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Adeliges Konsumtionsverhalten in der ModerneReflektionen zum Wesen sowie zur Modifikation der KonsumgesellschaftDer an der Technischen Universität zu Berlin lehrende Professor für Technikgeschichte Wolfgang König hat jüngst sein Werk »Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne« herausgebracht. [1] Er beschäftigt sich darin mit dem Wesen und Wandel der Konsumgesellschaft, definiert sie und zeigt ihre Modifikationen, Entwicklungen und Grenzen auf. Er bewerkstelligt dies in unterschiedlichen Kapiteln, indem er zuerst auf die Voraussetzungen einer Konsumgesellschaft eingeht. Dazu zählt König die Rationalisierung, die Möglichkeit zur industriellen Massenfertigung von Gütern sowie unter anderem die Verfügbarkeit von Zeit und Geld über die Grundbedürfnisse hinaus. Nach diesen theoretischen Grundlagen wendet sich der Verfasser den sieben einzelnen Konsumfeldern zu, die sich bisher in der Forschung zur Thematik etabliert haben: Ernährung, Bekleidung, Wohnen, Sexualität, Mobilität, Urlaub und Unterhaltung. In jedem Bereich zeigt er auf, wie der Konsum begann und wohin er sich verlagerte. Zeitlich bezogen plädiert König dafür, Konsumverhalten als eine nicht ad hoc einsetzende, sondern langsam sich sukzessierende Entwicklung zu sehen. Obwohl er also oftmals weit in der Geschichte zurückgeht, um seinen gedanklich stringent verfolgten Bogen zu spannen, liegt der Schwerpunkt seiner Darstellung auf den USA seit 1918 und auf Deutschland ab dem Jahre 1945. Er begründet dies damit, daß die stärkste Ausprägung des Konsumverhaltens in den sogenannten »entwickelten Konsumgesellschaften« stattfand und stattfindet und zu diesen Gesellschaften zählen nun einmal die kapitalistischen Systeme westlicher zivilisatorischer Prägung, unter ihnen die Wirtschaftsmächte der USA und Deutschlands. Der Band ist im Hinblick auf die Historie des deutschen Adels jedoch auch trotz dieser Festlegung mit Gewinn zu lesen. [2] Königs Werk ist meist vornehmlich deskriptiven Inhaltes. Er referiert den Forschungsstand »eines der »dynamischsten Forschungsfelder der internationalen Geschichtswissenschaft»« (Seite 9) und stellt Thesen und Hypothesen gegeneinander. Erst zum Schluß wagt König eine eigene Position, indem er aufzeigt, daß Konsumverhalten psychische und physische Grenzen hat. Zeitgewinn (z.B. durch ein Haushaltsgerät) und Zeitvernichtung (z.B. durch den Fernseher) werden durch individuelle Eigenheiten des Verbrauchers (begrenztes Multitasking) begrenzt. Was die Lösung aus dem Weg der Konsumgesellschaft angeht, bleibt König zwar ratlos, aber er warnt doch vor den Folgen einer stetigen Steigerung der Konsumhaltung. Unbestreitbar bleibt, daß das Modell der Konsumgesellschaft in heute entwickelten Industrieländern weit verbreitet ist und wirtschaftliche Glanzzeiten hervorbringt, zu einem wohl nicht geringen Teil an der Wirtschaftskraft eines Gemeinwesens gewichtigen Anteil hat. Ob indes der Konsumismus die wichtigste gesellschaftsprägende Kraft ist, wie die König behauptet, sei dahingestellt. Monokausale Erklärungen für komplexe Existenzzustände von Gesellschaften oder Auffassungen sind immer problematisch und so dürften vermutlich nicht nur Konsumtionsmodelle Einfluß auf das denken der Menschen haben, sondern auch andere Faktoren wie beispielsweise ethische und moralische Überzeugungen, die ebenfalls einen starken Lenkungscharakter besitzen. Unbestritten aber bleibt zweifellos, daß sich der Konsumismus zu einem gewichtigen Faktor in modernen Gesellschaften entwickelt hat. Das hervor gehoben zu haben, ist zweifellos Königs Verdienst. Königs Thesen und Ergebnisse können auch am deutschen Adel festgestellt werden. Er war in gewisser Weise als Vorreiter einer modernen Konsumgesellschaft wegen seiner sozial schon immer privilegierten Stellung prädestiniert. König stellt fest, daß es vor allem Bessergestellte waren, die als Pioniere konsumtiven Verhaltens auftraten und neue Produkte verbreiteten. Nicht zuletzt sicherten sie sich dadurch auch Sozialprestige. Die Produktion von Sozialprestige, beim Adel traditionell wichtig, war dabei stets abhängig von der Exklusivität neuer Produkte, so daß sich mit der Zeit eine Verschiebung der Produktpalette ergab. Oft waren es gesellschaftliche Eliten wie der Adel, der über genügend Zeit und Geld verfügte, um sich konsumtiv zu betätigen. Adelige waren in der Frühen Neuzeit bevorzugte Konsumenten (und Produzenten) anspruchsvoller künstlerischer Produkte oder Dienstleistungen (Bücher, Theater, Gärten, Architektur) und erhöhter Mobilität (Peregrinationen, Pilgerreisen ins Heilige Land). [3] Sie waren es auch vielfach, die im Dorf und auf einem ländlichen Rittergut Ostelbiens um das Jahr 1900 das erste Auto einführten oder Führungsfunktionen in Automobilclubs einnahmen. So erinnerte sich die Tochter des Rittergutserbherrn Leberecht Freiherr v.Eberstein auf Buhla bei Bleicherode (Thüringen) an spezielle Formen adeligen Konsumverhaltens ihres Vaters und dessen um das Jahr 1901 erfolgte erfolgreiche Suche nach exklusiven Konsumfeldern: "Mein Vater hatte von der Firma Daimler in Berlin, die sich inzwischen mit Benz zusammengeschlossen hatte, erfahren, daß dort Autos hergestellt wurden. So kaufte mein Vater den siebten dort gefertigten Daimler-Benz Wagen mit dem Kennzeichen A7. Das war damals ein großes Ereignis." [4] Ähnliches ist aus anderen Sphären des deutschen Adels zu berichten, so daß ein Beobachter im Jahre 1912 konstatierte: "Unter den Gutsbesitzer auf dem platten Lande bürgert sich das moderne Vehikel, das Automobil, immer mehr ein. Viele Herrschaften, von denen man glaubte, daß sie sich nie von der traditionellen Pferde-Equipage trennen würden, sind neuerdings zur Benutzung des Motorwagens übergegangen." [5] Außerdem gab es im Jahre 1912 in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein 896 Kraftfahrzeuge, als am 24.Februar diesen Jahres der Schleswig-Holsteinische Automobil-Club gegründet wurde. Funktionäre und Vorreiter dieser Konsumbewegung war bezeichnenderweise mit Freiherr Weber v.Rosenkranz ein neunobilitierter und daher ehemals großbürgerlich eingestellter progressiver Landadeliger. [6] Protektor des Vereins wurde Prinz Heinrich von Preußen, der als Bruder Kaiser Wilhelm II. im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand. Seine »Automobilbiographie« zeigt anschaulich, wie sich im Adel die Konsumfelder veränderten und modifizierten. Um immer auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, kaufte Prinz Heinrich in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue und leistungsfähigere Wagen, die es ihm ermöglichten, sein Sozialprestige jeweils zu erhalten: 1902 hatte er erstmals von einer Reise in die USA einen 5 PS starken Dampfkraftwagen erworben und von dem amerikanischen Überführer des Wagens auf der Strecke von Hamburg nach Kiel das Fahren erlernt. 1903 erwarb er ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, schon 1904 einen 18 PS starken Damiler-Benz, in den Folgejahren immer leistungsstärkere Kraftdroschken mit bis zu 60 PS. [7] Prinz Heinrichs vorbild blieb indes nicht ohne Wirkung. Daimler-Benz-Kraftdroschken wurden im Adel als Statussymbol derart beliebt, daß die Firma im Jahre 1924 sogar zum alleinigen Vertragslieferanten der Deutschen Adelsgenossenschaft erklärt wurde. [8] Die Teilhabe am neuesten technischen Fortschritt, die Erkrankung dem Virus der faszinierenden Beschleunigung sowie die Wahrung und Erhaltung der Exklusivität schlug sich demnach erheblich im Konsumverhalten nieder. Nicht zuletzt auf dem Automobilmarkt setzte beim deutschen Adel schon früh eine zutiefst geprägte konsumistische Haltung ein. [9] Diese Liste läßt sich auch auf andere adelige Konsumfelder erweitern, beispielsweise an einer Betrachtung der Verschiebung des Produzenteninteresses am deutschen Adel in den Jahren zwischen 1883 bis 1933, die sich über die Werbeanzeigen im Deutschen Adelsblatt der genannten Jahre zumindest näherungsweise eruieren läßt. Als Grundlage für die folgende Erhebung dienten sämtliche gewerblichen Annoncen der jeweils ersten Aprilausgabe des Periodikums der Dekadenstichjahre vom 1.IV.1883 , 2.IV.1893, 5.IV.1903, 7.IV.1913, 15.IV.1923 und 1.IV.1933. Legt man dabei die von König beschriebenen sechs Kategorien
der Konsumfelder zugrunde, so ergibt sich, daß im ersten Bereich
»Ernährung und Gesundheit« vor allem Delikatessen, Fleischbrühen,
Konserven, Spirituosen, Seefische, Abführmittel, Heilmittel, Augengläser,
radioaktive Schwefelbäder, Baumkuchen, Gummischwämme und Hygieneartikel
beworben wurden.
Im vierten Konsumfeld »Mobilität« wurden Chaisen, Equipagen, Karossen, Luxuswagen, Sattlerdienstleistungen, Kutschen und Kraftdroschken angeboten, während der fünfte Abschnitt »Tourismus« Dienstleister für Sommerfrischen, Heilbäder, Kuranwendungen, Hotels, physikalisch-diätetische Naturheilanstalten und Kreuzfahrten umfaßte. Der letzten Kategorie »Freizeit« (»Unterhaltung & Vergnügen« bei König) dahingegen war die Reklame für wappenbestickte Photoalben, Genußmittel, Chokoladen, Tabacke, Sprachkurse, Waffen, Schmuck, Strumpfwaren, Fantasieartikel, Kunstdrucke, heraldische Malereien, Luxusgegenstände- Meerschaumspazierstöcke, Fächer, Damen- und Brettspiele, Photographien, Seidenbänder, Jagdausrüstungen. Musikinstrumente, Tattersäle, Reitinstitute, Pensionsstallungen, Gartengrottenbauten, Lotterien, Pflanzen, Pfeifenköpfe, Photoapparate sowie Jagdmunition zuzuordnen. Allerdings wiesen die Werbeannoncen im Deutschen Adelsblatt der Jahre 1883 bis 1933 noch drei weitere Kategorien auf, die bei König nicht berücksichtigt werden. Das ist insofern erklärlich, als es sich dabei um drei Bereiche handelt, die speziell adelspezifisch ausgerichtet waren. In einem ersten Ergänzungskonsumfeld finden sich »Maschinen und Geräte für Haushalt und Landwirtschaft», speziell für Plätteisen, Eisschränke, Wasserfilter, Tresore, Gasbeleuchtung, Düngerstreuer, Gewächshäuser, Locomobile, Wasserheizungen, Haarraubwildklappfallen, Patentleitern, Nähmaschinen, Kochapparate, Insektenvernichter, Ventilationsapparate, Walzen, Pumpen, Schlämmmaschinen, Kugelmühlen, Brennöfen für Ziegeleien, Aufzüge, Viehfutter-Dämpfapparate, Dampfdreschmaschinen, Gewitterthermometer, Straßenaufreißer, Dampfkippkarren, Dampfrollwagen, Straßenlokomotiven [=Straßenbahnen], Windturbinen, Brutapparate und Prismenbinokel. Ein nicht unwesentlicher Anteil der Anzeigen bezog sich auch auf das zweite Konsumfeld der »Adelspädagogik«. Hier priesen die Inhaber und Betreiber von zivilen und militärischen Erziehungsanstalten, Lyzeen, Mädchenschulen, Berg- und Forstakademien, Vorbereitungsanstalten, Privatschulen sowie Universitäten ihre Bildungsdienstleistungen an. Schließlich ist zuletzt als dritter Ergänzungsbereich noch »Sonstiges« zu nennen. Hier wurden Pflegedienstleistungen, Seifen, landwirtschaftliche Buchführungsformulare, Versicherungen, Bankempfehlungen, Kinderwagen, Krankenfahrstühle, schmiedeeiserne Gitter und Tore, Bücher, Zeitschriften, Visitenkarten, Fußstreupulver, Rostschutzmittel, Torfstreu, Geflügelfutter sowie Auskunfteien beworben. Bei der Betrachtung dieser Angebote lassen sich Charakteristiken feststellen. Erstens bestand meistens zwischen den Werbern und der Zielgruppe ein soziales Gefälle. die meisten der Werber waren nichtadelig, die Zielgruppe ausschließlich adelig. Nur selten und nur in den anerkannten standesgemäßen Berufen fanden sich adelige Gewerbetreibende als Inhaber von Erziehungsanstalten, seltener als Bankhausinhaber. Sämtliche anderen Bereiche wurden ausschließlich von nichtadeligen Produzenten oder Werbern abgedeckt. Dieses Phänomen hielt sich bis indes auch nur bis 1918, weil danach viele arbeitslose Adelige in vormals fremde Berufsbereiche ging. Wie sehr Konsum im Adel indes als Möglichkeit zur Selbstdarstellung benutzt wurde, kann man an den Veränderungen der beworbenen Produkte konstatieren. Kam ein innovatives Produkt auf den Markt, so war es vor allem der Adel, dem man zutraute, sich damit zuerst auseinander zu setzen. War dann das Produkt aber eingeführt, versuchte der Handel dem Adel zur Aufrechterhaltung seines Sozialprestiges die Luxusausführungen eines dann allgemein verbreiteten Artikels zu verkaufen. Dazu zählten beispielsweise adelswappenbestickte Photoalben (1883), Glacé- und rentierlederne Handschuhe (1883), spezielle Offizierskoffer (1883) oder Zigarren der Marke »Herrenmeister« (1913) mit Anspielung auf den Johanniterordensmeister Prinz Eitel Friedrich von Preußen. Ein Gleiches gilt für den Bereich der »Mobilitiät«, der besonders einschneidenden Veränderungen unterworfen war. Zuerst wurden nur traditionell »elegante Luxus[pferde]wagen jeder Gattung von bestem Material« (1893) angeboten, bis dann später Automobile (1903) in die Offerte kamen. Die entsprechende erste Anzeige [10] stammte von dem ausländischen, jedoch in Berlin niedergelassenen Ingenieur Joe Chronik, einem der ersten in Deutschland agierenden Gebrauchtwagenhändler für »Automobile, Motoren und Lokomobile«. Weitere Beschreibungen waren da nicht nötig. Erst als der Selbstfahrer weit verbreitet war, schwenkten die Verkäufer auf luxuriöse Beschreibungen um. So wurden 1927, als der Markt schon weit größer war, von "Qualitätswagen hoher technischer Vollkommenheit und vornehm erlesener Ausstattung" gesprochen. [11] Touristisch erschlossen zuerst die Hotels und Pensionen in benachbarten Städten des Deutschen Reiches den "adeligen Markt der Reisenden", bis dann kurz vor dem ersten Weltkrieg erstmals auch weltweite pauschale Kreuzfahrten (1913) angeboten wurden. Auch die Lebensreformbewegung setzte große Hoffnungen in den Adel und offerierte ihm ökologische Kinderwagen "ohne jeden gefährlichen Farbe-Anstrich" (1883), Gemüthskrankenprivatanstalten (1883), einen vegetarischen Lebensmittelversand (1893), Reformbetten (1893) oder den Versand von Grahamreformbrot (1893). Soweit hier besprochen, handelte es sich aber ausschließlich um »positiven Konsum«, also den Einkauf von Waren oder Dienstleistungen mithilfe pekuniärer Mittel. Das Geld floß dabei stets vom Adel zum Produzenten, Händler oder Anbieter. Daneben aber existierte immer auch schon ein »negativer Konsum«, der sich durch den Verkauf von Waren des Adels an ankaufende Händler auszeichnet. In diesen Bereichen fallen neben den Ankaufsannoncen für alte Stiche, Akten, Bücher und Archive (1913), vor allem solche Anzeigen auf, die in Krisenzeiten an die mobilen Dauerressourcen des Adels gelangen wollten. Daher ist es nicht verwunderlich, daß gerade in der Zeit zwischen 1918 und 1932 im Deutschen Adelsblatt Ankaufsbitten für Holz (1923), Perserteppiche (1923), Briefmarken (1923), Schmuck, Brillanten und Juwelen (1923) zu finden waren. Als Resumée zu dieser Betrachtung der Anzeigen im Adelsblatt läßt sich feststellen, daß der Bezug dieser Produkte die soziale Absetzung von der Masse ermöglichte und sich daher entsprechend dem technischen Fortschritt laufend anpaßte und immer mehr verfeinerte (»Statuskonsum«). [12] Im Adelsblatt wurden jeweils die neuesten Errungenschaften von Handel, Dienstleistung und Industrie in der nicht ganz unberechtigten Hoffnung, im Adel einen Abnehmer zu finden, angeboten. Königs Behauptung, daß sich Konsumfelder verschoben hätten, läßt sich damit auch in der deutschen adeligen Konsumgesellschaft nachweisen. Die Exklusivität von Produkten nahm im Bewußtsein der Konsumenten ab, wenn sie breiten Massen zugänglich wurden. In diesen Fällen lösten sich die Produkte ab und der Adel wandte sich anderen Konsumfeldern zu, um sein gefährdetes Selbstbewußtsein, welches durch die Produkte geprägt war, zu retten. Im Prinzip vertrat der adelige Kanon zwar eine gewisse Form von Bescheidenheit und Frugalität, dies aber auf erhöhtem Niveau. Es waren eben nicht nur Haltungen und moralische Codices, die den Adel absetzten, sondern auch Unterschiede im Konsumverhalten der Nobilität zu anderen Schichten der Bevölkerung. Und diese Unterschiede schlugen sich auch im Deutschen Adelsblatt als Seismographen der Konsumentwicklung nieder. Dort konnten sich auf die Dauer nur solche Produkte bewerben lassen, die erfolgreich an den Adel verkauft worden sind. Es kann daher aus diesem Umstand geschlossen werden, daß Daueranzeigen von gewissen Hoffnungen der anpreisenden Produzenten getragen wurden und auch auf entsprechende Resonanz im Adel gestoßen sind, auch wenn das Konsumverhalten von deutschen Adeligen weder einzeln noch korporativ bisher untersuchbar gewesen ist und wohl auch nie mangels der geeigneten Quellen sein wird. Anders liegt die Quellenlage für den Konsumismus des deutschen Adels der Frühen Neuzeit. Hier lassen sich immerhin im Konsumbereich der adeligen Kavalierstour zwischen dem XV. und XVIX. Centenarium detaillierte Ausgabebücher, Rechnungsberichte oder Reise-Itinerare ausfindig machen, die über die Ökonomie der Kosten und die Art aller getätigten Ausgaben einen genaueren Aufschluß erteilen. Sie zeigen exakt, welche Konsumfelder auf der Kavalierstour vom Adel mit besonders starken Gewichtungen versehen wurden, da sie direkte Vergleiche des tatsächlich erfolgten Konsums über einen längeren Zeitraum beinhalten. [13] Eine Betrachtung der »peregrinatio academica« als Möglichkeit, näheres über die Konsumhaltung des Adels in der Frühen Neuzeit zu erfahren, ist insofern gut geeignet, als die Bildungstour junger Herren von Adel an sich schon ein spezifisches Luxusgut und ein Privileg der Nobilität gewesen ist. An diesen Reisen wird augenfällig: Sie wurden bewußt zur Findung einer Identität eingesetzt, waren damit also (nach Königs Definition) ein reines Konsumgut mit »Zusatznutzen«, während es der »Grundnutzen« nicht einmal erforderte, überhaupt zu verreisen. Für welche Konsumfelder wurde auf diesen Reisen junger Männer von Stand aber nun bevorzugt Geld ausgegeben? Einige Reiseabrechnungen zeigen, obwohl sie aus unterschiedlichen Zeiten und aus verschiedenen Familien stammen, erstaunliche Kongruenzen auf. Rund ein Drittel der von den Eltern zur Verfügung gestellten Geldmittel wurden regelmäßig für Kost und Logis (Tischgeld) benutzt, der nächstgrößere Posten (10-25 %) ist für standesgemäße Kleidung aufgewendet worden. Ein größerer Posten war auf Reisen auch noch die Lohnkosten für die Dienstleistungen der gebildeten nichtadeligen Hofmeister und Diener. Als marginal erwiesen sich dahingegen in aller Regel die Konsumfelder zur Unterhaltung (Vergnügungen, Geschenke) oder der Bildung (Bücher). [14] Auffallend ist, daß hier vor allem eine standesgemäße Herberge und eine ebensolche Kleidung als die wichtigsten Faktoren sozialer Prestigebildung angesehen wurden. [15] Dabei handelte es sich um besonders auch für Fremde sofort »sichtbare Zeichen« des Standes. Bücher aber beispielsweise waren nicht sofort sichtbar und konnten demnach nicht offensichtlich genug einen sozialen Abstand markieren. Nach diesem längeren Ekxurs zum Konsumtionsverhalten des deutschen Adels in verschiedenen Epochen sollen nun noch drei Aspekte näher ausgeführt werden, die in engem Zusammenhang mit dem Konsumtionsverhalten stehen, aber bei König fehlen. Erstens ist dies die Frage, welche Rolle ein typisches Konsumtionsverhalten bei der Stillung dissäkularer Bedürfnisse durch amaterielle Güter spielt, was am Beispiel der Christuslehre exemplifiziert werden soll (§1). Zweitens ist die bedeutende Rolle der Konsumverstärker auf das Wesen und Denken der Individuen (§2) zu untersuchen. Und drittens stellt sich die Frage nach der Stellung der Konsumgesellschaft zum Umgang mit Renegaten oder Konsumverweigerern (§3). § 1. Konsumtionstheorie des Christizismusses König sieht Konsumverhalten allein in den von der Forschung bisher etablierten Konsumfeldern mit der Bezeichnung Ernährung, Bekleidung, Wohnen, Sexualität, Mobilität, Urlaub und Unterhaltung. Damit stellt er höchst unterschiedliche Konsumfelder vor, die sich teils auf Güter, teils aber auch auf Dienstleistungen, teils auf beide Bereiche beziehen. Konsumtionsverhalten wird also von den Produzenten nicht nur zur Absetzung von gegenständlichen Produkten benutzt, sondern auch zur Intensivierung des Geschäftes mit Dienstleistungen und ideellen Gütern. Dies ist beispielsweise der Fall in den Konsumfeldern der Dienstleistungen: Sexualität, Versicherungen, Auftragsarbeiten wie Genealogie, Bibliotheks- und Archivordnung, Graphologie und Astrologie. In allen diesen Fällen sind zwar auch materielle Faktoren an der Konsumtionshandlung beteiligt, aber sie stehen doch nicht im Vordergrund. Sie sind lediglich Ausfluß von sich wandelnden Kulturbedürfnissen: Papier als Material fixiert die Ergebnisse geistiger Bedürfnisdeckung bei vielen der oben erwähnten Beispiele, während der Körperlichkeit im Bereich der Sexualität Träger des Konsumverhaltens ist. Insoweit ist König bereits in Sphären vorgedrungen, deren Konsumtionsverhalten hauptsächlich dadurch geprägt ist, daß (geweckte oder tatsächlich vorhandene) geistige und seelische Wünsche in erster Linie durch geistige und seelische Befriedigungen vermeintlich oder wirklich erfüllt werden. Zu diesen Bereichen gehört in erster Linie die Religion, die bei König jedoch außen vor bleibt. Es ist indes nicht uninteressant, sich einmal den Siegeszug des Christizismus unter diesem Aspekt zu betrachten. Denn die Christuslehre ist ein Beispiel par excellence dafür, wie früh bereits die Methoden der Bedürfnisweckung und -deckung, die Schaffung eines zum Konsum bereiten Konsumenten ein zutiefst konsumtionales System schuf, dem bereits alle Merkmale einer modernen Konsumgesellschaft inhärent waren. Dazu ist es notwendig, sich zuerst einmal mit der Königschen Definition des Begriffes der Konsumgesellschaft zu befassen:
In der Tat können alle diese Faktoren auch auf die Christuslehre angewendet werden, zumal die des deutschen Adels. Besieht man sich also einmal die Christuslehre unter dem Aspekt eines Konsumats moderner Gesellschaften, so finden sich deren Wurzeln bereits im ersten bis zweiten Jahrhundert nach Christi, als das »Neue Testament« die Lehre des »Sühnopfers« Jesu Christi als Konsumat einführte. Evident wird dadurch eine vermeintlich nur moderne, in Wirklichkeit aber sehr klassische Werbestrategie, in der die Bedarfsweckung der Bedarfsdeckung vorausgeht. War Gott im »Alten Testament« noch für den Menschen selbst unerreichbar, so begab er sich in Gestalt seines Sohnes Jesus zu jedem einzelnen Gläubigen, um ihn von seinen »Sünden« mit seinem Blut und Kreuzestod »loszukaufen«. Die christusgelehrten Religionsstifter und -verbreiter (»Apostel«) predigten also die Lehre, daß der Mensch grundsätzlich »sündig« sei (Bedarfsweckung), aber es ein Mittel gebe, mit dem diese »Sündigkeit« kompensiert werden könne (Bedarfsdeckung). Exemplarisch zeigte sich dies unter anderem im Jahre 1830, als der »Prophet« Joseph Smith sein homiletisches »Buch Ether« diktierte: "Ich gebe den Menschen Schwäche, damit die demütig seien; und meine Gnade ist ausreichend für alle Menschen, die sich vor mir demütigen und Glauben an mich haben." [16] Grundsätzlich werde aber, so die Schriftverursacher, die »Schwäche« und »Sündigkeit« explizit nicht aufgehoben, sondern bleibe bis zum Tode auf Erden bei jedem einzelnen Menschen bestehen! Jeder Mensch bedürfe daher immer wieder der Zuwendung von Jesu Christi, um bei Gott bleiben zu können (Einmalprodukt); der Glaube erforderte ständige Erneuerung und war nicht mit einem einmaligen Konsum, wie beispielsweise der Taufe, abgegolten. Durch diese Methode der »Residualbedürftigkeit« der Gläubigen oder potentiellen Gläubigen ergab sich ein für die Vertreter der Christuslehre sehr praktisches »Perpetuum-Mobile der konstanten Bedürfnisweckung«, ein ständiger nie endender Kreislauf von Mangelerzeugung und Mangelbeseitigung: Ohne Produktion der seelischen Drangsal gab es keine Nachfrage nach »Erlösung« und »Erlösungssuchende« waren davon abhängig, sich allein durch ihre Existenz als Mensch mangelhaft zu fühlen. Damit standen Produktion und Konsumtion auch in der Christuslehre in einem engen dualen Wechselverhalten zueinander und waren nicht singulär denkbar. Als vornehmstes und lohnendstes Übungsfeld wählte die Christuslehre dabei sehr geschickt vor allem das menschliche Grundbedürfnis nach Sexualität aus, dessen individualisierte Ausübung wie Essen, Trinken und Schlafen als Grundbausteine seelischer Gesundheit und ebensolchen Gleichgewichts gelten, [17] zumindest aber, will man das nicht konstatieren, einen menschlich unabwendbaren Trieb darstellt, der kanalisiert und instrumentalisiert werden kann. Doch die Art und Weise, wie es zur Auslebung der Sexualität kam, sollte in allein von der Christuslehre vorgeschriebenen Formen, die häufig genug dem allgemeinen Gebrauch widersprachen, gelenkt werden. Daß diese Auslebung den christusgelehrten Normen sehr häufig und zwar meistens in der Regel widersprach, war sehr wichtig für die Legitimation der »Erlösung«; sie benötigte »den Antagonisten Sexualität«, um sich selbst als Protagonisten zu positionieren und sie funktionierte außerdem nach dem Muster aller Gruppenex- und inklusionen. [18] Zugleich war die Christuslehre ein Konsumat, daß erst nach
der Deckung allgemeiner Bedürfnisse mit »Grundnutzen«
einsetzte. Der Glaube an eine übernatürliche Instanz, an ein
metaphysisches System, haben mit der Deckung des Bedarfs an Lebensmitteln
nichts zu tun, wenngleich eingeräumt werden muß, daß besonders
in frühen vormodernen Kulturen die Verbindung zwischen religiösen
Auffassungen und der Deckung täglichen Überlebensbedarfs stark
aufscheint.
Aus diesem Grund ist auch der Siegeszug der Marketingstrategie der Christuslehre in Europa unterschiedlichen Epochen und Zeitaltern unterworfen. Mit der Verbreitung der Christuslehre vom Vorderen Orient aus nach Europa (und über Europa dann nach Amerika) wurde mit dem »Alten Testament« begonnen. Seine größte Verbreitung erfuhr der Christizismus dahingegen im frühen und hohen Mittelalter, als die christliche Religion einen sehr hohen Stellenwert auch im Tagesablauf und im Denkhorizont der Menschen einnahm. Mit Hilfe der Christuslehre begann die Macht der katholischen Kirche über weltliche und profane Vorgänge und Gesellschaften. Die Einsetzung und Wirkung des Papstes als Nachfolger des Apostels Petrus, dessen nahezu zwei Jahrtausende umfassende Herrschaft über das Papalsystem sowie die (im Jahre 1987 festgestellte) Anzahl von 860 Millionen Konsumenten (»Gläubigen«) in der Welt markieren die Erfolgsgeschichte eines der sicherlich bedeutendsten Produzenten geistlicher Marktangebote mit einer großen Macht. Auch wenn die Moderne, eingeläutet durch die Religionskritik der Aufklärung, eine weitaus sälukarisiertere Ära als das Mittelalter darstellt, so hat die Bedeutung der Christuslehre doch immer noch einen hohen Stellenwert. Qualitativ sind große Teile der Gesellschaft zwar heute in Deutschland nicht mehr durchdrungen von der innigen Präsenz der Christuslehre, aber dennoch hat die Quantität ihrer Konsumenten zugenommen. Weiters sorgten die Christuslehre und ihre Produzenten dafür, daß sich Konsumenten sozial positionierten. Verbraucher durften sich, wenn sie die Lehre konsumierten, nicht nur zum »auserwählten Volk Gottes« zählen, die nicht »der Hölle« verfallen würden, sondern auch über soziale Netzwerke freuen, die ihnen privat oder beruflich ein »besseres Fortkommen« erlaubten oder sogar zur Gewährung und Inanspruchnahme gewisser Privilegien Voraussetzung waren (Pfründenbezug, Stiftungs-, Stifts- und Kapitularstellen). Die Konsumtion der Christuslehre wirkte also zugleich selbstverwirklichend, in erhöhtem Maße aber vor allem gruppenbindend und gruppenbildend. Daneben weist der Christizismus auch noch die übrigen Merkmale wirtschaftlicher Konsumankurbelung auf: Werbung wird in Form der Missionarstätigkeiten an potentiellen Konsumenten (»Ungläubigen«) betrieben. Durch die verschiedenartigsten Ausprägungen der Christuslehre (Baptisten, Orthodoxe, Adventisten, Mormonen, Protestanten, Johanniskirchler, Katholiken et cetera) ergeben sich fernerhin unterschiedlichste »Verpackungen«, »Gebrauchshilfen«, schließlich sogar Modeerscheinungen (durch aus Auftauchen und Verscheiden sektoraler Gruppierungen). Allein die Verwendung von »Substituten« fällt aus dem Rahmen der Vergleichbarkeit. Denn da für die Annahme der Christuslehre keine geldadäquate Investition des Verbrauchers nötig ist, sondern lediglich eine seelisch-geistige Ausrichtung, haben Substitute an sich keine Berechtigung und fördern auch nicht den Absatz des »Markenproduktes Christuslehre«. Allerdings hat die Substitution innerhalb der Konkurrenz der vielen Christuslehren eine große Bedeutung, da jede einzelne Christuslehre durch ihre Existenz bereits bewiesen hat, daß sie sich von den anderen Christuslehren absetzt und nur sich selbst als »einzig wahr« betrachtet. Hier bezeichnen sich die Christuslehren dann gern gegenseitig als »Substitute« für die »richtige« Lehre. Noch ein weiterer Punkt der Konsumtionstheorie der christlichen Religion ist indes bemerkenswert. Die Christuslehre, obwohl selbst den Gesetzen der Konsumgesellschaft folgend, stellt sich zugleich als ein Gegner des materiellen Konsumgedankens dar und verurteilt die Anhäufung von Konsumgütern, wenn sie nicht mit der Nächstenliebe einhergeht. Die Christuslehre stellt sich nicht gegen materiellen Reichtum oder die Teilnahme an der Konsumgesellschaft, aber sie will ihre Konsumenten disziplinieren und geistig ausrichten sowie leiten. Deswegen verurteilt sich auch den Materialismus der Moderne, der allein im Konsum eine Surrogat für geistigen Konsum sieht. Dieser sei, so die Christuslehre, höherwertiger und moralisch nicht nur akzeptierbar, sondern sogar notwendig. Die Christuslehre hat also zwei diametrale Positionen zur Konsumtionstheorie. Sie benutzt ihre Strategien und Fundamente zur eigenen Erfolgssicherung und zum Erfolgsausbau, zum Absatz ihrer (geistigen) Produkte und wendet sich zugleich scharf gegen jede Art von entgeistiger Konsumtion. Darin drückt sich unter anderem die Ambivalenz des Religiösen aus. Insofern kann man die religiöse christizistische Ideologie als eine Sonderform von »Geschäft« ansehen: Die Christuslehre erweist sich somit sich als sakrifizierter Prototyp der modernen Konsumgesellschaft; die christizistische Bibel war seit dem XXVII. Jahrhundert das erfolgreichste deutsche Massenmedium. § 2. Folgen der Konsumtionshaltung auf das Individuum Werbung und Reklame sind dauernde Propaganda für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen, neuerdings auch zur Darstellung einer "Corporate Identity" von Firmen durch Sponsoring von Kultur- oder Sportveranstaltungen. König stellt heraus, daß diese Produktpropaganda Folgen hat, wir möchten ergänzen: Folgen erster bis dritter Stufe. Diese drei Folgen sind unmittelbar an die zielgerichtete Werbung für ein bestimmtes Produkt gebunden. Ursache und Wirkung liegen eng beieinander uns sind evident auffällig: Die Reklame für ein bestimmtes Produkt zieht den Kauf des Produktes nach sich. Schwieriger wird die Kausalität des Zusammenhangs schon bei der Sponsoringwerbung. Hier wird allein das Bild eines Unternehmens beworben, das nicht unmittelbar mit dem Absatz eines bestimmten Produktes gekoppelt ist, sondern eine dauerhafte manipulierte Sichtweise beim Konsumenten sichern helfen soll. Dieses Verfahren weist bereits auf die Folgen zweiter Stufe hin. Vor allem Konzerne bedienen sich dieser Art von Lobbyarbeit dur h die Darstellung und Positionierung von ganzen Produktideen oder -linien. Die Folge dritter Stufe ist indes die subtilste und vielleicht wirkmächtigste auswirkung von Werbung: Die dauerhafte Beeinflussung des Konsumenten auf geistiger Ebene, speziell seine Erziehung zur Unmündigkeit. Erreicht wird dies durch a) durch die Verbreitung vorgefaßter Meinungen, gedacht als Entlastungsangebot eigenen Denkens und Reflektierens sowie b) durch eine dauerhafte Be-Werbung des Konsumenten mit dem Ziel der unmerklichen und schleichenden Bevormundung. Das Ziel jeder Propaganda ist es, Verführbare nicht nur zu einer bestimmten Handlung zu verführen, sondern sie dauerhaft willfährig zu machen, was man mit dem einfachen Mittel der Wiederholung bewerkstelligen kann. Durch Wiederholung von Werbung kann eine singulare Wahrheit bekannt gemacht und im Bewußtsein wie Unterbewußtsein verankert werden und ganze Gesellschaften verändern. Wie sehr durch Propaganda Gesellschaften verändert werden können, sieht man vor allem an diktatorischen Regimen und ihren Möglichkeiten, Menschen für ihre Ziele einzusetzen. Der Judenhaß der Nationalsozialisten oder der Kapitalistenhaß der SED der DDR schufen durch potenzierte Werbung (nichts anders ist Propaganda) gruppenspezifische Auffassungen, die sich nicht nur mit der Bewerbung zufrieden gaben, sondern mit einer Änderung oder zumindest Lenkung des Denkens von Konsumenten. Eine allgegenwärtige Werbung hatte dementsprechend auch Folgen: Die Veränderung des Bewußtseins der potentiellen Abnehmer und die Herausbildung einer regelrechten Konsumhaltung infolge von Bequemlichkeit sind deren Ziele und Absichten. Der Konsument soll nicht mehr selbst denken, sondern vorgefertigte Herausforderungen gestellt bekommen, anstatt sich selbst Herausforderungen zu suchen. Wie erfolgreich diese Strategien sind, läßt sich unter anderem an der Entwicklung verschiedener Konsumfelder feststellen. Im »Konsumfeld Musik« hat die Produktion und die Mannigfaltigkeit der Träger von Musikkonserven zugenommen, die Fähigkeit in der Familie Hausmusik selbst zu gestalten, nahm aber ab. Auch im Bereich der Mobilität hat der moderne Konsument es vorgezogen, sich aus Bequemlichkeit viel fremdgetrieben (Automobil, Flugzeug) und wenig selbstgetrieben (zu Fuß, per Fahrrad) fortzubewegen. Für den Markt der nicht gänzlich zu beherrschenden Aktiven und Kreativen wurden Halbfertigprodukte geschaffen, die noch ein gewisses Maß an eigener Tat möglich machen (Convenienceprodukte bei Lebensmitteln, Baumärkte, Modellbau). Es ist eine Gefahr der Konsumgesellschaft, daß sie die Bequemlichkeit fördern und das eigene Reflektieren unnötig machen will, daß Sie vielfach, wie König es formuliert (Seite 271), erfolgreich Handlungskompetenz durch Steuerungskompetenz ersetzt. § 3. Der Umgang mit Renegaten und Konsumverweigerern Wie König in seinem Werk auf nahezu allen Konsumfeldern zeigt, ist Konsum nicht nur ein einseitiger dem Verbraucher vom Produzenten oktroyierter Vorgang. Auch der Konsument selbst benutzt die Vielfalt der Produkte, um sich seiner Selbst zu vergewissern und strebt durch die Wahl aus den Möglichkeiten seine Selbstverwirklichung und identitätsstiftende oder -erhaltende Stellung an: Bestimmte Produkte werden von sozial und intellektuell Höherstehenden einer Gesellschaft und von denen die über die Ressourcen »Zeit« und »Geld« verfügen, bevorzugt (Sportwagen, Exklusivreisen et cetera). Aber der Fokus auf die teuersten Angebote verschoben sich im Laufe der Geschichte. War es früher um das Jahr 1900 noch ein Luxus sich einen Selbstfahrer oder eine Kraftdroschke zuzulegen, müssen sich wohlhabende Konsumenten heute nicht nur irgendein Auto, sondern einen Markenwagen, eine Limousine, erwerben, wenn sie sich noch von der Masse der üblichen Autobesitzer absetzen möchten. Gezielter Konsum schafft also Sozialprestige. Genauso aber schafft auch der Verzicht auf den oder die Eindämmung des Teufelskreislaufes des Konsumismus und der »Wegwerfmentalität« eine Form von unverwechselbarer Identität. Allerdings sind antikonsumistische Personen wenig angesehen in der Konsumgesellschaft. sie werden in aller Regel als »rückschrittlich«, »erzkonservativ« oder »verschlossen« bezeichnet, weil sie sich nicht den Neuerungen öffnen würden. Die so als »rückständig« Bezeichneten sind sich aber selbst ihrer Macht als Verbraucher bewußt und verzichten auf die Dauerbeschallung infolge von Werbesendungen und -spots in Fernsehen und Radio. Sie sind sich der Macht der Verführung bewußt und haben sich die in der Aufklärung besonders betonte Fähigkeit erhalten, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Sie übernehmen nicht die vorgefertigten Meinungen, die »Halbfertigwahrheiten« der Produzenten und sie schlüpfen außerdem aus der Rolle der reinen Konsumenten heraus und werden teils selbst Produzent. § 4. Das Modell der Konsumsektoren nach Shils Betrachtet man sich die Entstehung, Verbreitung und Charakteristik der Massenkultur der Moderne, und nichts anders beschreibt ja die Konsumgesellschaft, so fällt die Differenzierung der Massenkultur auf. König hat darauf hingewiesen, daß es oft zeitverschoben Einführungen von Kulturgütern gab: Wurde ein Produkt zuerst in den finanzkräftigen Schichten eingeführt, eroberte es sich früher oder später breitere Schichten der Gesellschaft, bis aus dem Luxusgut ein Allgemeingut geworden war. Dies läßt sich an vielen Gütern der Konsumgesellschaft ablesen, beispielweise dem Genußmittel Tee oder dem Fortbewegungsmittel der Kraftdroschke. Diese Sichtweise erklärt zwar sehr gut, wie Massenkultur in der Regel entsteht, nämlich infolge der Nachahmung des Konsums höher Gesellschaftsschichten, aber es gibt doch nicht den Charakter des Konsums wider. Hierbei kann allerdings ein schon altes, aber wiederentdecktes und weiterentwickeltes soziologisches und kulturwissenschaftliches Modell der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts weiterhelfen. Dieses Modell, ursprünglich von Edward Shils entworfen, wurde hier allerdings modifiziert und erweitert. Der Zweck ist eine genauere Analyse verschiedener Kulturdifferenzen im Vergleich dreier Kultursphären. [19] Diese zwar bereits älteren, dennoch aber gerade für die historischen Adelskulturwissenschaften hochaktuell gewordene Modell ist bisher nur wenig beachtet worden. [20] Die Kulturarten der Moderne nach Shils (1972) & Bill (2009):
Die gewählte Einteilung nun hat Einiges für sich und Einiges gegen sich stehen. So muß bedacht werden, daß die Grenzen der drei Kategorien oft fließend sind und sich nicht leicht und strikt einordnen lassen. Insofern sind die obigen Begriffe als hauptsächlichste und am besten kennzeichnende Charakteristiken zu verstehen und nicht als absolute Definitionen. So wurden ja auch, um nur ein Beispiel zu bringen, Opern nicht nur nur in der Primar- sondern auch in der Tertialkultur in gewissen Epochen rezipiert, beispielsweise die Mozartschen Volksopern. Dennoch sind Opern als typisches Erbauungsmittel eher ein Charakteristikum der Primarkultur. Wenn nun aber die Grenzen fließend sind, wird man fragen, wozu die Einteilung überhaupt dienen kann. Nun, sie kann wichtige Antworten geben auf den Kulturkonsum der jeweiligen Bevölkerungsschicht und sie zeigt auch, daß primarkulturelle Konsumgüter durchaus nicht immer von den niedrigeren Kulturstufen übernommen werden. Jeder Kultursektor hat vielmehr auch ganz eigene je spezifische Kulturformen entwickelt. Streitbar könnte auch die Vermischung sozialer Statusverhältnisse in der Sekundarkultur sein (Handwerker, Politiker). Shils hat die Politiker indes mit gutem Grund in die Sekundarstufe einsortiert, weil sie im aufreibenden Leben des Alltags eben hauptsächlich profanbezogen Leben und wenig Gelegenheit zu akademischen Tätigkeiten hatten. In diesem Sinne sollte man sich auch vor Augen halten, daß das vorliegende Modell seine Grenzen da findet, wo Einteilungen über den reinen Kulturkonsum hinausgehen. Zur Erfassung dreier abgestufter Kulturkonsumformen aber ist das Modell sehr gut geeignet. Das gilt hier wiederum auch für die deutsche Nobilität. Sie findet sich überwiegend in der Sekundarkultur wieder, da Künstler und Gelehrte im Adel eine Minderheit darstellten, dahingegen Politiker, Beamte, Offiziere stark vertreten waren. Annotationen
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