Resilienter Adel bei Eichendorff, Fontane und Droste-Hülshoff
Gentilhommeske Elastizität in der Schwellenzeit der Formierung
der Moderne
Im Jahre 1923 blickte in einer Rückschau der sowohl adelige
als auch Adelsschriftstellende Fedor v.Zobeltitz (1857-1934) auf Fontanes
dichterisches Wirken zurück, insbesondere mit Bezug auf die Gentilhommerie
und seinen speziellen Bezug zu ihr: „Bei Fontane trat noch etwas hinzu
[...]: Stimmungen taten unendlich viel bei ihm. Nicht Launen, sondern impulsive
Stimmungen. Wenn der letzte Kaiser im aufgetuschten Glanze seiner Majestät
Unter den Linden ritt, so konnte ihm dies helle Farbenbild einmal imponieren,
ein andermal abgeschmackt und lächerlich erscheinen. Stimmungen gehören
zu den Dichterrechten. Und gewiß sprachen beherrschende Stimmungen
mit, wenn er auf seinen Wanderungen durch die brandenburgische Mark die
Adelshäuser besuchte und sich von den aller unbequemen Stachelrüstung
entkleideten Insassen am Kaminfeuer Dinge vorplaudern ließ mit Urteilen
von einer Fortgeschrittenheit, `als flösse nicht die Nieplitz oder
die Notte, sondern der Hudson oder Potomac an ihrem alten Feldsteinturm
vorüber´. Er hat den märkischen Junker `entdeckt´
[...]. Und es war der Gegenwartswert dieser viel angefeindeten Kreise,
was ihn an ihnen anzog, nicht das antiquarische Gerümpel der Historie.
Schlechter kam der dem `Götzen der Bequemlichkeit´ erlegene
Bürger bei ihm weg. Die Eigenschaften des Junkertums befähigten
es zu zähem, meinetwegen ganz einseitigem Eintreten für politische
Ideale und Interessen. Seine Aktionskraft war der des Bürgertumns
überlegen und wurde nur noch von der des vierten Standes erreicht,
wo sie auf ähnlichen Voraussetzungen beruhte. Daher war für Fontane
in seinen späteren Jahren neben dem immer noch geliebten Adel die
Arbeiterklasse mit ihrer kühn voranschreitenden Bewegung ein Gegenstand
des Anteils und der Bewunderung. Diesen neuen Faktor auf der Weltbühne
betrachtete er aber auch mehr mit dem Auge des Dichters als aus dem politischen
Sehwinkel. Sein angebor[e]ner Sinn für gefestete Ordnungen und stabilierte
Autorität stieß sich vielfach an dem radikalen Vorgehen der
Sozialdemokraten. Er war [...] ein `loyaler und pietätvoller Mensch´,
dessen historischer Objektivität eine oft maßlose Verwerfung
alles Bestehenden nicht zusagen, ihn im Gegenteil dazu bewegen konnte,
wie in seinem Roman `Stechlin´, den Wert der alten Lebensformen in
helles Licht zu rücken.“ [1]
Fontantes (partielle) Verklärung des Adels und der Adelswelt,
die hier noch, abweichend vom heutigen Forschungsstand, absolut gesetzt
wird, bekam schließlich nach 1918 und insbesondere nach 1945 eine
tiefe Bedeutung, auch für den Adel selbst. Einst wurde nur vom Adel
berichtet, während er noch weiter auf den ostelbischen Herrensitzen
lebte, später dann, als die Herrensitze enteignet und die Besitzenden
geflüchtet oder vertrieben waren, wurde die Beschreibung zum bedeutenden
Erinnerungsort auch für die Nobilität, schriftliches Zeugnis
einer verlorenen Welt, [2] ja, auch ein Identitätsort. [3] Das einstige
Abbild des Realen wurde daher durch Fontane, als das Reale (vorläufig)
untergegangen war, [4] zum Surrogat, zum Repräsentierten, zum fast
realen Ersatz. Aber nicht nur Fontane war ein beliebter Adelschriftstellender,
auch Eichendorff und Droste-Hülshoff hatten je eigene Adelsliteraturen
mit Streuwirkung in der adelsinternen wie öffentlichen Wahrnehmung
erschaffen. Diese drei bedeutenden Autor*innen wurden nun im Zusammenhang
mit den von ihnen verwendeten Adelsemantiken Gegenstand der 2017 erfolgten
und 2019 publizierten Habilitation der derzeit an der Universität
Stuttgart lehrenden Germanistin Urte Stobbe (*1975), [5] welche sich bemerkenswerterweise
auch bereits in ihrer Dissertation von 2009 mit dem Adel beschäftigt
hat. [6]
Stobbe möchte in ihrer neuen größeren Studie die
semantischen Kämpfe nachzeichnen und die Bedeutung des Begriffes „Adel“
in der literarischen Re/Präsentation der drei Autor*innen ermitteln
(Seite 33). Sie entfaltet dabei – in interdisziplinärer Manier – eine
lesenswerte und detaillierte Interpretationsarbeit, die sie theoretisch
auf den soziologischen Modellen von Reckwitz zur Subjektsoziologie und
auf Bourdieus Genese des literarischen Feldes aufbaut. Damit und auch mit
Rekurs auf Ergebnisse der Adelsforschung aus den „benachbarten“ Geschichtswissenschaften
ist die Arbeit daher weit mehr als eine rein literaturwissenschaftliche
Auseinandersetzung um Wortbedeutungen.
Stobbe hat nun, obschon die drei von ihr behandelten kanonischen
Verfassenden schon vielfach beforscht wurden, erstmals die Forschungen
daraufhin befragt, inwieweit die nicht/adelige Autor*innenherkunft dabei
beachtet worden ist und welches Adelsverständnis aus den Texten hervortritt,
ohne daß sie mit zuvor festgelegten Definitionen dessen arbeitet,
was denn „der Adel“ sei; die je eigenen und differenzierten Deutungsperspektiven
werden so (fast) allein text- und autor*innenimmanent erschlossen. Ein
anderer Vorteil der Studie ist es, daß Stobbe moderne Methoden der
„Digital Humanities“ für Wortauszählungen von Volltexten benützt
hat (siehe die Annotation bei Stobbe auf Seite 29, mit praktischem Beispiel
auf Seite 401-403); auch dies kann richtungsweisend für eine neue
germanistische Literaturwissenschaft im Adelskontext gelten. Ferner finden
sich in ihrem Werk nicht nur Interpretationen der drei Höhenkammautor*innen,
sondern auch solche von Werken mit Adelskontext bei anderen Schriftstellenden,
so bei Chamisso, Arnim, Immermann, Tieck, Goethe, Mann; zur Erschließung
dieser Vorkommen ist in dem voluminösen Band das kombinierte – und
sehr hilfreiche – Werk- und Personenverzeichnis auf den Seiten 493-496
beigegeben worden.
Stobbe vertritt die These, daß der Adel in der Formierungsphase
der Moderne resilient gewesen sei, sich mithin durch Anpassung eine elitäre
Stellung gesichert habe. Sie vermutet weiters, daß die entsprechenden
Werke der Autor*innen „Suchbewegungen“ waren, bei Eichendorff hin auf eine
politisch-gesellschaftliche Adelserneuerung vor dem Hintergrund alter und
nun angesichts der Formierung der Moderne gefährdeter nobilitärer
Werte, er verstünde sich zudem als ein „Ritter der Feder“, sei nicht
der resignativ Passive, für den ihn die Forschung bisher überwiegend
gehalten habe, sondern ein aktiver Kämpfer für eine Adelszukunft
auch in stark gewandelten Zeitläuften gewesen; so habe er beispielsweise
Lieder als modern-populäre Form zur konservativen Ideenverbreitung
genützt (Seite 190-192). Ähnlich resilient und mit einem „Handlungshorizont
auf lange Dauer“ versehen habe auch Droste-Hülshoff agiert. Sie sei
zudem nicht mehr als klassische Biedermeierautorin einzuordnen, sondern
stünde vielmehr zwischen Romantik und Realismus, sei aber auch Protagonistin
einer Fortexistenz des Adels, die sie über das Mittel der schön-schaurigen
Literatur erreichen wollte (Seite 307-310).
Anders als bei Eichendorff und Droste-Hülshoff, bei denen Stobbe
mehrere Werke (sowohl Romane als auch Lyrik) untersuchte, konzentrierte
sie sich bei Fontane allein auf dessen Altersroman „Der Stechlin“ aus dem
Jahre 1898. Dieser Adelsroman sei ein Schwellenzeitroman, eine Erzählung
der nobilitären Übergänge, gewesen, habe Unsicherheiten
über das Neue beschrieben, stimmungsbezüglich eingefangen. Auch
hier findet Stobbe, wenig verwunderlich bei ihrem Vorhaben, das Motiv der
Resilienz (vor allem in der Figur des Woldemar) und die Hoffnung ausgedrückt,
in künftigen Herausforderungen zu bestehen, neuen Entwicklungen aktiv-gestaltend
statt passiv-erleidend gegenüberzutreten, auch wenn die Mehrzahl der
fiktiven Adelsfiguren des Romans der neuen Zeit hilflos oder resignativ
gegenüberstünden (Seite 455-458).
Insgesamt beobachtet sie an den Figuren und Erzählweisen einen
„zukunftsorientierten Konservatismus“, was bei einem Perspektivenwechsel
durchaus folgerichtig erscheint. Denn Zukunft wurde in Kürze, im Anbetracht
der vergehenden Gegenwart, stets Vergangenheit, und die für den Adel
typische Vergangenheitsanreicherung, [7] die ihm eine „dauernde Wertsubstanz“
und „ästhetische Attraktion“ [8] verlieh, konnte eben nur dann wirksam
sein, wenn sie auf eine zeitübergreifende Dauer gerichtet war, wenn
sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpfte zu
einem Zeitkontinuum. Ein Konservatismus, der in alten Formen erstarrte,
hätte keine Zeit anreichern können. Insofern können die
Werke durchaus originell als Resilienzwerke – oder auch als solche der
Nachhaltigkeit [9] – gelesen werden, die es dem Adel ermöglichten,
zu überleben, nicht mit den rechtlichen Privilegien, aber subtil sozial
als kulturelle und „Erinnerungsgemeinschaft“, [10] auch jenseits von Ständegesellschaft
und Monarchie.
Stobbes geisteswissenschaftliche Studie ist nun an einigen Stellen
innovativ und befruchtend für die Adelsforschung, wenngleich an wenigen
Stellen wiederum als eher konventionell-rückschrittlich zu klassifizieren.
Die Innovationen liegen einerseits in der von ihr leider nicht hinreichend
legitimierten Einführung des psychologischen Resilienzkonzeptes [11]
in die Adelsforschung, das sie als differenzierte Ausgestaltung des „Obenbleiben“-Paradigmas
ansieht und das künftig in der Adelsforschung unter Umständen
verstärkt Verwendung finden könnte. Stobbe hatte dieses Konzept
in flüchtiger Arbeitsweise kurzerhand aus dem Internet übernommen;
einzige Quelle war ihr ein nicht bibliographisch ordnungsgemäß
zitierbares Papier (ohne Ort, ohne Zeitschriftentitel, ohne Jahr). [12]
In jenem kleinen virtuellen Aufsatz wird von neun Merkmalen von Resilienz
oder psychischer Widerstandskraft (engl. „resilience“, besser jedoch stehend
für „Spannkraft“ oder „Elastzität“) gesprochen.
Gabriel (2015) notierte dazu, es handele sich bei der Resilienz
um die Fähigkeit, belastende Lebensumstände auf gelingende Weise
zu bewältigen. Erarbeitet und beschrieben werden innerhalb des Resilienzkonzeptes
protektive Strategien, die dabei helfen könnten, biographisches „Scheitern“
eines menschlichen Individuums anhand von individuell herausfordernden
Lebenssituationen zu verhindern. [13] Stobbe (siehe dort Seite 37) hat
nun dieses in der Sozialarbeit, in der positiven und Gesundheitspsychologie
verbreitete Konzept in die literaturwissenschaftliche und historiographische
Forschung eingeführt, was durchaus als originelle Adaption bezeichnet
werden kann. Zwar macht Stobbe zum Konzept einige oberflächliche Bemerkungen
(Seite 35; Kapitel 2.1. mit dem Titel „Adel und Resilienz – Widerstandskraft
in Zeiten des Umbruchs“), begründet ihren eigenwilligen Theorietransfer
aber keineswegs, zitiert auch keine Quelle für Ihre einleitenden klärenden
Ausführungen zum Konzept. Dies ist umso bedauerlicher, als Resilienz
das Kernkonzept des Stobbe-Buches darstellt, das auch immer wieder handlungsleitend
in ihrer Untersuchung auftaucht, aber bedauerlicherweise nicht hinreichend
theoretisch hinterfüttert worden ist. Nur unter dieser Voraussetzung
war es daher möglich, das Konzept psychischer Abwehrfaktoren – oder
auch das Bild des populären Begriffes des „Stehaufmännchens“
– in die Adelsforschung zu überführen. Wie ein Grashalm im Wind
[14] wäre „der Adel“ demnach in der Formierungsphase der Moderne in
der Lage gewesen, Stürmen zu trotzen, lautet – sinngemäß
– ihr Credo.
Hier wären jedoch einige Einschränkungen zu vermerken.
Das Konzept ist zunächst nur für Einzelpersonen ersonnen worden,
[15] umfaßt daher keine kollektiven Verhaltensweisen einer Gruppenbildung,
wie sie der Adel war, obschon mittlerweile auch Forschungen vorliegen,
die sich mit der Resilienz von Kollektiven oder Institutionen befassen.
[16] Stobbe macht sich jedoch bedauerlicherweise nicht einmal die Mühe,
auf derlei Studien zu verweisen. Ferner ist zu bemerken, daß bisher
auch noch keine Studien zur Resilienz im Adel ermittelbar gewesen sind.
Hier wäre erst noch zu untersuchen, inwieweit denn Merkmale von erlernbarer
Resilienz in der historischen Adelserziehung oder -sozialisation Spuren
hinterlassen haben. Erkennbar ist bislang nur, daß neben der Betonung
von Distinktion durch ostentativen Konsum einerseits, [17] auch, je nach
sozialer Umwelt und Mode, demonstrative Kargheit andererseits, [18] im
Adel verbreitet waren und als verschiedene Reaktionsweisen auf neue Herausforderungen
gelten können.
Eine weitere ungeklärte Frage besteht darin, wie Resilienz
genau definiert wird und welche Merkmale zum Konzept zu zählen wären.
Verwirrend ist es, daß Stobbe die von ihr herangezogenen neun Merkmale
von Resilienz [19] ohne erkennbare Gründe auf sieben Merkmale speziell
zum Adel reduziert hat; sie hat zwei Merkmale fortfallen lassen (Stobbe,
Seite 37-39). [20] Da zu zählt auch die Religiosität; zumindest
sie aber hätte man als vielfach relevant für die Nobilität
durchaus noch in den Katalog mit aufnehmen können. Bei Bengel (2012)
werden dagegen elf Merkmale von Resilienz genannt. [21] Allerdings heißt
es dort, wiederum lediglich bezogen nur auf Einzelpersonen, daß von
etlichen Merkmalen nicht nachgewiesen sei, ob sie wirklich zur Resilienz
einer Person in Krisensituationen beitragen würden oder nicht. [22]
Trotz dieser Einschränkungen hat Stobbe aber durchaus einen
bedenkenswerten Beitrag zur Adelsforschung geleistet, der sich zudem nahtlos
in die ältere Auffassung wie auch die aktuelle wissenschaftliche Diskussion
vom adeligen „Auf- und Abstieg“ der Gentilhommerie als sozialem Gebilde,
[23] vom „Niedergang“ des Adels, [24] einem möglichen „gebremsten
Niedergang“, [25] dessen „Obenbleiben“ [26] oder auch, wie es an anderer
Stelle formuliert wurde, dessen „Zusammenbleiben“ [27] einfügt. Allerdings
fragt es sich auch, wie sinnvoll eigentlich (noch) diese Konstatierung
einer kollektiven sozialen Mobilitätsentwicklung überhaupt ist.
[28] Denn je nach Perspektive kann sowohl Niedergang als auch Aufstieg
eine opportune Sichtweise sein, ja nachdem, ob Forschende rechtliche Diskontinuitäten
oder soziologische Kontinuitäten betonen möchten, ganz abgesehen
davon, daß auch andere Bevölkerungsklassen – beispielsweise
„die Arbeiterklasse“ – ähnlichen Entwicklungen von Auf- und Abstieg
ihrer gesellschaftlichen Bedeutung(en) unterlagen, [29] mithin das Bewegen
„des Adels“ im sozialen Raum kein genuin gentilhommeskes Spezifikum darstellt
und zu vermuten steht, daß über längere Zeit jede soziale
Gruppenbildung einem Wandel unterliegt.
Stobbe hat aber zweifellos das „Obenbleiben“ mit dem Resilienzkonzept
weiter spezifiziert. Demnach habe „der Adel“ geeignete Strategien zum Bewältigen
von Krisen besessen (aktives Coping), soziale Kohäsion als gegenseitige
solidarische Unterstützung praktiziert, [30] sei im Bewußtsein
seiner Gedächtnispolitik und Memoria der Überzeugung gewesen,
flexibel auf (gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche) Veränderungen
reagieren zu können, habe mithin einen hohen Selbstwirksamkeitsglauben
und ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl besessen, sei kognitiv
zu Anpassungsleistungen fähig gewesen und habe, zuletzt, Hardiness
inkorporiert, d.h. eine Mischung aus Sinnfindung, Kontrollüberzeugung
und einer Herausforderungs- statt Problemorientierung [31] sein eigen nennen
können. [32]
Eher konventionell dagegen erweist sich Stobbes Analyse in Bezug
auf das ihrer Arbeit zugrundeliegende Lexem und den Terminus „Adel“, denn
hier spricht sie indes leider immer wieder vom Adel als einer „Sozialformation“,
[33] erweckt den Eindruck einer sozial „geschlossenen“ Gruppe, ignoriert
damit die sich perpetuierende Gruppenbildung [34] „Adel“ und den stetigen
De/Konstruktionsprozeß der Gentilhommerie, [35] übernimmt damit
unreflektiert eine weitgehend konventionelle Selbstsicht der Nobilität,
die überhaupt vom Großteil der geisteswissenschaftlichen Forschung
übernommen worden ist. Dabei arbeitet Stobbe eigentlich gerade an
denjenigen gentilhommesken Semantiken, die Adel re/präsentiert haben
und sowohl Bilder des Adels aufgreifen als sie zugleich auch produzieren,
d.h. sie bewegt sich mit ihrer Analyse an der Basis der Wahrnehmungen und
Erwartungen breiter Bevölkerungskreise, aufgegriffen durch verschiedene
produktive Schriftstellende des 19. Jahrhunderts. [36]
Fernerhin wäre zu bemerken, daß Stobbes Aussagen – wenn
auch wohl nur in einigen wenigen Fällen – nicht immer den Forschungsstand
widerspiegeln, so beispielsweise bei der Frage nach adeligen Stereotypisierungen,
von denen sie behauptet, daß hier empirische Untersuchungen fehlen
würden. [37] Einiges an älterer Literatur, mit denen sich Stobbe
sonst grundlegend auseinandersetzt, fehlt zudem in ihrer Studie. [38] Stobbe
positioniert sich indes auch noch in anderen Bereichen eindeutig: Adelige
Künstler*innen seien keine Dilettanten gewesen (Seite 53-54), wie
es oft in der Forschung gesehen werde, und auch das Reden von einer „Adelskrise“
im langen 19. Jahrhundert sei gänzlich inopportun (Seite 36), [39]
außerdem meint sie, Devianzstudien zum Adel wären interessant
(Seite 435). [40] Diese pointierten Thesen sollten von der (Adels-) Forschung
in der Tat unbedingt weiter verfolgt werden. So kann man Stobbes akademische
Qualifikationssschrift zur Erreichung der Venia Legendi in der Literaturwissenschaft
insgesamt als anregende und innovative Studie bezeichnen, die zu weiterer
Auseinandersetzung aufruft – und nebenbei zu einer lohnenden Relektüre
der Werke der drei Autor*innen ebenso wie der folgenden germanistischen
Forschungsergebnisse einlädt.
Diese Besprechung stammt von Dr. phil. Claus Heinrich Bill, M.A.,
M.A., B.A. und erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche
Adelsforschung.
Annotationen:
-
[1] = Fedor von Zobeltitz: Fontane als Politiker, in: Neues Wiener
Journal (Wien), Ausgabe Nr. 10701 vom 2. September 1923, Seite 8 (Buchbesprechung).
-
[2] = Eher eine Betonung des Interesses Fontanes am Arbeiterstand und
eine Abwertung der Adelssicht von Fontane betrieb dagegen ein Anonymus
(Dr. A.H.): Gegen das „Scheusal Äußerlichkeit“ – Zum 40. Todestag
Theodor Fontanes, in: Innsbrucker Nachrichten (Innsbruck), Ausgabe Nr.
213 vom 20. September 1938, Seite 2.
-
[3] = Ein Beispiel dafür ist a) Käthe v. Keiser: Theodor
Fontane, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang XLVI, Berlin 1928, Seite 655-656,
sowie b) Johannes Vogel: Theodor Fontane, in: Deutsches Adelsblatt, Jahrgang
LVI, Berlin 1938, Seite 1717-1720.
-
[4] = Zur Gegenbewegung nach 1990 und dem „Untergang“ der DDR siehe
a) Christian Baetge / Gert G. von Harling: Aus alten Wurzeln – Wiedereinrichter
zwischen Ostsee und Thüringer Wald – Dokumentation zur wechselvollen
Geschichte der Landwirtschaft in Ostdeutschland, Hannover 2010, 216 Seiten,
b) Joyce E. Bromley / Daniel W. Bromley: Anknüpfen an das Erbe – Wiedereinrichter
in der ehemaligen DDR, in: Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in
Mittel- und Osteuropa (Iamo, deutsche Ausgabe), Halle an der Saale 2012,
Seite 69-75, c) Sophia von Kuenheim: Regionale Verortung adliger Wiedereinrichter
als Projektionsfläche von Adel, in: Silke Marburg / Sophia von Kuenheim
(Hg.): Projektionsflächen von Adel, Berlin 2016, Seite 195-207.
-
[5] = Urte Stobbe: Adel (in) der Literatur – Semantiken des „Adligen“
bei Eichendorff, Droste und Fontane, Hannover 2019, erschienen am 23. September
2019 im Wehrhahn-Verlag mit 496 Seiten, zugleich Habilitationsschrift an
der Universität Vechta, Hardcover-Bindung mit Lesebändchen, ISBN:
978-3-86525-690-4, Preis: 38,00 Euro.
-
[6] = Urte Stobbe: Kassel-Wilhelmshöhe – Ein hochadeliger Lustgarten
im 18. Jahrhundert, Berlin / München 2009, 277 Seiten (Band 161 der
Reihe „Kunstwissenschaftliche Studien“, zugleich Dissertation an der Georgia-Augusta
in Göttingen 2008).
-
[7] = Dazu siehe Luc Boltanski / Arnaud Esquerre: Bereicherung – Eine
Kritik der Ware, Frankfurt am Main 2018, 730 Seiten (zum Adel speziell
siehe ibidem, Seite 127-131).
-
[8] = Beide Zitate aus Georg Simmel: Soziologie, München 2. Auflage
1922, Seite 549 („Wertsubstanz“) und 550 („Attraktion“).
-
[9] = Schütz (1841) behauptete beispielsweise, daß es „die
Hauptaufgabe der englischen Aristokratie“ gewesen sei, „mit Argusaugen
die Sicherung der Nachhaltigkeit zu bewachen“. Siehe dazu Wilhelm von Schütz:
Über die mannigfachen Einwirkungsweisen des Grundadels auf das geistige
und physische Wohl der Gesellschaft, in: Zeitung für den Deutschen
Adel, Jahrgang 2, Leipzig 1841, Seite 191. In der deutschsprachigen wissenschaftlichen
Adelsforschung konnte bisher allerdings kein entsprechender Ansatz zu einem
Konzept von „Adelsnachhaltigkeit“ oder einer „sustainable nobility“ ermittelt
werden. Nachhaltigkeit geht allgemein auf Hans Carl v.Carlowitz zu Anfang
des 18. Jahrhunderts zurück, zuerst in der Forstwirtschaft gefordert
(dazu siehe Reinhold Reith: Nachhaltigkeit, in: Friedrich Jaeger [Hg.]:
Enzyklopädie der Neuzeit, Band VIII., Stuttgart 2008, Spalte 1009-1012).
Eine Anregung zu einem möglichen künftigen Konzept für die
Adelsforschung liefert indes Keith M. Brown: Noble society in Scotland
– Wealth, family, and culture from reformation to revolution, Edinburgh
2000, X und 369 Seiten; dort heißt es: „The wadset was crucial to
the long-term sustainability of the nobility, allowing flexibility in the
use of capital assets while preventing irresponsible heads of houses from
permanently alienating land.“ – Auch der deutschsprachige Adel wurde bisweilen
bereits als nachhaltig bezeichnet; so schrieb ein Anonymus (1876) in einer
Rezension (des Werkes „Geschichte Krains von der ältesten Zeit bis
auf das Jahr 1813“): „Manche Adelsfamilie Oesterreichs wird das Buch mit
Befriedigung in ihre Bibliothek aufnehmen können, da auch diese Geschichtsblätter
es der Nachwelt bewahren, wie Oesterreichs Adel immer zu allen Zeiten und
unter allen Verhältnissen seiner hohen Mission, die Cultur und Civilisation
zu verbreiten, auch hier getreulich nachgekommen ist und wacker ausgehalten
hat im Kampfe gegen Barbaren aus dem Orient und – aus dem Occident!“ Zitiert
nach dem Wiener Salonblatt (Wien), Ausgabe Nr. 16 vom 15. April 1876, Seite
5 (titellose Buchbesprechung in der Rubrik „Bücherschau“). – Nachhaltigkeit
meint aus soziologischer Perspektive nach Hillmann (2007) „das allgemein
verpflichtende Prinzip, Leitbild beziehungsweise Ziel, demzufolge die Lebensgestaltung
der gegenwärtig lebenden Menschen immer zugleich das Bemühen
um Erhaltung der Lebensbedingungen für die künftigen Generationen
einschließen sollte“; dieses Zitat nach Karl-Heinz Hillmann: Wörterbuch
der Soziologie, Stuttgart 5. Auflage 2007, Seite 603.
-
[10] = Zur Defintion dieser Vokabel unter anderem Michael Seelig: Alltagsadel.
Der ehemalige ostelbische Adel in der Bundesrepublik Deutschland 1945/49-1975,
Köln 2015, 591 Seiten (hier Seite 433 im Abschnitt „Der ostelbische
Adel als Erinnerungsgemeinschaft“).
-
[11] = Zur Einführung siehe exemplarisch Rebecca Böhme: Resilienz
– Die psychische Widerstandskraft, München 2019, 124 Seiten.
-
[12] = Sie bezieht sich dabei auf eine Art von Aufsatz namens „Resilienz
und Scheitern – ein Widerspruch?“, gekennzeichnet mit dem Autor*innennamen
„Dr. Isabella Helmreich“, der ohne erkennbaren bibliographischen Zusammenhang
als fünfseitige PDF-Datei im Internet auf den Webseiten des „Deutschen
Resilienz-Zentrums“ der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz
(unter der virtuellen Adresse „www.drz-mainz.de“) abrufbar war (Abruf vom
23. Oktober 2019). Helmreich zitiert sich mit ihrem neunfachen Merkmalskatalog
selbst als „Helmreich, I., et al., Psychological interventions for resilience
enhancement in adults (Protocol). Cochrane Database of Systematic Reviews,
in Vorbereitung.“ – Also ist auch dies leider keine wissenschaftlich verwertbare
und zitierfähige Quelle.
-
[13] = Thomas Gabriel: Resilienz, in: Hans-Uwe Otto / Hans Thiersch
(Hg.): Handbuch Soziale Arbeit – Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik,
München 5. Auflage 2014, Seite 1342.
-
[14] = Dieses Bild (ohne Bezug zur Gentilhommerie) nach Hans Menning:
Das psychische Immunsystem – Schutzschild der Seele, Göttingen / Bern
/ Wien 2015, Seite 24.
-
[15] = Klassische Anwendungen sind beispielsweise a) Detlef Kuhn: Resilienz
am Arbeitsplatz, Frankfurt am Main 2. Auflage 2019, 157 Seiten, b) Jens-Uwe
Martens: Das Geheimnis seelischer Kraft – Wie Sie durch Resilienz Schicksalsschläge
und Krisen überwinden, Stuttgart 2. Auflage 2018, 207 Seiten.
-
[16] = Hierauf hätte Stobbe verweisen können, um den Transfer
nicht zu abrupt zu gestalten. Exemplarisch seien genannt die Werke von
a) Oliver Stoll: Vestigia Cladis – Roms Umgang mit militärischem Misserfolg.
Niederlagen verdrängen, Siege betonen, Resilienz beweisen, Berlin
2019, 441 Seiten, b) Jens O. Meissner: Ein Instrument zum Management organisationaler
Resilienz – Die funktionale Resonanzanalyse, in: Controlling – Zeitschrift
für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, Band 31, München
/ Frankfurt am Main 2019 (Spezialausgabe), Seite 46-50, c) Oliver Harry
Gerson: Vulnerabilität und Resilienz des Rechts im Angesicht der Technisierung,
in: Dennis-Kenji Kipker / Matthias Kopp / Peter Wiersbinski / Jan-Christoph
Marschelke / Falk Hamann / Martin Weichold (Hg.): Der normative Druck des
Faktischen – Technologische Herausforderungen des Rechts und seine Fundierung
in sozialer Praxis, Stuttgart 2019, Seite 121-138, d) Oskar Marg:
Resilienz von Haushalten gegenüber extremen Ereignissen – Schadenserfahrung,
Bewältigung und Anpassung bei Hochwasserbetroffenheit, Wiesbaden 2016,
610 Seiten. Zur Verwendung des Resilienzkonzeptes in der fremdsprachigen
Adelsforschung siehe indes M. Safa Saracoglu: Resilient Notables – Looking
at the Transformation of the Ottoman Empire from the Local Level, in: Matthew
P. Ramaniello / Charles Lipp (Hg.): Contested Spaces of Nobility in Early
Modern Europe, Farnham / Burlington 2010, Seite 257-277.
-
[17] = Dazu siehe Thorstein Bundle Veblen: The theory of the leisure
class – An economic study in the evolution of institutions, New York 1899,
VIII und 400 Seiten.
-
[18] = Das „pagodenhafte Nicken“ der Figur „Herr von Alten-Fri(e)sack“
in Fontanes Stechlin zählt dazu; siehe dazu Stobbe, Seite 413 (auch
Fußnote 319 ibidem). Zur Kargheit siehe einerseits Veblen (wie in
der vorigen Fußnote), aber auch Denise Dazert: Distinktion als Lebensform
– Eine qualitative Untersuchung ausgewählter Werke von Erasmus sowie
Adolph v. Knigge, Wiesbaden 2017, 372 Seiten.
-
[19] = Aktives Coping, Selbstwirksamkeitserwartung, Optimismus, soziale
Unterstützung, kognitive Anpassungsfähigkeit, Religiosität
und Spiritualität, positive Emotionen, Hardiness, Selbstwertgefühl;
entnommen dem erwähnten Helmreich-Papier (siehe oben), Seite 2.
-
[20] = In Fortfall gerieten bei Stobbe „Religiosität“ und „positive
Emotionen“.
-
[21] = Jürgen Bengel / Lisa Lyssenko: Resilienz und psychologische
Schutzfaktoren im Erwachsenenalter – Stand der Forschung zu psychologischen
Schutzfaktoren von Gesundheit im Erwachsenenalter, Köln 2012, 142
Seiten (Band 43 der Reihe „Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“), hier speziell
Seite 44-91; es sind dies ibidem positive Emotionen, Optimismus, Hoffnung,
Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstwertgefühl, Kontrollüberzeugungen,
Kohärenzgefühl, Hardiness, Religion und Spiritualität, Coping,
soziale Unterstützung.
-
[22] = Lediglich die Merkmale positive Emotionen, Optimismus, Selbstwirksamkeitserwartung,
Hardiness und soziale Unterstützung wurden bis 2012 (dem Zeitpunkt
der Forschungssynopse von Bengel und Lyssenko) als wirksam nachgewiesen;
siehe dazu die Quelle der vorigen Fußnote und die kritische Würdigung
jedes einzelnen Merkmals auf den Seiten 50-51, 53, 57-58, 61, 64-65, 68,
71-73, 77, 81-82 und 90-91.
-
[23] = Piritim Sorokin: Soziale Bewegungsvorgänge, in: Kölner
Vierteljahrsshefte für Soziologie, Band 6, Berlin 1927, Seite 146-152.
-
[24] = Stephan Malinowski: Vom König zum Führer – Sozialer
Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich
und NS-Staat, Berlin 2003, 660 Seiten. Die Niedergangsthese existierte
schon längere Zeit und war einer der früh auftauchenden These
zur Entwicklung und zum (beständigen) Wandel des Adels; siehe dazu
exemplarisch Nomen Nescio: Niedergang des Adels, in: Deutsches Volksblatt
(Wien), Ausgabe Nr. 3141 vom 29. September 1897, Seite 2; dort heißt
es: „Wie aus Luck in Volhynien gemeldet wird, hat dort der Sprosse eines
alten Adelsgeschlechtes, der Graf Eustach Potocki, falli[e]rt. Er war Besitzer
großartiger Güter in Russisch-Polen und Volhynien. Leichtsinn,
der meist dem Mangel an tüchtiger Erziehung und Bildung entspringt,
an den sich dann der [...] Wucher anheftet und nicht eher ruht, bis er
sein Gaunerwerk vollbracht hat, ist die bedauernswerthe Ursache des Niederganges
der meisten Adelsfamilien.“ – In der wissenschaftlichen Adelsforschung
gilt meist Brunner als Vater der Niedergangsthese; siehe dazu Otto Brunner:
Adeliges Landleben und europäischer Geist – Leben und Werk Wolf Helmhards
v.Hohberg 1612-1688, Salzburg 1949, 376 Seiten.
-
[25] = Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt – Eine Geschichte
des 19. Jahrhunderts, Bonn 2010, Seite 1064.
-
[26] = Rudolf Braun: Konzeptionelle Bemerkungen zum Obenbleiben – Der
Adel im 19.Jahrhundert, in: Hans-Ulrich Wehler(Hg.): Europäischer
Adel 1750-1950, Göttingen 1989, Seite 87-95.
-
[27] = Silke Marburg / Josef Matzerath: Vom Obenbleiben zum Zusammenbleiben
– Der Wandel des Adels in der Moderne, in: Walther Schmitz / Jens Stüben
/ Matthias Weber (Hg.): Adel in Schlesien, Band 3 (Adel in Schlesien und
Mitteleuropa. Literatur und Kultur von der Frühen Neuzeit bis zur
Gegenwart), München 2013, Seite 299-311.
-
[28] = Zur dauerhaften Konjunktur dieser hierarchischen räumlichen
Orientierungskonstatierungen siehe allgemein auch Eckart Conze: Niedergang
und Obenbleiben, in: Eckart Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels, München
2005, Seite 187-188.
-
[29] = Dazu siehe exemplarisch a) Gerhard A. Ritter (Hg.): Der Aufstieg
der deutschen Arbeiterbewegung – Sozialdemokratie und Freie Gewerkschaften
im Parteiensystem und Sozialmilieu des Kaiserreiches, München 1990,
XXI und 461 Seiten, sowie b) Jörg Miehe: Vom Schwinden der
Arbeiterklasse – Zur Struktur der Erwerbstätigkeit und der gesellschaftlichen
Arbeitsteilung in der BRD von 1957/1970 bis 2005/2008, Berlin 2017, 461
Seiten. Kurisivierung durch den Verfasser, so nicht im Original.
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[30] = Zur hohen diachronen wie synchronen Gruppen(bildungs)kohäsion
siehe fernerhin Norbert Elias / John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter,
Frankfurt Main 2002, Seite 244-246.
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[31] = Dazu Jürgen Bengel / Lisa Lyssenko: Resilienz und psychologische
Schutzfaktoren im Erwachsenenalter, Köln 2012, Seite 69.
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[32] = Wie auch schon bei den zahlreichen Modellen zur Resilienz überschneiden
sich hier etliche Kategorien; so wird man beispielsweise Kontrollüberzeugungen
als ähnlich mit der Überzeugung, Herausforderungen statt Probleme
zu konstatieren, werten können. – Man könnte stattdessen auch
das salutogenetische Konzept von Antonovsky für die Adelsfrage
benützen; demnach könnte der Adel ein hohes Kohärenzgefühl
besessen haben, daß sich dadurch ausgezeichnet habe, daß über
Generationen die Überzeugung weitergegeben wurde, daß das Leben
grundsätzlich verstehbar, bewältigbar und sinnvoll wäre.
Siehe dazu Jürgen Bengel / Lisa Lyssenko: Resilienz und psychologische
Schutzfaktoren im Erwachsenenalter, Köln 2012, Seite 16. Ferner
könnte auch davon gesprochen werden, daß Adel über die
Zeitläufte hinweg eine Fähigkeit zur „Rekonfiguration“ besessen
habe; siehe dazu ibidem, Seite 25.
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[33] = So beispielsweise Seite 22 und 39, ähnlich Seite 13, wo
sie „dem Adel“ dann doch sehr konservativ und schlicht die Bedeutungen
„Geschlecht“, „Geburt“ und „Stand“ zuschreiben läßt.
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[34] = Dazu siehe Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine
neue Gesellschaft, Frankfurt am Main 2010, Seite 50-75.
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[35] = Dazu siehe Claus Heinrich Bill: Konzept des Adelsbegriffs „Un/doing
Nobility“, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen
Adelsgeschichte 4, Sonderburg 2018, Seite 40-41 (als Gegenentwurf zum herkömmlichen
statischen Forschungsmodell „Beeing Nobility“). Stobbe hätte diesen
Aufsatz indes ermitteln können, wenn sie, was auch nicht geschehen
ist, die für ihre Studie maßgebliche Adelsbibliogrophie benützt
hätte, die schon vor Mai 2019 im Internet im Volltext abrufbar zur
Verfügung stand (Claus Heinrich Bill: Neue Adels-Bibliographie – Monographien,
Sammelbände und Aufsätze des Erscheinungszeitraums Jänner
2000 bis Mai 2018 zum Adel in den deutschsprachigen Ländern, herausgegeben
vom Institut Deutsche Adelsforschung, Sonderburg 1. Auflage Juli 2018).
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[36] = Dies betont sie auch selbst mehrfach, wenn auch nur andeutungsweise
(Seite 310: „ […] transportiert sich in Drostes Balladen die Überzeugung,
dass [sic!] der alte landsässige Adel erhalten bleibt, solange seine
Existenz von dem Glauben an den Fortbestand der alten Ordnung seitens der
einfachen Bevölkerung getragen wird“ und Seite 412: „[...] deutet
er die Notwendigkeit an, sich innerhalb des alten Adels nicht als losgelöst
vom Rest der Welt zu betrachten, denn auch dieser müsse sich so verhalten,
dass [sic!] er von der Akzeptanz der Bevölkerungsmehrheit getragen
wird“), ohne indes daraus entsprechende Schlüsse einer dezidierten
Adelskonstruktion durch mehrere Akteur*innen zu ziehen.
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[37] = Siehe dazu jedoch Claus Heinrich Bill: Gesellschaftliche Adelsvorstellungen
und ihre Bedeutung für die soziale Erzeugung der Gentilhommerie im
19. Jahrhundert, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift
für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXI., Folge Nr. 101, Sonderburg
2018, Seite 2-52. Gemäß dem Dankkapitel wurde Stobbes Buch erst
im im Mai 2019 abgeschlossen (Seite 9), sie hätte den Forschungsstand
daher noch berücksichtigen können. Außerdem waren weitere
Untersuchungen dazu schon weitaus früher erschienen. Weiters ist die
Angabe von Stobbe nicht zutreffend, daß sich die Forschung bislang
nicht mit Adelsimages in der Zeitschrift der „Gartenlaube“ auseinandergesetzt
habe. Siehe dazu a) Gunilla-Friederike Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben
– Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien
1840-1914, Göttingen 1994, Seite 456 sowie vor allem b)
Karlheinz Wallraf: Die „bürgerliche Gesellschaft“ im Spiegel deutscher
Familienzeitschriften, Köln 1939, 147 Seiten (Dissertation an der
Universität Köln von 1939; siehe dazu besonders das Kapitel „Das
Bürgertum als aufstrebende Sicht im Kampf gegen den Adel als alte
Herrenschicht“ auf den Seiten 9-30).
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[38] = So beispielsweise a) Friedrich A. Kautz: Der preußische
Adel in Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Ottawa
1976, 148 Blatt (National Library of Canada in Ottawa, 2 Microfiches),
zugleich Dissertation an der Universität Ottawa 1974, b) Walter Keitel:
Fontane und der Adel – Zum 150. Geburtstag Theodor Fontanes, in: Deutsches
Adelsblatt, Jahrgang IX, Kirchbrak 1970, Seite 4-6 und 27-28, c) Hans-Gerhard
Wegner: Theodor Fontane und der Roman vom märkischen Junker, Leipzig
1938, Neuauflage New York / London 1970, 174 Seiten, d) Ferdinand Freiherr
von Schorlemer: Annette von Droste-Hülshofff, ihre Heimat und ihre
Familie, in: Deutsches Adelsblatt (Berlin), Ausgabe Nr. 33 vom 1. Dezember
1925, Seite 809-810, e) Rudolf Eckart: Der deutsche Adel in der Litteratur,
II. Die moderne Litteratur , in: Deutsches Adelsblatt (Berlin), Jahrgang
XII (1894), Seite 27-29 (Jeanne Marie v.Gayette-Georgens), Seite 88-89
(Gottfried Ritter v.Leitner), Seite 189-190 (Johannes Andreas Freiherr
v.Wagner), Seite 208-209 (noch v.Wagner), Seite 470 (Karl Freiherr v.Fircks),
Seite 490-491 (noch Fircks), Seite 507-510 (noch Fircks und Friedrich Freiherr
v.Dincklage-Campe), Seite 529-530 (Elisabeth Baronin v.Droste-Hülshoff),
Seite 550-551 (Valeska Gräfin v.Bethusy-Huc), Seite 571 (Clotilde
v.Schwartzkoppen), Seite 589-590 (Ewald v.Zedtwitz), Seite 608 (Prinz Emil
zu Schoenaich-Carolath), Seite 623-624 (Hanns v.Zobeltitz), Seite 642-643
(Nataly v.Eschstruth), Seite 676-678 (Wilhelm Johann Freiherr v.Tettau),
Seite 695-696 (Louis Ferdinand Freiherr v.Eberstein), Seite 714-715 (Anton
Freiherr v.Perfall), Seite 751-752 (Kurt v.Rohrscheidt), Seite 771-772
(Alexander Freiherr v.Mengden), f) Nomen Nescio: Adelige Dichter und Denker,
in: Deutsches Adelsblatt (Berlin), Jahrgang XX (1902), Seite 724-725 (August
Graf v.Platen-Hallermünde), Seite 755-757 (Friedrich Leopold Graf
zu Stolberg), Seite 772-773 (Heinrich v.Kleist), Seite 805-806 (Max v.Schenkendorf),
fortgesetzt im Adelsblatt, Jahrgang XXI, Berlin 1903, Seite 29-31 (Annette
v.Droste-Hülshoff), Seite 96-98 (Adalbert v.Chamisso), Seite 113-115
(Friedrich Baron de la Motte-Fouqué), Seite 146-148 (Friedrich v.Spee),
Seite 168-169 (Ewald Christian v.Kleist), Seite 184-185 (Joseph Freiherr
v.Eichendorff), Seite 231-233 (Gustav Gans Edler Herr zu Putlitz), Seite
268-270 (Eligius Freiherr v.Münch-Bellinghausen), Seite 283-285 (Franz
Freiherr v.Gaudy), Seite 298-300 (Ernst Freiherr v.Feuchtersleben), Seite
315-317 (Anton Alexander Graf v.Auersperg bzw. Anastasius Grün), Seite
332-334 (Friedrich Leopold v.Hardenberg bzw. Novalis), Seite 348-350 (Justus
Freiherr v.Liebig), Seite 366-368 (Nikolaus Ludwig Graf v.Zinzendorf),
Seite 384-386 (Karl v.Linné), Seite 400-401 (Friedrich v.Logau),
Seite 415-417 (Wilhelm v.Humboldt), Seite 432-434 (Ida Gräfin v.Hahn-Hahn),
Seite 464-466 (Oskar v.Redwitz), Seite 481-482 (Karl v.Rotteck), Seite
529-531 (Nikolaus Niembsch Edler v.Strehlenau), Seite 560-562 (Richard
v.Volkmann respektive Leander), Seite 656-658 (Heinrich v.Treitschke).
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[39] = Eine „Krise“ muß jedoch nicht zwangsläufig negativ
sein, sondern war vielmehr auch Voraussetzung eines Wandels zum Überleben.
Siehe dazu die eher positive Sicht auf Krisen bei Bijan Adl-Amini: Krise
und Entwicklung, Darmstadt 2004, 356 Seiten (Band 2 der Reihe „Krisenpädagogik“).
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[40] = Devianzstudien bestehen bereits, so beispielsweise a) Claire
Chatelain: Ein adeliges Beamtenpaar vor Gericht – Der Einsatz von Kapitalsorten
im Eheverfahren zur Trennung von Tisch und Bett am Ende der Regierungszeit
von Ludwig XIV., in: Institut für die Erforschung der Frühen
Neuzeit (Hg.): Frühneuzeit-Info, Band 26, 2015, Heft Nr. 1, Seite
95-103, b) Sonja Köntgen: Gräfin Gessler vor Gericht – Eine mikrohistorische
Studie über Gewalt, Geschlecht und Gutsherrschaft im Königreich
Preußen 1750, Berlin 2019, VIII und 291 Seiten, c) Werner Broer:
Malwida von Meysenbug (1816-1903) – Eine „aristokratische“ Demokratin,
in: Vera Leuschner (Hg.): Malwida von Meysenbug zum 100. Todestag 2003,
Kassel 2003, Seite 81-101, d) Clemens Freiherr Raitz von Frentz,: Fsanny
von Reventlow (1871-1918) – Die aristokratische Anarchistin, in: Christina
von Flotow (Hg.): Deutsches Adelsblatt – Magazin der deutschen Adelsverbände
(Kirchbrak), Jahrgang 57, Ausgabe Nr. 10 vom 15. Oktober 2018, Seite 10-14,
e) Christoph Koch(Hg.): Vom Junker zum Bürger. Hellmut von Gerlach
– Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik, München 2009,
X und 430 Seiten, f) Michael Nadler: „Und also in der Religion einige Neuerung
vorzunehmen ich wohl Fug und Macht hätte“ – Wolf Dietrich von Maxlrain
(1523 oder 1524-1586) in der Adelsfronde von 1563, in: Rebellen, Visionäre,
Demokraten, Regensburg 2013, Seite 23-24, g) Katrin Iffert: Gescheiterte
Ehen im Adel. Trennung und Scheidung des Herzogspaares Alexius Friedrich
Christian und Marie Friederike zu Anhalt-Bernburg (1794-1817), in: Eva
Labouvie (Hg.): Adel in Sachsen-Anhalt. Höfische Kultur zwischen Repräsentation,
Unternehmertum und Familie, Köln / Weimar / Wien 2007, Seite 95-120,
h) Georg Fingerlos: Verlottertes Blaublut. Entadelte Schwerverbrecher in
Österreich 1912-1918, Wien 2016, 176 Seiten, i) Katrin Gäde:
Umstrittenes Eherecht. Handlungsstrategien und Aushandlungsprozesse in
Ehescheidungsverfahren adliger Paare vom 18. bis zum 19. Jahrhundert, in:
Institut für die Erforschung der Frühen Neuzeit (Hg.): Frühneuzeit-Info,
Band 26, Wien 2015, Seite 142-151.
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