Institut Deutsche Adelsforschung
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Sächsisch-Thüringische Adelslandschaften 

Sammelband über den historischen Ständefaktor in der Epoche der Frühen Neuzeit

Nachdem sich ein anonymer Verfasser in einem Periodikum mit einer gemischt bürgerlich-adeligen Zielgruppe im Jahre 1842 über gesellschaftliche Leitkulturen des Bürgertums zwischen siebenjährigem Krieg und französischer Revolution ausgelassen hatte, kam er auch auf den mitteldeutschen Adel zu sprechen und zeichnete ein vorwiegend von ökonomischem und symbolischem Kapital reiches Bild jener Nobilität; dazu schrieb er: „Diese lezte [sic!] Wahrnehmung führt uns aus dem Mittelstande zu dem durch Geburt, Rang und Reichthum bevorrechteten Stand, zum Adel. Ihn zeichnete zuvörderst die Wohnung und die ganze äußere Umgebung aus. Die Rittersitze in der Mark, in Sachsen, Thüringen und andern Gegenden des nördlichen Deutschlands waren große Häuser mit zwei stattlichen Flügeln. 

Die Säle und hohen Zimmern waren mit goldenen Leisten und Getäfel, mit großen Spiegeln mit Kronleuchtern von mannigfaltig geschliffenen Glasperlen mit seidenen oder vergoldeten Tapeten geschmückt. Zierlich geformte Oefen mit Figuren von buntem Porzellan, schwere brokatne Vorhänge,  Tische von eingelegter Holzarbeit, Stühle und Kanapes mit gestreiftem Atlasüberzug, an den Füßen und an der Einfassung vergoldet, vollendeten die Ausstattung der Wohnzimmer. Die Prunkgemächer zeigten das ererbte alte Geräthe von breiten Formen und mit vergoldetem Schnitzwerk, das trefflich zu der schönen Stuccaturarbeit und den würdigen Familienbildern paßte und den Neid unserer nach Rococo strebenden Zeit hervorruft, wo es sich noch unbeschädigt erhalten hat. Der Lustpark, durch ein Gitter vom Hofe getrennt, war meistens mit schönen Lindenalleen, Gartenhäuschen, Hecken und Grotten, Bassins, kleinen Olymps und allerhand Figuren, Alles im altfranzösischen Geschmacke verziert, und nicht zu häufig waren solche Edelleute, die, wie der Herr von Bielefeld, des französischen Geschnörkels müde, in ihren Gartenanlagen das Vergnügen mit dem Nutzen zu vereinigen bemüht waren.“ [1]

Dieses Adelsbild war durchaus üblich, auch in der Formierungsphase der Moderne, dem langen XIX. Jahrhundert. Allerdings ist die Geschichte des mitteldeutschen Adels weit myrioramatischer, als es diese holzschnittartige Schilderung zeigt. Dies ist sie auch und nicht zuletzt dank neuerer Forschungen, die sich, wie der hier anzuzeigende Sammelband mit der Thematik der „Adelslandschaft Mitteldeutschland“ – erschienen 2016 im Leipziger Universitätsverlag mit 506 Seiten und zahlreichen Abbildungen sowie herausgegeben von Enno Bünz, Ulrike Höroldt und Christoph Volkmar – zeigt, in vielfältiger Weise ergänzen lassen. [2] Der Band behandelt in seinen 15 Beiträgen vor allem drei frühneuzeitliche Bereiche zwischen Spätmittelalter und französischer Revolution. 

Definitionen, Umfang und Sinn des Begriffes der „mitteldeutschen Adelslandschaft“ werden dabei erläutert, ebenso aber auch ständische Gruppenbildungsprozesse und Transformationen (z.B. bei der Säkularisierung der Klöster). Der letzte große Abschnitt widmet sich forschungspraktischen Belangen, in dem mitteldeutsche Adelsarchive vorgestellt werden, die mit einiger Verzögerung nach der deutschen Einheit nun wieder als archiv- und verzeichnungswürdig betrachtet werden und daher generell etliche Findbuchpublikationen ehemaliger und bislang nicht verzeichneter Bestände aus Behörden zur Folge gehabt haben. Erstaunlich ist dabei, daß es in Archiven bisweilen – trotz eindeutig landadelskritischer Haltung der DDR-Geisteswissenschaften [3] – auch Archivar*innen gegeben hat, sie sich bereits vor der deutschen Wiedervereinigung von 1990 um die Erhaltung adeliger Gutsarchive bemüht haben (Seite 354), weil sie der Auffassung waren, daß es sich dabei um ein für das Land wertvolles Kulturzeugnisgut handeln würde. Umso verdienstvoller und lobenswerter ist es, daß in dem vorgestellten Sammelbande als Anstoß für künftige Forschungen Pertinenzverzeichnisse von Aktenbeständen präsentiert werden, in denen speziell auf die Belange der Adelsforschung eingegangen wird. 

Dieser letzte Teil dient damit der Heuristik und bringt Ausführungen von vier Historiker*innen und Archivar*innen zu zentralen, aber auch abgelegenen Adelsakten. Das zeigt: Die Forschung zum mitteldeutschen Adel steht noch weitgehend am Anfang. Einerseits muß diese Konjunktur erstaunen. Der Adel wurde 1918 in Deutschland Namensbestandteil und hat als solcher keine politische Relevanz mehr. [4]

Gleichwohl hat kürzlich erst der Marburger Adelsforscher Eckart Conze Gründe hervorgehoben, weshalb denn die Adelsforschung heute noch relevant sei und weshalb sie solch einen Aufschwung zum Mainstream-Thema genommen habe. Erstens habe nach 1990 in den neuen Bundesländern der Bedarf an Konzepten zur Elitebildung zugenommen und diese könne man am historischen Beispiel des Adels ablesen. Zweitens sei die Mediengesellschaft vor allem auf Sichtbarkeit angelegt (was nicht in den Medien verhandelt würde, existiere nicht im Bewußtsein der Gesellschaft) und auch hier schaue man sich den Adel genau an, weil er ein `Meister der Sichtbarkeit´ – und, so wäre zu ergänzen, auch der Performance – gewesen sei. [5]

Drittens sei im Zuge der EU-Erweiterung das Interesse an europäischen Grundstrukturen gestiegen und damit auch am Adel, der im Grunde eine uralte europäische Dimension besitze. Demnach würde der Adel als Forschungsgegenstand ein Mittel der Identitätsstiftung der deutschen Gesellschaft des XXI. Jahrhunderts sein. [6] Ob diese drei Gründe wirklich für die Konjunktur verantwortlich sind, sei dahin gestellt. Dennoch besteht, was vielleicht naheliegender ist und in Ergänzung zu Conzes These gesagt werden könnte, in den neuen Bundesländern auch schlicht ein enormer Nachholbedarf. Adelsforschung war in der DDR weitgehend eine `terra incognita´. Das ist gut für heutige Wissenschaftler*innen, die daher Umstände, die für Westdeutschland schon lange erforscht wurden, erst einmal grundlegend und in Spezialstudien erarbeiten müssen – und vor allem dürfen. Pionier*innenarbeiten sind bereits erschienen, dazu zählt aber zweifellos auch der vorliegend zu besprechende Sammelband. 

Der Kieler Mediävist Werner Paravicini untersucht darin außerdem die Gründungserzählung der Ursprungslegenden zweier Adelsfamilien in einem außergewöhnlich breit angelegten Aufsatz (Seite 22-110). Der Merseburger Domstiftsarchivar Markus Cottin bearbeitet ergänzend aber auch Rittergüter im Merseburgischen im Überblick (Seite 201-237). Ebenso werden in dem Band Fragen des Adelsselbstverständnisses (Seite 239-284) sowie Säkularisierungsprozesse im Landadel (Seite 285-304) und der Herrschaftsdurchsetzung in Kursachsen (Seite 305-320) erörtert. 

Mit der Vielseitigkeit der Anlage des Bandes zeigt sich die mitteldeutsche Adelsforschung daher im höchsten Maße lebendig und verdient erhöhte Beachtung, nicht zuletzt, weil dadurch vielfache Anregungen für eigene Forschungen und Ermunterungen zur Benützung neu verzeichneter Archivbestände enthalten sind.

Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill, M.A., B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung.

Annotationen: 

  • [1] = Nomen Nescio: Deutsche häusliche und gesellige Zustände vom Ende des siebenjährigen Krieges bis zum Anfang der französischen Revolution, in: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 147 vom 21. Juni 1842, Seite 586.
  • [2] = Bestellbar überall im Buchhandel unter der ISBN: 978-3-86583-925-1 zum Preis von 55,00 €.
  • [3] = Siehe dazu Claus Heinrich Bill: Preußischer Landadel aus Sicht der DDR-Germanistik, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 2 – Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sønderborg på øen Als 2017, Seite 22-23.
  • [4] = Maßgebliche Meinungsbildner*innen der DDR waren anderer Meinung. Für sie diente der Adel als Negativfolie zur Begründung sozialer Ungleichheiten der Vergangenheit vor der zu errichtenden Positivfolie der staatlich institutionalisierten Arbeiterbewegung. Die dennoch insgesamt spärliche Forschungslage zum historischen mitteldeutschen Adel repräsentieren unter anderem exemplarisch a) Ludwig Renn: Adel im Untergang, (Ost-) Berlin 1950, b) Bruno Buchta: Die Junker und die Weimarer Republik. Charakter und Bedeutung der Osthilfe in den Jahren 1928-1933, (Ost-) Berlin 1959, c) Dietrich Eichholtz: Junker und Bourgeoisie vor 1848 in der preussischen Eisenbahngeschichte, (Ost-) Berlin 1962, d) Klaus Vetter: Kurmärkischer Adel und preussische Reformen, Weimar 1979, e) Elisabeth Plessen: Mitteilung an den Adel, (Ost-) Berlin 1978, f) Manfred Jatzlauk: Die Stellung der Junker im Kapitalismus, in: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft, (Ost-) Berlin 1984, Heft 3, Seite 58-66.
  • [5] = Dazu mehr bei Claus Heinrich Bill: Adel als Meister der Sichtbarkeit, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 1 – Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sønderborg på øen Als 2017, Seite 36-37 sowie bei Claus Heinrich Bill: Indikatoren der Sichtbarkeit des Adels, in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Bildatlas zur deutschen Adelsgeschichte 1 – Adelsgrafiken als Beitrag zur komplexreduzierten Aufbereitung von für die Adelsforschung dienlichen Theorien und Modellen, Sønderborg på øen Als 2017, Seite 38-39.
  • [6] = Eckart Conze: Adel in der Gegenwart. Vorurteile und Selbstverständnis, in: Eckart Conze / Alexander Jendorff / Heide Wunder (Hg.): Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert, Marburg 2010, Seite 626.

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