Institut Deutsche Adelsforschung
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Das Monokel im deutschen Adel

Politische und modische Wandlungen eines untergegangenen "standesgemäßen" Assecoires

Das Monokel, Einglas oder Monocle, wie man es auch nannte, ist eine heute weitgehend aus dem Alltagsleben des Adels verschwundene Erscheinung, der man bisweilen nur noch auf historischen Portraitaufnahmen von Edelleuten begegnet.
Neben der Brille, die parallell existierte, trug man Eingläser namentlich bei einseitigen Sehfehlern. Handelte es sich dabei lediglich um irgendeine Form einer Sehhilfe oder bevorzugte der Adel Eingläser statt Brillen? Galt die Benutzung eines Augenglases lediglich der Korrektur der Hornhaut bei Sehschwächen oder verband sich damit zugleich auch ein standesgemäßes Benutzen von Brillen, eine Symbolik, ein Ausdrucksmittel in Stilfragen? Und wie wandelte sich die Bedeutung des Monokels in den Augen derjenigen, die keine Eingläser trugen? Wie instrumentalisierte sich das Monokel als Stilmittel in der Literatur und in der Karikatur?

I. Begriffliche Definition und Geschichte

Monokel waren eine Weiterentwicklung des sogenannten Lesesteins und waren bereits seit dem 14.Jahrhundert bekannt. Zuerst hielt der Benutzer das Einglas in der Hand und führte es bei Weitsichtigkeit über den zu lesenden Text oder vor das Auge. Diese Methode jedoch behinderte in der Bewegungsfreiheit des Lesenden oder Arbeitenden und so entstand die Idee des Einklemmens zwischen Wange und Oberlid. Etwa seit dem 16. Jahrhundert wurde diese Möglichkeit in Deutschland benutzt. In dieser Form wurde das Monokel jedoch erst um 1800 so gesellschaftsfähig, daß es weitere Verbreitung fand. Es war nicht kostspieliger als eine Brille, sondern im Gegenteil oft noch preiswerter durch die geringere Menge an Material und den geringeren Arbeitsaufwand bei der Verarbeitung durch den Brillenmacher. Daher setzten sich diese Sehhilfen bald auch in der bürgerlichen Mittelschicht durch. [61]

Ein Monokel bestand aus einem geschliffenen runden Glas. Durch die Fixierung des Einglases über den Schließmuskel der Lider ergab sich jedoch eine Schwierigkeit: Schon von vornherein war eine gewisse zeitliche Begrenztheit der Benutzung dieser Sehhilfe vorausgesetzt. Anders als Sehschwache, die ihre Brille den ganzen Tag oder ständig führen müssen und dies dank leichter Gestelle auch ohne Anstrengung auszuführen vermögen, war dies bei Eingläsern nicht möglich. Sie wurden lediglich zur akuten Benutzung gebraucht und im Übrigen bei Nichtgebrauch an den meist vorhandenen Schnüren am Kragen aufgefangen oder in der Westentasche versteckt, bis eine neue Benutzung anstand.

Der Gebrauch von Gläsern mit und ohne Schnüre dürfte bei dem jeweiligen Träger individuell und seinen Ansprüchen gemäß gehandhabt worden sein und den persönlichen Vorlieben und Neigungen entsprochen haben. Hierfür finden wir auch in den Beispielabbildungen (siehe Seite 1060 dieer Zeitschrift) eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten.

Ebenso kannte man Einglasvarianten mit oder ohne metallene Galerie (Rahmen). Auch hierfür finden sich Beispiele in den Abbildungen. Die Größe des Monokels schwankte zwischen 36 bis 46 mm im Durchmesser, je nach der anatomischen Beschaffenheit der Augenhöhle des Patienten. Soweit zu den gegenständlichen Ausführungen und Modellen des Monokels.
Aber wichtiger noch als die ohnehin schlecht zu recherchierende medizinische Frage der Benutzung des Einglases scheint in unsererem Zusammenhang die Frage zu sein, warum Eingläser benutzt wurden und auch Eingang in Portraitaufnahmen fanden?

II. Adelige Monokelträger und ihr Selbstverständnis

Sehen wir uns zunächst einige adelige Monokelträger aus dem preußischen Offizierkorps näher an. Als Anschauungsbeispiel dienen hierzu die Selbstdarstellungen von Angehörigen dieser Berufs- und Standesgruppe. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Portrait des zuletzt als Kgl. Preußischer Major a.D. in preußischen Militärdiensten stehenden Günther v.Ravenstein (1854-1927). Es gewinnt durch das Monokel deutlich an aristokratischem Flair. Sehr bewußt trug er hier ein gerahmtes Einglas mit einer Doppelkordel. Genau wie bei dem später noch vorzustellenden Grafen Arthur Strachwitz (1846-1919) wurde das andere Ende nicht etwa an einen Knopf des Rockes geführt, sondern unmittelbar unter dem Kragen befestigt. Hätte v.Ravenstein sein Monokel nur an der Kordel herabhängen lassen, so hätte sich ein unmögliches Bild ergeben, von dem vermutet werden darf, daß er es absichtlich vermieden hat - sein Einglas würde ihm dann vor dem Bauch baumeln. [62]
Einem ähnlichen Lebensgefühl huldigten auch die beiden Offiziere Oberst Walter v.Reichenau [63] aus dem Reichswehrministerium und der General Dietrich v.Choltitz (*1894). [64] Beide tragen auf den Photographien spartanische und einfache Monokel ohne jede Rahmung und ohne doppelschnürige Kordel.

Der bekannteste Monokelträger der Weimarer Zeit, der im öffentlichen Interesse stand, dürfte hingegen zweifellos General Hans v.Seeckt (1866-1936) gewesen sein. Er war von 1920 bis 1926 Chef der Heeresleitung der Reichswehr und trug sowohl Monokel mit Schnur als auch schnurlose Eingläser und schien davon eine ganze Sammlung zu besitzen. Der gebürtige Schleswiger und Chef der Heeresleitung trug nicht etwa eine Brille, was seinem Verständnis offensichtlich zuwiderlief, obwohl es vom zu treibenden Aufwand sicherlich einfacher gewesen wäre, da v.Seeckt nicht nur auf einem, sondern auf beiden Augen Sehhilfen benutzte, wie zwei Abbildungen beweisen. Auf der einen Abbildung - undatiert - trägt er ein Monokel mit Kordel am linken Auge, auf der anderen Bild sieht man ihn mit einem Einglas im rechten Auge. [65]

Bemerkenswerterweise bedienten sich allerdings die preußischen Könige offensichtlich nicht des Einglases. Ließen sie sich mit Sehhilfen abbilden, so meist nur mit Kneifern, die sie in Händen hielten, um nicht allzusehr die Gelehrsamkeit in den Vordergrund zu rücken und ihre körperliche Schwäche. Ein König mit Brille erschien nicht standesgemäß, da das Gesicht das Zentrum des Betrachters war und dies sofort auffallen mußte. Andererseits konnte die Brille als Sinnbild der Beschäftigung mit den schriftlichen Vorgängen empfunden werden und ließ das Bild ungezwungen erscheinen, so als sei es nicht gestellt, sondern aus dem Leben gegriffen, so als würde sich der Monarch im kommenden Augenblick wieder seinen Arbeiten widmen.

Franz Krüger malte 1846 den an seinem Arbeitstisch lehnenden König Friedrich Wilhelm IV. genau in dieser beabsichtigten Situation mit einem Zwicker in der rechten Hand, und Paul Bülow verewigte im Jahre 1885 König Wilhelm I. vor seinem Schreibtisch stehend ebenfalls mit einem Zwicker in der Hand. Ebenso ist der Gebrauch des Monokels bei Kaiser Wilhelm II. unbekannt, bei ihm finden sich hingegen oft Brillen und Kneifer, [66] mt denen er sich doch nur sehr selten offiziell abbilden ließ. [67]

Aussagen über die Motivationen von Edelleuten, Eingläser zu tragen, liegen nicht vor. Indes können einige Vermutungen ausgesprochen werden, welche die Hintergründe erhellen können, die zum Tragen eines Monokels führten. Das Einglas fand als Stielglas bereits im 18.Jahrhundert neben der Brille Verwendung. Es gab also keinen Grund für einigermaßen vermögende Edelleute, nicht auch eine Brille anstatt eines Monokels zu benutzen. Im Gegenteil war das Einglas sogar zu manchen Zeiten  mit negativen Faktoren besetzt, da einige Ärzte dem Monokel sogar eine gesundheitsschädliche Wirkung nachsagten, da man zu seiner Benutzung das Gesicht verzerren mußte. [68] Folglich mußte bei gleichzeitig vorhandener Möglichkeit der zudem bequemer zu tragenden Brille ein anderer Grund existieren, der trotzdem die Benutzung eines Monokels rechtfertigte.

Wenn auch im Folgenden einige Aspekte ausgeblendet bleiben müssen - so die augenärztliche heute nicht mehr feststellbaren Sehfehlerstärken historischer Adeliger [69] - so können doch vorsichtige Vermutungen getroffen werden. Geht man davon aus, daß das Einglas nicht nur die Sehfehlerkorrektur bewirkte, sondern gerade wegen seiner nur temporäen Benutzung durch den Träger beschränkt auf bestimmte Situationen war, läßt sich schließen, daß das Monokel als modisches Beiwerk betrachtet wurde. Eingläser wurden somit häufig als Stil- und Ausdrucksmittel der individuellen Persönlichkeit benutzt, denn es wurde zur Selbstdarstellung auffallend vor das Auge geklemmt. [70]

Noch deutlicher wird dieser beabsichtigte Effekt bei Portraitaufnahmen, bei denen nicht die geringste Begründung bestand, ein Monokel oder eine Sehhilfe zu tragen, da kein Anlaß vorlag, bei der man scharf hätte sehen müssen. Weder war der Betreffende genötigt, in der Ferne noch in der Nähe zu sehen, sondern er mußte nur nach den Prämissen des Abbildenden, des Photographen, handeln und er selbst sein. Bei Portraitaufnahmen, die daher der Selbstdarstellung dienten - hierzu können alle im Studio oder als Auftragsphotos an anderen Orten entstandene Abbildungen gezählt werden - war das Monokel also ein ausschließliches Stilmittel. Sehr deutlich wird dies weniger bei Hans v.Seeckt, der Eingläser auch in der Öffentlichkeit und in Alltagssituationen trug, als vielmehr an den Aufnahmen der Generäle v.Choltitz und v.Reichenau. Beide Aufnahmen fallen in die Kategorie der künstlich gestellten Portraitbildnisse, die ein bestimmtes Persönlichkeitsbild beim Betrachter erzeugen sollten.

III. Das Monokel als Synonym für verschiedene Bedeutungen in der Kunst

Das Einglas wurde nicht nur von historischen Persönlichkeiten als besonders Stilmittel persönlichkeitsunterstützend genutzt, sondern gelangte schon bald zu einem weit selbstständigeren Status in der Kunst. Dies trifft vor allem zu auf die Zeit der Sozialkritik am Adel und am Großagrariertum, die zunehmend seit dem Aufkommen der Sozialdemokratie aufkamen und ihre Hochzeit von 1900 bis 1950 hatte. Das Monokel hat aber durchaus nicht nur eine singuläre Bedeutung erlangt, sondern war bald ebenso ein Zeichen fast liebevoller Naivität wie verkrusteter Strukturen eines ganzen Standes.

III.1. Als Symbol mit persönlichem Erkennungswert

Das Einglas wurde so sehr zum Synonym des Adeligen, daß sogar in der populären Literatur und in der Karikatur das Monokel zum Sinnbild und zur Charakterisierung des Edelmannes benutzt wurde. So setzte beispielsweise der Putschist Major Buchrucker in seiner 1928 erschienenen Schrift "Im Schatten Seeckts" das Monokel bewußt als Stilmittel ein. Er berichtete darin über die Geschichte der Schwarzen Reichswehr, der illegalen Wehrhafthaltung von Freikorps als Nebenreichswehr, die im Hintergrund und geheim neben der legalen Reichswehr unter dem Chef der Heeresleitung Hans v.Seeckt stand. Er benutzt für seine Titelillustration den Pour le mérite v.Seeckts und sein Monokel als Identifizierungsmerkmale und trotz der gleichsam "schattenhaften" (schraffierten) auf den Titel abgestimmten Darstellung kommt deutlich zum Ausdruck, daß Seeckt gemeint ist. [71]

III.2. Als Symbol adeliger Naivität

Ist bei Buchrucker noch die Kennzeichnung der Person Seeckts beim Verwenden des Einglases maßgeblich, so findet sich das Einglas in Karikaturen oft als Kennzeichnung des Junkers und Konservativen schlechthin. Schon 1923 zeichnet der Künstler Karl Arnold einen Querschnitt durch die deutsche Nachkriegsgesellschaft, die sich, beeinflußt vom Jugendstil und dessen Ausläufern, in der neuesten Mode ergeht, zugleich aber auch einen Anteil an Altvorderen besitzt, die durch verkniffene Gesichter mit Zwickern und Eingläsern versinnbildlicht werden. Aus ihnen sollte nicht nur die Verkniffenheit der Gesichtsmuskeln, sondern auch ihre Ablehnung alles Neuen sprechen, der innere emotionale Widerstand gegen die Weimarer Republik, gegen Jazz und Massenkultur.

Noch deutlicher wird die Benutzung des Monokels als Assecoires für die Symbolisierung des Adels schlechthin durch die Witze über Graf Bobby und Baron Mucki, die jenen Infatilismus kennzeichnen sollen, mit der der leicht zurückgebliebene, verstockt konservative, ja direkt naive Charakter des österreichischen Adeligen hervorgekehrt und einseitig hervorgehoben werden soll. Dabei spielt allerdings das Monokel keine zentrale Rolle, sondern nur die des Beiwerks. Deutlich wird dies an einem Beispiel:
Baron Mucki hat für seine Freudin einen Ring gekauft. Er zeigt ihm den Grafen Bobby. "Was glaubst Du, was ich für diesen Ring gezahlt hab?" Bobby rückt das Monokel zurecht, betrachtet den Ring sehr sachverständig, dreht ihn, hält ihn gegen das Licht und sagt schließlich: Mindestens fünfzig Kronen!" "Geh, Bobby! Fünzig Kronen? Fünftausend!" "Fünftausend? Auch net teuer!" [72]

Für die Benutzung des Einglases als schmückendes Beiwerk gibt es zahlreiche weitere Beispiele: In dem Witz "Beim Photographen" heißt es: "Bobby steckte sich eine Virginia an, nimmt das Album, rückt am Monokel und blättert" [73], in "Das unanständige Bild" heißt es ähnlich: "Nach längerer Zeit erscheint Bobby von neuem, um das nun endgültig fertige Bild zu betrachten. Er rückt am Monokel, schweigt lange, lächelt und wendet sich dann mit zufriedener Miene an den Meister" [74]. Auch in "Despotismus" ("Und als Bobby erstaunt am Monokel rückt" [75]), in "Nach Bukarest" ("Graf Bobby rückt verlegen am Monokel") und vielen anderen Episoden wird das Einglas als Synonym verwendet, ohne daß es im Zentrum der Anekdote steht. Doch scheint es als kleines Attribut sehr wichtig zu sein, wie die häufige Verwendung des "Monokelrückens" in den Humoresken aufscheinen läßt.

III.3. Als Symbol für den konservativen Junker

Die größte Bedeutung hat das Monokel als Ausdrucksmittel wohl durch die Definition für den ostelbischen Landedelmann erhalten und zwar sowohl im negativen als auch im positiven Sinne. Wenden wir uns zuerst einer bemerkenswerten Instrumentalisierung zu, die in der unmittelbraen Nachkriegszeit nach 1918 auftrat und deshalb interessant ist, weil das Einglas zur Vorspiegelung falscher Tatsachen benutzt worden ist. Die symbolträchtige Bedeutung des Monokels sollte vielmehr auf den Träger rückwirken, nicht etwa die Persönlichkeit unterstreichen, sondern erst durch diese Sehhilfe als Beiwerk sollte die Individualität gebildet werden. Auf diese Weise wurde das Monokel  nicht Ausdruck persönlichen Geschmacks, sondern der Sinngehalt des Einglases machte erst die Persönlichkeit aus.

Wie sehr sich das Monokel in dieser Zeit nach dem Sturz der Monarchie und der Standesgesellschaft als Nachahmungswerkzeug verselbständigte, unterstreicht die folgende feuilletonistische Betrachtung des konservativen Schriftstellers Hans Stein alias "Rumpelstilzchen" aus dem Jahre 1921: "Das erste, was die Novembersozialisten als Zeichen ihrer Legitimierung aufbrachten, war das Monokel. Man lief nicht mehr mit rotwollenem Halstuch und im feldgrauen Mantel herum, sondern im Schieberpelzchen mit Taillengürtel - und klemmte sich das Einglas ins Auge. "Tja, jetzt sind wir die Feudalen!" In dem Erzberger-Prozeß76 sah man unter den Zeugen einen Dr.Bein [77] - er ist nicht Bein von unserem Bein, nicht Fleisch von unserem Fleisch - aus dem Auswärtigen Amt am Zeugentisch, dessen blaurasiertes Gesicht unter dem Monokelzwang Wellenfalten warf.

In allen Ämtern Berlins sitzen diese Neufeudalen. Sie wollen, freilich vergeblich, durch das Einglas glauben machen, daß sie schon vor dem November 1918 Regierungsrat geworden seien. Das ist ungefähr dasselbe, wie wenn ein Jüngling vom "Republikanischen Führerbund", dessen Leutnantspatent erst aus der Ära Ebert stammt, sich einen blauen Überrock kauft und damit im Kasino auftaucht.

Wer heute eine Massenversammlung von Eingläsern in Berlin sehen will, der braucht bloß im sogenannten Luxus-Autobus, der vom Zeughaus bis Halensee fährt, Platz zu nehmen; in diesem Vehikel, das die sattsam bekannte Tauentzien-Gegend und den Kurfürstendamm durchrollt, hat manchmal jeder dritte junge Mann anscheinend den Veitstanz, nämlich Monokelzuckungen im Gesicht. Ich rate jedem ehemaligen Offizier, der jetzt in Zivil die altgewohnte Augenzier noch trägt, sie wegzuwerfen, damit er nicht für einen Hochstapler gehalten wird; denn auch für die Gentleman-Verbrecher ist das Monokel heute Amtstracht.
Einst hatte es einen gewissen erzieherischen Wert. Der blutjunge Leutnant wurde äußerlich zu männlichem Ernste gezwungen, er konnte nicht mehr so frei herauslachen und plappern, denn sonst fiel das Ding womöglich herunter. Und für die alten Herren war es ein Stück Jugend, ein bischen Schwerenöterei, wenn sie das Auge in tausend Fältchen kniffen und durch das spiegelnde Einglas nach einer Jungmädchenblüte schielten.

Sogar der alte Papa Wrangel, der Feldmarschall, hat es getragen, der Urberliner; und niemand nahm es ihm übel. Aber der Minister des Innern in Preußen, der rote Herr Severing, hat jetzt seinen Untergebenen, den Polizeioffizieren, das Einglas verboten und sogar gedroht, daß er jeden, der es doch trage, auf seine Dienstfähigkeit hin ärztlich untersuchen lassen werde. Er denkt wunder was damit zu tun, am Ende gar den "Feudalismus" endgültig zu erlegen, hat aber vorerst nur stürmische Heiterkeit erregt.

Solche Ukase über äußerliche Dinge war man doch sonst nur in absoluten Monarchien gewöhnt. Der letzte Ausläufer war der Erlaß des Kaisers über die Barttracht der Seeoffiziere, und damals ist gerade die sozialdemokratische Presse von Hohn und Spott geradezu übergelaufen." [78]

In positiv erscheidender Weise wurde das Monokel auch in der Kunst gebraucht, beispielsweise 1932 als schmückendes Beiwerk erfolgreicher Militärs, als Stilmittel planerisch tätiger Generäle. So wurde die Figur des Generals Erich Ludendorff von dem Regisseur Hans Paul und der Praesens-Film GmbH in dem 1932 erstmals aufgeführten Dokumentarfilm "Tannenberg" in einigen Szenen mit einem an Schüren herabhängenden Einglas versehen, [79] was allerdings dem historischen Vorbild entsprach, jenem bekannten und fast in jenem Geschichtsbuch abgebildeten Photo, welches Kaiser Wilhelm II. am Kartentisch mit Hindenburg und Ludendorff zusammen zeigt und auf dem Ludendorffs Monokel mit Doppelschnur deutlich zu erkennen ist. [80]

Über die Bedeutung einer Sehhilfe hinaus ist das Monokel also viel mehr als personalisiertes und standeskennzeichnentes Deklarations - und Ausdrucksmittel verstanden worden. Auch der politische Gegner nutzte diese durch ein Beiwerk der Kleidung entstandene Standessymbolisierung.

Schon der Simplicissimus brachte 1907 das Monokel zur Kennzeichnung verknöcherter adeliger Militärs, die mit faltenreichen Gesichtern einer Kaiserrede lauschten. [81] Als Stilzeichen benutzte es auch George Grosz im Jahre 1926 für seine beißende Sozialkritik. Er skizzierte in seinem Gemälde "Stützen der Gesellschaft" die Welt des "Spießbürgers", in dem er mit den Attributen Degen, Uniform, Richterrobe, Orden, Stehkragen, Stahlhelm, Nachttopf, den Farben schwarz-weiß-rot, einem Bierhumpen und eben dem Einglas sowie gleich zwei Kneifern diese Welt zu karikieren suchte. [82]

Sehr deutlich wird die politische Instrumentalisierung im negativen Sinne auch noch unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, als die kommunistische in Schleswig-Holstein erscheinende Zeitung "Norddeutsches Echo" mehrere Karikaturen von Adeligen brachte. Wir greifen hier nur zwei der zahlreichen Beispiele heraus.

In der ersten Karikatur, die aus dem Jahre 1946 stammt und vor dem Hintergrund der Enteignung ("Bodenreform") in der sowjetischen Zone zu sehen ist, werden über zwei sich die Hand reichenden Bauern drei Figuren abgebildet. Ganz links ein mit Stahlhelm, Monokel, Schulterstücken und Schwert gekennzeichneter "Militarist", in der Mitte eine mit einer Uniform versehene Figur mit einem Vorhängeschloß, deren Symbolik sich widerspricht [83] und schließlich rechts die Charaktereigenschaften des ostelbischen Junkers in seiner überspitzen Form: die ländliche Kleidung, der Jägerhut und - wieder das Einglas. Es findet sogar zweimal Verwendung in dieser Zeichnung und steht hier für Starrsinn, sinnlosem Festhalten an alten Ordnungen und nicht mehr wie einst für Individualität. Die Instrumentalisierung des Monokels als Sinnbild und nicht mehr als persönliche modische Note erreicht in diesen Darstellungen ihre größte Wandlung.

Dies untermauert auch die zweite Zeichnung des Norddeutschen Echos aus dem Jahre 1947. Wieder ist das Monokel für die deutschen Kommunisten nur Sinnbild für Verknöcherung, Versteifung, "Verkalkung", ein Synonym für Fortschrittshemmins, Ausbeutung und Ungerechtigkeit.

IV. Vom Einglas zum Zweiglas

Eine Fortentwicklung des Einglases hin zum Zweiglas und zur Brille stellt ein Modell dar, wie es der Kgl. Preußische Rittmeister a.D. Graf Arthur v.Strachwitz (1846-1919) benutzte. Es handelte sich dabei um einen Zwicker, der nicht mehr mit einem Zusammenziehen der Muskeln des Augenbrauen und Backenbereiches gehalten wurde, sondern nur noch auf die Nase aufgesetzt wurde. Er besaß demgemäß zwei (grahmte) Gläser, an dessem einem Ende eine doppelschnürige Kordel angebracht war, deren anderes Ende er in seinem Kragen verankerte. [84]

Obgleich schon damals die Möglichkeit bestand eine Brille zu tragen, entschied sich mancher Edelmann eher zum Tragen eines Einglases. Daß dies eine relativ weit verbreitete Sitte war, und man nur wegen des Tragens eines Monokels auf die Sehkorrektur des anderen Auges verzichtete, belegt ein Eintrag in dem Brockhaus Konversationslexikon aus dem Jahre 1894. Dort wird bemerkt: "Entschieden zu verwerfen ist der einseitige Gebrauch eines sog. Monocles, solange beide Augen nahezu gleich gut sehen". [85]

Die weibliche Entsprechung des Kneifers oders Klemmers (Pince-nez) bzw. des Einglases war die Lorgnette, die ebenso wie das Einglas nur für einen temporären Einsatz geeignet war, da sie durch die statische Hebearbeit des Armes zu raschen Ermüdungen führte. Andererseits verfügten klassische Monokelträger schon über soviel Übung, daß sich ihr Gesicht durch die anhaltenden Muskelkontraktionen im Augenbereich nicht mehr verzog und sie selbst beim Tragen des Einglases vollkommen natürlich aussahen. Nicht unproblematisch allerdings war, daß das Einglas nur mit Druck auf Hautpartien gehalten werden konnte.

V. Moderne Monokelverwendung und Schlußbetrachtung

Schon seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts sind Monokel aus dem deutschen Alltagsleben entschwunden und auch der deutsche Adel benutzt fast keine Eingläser mehr. In jedem Fall handelt es sich bei heutigen Monokelträgern im 21.Jahrhundert um ausdrucksstarke Persönlichkeiten, die ihre Individualität betonen und auch keine Furcht vor neugierigen Blicken haben.

Gelegentlich freilich wird in der Mode das Monokel auch in jüngerer Zeit wieder verwendet, namentlich auch bei Frauen. So hat die Modeschöpferin Bärbel Strodthoff ihre Kollektionen und Entwürfe für weibliche Herrenkleidung immer wieder mit Monokeln als Beiwerk geschmückt. [86]

Noch 1995 benutzte die Berliner Zeitung das Einglas zur Charakterisierung der eigenwilligen Persönlichkeit eines Edelmannes. Sie nutzt die Widersprüchlichkeit des Symbolgehaltes und der anscheinenden Unvereinbarkeit des Monokels mit einer politisch sozialistischen Einstellung und würdigt unter dem Titel "Der Freiherr mit Monokel und FDJ-Hemd" den 100.Geburtstag des DDR-Schauspielers und Intendanten Frhr. Gustav v.Wangenheim, der auch der "Eiserne Gustav" genannt wurde. Sie beschreibt, wie Frhr. v.Wangenheim beim ersten Deutschlandtreffen der Jugend zu Pfingsten 1950 in Ost-Berlin überall besondere Aufmerksamkeit eregte: "Ein großgewachsener, soignierter Herr, der schon fast zur Großvätergeneration gehörte, über das rechte Auge ein Monokel geklemmt und den Kopf mit einer strohernen Kreissäge bedeckt, trug das Blauhemd der Freien Deutschen Jugend. Er marschierte in der ersten Reihe neben Erich Honecker, dem Vorsitzenden des Zentralrats der FDJ ... Irgendwie drückte diese Kostümierung das Wesen seiner Persönlichkeit aus: den Freiherrn, "Adel im Untergang", den "Parteimenschen" und den Künstler, Schauspieler, Inszenesetzer seiner selbst." [87]

Zweifellos unterstrich das Monokel zu jener Zeit noch dazu in der DDR die außergewöhnliche Persönlichkeit Frhr.v.Wangernheims und mit seiner Herkunft empfand man auch das Einglas als anachronistische Eigenschaft, aber liebenswert. Seine größte Zeit dürfte das Monokel gehabt haben. Weder wird es im Adel heute noch häufig getragen noch ist es in den Karikaturen des "Junkers" vorherrschend, der immer mehr aus der politischen Karikatur verschwindet wie er schon 1945 auch als Typus mit der Vertreibung der mittel- und ostdeutschen Bevölkerung verschwunden ist. Wenn das Monokel noch angewendet wird, so nur noch bei modernen Modekreationen, die aber keine dauerhafte und gesellschatlich akzeptierte Daseinsberechtigung mehr finden können. Spätestens seit 1945 hat sich der Siegeszug der Brille gegenüber dem Monokel deutlich durchgesetzt und obwohl noch heute Eingläser von Spezialfirmen hergestellt werden, ist deren Absatz auf verschwindend geringe Mengen zurückgegangen.

VI. Annotationen und Quellenvermerke

  • [61] = Weltnetzseite http://www.optiker.at/archiv/brillengeschichte/brilleng.htm#Monokel, Version vom 13.4.2001
  • [62] = Bildquelle: Archiv des Instituts Deutsche Adelsforschung, Portraitaufnahmen, Graues Album, S.56. Zu Günther v.Ravenstein und seiner Familie siehe Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser B, Band XV, Limburg 1984, S.395
  • [63] = Rainer Wohlfeil / Hans Dollinger: Die deutsche Reichswehr. Bilder, Dokumente, Texte. Zur Geschichte des Hundertausend-Mann-Heeres 1919-1933, Frankfurt am Main 1972, S.83
  • [64] = Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser B, Band II., Glücksburg 1956, Titelbildnis
  • [65] = Rainer Wohlfeil / Hans Dollinger: Die deutsche Reichswehr, Frankfurt am Main 1972, S.85, 86, 196 u. 222
  • [66] = Klaus D.-Pohl: Das "Allerheiligste". Anmerkungen zu den Arbeitszimmern der Hohenzollern, in: Hans Wilderotter (Hg.): Der letzte Kaiser Wilhelm II. im Exil, Berlin 1991, S.122, 126-127 u. 196
  • [67] = Eine bemerkenswerte seltene Ausnahme ist seine Aufnahme mit Zwicker bei der Morgenandacht in Huis Doorn in seinem niederländischen Exil nach 1918, abgebildet in: ebd., S.308
  • [68] = Weltnetzseite http://www.optiker.at/archiv/brillengeschichte/brilleng.htm#Monokel, Version vom 13.4.2001
  • [69] = Im Findbuch von Gerhard Granier / Kurt Bertram: Bestand N 247 Nachlaß Generaloberst v.Seeckt (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, Band XIX), Koblenz 1981, finden sich keine Anhaltspunkte auf Rechnungen von Augenärzten oder Optikern für die Herstellung, Reparatur oder den Verkauf eines Monokels an v.Seeckt.
  • [70] = Weltnetzseite http://www.optiker.at/archiv/brillengeschichte/brilleng.htm#Monokel, Version vom 13.4.2001
  • [71] = Major Buchrucker: Im Schatten Seeckts. Die Geschichte der schwarzen Reichswehr, Berlin 1928
  • [72] = Sebastian Grill: Graf Bobby und Baron Mucki. Geschichten aus dem alten Wien, Berlin 1967, S.10
  • [73] = Ebenda S.11
  • [74] = Ebenda S.13
  • [75] = Ebenda S.19
  • [76] = Matthias Erzberger (1875-1921), Angehöriger des linken Flügels des Zentrums, war 1920 Vizekanzler und Reichsfinanzminister. Er trat zurück aufgrund mehrere heftiger Angriffe aus der deutschnationalen Richtung, bis er schließlich 1921 von zwei Offizieren ermordet worden war (Karl Bosl [Bearb.]: Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, Band I., Augsburg 1995, S.647-648) Im anschließen- den Prozeß um seine Mörder suchten die Deutschnationalen die Tat als notwendig für das Volkswohl zu verteidigen.
  • [77] = Es handelt sich vermutlich um Dr.jur. Wilhelm Bein (*1890), der 1920 und 1922 bis 1924 im auswärtigen Amt beschäftigt war (Johannes Hürter [Bearb.]: Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945, Paderborn 2000, S.95-96)
  • [78] = Rumpelstilzchen (d.i. Hans Stein): Berliner Allerlei, Jg.1920/21, Berlin 1922 (Verlag der Täglichen Rund- schau), Glosse 16 vom 13.Januar 1921
  • [79] = Udo W. Wolff: Preußens Glanz und Gloria im Film. Die berühmten deutschen Tonfilme über Preußens glorrreiche Vergangenheit, München 1981, S.66
  • [80] = Kurt Zentner: Kaiserliche Zeiten. Wilhelm II. und seine Ära in Bildern und Dokumenten, München 1964, S.175
  • [81] = Klaus D.-Pohl: Das "Allerheiligste". Anmerkungen zu den Arbeitszimmern der Hohenzollern, in: Hans Wilderotter (Hg.): Der letzte Kaiser Wilhelm II. im Exil, Berlin 1991, S.84-85 (Karikatur von Rudolf Wilke über das Thema "Während einer Kaiserrede" aus dem Simplicissimus Nr.42 von 1907)
  • [82] = Abb. in Heinrich Pleticha (Hg.): Deutsche Geschichte, Band XI., Republik und Diktatur 1918-1945, S.173
  • [83] = Vermutlich möchte der Zeichner hiermit die Diktatur kennzeichnen, in der es verboten war, abweichende Meinungen zu äußern, da daß das Volk ein Vorhängeschloß um die Lippen erhielt. Da jedoch die mittlere Figur eindeutig eine Uniform trägt, die die Machthaber des Dritten Reiches symbolisiert, kann damit nicht "das Volk" gemeint sein, vielmehr hinterläßt das Bild den Eindruck, als sei es den Staats- und Parteiträgern verboten, Meinungen zu äußern.
  • [84] = Bildquelle: Archiv des Instituts Deutsche Adelsforschung, Portraitaufnahmen, Graues Album, S.48. Zu Graf Strachwitz und seiner Familie siehe Genealogisches Handbuch des Adels, Gräfliche Häuser, Band XVI, Limburg 2000, S.513
  • [85] = Brockhaus Konversationslexikon, Band III., Leipzig 1894, S.539
  • [86] = Website http://www.strodthoff-online.de/baerbel/diplom/teil4.htm, Version vom 13.4.2001
  • [87] = Artikel: Der Freiherr mit Monokel und FDJ-Hemd. Gustav von Wangenheim, dem ersten Nachkriegsintendanten des Deutschen Theaters, zum 100. Geburtstag, in: Berliner Zeitung vom 17.Februar 1995. Zur Biographie Frhr.v.Wangenheims (gestorben 1975), Autor der Komödie "Du bist der Richtige", die er für das Deutschlandtreffen geschrieben hatte: Sohn des Schauspielers Eduard von Winterstein, Einjährig-Freiwilliger beim Garde-Kürassier-Regiment, dann Schauspieler, durch den 1.Weltkrieg zum Pazifisten geworden, verfaßte als Autor expressionistische Sprechchöre, Stummfilmschauspieler (u.a. in "Nosferatu" 1922), KPD-Mitglied, Gründer der "Barbusse-Truppe", inszenierte rote Revuen und Massenspiele. Ab 1927/28 Engagements am Schauspielhaus in Hamburg und in Berlin in klassischen Rollen, Leiter der "Roten Gewerkschaftsopposition", Gründer und Leiter der revolutionären Berufstheatergruppe "Truppe 1931". Autor der sozialistischen Stücke "Mausefalle" und "Da liegt der Hund begraben" und "Wer ist der Dümmste?" (März 1933 verboten), danach Emigration mit seiner Frau Ingeborg Franke über Paris nach Moskau. 1935 Regisseur in der UdSSR, im 2.Weltkrieg Sprecher bei Radio Moskau, am 18. Mai 1945 Rückkehr nach Berlin und 1945 bis 1946 Intendant des Deutschen Theaters, dann Dramatiker und DEFA-Regisseur.
Der vorstehende Aufsatz (Verfasser: C.H.Bill) erschien zuerst gedruckt in der Zeitschrift Nobilitas, Jahrgang V., Sonderburg 2002, Folge 21, Seiten 1058-1071

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