem Buch Eine neue Geschichte der Menschheit, welches Bischof kritisiert), daß die Darstellungen von Gewalt heute nur als harmlos gegenüber den Trickeffekten der Theater bezeichnet werden müßten, die in früheren Zeiten das Publikum emotional ergriffen hätten. Bei dieser Gelegenheit bezeichnet Bischof Pinkers Argumentation tatsächlich als lächerlich mit der Begründung, daß der Film heute über wesentlich spektakulärer special effects verfüge als diese ehedem der Fall gewesen sein könne. Dies ist freilich keine wissenschaftliche Aussage, sondern ein Abgleiten Bischofs in eine Form der Verächtlichmachung, die nicht weiter erläutert werden müsse. Dadurch entzieht sich Bischof einer Diskussion auf sachlicher Ebene, was schade ist ( was übrigens in seinem Buch immer wieder einmal, wenn es mit Bischof durchgeht, geschieht). So ist auch danach zu fragen, mit welchem Stellenwert ehemalige special effects im Theater beim Publikum ankamen und was dieses Publikum gewohnt war. Es wäre die systemtheoretische und strukturalistische Frage zu stellen gewesen, in welchem Kulturrahmen sich alte special effects abspielten und welchen Sensationswert ihnen beigemessen wurde. Die Unerhörtheit der modernen filmischen special effects funktioniert nicht zuletzt nach dem Prinzip der Steigerung der Erregungsniveaus. Um also special effects beurteilen zu können, muß zunächst auch ein Blick auf das Erregungsniveau einer Kultursystems geworfen werden. Das läßt sich allein an der Entwicklung von special effects in der Filmindustrie des XX. Jahrhunderts ablesen. Filme wie King Kong und die weiße Frau von 1933 amüsieren die heutigen Zusehenden des XXI. Centenariums nur noch wegen ihrer primitiven special effects, was aber zur Zeit des Erscheinens des Filmes ganz anders beurteilt worden ist.[3] Gleiches gilt analog für das Theater. Der Theatercoup, noch eine vorwiegend auf inhaltliche und nicht technische Überraschungen und plötzliche Wendungen in der Geschichte konzentrierter Kniff der Theaterschriftsteller des XIX. Jahrhunderts zur Wachrüttelung des Auditoriums, kann dabei als Vorläufer der special effects von heute gelten. Der weitgehend negativ konnotierte Begriff Theatercoup wurde namentlich von konservativen Theaterkritikern installiert und daher auch als Stilmittel der Dichtkunst für die Bühne abgelehnt. Kritisiert wurde hauptsächlich, daß der Theatercoup von der eigentlichen Handlung unnütz ablenke und der Abnutzungs- und Gewöhnungseffekt des aus einer Überraschung bestehenden Phänomens zu groß sei: Theatercoups würden rasch langweilig werden. So heißt es im Jahre 1820 beispielsweise in einem Lexikon für gebildete Stände, also für äußerst auf Prestige schauende Gesellschaftsschichten, die sich in allen sozialen Bereichen, namentlich in der Kultur, von sogenannten ungebildeten Ständen - auch dies eine Frage von Inklusion und Exklusion - unterscheiden wollten: „Da nun, je öfter dergleichen Hülfsmittel gebraucht werden, sie desto mehr ihre überraschende Wirkung verlieren und die poetische Armuth des Dichters beurkunden, so hat man überhaupt auch ... ein verbrauchtes Mittel der dramatischen Auflösung Theatercoup genannt.“[4] Vertreter des progressiven Theaters aber hielten dem entgegen: „Der Dichter hat nach Effect getrachtet. Mein Gott! Wonach soll er denn [sonst] trachten? Versammle tausend Menschen um deine Bühne, rathen sie dem Dichter, aber mache ihnen Langeweile. Ich behaupte kühn, dass jedes gute Schauspiel, für die Bühne geschrieben, auf Effecten berechnet seyn muß. Der Dichter braucht Theatercoups. Ein Theatercoup ist ein interessanter überraschender Moment eines Schauspiels, der keinen Widerspruch enthält, ohne Zwang herbeygeführt und in Handlung dargestellt wird. Je mehr solche Theatercoups ein Schauspiel enthält, je besser ist es.“[5] In einer Genealogie der special effects von heute lassen sich aber nicht nur der Theatercoup des XIX. Jahrhunderts als Handlungsüberraschung feststellen. Vielmehr ist dieser Strang bis auf das Prinzip deus ex machina bis in die Theaterwelt der Antike zurückzuführen. Darin werden zwei Wesensbereiche miteinander verbunden: Der Theatercoup, der sich auf die innerlichen Überraschungen des Handlungsfortganges bezieht und die äußerliche Überraschung durch visuelle Effektwirkung infolge des Einsatzes von Bühnenmaschinen, mit deren Hilfe in der griechischen Tragödie ein plötzliches positives Ende kurz vor der anscheinend unlösbaren Klimaxkatastrophe eintreten konnte.[6] Gleitet bisweilen also Bischofs Argumentation ins Unsachliche ab, so muß andererseits hervorgehoben werden, daß sich in seinem Buch ein reiches Bündel aus Erfahrungswissen präsentiert, dessen Fülle und Ansätze beeindruckend sind. So plädiert Bischof, um die Eingangsfrage zu beantworten, dafür, aus multipersüektivischer Sicht Moral als etwas sowohl biologisch Angelegtes als auch soziogen Ausgeformtes zu betrachten (Seite 247). Damit schlägt sich Bischof nicht etwa einer pauschalen Richtung als einseitiger Verfechter einer singulären und hegemonial verstandenen Idee zu, sondern anerkennt die ungeheure Komplexität von Moral, die auch andernorts bereits eindrucksvoll konstatiert worden ist.[7] Bischof ist, trotz gelegentlicher scharfer Ausfälle wider Forscherkollegen, in Sachen der Ethik, also des Nachdenkens über Moral, ein doch eher zurückhaltend agierender Forscher und Argumenteur. Bischofs Sicht auf die Moral als komplexes Phänomen menschlichen Seins wirkt daher insgesamt bereichernd, sowohl für Naturwissenschaftler als auch für Geisteswissenschaftler, die sich, über den eigenen Lehrgebietshorizont hinaus, in bester kulturwissenschaftlicher (da interdisziplinärer) Manier, mit dem Thema Moral befassen. Und mit diesem Ansatz ist es auch erklärlich, wieso alle Menschen grundsätzlich eine Sehnsucht haben, nach dem Guten zu streben. Nimmt man unterschiedliche Kulturen als unterschiedliche Referenzsysteme des Lebens und Handelns von Gruppen an, erklärt diese integrative Sichtweise zugleich aber auch, weshalb es Konflikte in diesem Bereich historisch gab, derzeit gitb und immer weiter auch geben wird: Was im Speziellen als moralisch gut definiert wird, ist keine Sache der biogenen Veranlagung, sondern der kulturellen oder soziogenen Festlegung. So heißt es beispielsweise unter Heranziehung eines Vorurteils über die angebliche Moral von Großstädten im XIX. Jahrhundert pauschalisierend seitens eines mecklenburgischen Polizeiredakteurs in einer Zeitschrift von 1867: „Nach amtlicher Zählung betrug die Einwohnerzahl der Stadt London am Ende des vorigen Jahres 3.037.000. Seit 1861 ist die Bevölkerung um 234.200 Einwohner gestiegen. Das ganze Königreich Württemberg zählt in runder Zahl 1.700.000 Einwohner, also 1.337.000 Einwohner weniger als jene einzige Riesenstadt! Daß ein solches Stadtungeheuer nicht mehr schön sein kann, liegt auf der Hand. Es ist geradezu schauderhaft zu denken, welches physisches und moralisches Schmutzzubehör die Existenz einer solchen Menschenmasse auf einem Fleck voraussetzt.“[8] Hier zeigt sich, daß moralische Vorstellungen Fremdes als
Bedrohung des Selbst konstruieren. Für geradezu kleinstädtische
Verhältnisse - die größte deutsche Stadt war um 1866 Berlin
mit fast einer Million Einwohnern - erschien der ohnehin von Ländlichkeit
geprägten mecklenburgischen Polizei die Großstadt London moralisch
als Sündenpfuhl, da sich sich eine derartig große Bevölkerungszahl
in einer Stadt schlicht nicht vorstellen konnten. Die außerhalb des
eigenen Referenzsystems liegenden Zahlen konnten zudem nicht mehr positiviert
werden. So wurde die undenkbare Größe mit abwertenden Moralien
bedacht: Was in Mecklenburg, in der Provinz, nicht nachvollziehbar ist,
kann nicht gut sein, so der kognitive und kulturelle (Kurz-) Schluß
der Polizei.
Doch zurück zu Bischofs Buch. Seine Univeralbildung und Universalanspruch - immerhin behandelt er eines der wichtigsten Motive globalen menschlichen Handelns - macht es ihm indes möglich, sein Thema breitgefächert und assoziativ darzulegen. So kommt es, daß er im gleichen großen Atemzug mit der Evolution der Moral die rechts- und linksextreme Neigungen untersucht (und als Mangel an Idenitätsfestigung postuliert) und dann auf die britische Briefmarke Penny Black zu sprechen kommt (Seite491), über Gesellschaft als dissipative Struktur ähnlich einer Geißeltierchenkultur in der Petrischale referiert (Seite 256) und mühelos zu einer Interpretation von Giorgio de Chiricos abstraktem Gemälde Die beunruhigenden Musen von 1917 überleiten kann (Seite 194). Diese abwechslungsreiche und durch literarische Theatercoups gebildete Crossoverfahrt durch die Wissenschaften macht beim Lesen Freude und eröffnet neue verknüpfende Blickwinkel, die zudem noch bereichert werden durch zahllose ansprechend vom Verfasser gestaltete Grafiken, die meisterhaft den Spagat zwischen der Visualisierung von Abstraktem absolvieren, obgleich dies nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist, wie Beispiele aus den dtv-Atlanten zur Psychologie und Philosophie zeigen.[10] Bischof präsentiert mit seinem Alterswerk insgesamt eine anregende populärwissenschaftliche Plauderei (obwohl er gerade diese - im übrigen recht unterhaltsame und durch special effects bereicherte Qualität seines Werkes im Vorwort auf Seite 10 abstreitet), die zu zahlreichen Überlegungen anstiftet und dies oft nachvollziehbar entwickelt. Seine Stringenz in der Argumentation und sein Roter Faden sind beeindruckende Beispiele einer eher traditionell sperrigen Materienverwaltung und -aufbereitung. Das alles macht die Lektüre anregenswert, auch wenn Bischof als bewußt sich verhaltender Angehöriger einer betont (prestigehaften)[11] akademischen Elite [12] einen scharfen Kampf gegen Halbgebildete wie den Atheisten Richard Dawkins oder Daniel Goldhagen führt (Seite 122-124 und 440-442). Trotzdem gilt: Für 29,90 Euro kann man das gut ausgestattete und abwechslungsreich geschriebene Werk gern und gefällig lesen.[13] Diese Besprechung stammt von Claus Heinrich Bill und wurde zuerst publiziert in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung im Jahre 2012. Annotationen:
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