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Kronprinzrecherchen in Digitalportalen 1917 bis 1934Chancen, Nutzen und Grenzen virtuell aufgearbeiteter historischer PeriodikaDie Entschädigungs- und Rückerstattungsdebatte um das ehemalige mobile und teils auch immobile Vermögen der Hohenzollern und Organen des deutschen Staates, das rund elf Jahre währte (2014-2025), auch öffentlich durch Aufmerksamkeit begleitet wurde, ist seit geraumer Zeit beendet; Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft und Politik haben sich damit ebenso wie die Massenmedien beschäftigt. [1] Dabei ging es im Kern um die Frage, ob Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet habe. Eine dezidiert historiographische Nachbetrachtung zu dieser Frage erschien nach Ende der juristischen Debatte oder zumindest nach der Aufgabe der finanziellen und materiellen Ansprüche des ehemals regierenden preußischen Königshauses. Die in Rede stehende Schrift stammt von Benjamin Hasselhorn und Etienne-Fabrice Hees; sie trägt den Titel Die Bedeutung des Kronprinzen Wilhelm. Beiträge zur Nachgeschichte der Hohenzollern-Monarchie mit einer Edition eines unveröffentlichten Memoirenmanuskripts, erschien im Berliner Verlag Duncker & Humblot als Band LXII der Schriftenreihe Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte im Jahre 2025, umfaßt indes, ist stark komprimiert im Stoff und lediglich 157 Seiten stark. [2] Für die Adelsforschung, namentlich die poststrukturalistische wie konstruktivistische Adelsforschung, ist in diesem Band indes ein nachgelagert eingefügter Aufsatz von besondere Relevanz, soll aus diesem Grunde hier näher betrachtet werden. Die Verlagsankündigung äußert dazu große Ziele, denn zusätzlich zum Hauptthema würde ein innovativer Ansatz zur digitalen historischen Forschung vorgestellt, der hilft, Aussagen über schwer fassbare [sic!] historische Parameter wie Bevölkerungsstimmungen zu treffen. [3] Diese Ankündigung läßt aufhorchen, da solche Untersuchungen eher rar sind und vor einem gehörigen Quellenproblem stehen, da sich die Bevölkerung an sich als sozialer kollektiver Akteur grundsätzlich nicht äußerte, höchstens Teile der Bevölkerung, die über Medien mit publizierten schriftlichen, monumentalen, dinglichen oder auditiven Deutungshoheitsversuchen hervortraten. Die Autoren des Aufsatzes sind von Hause aus Historiker und sie schrieben über Generalisierbare Aussagen in prädemoskopischer Zeit. Ein Vorschlag aus der Digital History. Das Inhaltsverzeichnis klärt sodann näher über die Arbeitsschritte des Aufsatzes und dessen Aufbau auf: Zur Relevanz des Themas Historische Zeitungsanalysen und die digitale Erschließung historischer Tageszeitungen Analytische Verfahren und Bewertungskriterien für eine quantitative Zeitungsanalyse Quantitative historische Zeitungsanalyse am Beispiel relevanter Personen der Weimarer Republik Schlussfolgerungen [sic!]. Dieser Aufsatz bereichert damit bisherige Ausführungen zur Thematik, [4] legt jedoch besonderen Wert darauf, über Zeitungsrecherchen auch Meinungen in der Bevölkerung eruieren zu wollen. Kann dies gelingen? Um die Frage zu beantworten, muß der Aufsatz näher betrachtet werden. Ziel der beiden erwähnten Forschenden war es, folgende Fragen zu klären (Seite 98): Welche Bedeutung hatte die gerade untergegangene Monarchie noch, und welche Rolle spielte dabei das Personal der bis 1918 regierenden Fürstenfamilien? [ ] Die Herausforderung ist dabei eine doppelte: Erstens müssen überhaupt Quellenbestände ausgewählt werden, die generalisierende Schlussfolgerungen [sic!] erlauben. Zweitens sind diese Quellenbestände umso schwieriger auswertbar, je umfangreicher (und damit aussagekräftiger) sie sind. Man müsse daher als Historiker:in der Versuchung widerstehen, so die beiden Autoren, in seinem Narrativ (Geschichtswissenschaftler:innen erzeugen Erzählungen) [5] nur plakative Präzedenzfälle in seinen Argumentationen anführen zu wollen. Stattdessen raten die Autoren zur digitalen Datenanalyse (Seite 99), zumal für die Zeit der Weimarer Republik, in der die Zeitungen Leitmedium waren, Fernsehen und Radio noch in der Entwicklung waren, noch nicht den Status von Massenmedien erreicht hatten. Daher war zu erwarten, dass öffentlichkeitsrelevante Diskurse auch im Leitmedium der Zeitung in der Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939 hinreichend abgebildet worden sein könnten. Eingeschränkt war, darauf weisen die beiden Verfassenden des Aufsatzes aber auch hin, die Meinungsabbildung indes durch Presseagenturmeldungen, da auffällig ist, daß etliche Zeitungen, zugleich oder zeitlich leicht versetzt, ähnliche Inhalte brachten, Agenturmeldungen erwarben, leicht verändert dann individuell abdruckten (Seite 101-102). Dadurch wurde die Themenvielfalt möglicherweise eingeschränkt, nicht aber unbedingt die Meinungsvielfalt, da Journalisten die Möglichkeit hatten, agenturseitig angebotene Meldungen im eigenen Stil zu rahmen beziehentlich nach eigenen weltanschaulichen Maßstäben zu bewerten. Eine Voraussetzung zur Ermittlung historischer demoskopischer Inhalte ist es indes, daß genügend digitalisierte und volltexterschlossene Zeitungen vorliegen müssen. Bei der Digitalisierung historischer Zeitungen ist Deutschland jedoch im internationalen Vergleich schlechter aufgestellt. Gibt es andernorts nationale Portale mit umfangreichen und leicht abruf- und durchsuchbaren Inhalten, existiert das deutsche bundesländerübergreifende Pendant (Deutsches Zeitungsportal) mittlerweile zwar auch bereits als großes Datenreservoir (rund 25 Millionen Seiten), [6] doch ist es derzeit noch vergleichsweise unkomfortabel bedienbar, weist lange Ladezeiten auf, ist (browserübergreifend) leider nur unzuverlässig in der Performance (z.B. bei der Anzeige von Digitalisaten, die nicht zu den Volltexten passen, kein zuverlässiges Highlighting). In den Niederlanden (17 Millionen Seiten), in Dänemark (35 Millionen Seiten), in der Schweiz (13 Millionen Seiten) und in Österreich (28 Millionen Seiten) [7] sind indes ähnliche (vor allem aber schneller reagierende und zuverlässigere) Nationalportale vorhanden. Daneben besitzen im deutschen Raum zusätzlich vor allem diverse Landes- und Staatsbibliotheken in den einzelnen deutschen Bundesländern mehr oder minder umfangreiche und ebenso mehr oder minder komfortable regionale Digitalportale für historische Zeitungen, von denen man sich einige Portale zu Vergleichsanalysen auswählen könnte. Eine weitere Problematik ist die immer noch unzuverlässige Texterkennungssoftware, die Erkennungsraten von rund 70 % besitzt, während die Deutsche Forschungsgemeinschaft Aussagen erst ab einer Erkennungsrate von 99 % für wissenschaftlich zuverlässig erachtet (Seite 105). Aus Gründen der finanziellen Förderungswürdigkeit ist diese Haltung bei der DFG verständlich, würde allerdings die Benützung von Quellen ausschließen, die unter dieser sehr hohen Rate liegen; dies dürften aber vermutlich für die meisten volltexterschlossenen Digitalisate gültig sein. Da indes wissenschaftliche Ergebnisse, auch die, die auf zuverlässig erschlossenen Daten beruhen, ohnehin nur als temporär gültig betrachtet werden können, spricht nichts dagegen, außerhalb der DFG-geförderten Forschungsprojekte auch solche Quellenbestände zu benützen, die eine geringere Rate der Texterkennung aufweisen, wenn dafür die Masse an ermittelten und hochspezialisierten Vorkommen für ganz spezifische Fragestellungen und Themenbereiche groß genug ist. Die Lösung zur Problematik ist es mithin, die Fragestellung anzupassen und nicht allein über die Nachteile der Quellenlage zu klagen. Nach der Besprechung einiger bemerkenswerter Studien zur Thematik kommen die beiden Autoren des Aufsatzes schließlich zu ihrem eigentlichen Anliegen: Von besonders hoher Relevanz für historische Zeitungsforschung, die das Ziel verfolgt, generalisierbare, quasi-demoskopische Aussagen treffen zu können, ist die Stimmungsanalyse. Dabei handelt es sich um die automatisierte Auswertung von Texten mit dem Ziel, eine geäußerte Haltung oder Meinung zu einem Thema als positiv, neutral oder negativ zu identifizieren. (Seite 108). Dazu müßten jedoch, so die beiden Verfassenden weiters, die üblichen Gütekriterien der empirischen Forschung (Objektivität, Reliabilität und Validität) beachtet werden (Seite 109). Hierzu sei es sinnvoll, ein Information Retrieval anzulegen, indem gesuchte Worte (oder Phrasen als Wortkombinationen) nachgewiesen würden; dieses Dokument läßt sich mit dem heuristischen Protokoll vergleichen. [8] In den Beispielsuchen des Bandes werden die Suchstrategien konsequenter- und lobenswerterweise transparent aufgeführt (Seite 114-115), können als Vorbild für viele Studien und vor allem für akademische Qualifikationsarbeiten dienen, denen solche Transparenz oft leider fehlt; allerdings wäre noch das Datum der Abfrage sinnvoll gewesen, weil sich derzeit Inhalte von entsprechenden Digitalportalen mit Zeitungen in der Regel noch laufend durch Ergänzungen verändern). [9] Die beiden Verfassenden legen sodann für Ihre Fragestellung die nötigen Quellenbestände frei, die jedoch sehr heterogen sind. Zwar wurden politische Lager breit mit verschiedenen Periodika abgedeckt, indes waren die Digitalisate entweder nicht vorhanden oder in sehr unterschiedlicher Zahl benützbar (Seite 111). Ungewöhnlich ist zudem, daß nicht etwa bestehende Datenbanken benützt worden sind, sondern eine eigene Datenbank angelegt wurde, die ein sehr hohes Ziel verfolgte; sie sollte als Prototyp für eine angestrebte möglichst voll ständige [sic!] digitale Datenbank der Zeitungen der Weimarer Republik gelten; sie umfaßte allerdings lediglich vier [Berliner] Zeitungen im Zeitraum von 1917 bis 1933; [10] in diesem Zeitraum wurden von den ausgewählten Zeitungen 27.140 Ausgaben mit insgesamt 293.008 Seiten veröffentlicht (Seite 111). Diese Zahl ist, im Vergleich zu bereits von diversen Staats- und Universitätsbibliotheken im Internet angebotenen Digitalportalbeständen, eher gering. Weshalb der große Aufwand einer eigenen Datenbank bei vergleichsweise gut bestehenden freien und wesentlich umfangreicheren Angeboten gewählt worden ist, wird jedoch deutlich, wenn man bedenkt, daß ihr Alleinstellungsmerkmal darin besteht, daß die Neue Preußische Zeitung (1930-5/1934), [11] besser bekannt als Kreuzzeitung [...] in diesem Rahmen erstmals digitalisiert und mittels OCR-Technologie für Volltextsuche aufbereitet (Seite 124) worden ist. Dies ist insofern ein Fortschritt, als konservative preußische Zeitungen bisher nur rudimentär digitalisiert worden sind, allein die Kreuzzeitung als wichtigste konservative Periodikum erschien zwischen 1848 und 1939, [12] hätte eine große Bedeutung auch für die Adelsforschung, sie harrt indes immer noch einer systematischen Digitalisierung und OCR-Texterkennung. Die Kreuzzeitung ist jedoch nur in wenigen Jahrgängen digitalisiert worden. Immerhin wurden mit dem Projekt nun also auch noch einige Jahre aus dem 1930er Jahrzehnt digitalisiert und im OCR-Volltext erschlossen. Dennoch überzeugen die angesprochenen quantitativen Analysen der beiden Autoren nicht zwangsläufig. Sie sind zwar graphisch vorbildlich und anregend mit vielen Schaubildern der Auszählungen präsentiert worden, aber der erbrachte Transfer von quantitativen Vorkommen hin zur qualitativen Aussage ist bisweilen gewagt. So ist die Begründung, daß eine bestimmte Person eine höhere politische Bedeutung besessen habe, wenn sie entweder auf Seite 2/3 oder auf Seiten mit wesentlich höheren Seitenzahlen in einer Zeitung vorkam (Seite 129), möglicherweise kein valides Argument dafür, dass hier politische und gegebenenfalls außerpolitische Bezüge vorherrschen müßten. Nur die Seitenzahl allein sagt nichts über den individuellen Kontext einer Personen-Nennung aus. So beginnt in der Neuen Preußischen Zeitung (Berlin) in deren Morgenausgabe mit der Nummer 15 vom 10. Jänner 1893 der Feuilletonteil bereits auf Seite 1 mit dem Fortsetzungsroman Das Versprechen von A.v.Liliencron und nicht erst auf höheren Seitenzahlen, was zeigt, daß hier nicht allein politische Nennungen vertreten waren. Andererseits konnten politische Nennungen auch auf Zeitungsseiten vorkommen, die mit höheren Seitenzahlen versehen worden sind. [13] Allerdings ist es unbekannt, an welcher Stelle in der Zeitung der Feuilletonteil in den in Rede stehenden Ausgaben der 1930er Jahre verteilt war; dies bedürfte daher zunächst einer Prüfung am Original oder anhand der öffentlich nicht barrierefrei zugänglichen Digitalisate. [14] Trotzdem darf die Aussage der Seitenplatzierung in Verknüpfung mit der Wichtigkeit einer Personen-Nennung bezweifelt werden. Es ist mithin anzuraten, derlei Vorkommen händisch zu untersuchen, bestenfalls einige tausend Vorkommen eigenäugig durchzusehen, anstatt sich auf bloße Seitenzahlenfestlegungsvermutungen zu stützen. [15] Gesucht haben die beiden Autoren sodann in ihrer Datenbank per Frequenzanalyse (Häufigkeitsuntersuchung) alle Vorkommen zu den Personen Paul v.Hindenburg, Kaiser Wilhelm II., Kronprinz Wilhelm v.Preußen, Kronprinz Rupprecht v.Bayern sowie ergänzend (als Vergleichsgrößen) Alfred Hugenberg und Adolf Hitler (Seite 115-116). Im Vergleich zu den anderen Personen würde der Kronprinz selten genannt, er habe mithin, so der Schluß der Autoren, eine geringere Bedeutung gehabt. Auch diese Argumentation ist nicht überzeugend. Erstens sagt die Häufigkeit einer Nennung nur etwas aus über genau diese Quantität der Nennung, nicht aber über die Bedeutung einer Person, da man dazu den Kontext der Nennung kennen müßte. Zweitens ist das Sample viel zu klein, um solch eine allgemeine Aussage treffen zu können; dazu müßte man auch andere als Berliner Zeitungen benützen, interregionale Vergleiche anstellen. Eine weitere Untersuchungsart führten die beiden Verfassenden mit einer Kookkurenzanalyse durch, um Wortkombinationen und Wortumgebungen zu ermitteln, mithin um zu eruieren, in welchen Zusammenhängen die Personen jeweils genannt worden sind. Diese Analyse kann dazu benützt werden, um nichtzutreffende Vorkommen auszuschließen, so Nennungen von Kaiser Wilhelm II. im Zusammenhang allein mit den Kaiser-Wilhelm-Instituten (Seite 123), aber auch positiv dazu, um andere Verknüpfungen zu erkennen. Aus diesen quantitativen Analysen leitet das durchführende Historiker-Duo folgende qualitative Erkenntnis ab: Ähnliches gilt für den Kronprinzen Wilhelm von Preußen, der insgesamt elfmal mit Hindenburg assoziiert ist und nur sechsmal mit Hitler (115.-häufigste Assoziation). Jeder einzelne der Hitler mit dem Kronprinzen verbindenden Einträge stammt aus dem Vorwärts. Dieser Befund bestätigt die von Lothar Machtan vertretene These, dass [sic!] vor allem die politische Linke der Weimarer Republik dem preußischen Kronprinzen eine hohe Bedeutung für Hitlers Aufstieg beimaß, während die politische Rechte den Kronprinzen für unbedeutend hielt. (Seite 123). Daß diese Aussage, die auf einem eher fragwürdigen Schluß basiert, problematisch ist, geben indes die beiden Geschichtswissenschaftler auch schon im folgenden Satz zu, weil sie vor allem Vorwärts-Ausgaben benützt hatten (Seite 123-124). Insofern müßte die Aussage anders und präziser dahingehend lauten, daß der Kronprinz in dem gewählten (sozialdemokratisch dominierten) Datensample mehr im Kontext mit Hitler als mit Hindenburg ermittelbar sei. Abgesehen davon sind solch geringe Vorkommen (sechs Mal und elf Mal gemäß Seite 123) nicht annähernd verwertbar, da sie quantitativ zu unbedeutend sind. Ferner ist das bloße Zusammenstellen von bestimmten Personennamen nicht aussagekräftig für die bewertete Rahmung des Begriffspaares, für die Beurteilung dieser interpersonalen Verknüpfung. Die Impulse zur Forschung, die in dem in Rede stehenden Aufsatz angerissen worden sind, sind daher innovativ, die Durchführung der quantitativen Analyse ist überzeugend, gelungen und instruktiv, die Ableitungen und Ergebnisse sind es bedauerlicherweise nicht, weil die Schlußfolgerungen nicht einleuchtend erscheinen. Hier wäre es besser gewesen, eine gemischte Auswertung zu vollziehen, möglichst große Bestände von digitalisierten historischen Zeitungs-Vorkommen auszuwählen und diese dann händisch einzuordnen oder sich auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren, um diesen dann nicht allein quantitativ, sondern quantitativ-qualitativ mit mixed methods auszuwerten. [16] Auch diese Befunde wären zugegebenermaßen nur vorläufig und unvollständig, aber wenigstens gut kontextualisiert, da mit menschlicher Intelligenz eingeordnet. Als Anregung, Bestandsaufnahme der Möglichkeiten zur Auswertung digitaler Zeitungsbestände ist der versteckte Aufsatz der beiden Autoren im Kronprinzenband jedoch wertvoll und anregend, auch für die Adelsforschung insgesamt als Inspiration weiterführend verwendbar. [17] Nach Meinung der Verfassenden verweise der Kronprinzenband überdies auf den Themenkomplex des Adels in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik, doch sei dieser sehr weit davon entfernt, abschließend erforscht zu sein (Seite 141). Dem kann nur teils zugestimmt werden, da eine abschließende wissenschaftliche Erforschung der verbrieften Wissenschaftsfreiheit widersprechen würde, höchstens in Diktaturen ein festgelegtes Geschichtsbild abschließend gelten könnte. [18] Im Gegenteil ist es allgemein üblich, daß neue Ansätze der Geschichtswissenschaft immer wieder neue Fragen an alte Quellen stellen; dies machen etliche innovative Ansätze deutlich, beispielsweise nicht zuletzt die Historische Praxeologie. [19] Zweitens ist auch dieser Schluß ungeeignet, weil hier von der Rolle des Kronprinzen in bestimmten Medien der veröffentlichen Meinung auf die des Gesamtadels geschlossen worden ist, zum Adel aber als Gemeinschaft in dem Werk nichts weiter gesagt wird. Es läßt sich mithin als Resumée festhalten, daß der Aufsatz den Anspruch, Bevölkerungsstimmungen in prädemoskopischer Zeit ermitteln zu wollen, nicht einlösen kann. Stattdessen werden (auch dies sind durchaus wertvolle Ergebnisse) politische Meinungen von Deutungshoheit beanspruchenden Medienmachenden ermittelt, die zwar nur Ersatzüberlieferungen für Inhalte von Bevölkerungsmeinungen sein können, aber im Sinne der Problematik der Grade der Rekonstruktionen des vergangenen und damit flüchtigen tatsächlichen Geschehens noch die beste der verbliebenen Möglichkeiten darstellt. [20] Diese Rezension stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill (März 2025) und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Zu den Annotationen: 1 = Dazu siehe tiefergehend den Wikipedia-Eintrag zu den Entschädigungsforderungen der Hohenzollern auf der Webseite https://de.wikipedia.org/wiki/Entsch%C3%A4digungsforderungen_der_Hohenzollern, abgerufen zuletzt am 10. Juli 2025. 2 = Der Band kann unter der internationalen Standardbuchnummer 978-3-428-19399-8 als materiell gebundenes Buch oder unter der Standardbuchnummer 978-3-428-59399-6 als PDF-Version um den Preis von 59,90 Euro im analogen wie virtuellen Buchhandel bestellt werden. 3 = Zitiert nach dem Flugblatt über das Buch seitens des Verlages. 4 = Boeskov, Signe Steen: Herregård og herskab. Distinktioner og iscenesættelser på Nørre Vosborg og Hvedholm 1850-1920, København 2017, 363 Seiten (vom Museum Tusculanum in Auning und dem Dansk Center for Herregårdsforskning herausgebebenes Werk, das anhand zweier Exempel über die Elitekultur, Distinktionspraktiken und adelige Statusmanifestation, Kultur-Merkmal und Habitus der Herrenhäuser, Herrenhaussystematik, Herrenhausumgebung, Erinnerungen und Tagebücher sowie Zeitungen als Quellen Auskunft gibt]; Bill, Claus Heinrich: Das Quellenphänomen des Situationsadels als historische Adelsaufführung im Lichte des Ansatzes von Un/doing Nobility (1/2), in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXVIII, Folge Nr. 138, Sonderburg 2025, Seite 43-52 (entwirft eine Theorie der außerhalb des traditionellen Adelsrechts nur vereinzelt auftretenden Alltagsadelsperformanzen, die im kulturellen Gedächtnis historischer Medien wie Zeitungen, Akten, Zeitschriften, Denkmälern, Epitaphien gespeichert worden sind); Claus Heinrich Bill: Das Quellenphänomen des Situationsadels als historische Adelsaufführung im Lichte des Ansatzes von Un/doing Nobility (2/2), in: Institut Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XXVIII, Folge Nr. 139, Sonderburg 2025, Seite 2-4; Blome, Astrid: Zeitungen, in: Laura Busse / Wilfried Enderle / Rüdiger Hohls / Thomas Meyer / Jens Prellwitz / Annette Schuhmann (Hg.): Clio Guide. Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, Berlin 2. Auflage 2018, Seite B1-B36 (enthält einen aktuellen Überblick über Volltextrecherchen in deutschsprachigen und internationalen Zeitungsarchiven zur Erschließung neuer Massenquellen; bedeutend auch für die Adelsforschung); Damer, Marvin: Die Rolle des Adels in der sozialdemokratischen und linksliberalen Militärkritik im Deutschen Kaiserreich, Norderstedt 2017, 19 Seiten (Hausarbeit Universität Berlin 2017; beinhaltet eine Analyse exemplarischer Artikel aus den Zeitungen Vorwärts, der Vossischen und der Frankfurter, aber auch aus Briefen und andere Quellen unter Nutzung der Forschungsergebnisse von Bernhard Neff); Zeller, Joachim: Pressearchive, in: Marcel Lepper / Ulrich Raulff (Hg.): Handbuch Archiv. Ge- schichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, Seite 162-167 (enthält auf Seite 167 eine Zusammenstellung von Linkadressen von auch für die Adelsforschung wichtigen digitalen Internet-Portalen mit historischen volltexterschlossenen deutschsprachigen Zeitungen). 5 = Dazu siehe weiterführend Krameritsch, Jakob: Die fünf Typen des historischen Erzählens im Zeitalter digitaler Medien, in: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Hg.): Zeithistorische Forschungen, Band VI, Potsdam 2009, Heft Nr. 3, Seite 413-432 (ergänzt vier Rüsenschen Idealtypen der historischen Sinnbildung und Formen der Geschichtsschreibung von 1982 um eine weitere Erzählart; anwendbar auch auf Formen adeligen Selbsterzählens; erörtert die Formen des traditionalen, exemplarischen, kritischen, genetischen und des ergänzenden situativen Erzählens). 6 = Angabe auf der Webseite mit der virtuellen Adresse https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Zeitungsportal gemäß Abruf vom 11. Juli 2025. 7 = Angaben auf den Webseiten mit den virtuellen Adressen https://de.wikipedia.org/wiki/Delpher, https://www2.statsbiblioteket.dk/mediestream/info und https://de.wikipedia.org/wiki/ANNO_%E2%80%93_AustriaN_Newspapers_Online sowie https://de.wikipedia.org/wiki/E-newspaperarchives.ch gemäß Abruf vom 11. Juli 2025. 8 = Dazu siehe Claus Heinrich Bill: Zur Einführung des heuristischen Protokolls als Standard-Recherche-Nachweis für die Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XVIII, Sønderborg på øen Als 2015, Folge Nr. 85, Seite 2-21. 9 = Zugegebenermaßen handelt es sich hier jedoch um einen Sonderfall, da kein öffentliches Digitalportal durchsucht wurde, sondern ein zumindest halbklandestines Privatportal mit individuellen Zusammenstellungen von Digitalisaten, die zudem noch teils selbst angefertigt worden sind. Da aber eine Ergänzung auch dieser privatimen Datenbank nicht ausgeschlossen erscheint, wäre eine Datumsangabe trotzdem sinnvoll gewesen. 10 = Weshalb Zeitungen aus dem Jahr 1917 verwendet wurden, obschon die Weimarer Republik de jure erst ab 1919, de facto seit November 1918 existierte, ist im Aufsatz nicht erläutert worden. 11 = Auch hier fragt man sich, weshalb Zeitungen bis Mai 1934 benützt worden sind, da die Weimarer Republik mit dem 30. Jänner 1933, dem Tag der NS-Machtergreifung, als beendet gelten darf. 12 = Dazu siehe weiterführend Dagmar Bussiek: Mit Gott für König und Vaterland!. Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848-1892, Münster / Hamburg / London: Lit-Verlag 2002, 461 Seiten (Band XV der Schriftenreihe Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung; zugleich Dissertation Universität Kassel 2000). 13 = Ein Beispiel dafür ist eine nicht auf den Seiten 1 oder 2 abgedruckte politische Meldung über den Steuerschulderlaß des Kronprinzen in den Niederlandeder in der Sieg-Post. Volkszeitung für Siegtal, Westerwald und Oberbergisches Land (Wissen an der Sieg), Nr. 81 vom 11. April 1921, Seite 3. 14 = Mit der Digitalisierung der Kreuzzeitung ist jedoch ein Mehrwert geschaffen, der auch von anderen Forschenden benützt werden kann; so wird im Aufsatz auf Seite 111 ausdrücklich betont, dass der Zugang zur Datenbank über die eMail-Adresse benjamin.hasselhorn@uni-wuerzburg.de erfragt werden könne. Anzuregen wäre, daß die für den Aufsatz neu durchgeführte Digitalisierung der Kreuzzeitung dem Deutschen Zeitungsportal einverleibt würde; dann wäre eine Zurverfügungstellung für die Forschung leichter und vor allem institutionell abgesichert zu bewerkstelligen. 15 = Auf Seite 141 im Kronprinzenband wird behauptet, es sei ein aussichtslose[s] Unterfangen, von Hand sämtliche relevanten Dokumente [zu] sichten und auswerten zu wollen. Dem kann so nicht beigepflichtet werden, da die Schwarzweißzeichnung des Entweder-Oder im Grunde in der Forschungsrealität in dieser Ausschließlichkeit nicht zutreffend sein muß. Je nach Erkenntnisinteresse und Quellenlage können beispielsweise quantitative Datenerfassung mit qualitativer Interpretation sinnvoll sein, während bisweilen rein quantitative ebenso wie rein qualitative Erkenntnisse in ihrer Aussagekraft beschränkter bleiben können. 16 = Dazu siehe Dominique Schirmer: Mixed-Methods, in: Thorsten Benkel / Andrea D. Bührmann / Daniela Klimke / Rüdiger Lautmann / Urs Stäheli / Christoph Weischer / Hanns Wienold (Herausgebende): Lexikon zur Soziologie, Wiesbaden: Springer VS, Siebtauflage 2024, Seite 830 beziehentlich ausführlicher Baur, Nina / Kelle, Udo / Kuckartz, Udo (Hg.): Mixed methods, Wiesbaden / Heidelberg: Springer VS 2017, 481 Seiten (Band LVII der Schriftenreihe Sonderhefte der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie). 17 = Lesenswert sind überdies Diskreditierungstechniken wider bestimmte historiographische Auffassungen, wie sie im anschließenden Kapitel des Kronprinzenbandes auf den Seiten 133 bis 139 erörtert werden. 18 = Verwiesen sei indes (über die Pauschalbehauptung der beiden Autoren hinaus) auf die durchaus myrioramatisch vorhandene Forschungslandschaft zum Adel in diesen drei erwähnten Zeitepochen, schrifttumskundlich nachgewiesen bei Claus Heinrich Bill: Neue Adels-Bibliographie 1493-2025, Sonderburg 2025, 1950 Seiten (Version vom 11. Juli 2025). 19 = Dazu siehe Haasis, Lucas / Rieske, Constantin (Hg.): Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2015, 243 Seiten. 20 = Zu den Graden der Rekonstruktion historischer Umstände siehe Thomas Samuel Eberle / Jochen Dreher / Gerd Sebald (Hg.). Zur Methodologie der Sozialwissenschaften (Band IV der Schriftenreihe Alfred Schütz Werkausgabe), Konstanz: UVK 2010, Seite 334. |
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