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Hintergründe zu Similimenschen und Temporar-AdeligenEine Kollmannsche Anthologie von „Hochstapler*innen"Im Jahre 1888 erschien in verschiedenen ungarischen Provinzstädten, ebenso auch in der Hauptstadt Budapest, ein „Graf von Wenckheim“, der, wohl auf Reisen, bald hier und dort mit den „ersten Kreisen“ und Ortseliten bekannt wurde. Daß ein Angehöriger dieser Familie in Ungarn lebte und den Grafenstand innehatte, war nicht ungewöhnlich, vielmehr nachgewiesen. Adelslexika vermerkten zur Familie: „Wenckh v. Wenckheim, eine ursprünglich fränkische Familie. Wolf Ernst v. Wenckheim findet sich 1602 mit dieser Unterschrift in einem Stammbuche [...] Der innerösterr. Regierungskanzler Joh. Josef Augustin W. wurde im J. 1748 mit `Edler Herr v. Wenckheim´ in den Ritterstand erhoben. Sein Vater war Joh. Baptist W., Landschaftsmedikus zu Gratz. Die Brüder Joh. Baptist, Josef und Franz Xaver Edle v. Wenckheim [...] wurden 1776 Freiherren. Josef Frhr. v. Wenckheim, kais. Feldmarschalllieutenant, erhielt 1802 die Grafenwürde. Die Familie ist in Steyermark und in Ungarn angesessen“. [1] Nicht nur derlei schriftliche und ruhmfördernde Memoria-Einträge und die allgemeine Bekanntheit der Familie in Ungarn trug dazu bei, daß der „Graf von Wenckheim“ mit offenen Armen empfangen worden war, denn er hatte es auch durch sein Benehmen und seine Kleidung verstanden, „sich ein Ansehen zu geben“. Indes erwies sich seine Identität in Kürze als gefälscht, denn er “wurde in Erlau entlarvt. Bei einem Spazierritt, den er mit mehreren Kavalieren unternahm, stellte es sich nämlich heraus, daß er" nicht einmal ein Pferd reitend beherrschen konnte: "Dies bildete den ersten Verdachtsgrund gegen ihn, der dann nach und nach zur vollständigen Entdeckung seiner Schwindeleien führte.“ Vor Gericht in Erlau stand schließlich nur noch ein „Pseudo-Graf“, der sich richtig als Handlungskommis Josef Goldberger herausstellte. Er wurde wegen mehrfachen Betrugs und Falschnamenführung zu einer dreijährigen Kerkerstrafe verurteilt, weil er verschiedenen Mitmenschen Geld und Waren abgelockt hatte. [2] Mit seiner „geborgten Identität“ und seiner Adelsusurpation [3] war es ihm gelungen, parasitär vom Vertrauensvorschuß, den „man“ den Wenckheims entgegenbrachte, zu profitieren. Ebenso wie er jedoch mit einem aristokratischen Namen und ebensolchem Auftreten Eindruck gemacht hatte, war er an weiteren adeligen Standesspezifika gescheitert. Denn die Verbindung „Adel und Pferd“ gehörte ebenso selbstverständlich zum Kanon von Fähigkeiten und Kenntnissen eines Aristokraten von Welt wie sein „aristokratisches Air“, seine ausgewählte Sprachweise und seine Manieren, [4] war doch das Rittertum als innigste Leitbildvorstellung von Adel, nicht zuletzt typisiert und ästhetisiert im Bamberger Reiter, grundsätzlich von hoher Bedeutung. [5] Annahmen sozialer Umgebungen beförderten damit Goldbergers Reüssieren, sie brachten ihn aber in anderer Hinsicht auch zu Fall. Wie man an diesem exemplarischen Fall sehen kann, bestätigt sich, was jüngst Dr. Anett Kollmann mit Recht betont hat. „Hochstapler“, wie man Goldberger auch in pejorativer Färbung nennen könnte, eignen sich hervorragend dazu, sich selbst zu erzählen – oder erzählt zu werden; sie sind ein dankbares Motiv in der Literatur, darüber hinaus aber auch der kriminologischen, präventiven [6] und psychiatrischen Forschung. [7] Denn ihre Geschichte ist fast immer ein Narrativ mit Anfang und Ende, Geheimnis und Enthüllung (nur „Hochstapler*innen“, die nicht „enttarnt“ wurden, werden als solche erst gar nicht bekannt), bietet mithin wohlgefällige Formen von Aufstieg und Fall, von Gesellschaftskritik und vermutetem persönlichem Defizit, beschreibt also „das Ungewöhnliche“, an dem sich „gewöhnliche“ Leser*innen ergötzten. Und so hat Kollmann, eine in Berlin lebende freie Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, sich dann auch selbst dieses dankbaren Genres angenommen und der Riege und Reihe der „Hochstapler“-Monographien im April 2018 ein weiteres Werk hinzugesellt. Ihr Buch „Mit fremden Federn – Eine kleine Geschichte der Hochstapelei“ [8] beschreibt – anders als Veelen mit ihrer soziologischen Analyse und Porombka mit seinem gefälligen Ritt durch die angeblich erst um 1900 beginnende Geschichte der “Hochstapelei“ [9] – einige lesenswerte Aspekte, die bisher in der Forschung nur wenig vertieft worden sind. So spricht sie von den „ethnischen Hochstaplern“ [10] oder den Gender-“Hochstaplern“, von Männern in Frauenkleidern, Transvestiten und Frauen in Männerkleidern, von Alchemisten (den esoterischen „Hochstaplern“), den „politischen Hochstaplern“ (wie falschen Königen und Kaisern in der Antike), aber auch von modernen Spiritisten und Medien von Verstorbenen. Auch geht sie auf moderne „Hochstapler“ ein, so die Gruppe „Yes Men“, die mit spektakulären Inszenierungen und Fake News das Verhalten großer Firmen kritisiert (Seite 158-161). Dabei bedient sich auch Kollmann zahlreicher Geschichten, zahlreicher biographischer Abrisse, die den Tatbestand der „Hochstapelei“ fokussieren, aber nicht nur „Täter*innen“ betrachten, sondern auch die sozialen Umgebungen. Dabei verfällt sie nicht in den früher so häufig und gern benützten Topos der angeblichen „Dummheit“ und „Einfältigkeit“ des Publikums, welches einem Similimenschen zum „Opfer“ gefallen sei. [11] Vielmehr spricht sie von Sehnsüchten, die durch die zeitweise glaubwürdige Produktion von Autoritäten befriedigt werden, sowohl auf Seiten der Similimenschen als auch auf Seite der sozialen Umwelten: „Mit den Sehnsüchten der anderen verwirklicht der Hochstapler seine eigenen Sehnsüchte, den Traum vom besseren Selbst“ (Seite 8). Damit eröffnet Kollmann ein Kaleidoskop, das nicht nur die „Hochstapler“ als „Störenfriede“ sozialer Ordnung betrachtet, [12] sondern als integraler Bestandteil von Gesellschaft. „Hochstapler“ haben demnach eine gesellschaftliche Funktion. Und nicht nur dort, wo Kollmann direkt vom Adel als Maske spricht (Seite 9 oder 34-36 bei der Schilderung Harry Domelas), sind viele ihrer Aussagen auch für die Adelsforschung – genauer die Forschung zum Temporaradel und den Adelsprojektionen nichtadeliger Bevölkerungsteile – weiterführend und wichtig. So heißt es bei ihr (Seite 35), Harry Domela sei als falscher Preußenprinz Wilhelm in der Weimarer Republik „für seine ehemaligen Untertanen von nostalgischer Prominenz [gewesen], gut für einen majestätischen Schnörkel im Gästebuch als Höhepunkt einer Abendgesellschaft, aber kaum mehr. Der falsche Prinz kokettierte mit vergangener politischer Macht“. Hier zeigt sich ein Phänomen, das indes auch hunderten von anderen Similimenschen mit temporardeligen Namen zugute kam; die „nostalgische Prominenz“ war daher immerhin noch bares Geld wert, ließen sich damit doch unter falschen Voraussetzungen massenhaft materielle Werte erlangen. [13] An anderer Stelle geht Kollmann auf die Theorie der Adelsvisibilität [14] ein, ohne sie indes konkret zu benennen und auszuarbeiten; dennoch beschreibt sie deren Notwendigkeit wie folgt (Seite 26-27): „Macht muss anschaulich, anschaubar sein, denn sie ist abstrakt und braucht Zeichen und Symbole. Das kann eine Krone auf dem Kopf des Herrschers sein […] Auch Urkunden und Bilder können symbolisch werden und die Mächtigen als Mächtige ausweisen.“ Ebenso verweist Kollmann auf die Bedeutung der Kleiderordnungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, deren Kenntnis den Similimenschen wertvolle Hinweise für ihr Auftreten liefern konnte. [15] Hier wäre hinzuzufügen, daß dies allerdings auch wertvolle Hinweise für die sozialen Umgebungen waren. Denn nur weil ständische Kleiderordnungen [16] internalisiert und sozialisiert gewesen sein könnten, scheinen sie mit Erfolg angewandt worden zu sein; ihre Kenntnis allein als bedeutend für die Similimenschen darzustellen, scheint daher etwas kurz zu greifen. [17] Kritisch zu betrachten wäre an Kollmanns Buch allein das Bildmotiv, das sich auf dem Cover ebenso wie an jedem Kapitelanfang findet – ein Pfau. Denn dieser Vogel schmückt sich nicht mit „fremden Federn“, sondern mit eigenen Federn, er muß nichts darstellen, was er nicht ist, weil er schon ein Pfau ist und vollkommen natürlich mit dem geschlagenen Rad imponieren kann. Passender wäre eher der Seidenlaubenvogel gewesen. Das Männchen trägt dem Weibchen, um ihm in der Balz zu imponieren, fremde blaue Gegenstände heran – und schmückt sich daher wirklich mit „fremden Federn“. [18] So tat es auch „Graf Wenckheim“ im Jahre 1888; seinen sozialen Umwelten imponierte er mit den „fremden Federn“ des Familienprestiges und des Adelsansehens im späten 19. Jahrhundert, er nutzte den „Splendor familiae“ der Wenckheims, [19] um geldwerte Vorteile zu erlangen. Allein die allzu flache Verinnerlichung sonstiger aristokratischer Fähigkeiten machten seine anfangs so erfolgreich visibilisierte Nobilität zu einem lediglich temporären Adel. Wichtiger indes erscheinen, außerhalb dieses Einzelfalls, die gesellschaftlichen Mechanismen, die in der Adelsforschung oft genug vernachlässigt werden – Kollmann hat mit ihrem Buch in die richtige Richtung gewiesen. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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