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Kleidung als visibler Aspekt des historischen AdelsVestimäre Aspekte bei fürstlicher Kleidung in Schloß AmbrasDie Adelsforschung zeichnet sich aktuell durch eine ungemein große Vielfalt aus. Neben lokalen Heimatbeiträgen über bestimmte Familien oder Biographien, die vorwiegend einen berichtenden, dokumentierenden, deskriptiven, allein am Sachgegenstand orientierten Erkenntnisinteresse haben, stehen ferner umfang- und reflexionsreiche akademische Qualifizierungsarbeiten unter je spezifischen Benützungen von nachvollziehbaren und – mehr oder minder – transparent gemachten Theorien, Modellen und Methoden. Dennoch hält sich die historische Adelsforschung in erstaunlich monodisziplinären Bahnen auf. Dabei liegt es nahe, auch die Soziologie einzubeziehen, ist doch Adel per se eine soziale Schicht. Der Ruf zum Einbezug auch soziologischer Perspektiven ist indes nicht ganz ungehört verhallt. So läßt sich bestätigen, daß vor allem das Habituskonzept von Bourdieu auf den Adel öfters angewendet worden ist, sich in historischen Analysen zum Adel niederschlägt, eine Art Mode geworden ist. [1] Doch darüber hinaus ist der Einbezug soziologischer Ideen anscheinend eher selten gewagt worden. Zwei gute Beiträge liefern dazu nun zwei Begleitbände zu Ausstellungen, die sich speziell mit dem soziologischen und sinnhaften Gebrauch von Kleidung im Adel befassen. Daß vor allem elegante Kleidung als Zeichen der Oberschicht wahrgenommen wurde, hat die Soziologie bereits empirisch hinreichend nachgewiesen. [2] Auch pflegte man vielfach im historischen Jedermanns- oder Alltagswissen eine angenommene Analogie von äußerer und innerer Reinheit, eine Gleichsetzung der Anschauung der Sauberkeit des Körpers mit hoher innerer Moralität; dazu notierte ein Anonymus (1851): „Ein sicheres Kennzeichen des Lumpen ist die schmutzige Wäsche, wenn er auch sonst nicht lumpig ist. Wer auf reine Wäsche hält und unter seiner ärmlichen Kleidung die Blößen, so gut es geht, zu verbergen sucht, ist selten ein lüderlicher Mensch.“ [3] Nicht zuletzt wegen dieser angenommenen Analogie gab sich ein im Jahre 1588 in Stralsund auftauchender Krämer als Aristokrat aus; dafür trug er kostbare Kleidung und präsentierte ein Wappen, um anschließend die Tochter des Bürgermeisters zu heiraten. [4] Kleidung war damit nicht allein Wärmehülle und Körperbedeckung, sondern bestand aus vielfältig besinnbildlichten vestimären Medien, die, nicht zuletzt über die spätmittelalterlichen wie frühneuzeitlichen Kleiderordnungen, [5] ständischen Status anzeigen sollten, Humandifferenzierungen verkörperten und materialisierten, wobei deren Funktion und Wirkung dann auch umgedreht, wie am Fall des Stralsunder Krämers gezeigt, eintreten konnte: Nicht allein kleideten sich Adelige besser und kostbarer als Nichtadelige, wurde ihnen dieses Recht zuerst obrigkeitlich zugesprochen, später nur noch gesellschaftlich zugestanden, sondern es galt auch, daß derjenige, der für adelig gelten wollte, sich bestenfalls vornehm und elegant anziehen mußte, um sein Ziel zu erreichen. Kleidung wie Körper erzeugten daher gegenseitig neben dem materiellen auch einen sinnhaften Körper, einen „corps sémiotisé“. [6] Der außergewöhnliche Ausstellungskatalog „Mode schauen“ nimmt darauf explizit Bezug. [7] Er präsentiert Details wie Ganzansichten speziell fürstlicher Kleidung auf Portraits als zentrale Medien fürstlicher Repräsentation, geht daher dem Kontext von Politik, Macht und Mode nach, die, wie besehen, wechselseitig aufeinander verweisen, zumal Macht wie Politik invisibel sind und einer visiblen materiellen Grundlage bedürfen, um sichtbar werden zu können. Hocharistokratische Kleidung war insofern ein haptisches, sichtbares und begreifbares Surrogat für Machtpolitik und Herrschaft – genauer formuliert aber wohl eher nur ein Anspruch auf Macht und Herrschaft. Sie transformierte den Menschen und zeigte als soziales Leuchtturmlicht bestenfalls Noblesse an. [8] Neben einem einleitenden Vorwort werden im Band „Mode schauen“ elf Beiträge präsentiert, in denen einführend die Portraitgalerien der Habsburger auf Schloß Ambras beschrieben werden. Neben Aufsätzen zur Kleider-Macht und Kostspieligkeit wie Besonderheit abgebildeter Kleidungsausführung auf den Porträts geht es darin auch um Schnittmuster, die individuelle Herstellung, Fabrikation und historische Kleiderpflege, aber auch um die Frage, wie Königin Elisabeth I. von England ihr Amt bekleidete. Hierbei ist zu beachten, daß die analysierten und präsentierten Exponate nicht die Kleider selbst sind, sondern „lediglich“ deren Abbildungen, gleichwohl der Titel des Katalogs zunächst einen anderen Inhalt vermuten läßt. Auch wenn damit leider kein Zugriff auf die alltägliche Lebenswelt der Kleidungsbenützung, insbesondere nicht deren Verunmöglichungen, Prägungen und Ermöglichungen bestimmter Bewegungen nachvollziehbar ist, [9] sondern lediglich eine Wunschvorstellung fürstlicher Repräsentationswillens (und künstlerischer Fertigkeit im Darstellen von Details), so ist der Katalog doch auf zweierlei Weise innovativ und bereichernd hinsichtlich seiner Detailtiefe. Erstens werden dazu Großaufnahmen von Fokussierungen der abgebildeten Kleidung präsentiert, aber auch in den Texten auf bestimmte Stoffe und Verarbeitungen wie Leinen und Spitze, aber auch Stoffherkünfte eingegangen, so französische, burgundische und italienische Kleidermanufakturen. Aber auch eine Erörterung der Kleidungswirkung als Haltung und Habitus einübendes Disziplinierungsmittel des fürstlichen Körpers kommt zum Abdruck, ebenso wie die Frage der Unterkleidung und Leibwäsche unter kostbaren und schweren Kleidern aus Samt, Leinen und Pelz. Zudem wird im Katalog auch innovativ die Fertigungsweise von historischen Kleidern anhand von Röntgenaufnahmen an tatsächlichen Kleidungsstücken nachvollzogen, so auch Umhangschnürungen von fallenden und den jeweiligen Körper umfließenden Stoffen und Faltenwürfen einer Kleidung, die keinesfalls praktisch sein durfte, sondern nach Veblen (1958) umständlich und unbequem sein mußte, wollte sie repräsentativ wirken. Denn erst die Abwesenheit von praktischem Nutzen und die Verminderung des Werkinstinktes bedingte die Herausformung von Ehrinstinkt sowie die Zuschreibung von Ehre, Ruhm, Ansehen, Prestige, Humandifferenzierung, Respekt, Deferenz und Ehrerbietung als Voraussetzungen für den offen ausgesprochenen oder auch nur stillschweigend hingenommenen Glauben an einen Herrschaftsanspruch, sowohl bei Untergebenen, Domestiken als auch Gleichrangigen im Konkurrenzkampf um Hierarchieplätze in der Ständepyramide. [10] Abschlossen werden die Ausführungen im Katalog mit einer großformatigen Sammlung von Modebildern zeitgenössischer Künstler:innen, die historische Schnitte wie Stoffe in aktuellen Kleidern des 21. Jahrhunderts nachempfanden oder diese als Inspiration nutzten. Dabei macht den besonderen Reiz aus, daß es sich um Farbfotografien lebender Modelle handelt, die historische Kleider tragen, womit eine Spannung zwischen der postmodernen Gegenwart und den vergangenen Kleiderpraktiken entsteht, die zudem eindrucksvoll in historischen Kulissen und mit weiteren Aktanten (beispielsweise Windhunden, Vögeln, Federn, Perlen et cetera) aristokratisierend wirken. Eine Werkliste rundet den Band zudem ab, in der alle Ausstellungstücke in (leider nur) kleinformatigen Fotos mit Beschreibungen der Exponate vorgestellt und dokumentiert werden. Damit wird einmal mehr deutlich, daß Kleidung „als Möglichkeit, das Ich gesellschaftlich einzustufen“, gesehen werden kann. [11] Sie ist dabei weit mehr als nur ein Schutz vor Unbillen der Witterung oder eine moralisch vorgeschriebene Verhüllung bestimmter Körperteile, während andere Körperteile wiederum nicht verhüllt wurden, sondern sie war zugleich auch Medium: „Als bloßer Informationsträger betrachtet, der er als solcher primär nicht ist, besitzt Stoff keine konstitutive Medienspezifität. Seine Merkmale ergeben sich allein aus dem Zusammenhang von Material und Nutzungskontext.“ [12] Daher gilt abschließend: „Kleidung ist aufgrund ihrer intendierten Bindung an den Körper eine Mittlung zwischen dem Subjekt und dessen Umfeld, von Körperlichkeit und Positionierung innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges.“ [13] Der besprochene Ausstellungskatalog „Mode schauen“ bietet dafür ein eindrückliches Zeugnis. Dieser Aufsatz stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A., M.A., M.A., B.A., und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung in gedruckter Form. Annotationen:
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