Institut Deutsche Adelsforschung
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Jüdischer Adel in Preußen, Österreich und Großbritannien

Besprechung einer Neuerscheinung des Campus-Verlages aus dem Jahre 2013

Die Jena´sche Allgemeine Literaturzeitung schrieb im Jahre 1832, inmitten einer Zeit der Emanzipationsära der Juden, über „die Juden“: „Ihre Aufnahme in die christlichen Staaten hat man dem Finanz-Geist zu danken. Dieser bediente sich der Schlauheit und geistigen Thätigkeit der Juden zu mancherley Zwecken, und in dieser und keiner anderen Eigenschaft erscheinen sie unter mannichfaltigen Gestalten und Modificationen noch jetzt. Da sie nun ohne Inhumanität nicht mehr vertilgbar sind, so bleiben freylich den Regierungen nur corrective Mittel übrig. Aber dazu sollte man ganz andere als die bisherigen wählen; diese hingegen mit Energie ausführen. Das Baronisiren der Juden wird sie schwerlich zu edlen Menschen und Staatsbürgern erheben; denn zur Zeit ist uns nicht bekannt, dass irgend ein armer Jude wegen einer edlen uneigennützigen That geadelt worden wäre, wohl aber nur Reiche, deren einziges Verdienst darin bestand, mit dem oft am Staat selbst gewonnenen Reichthum die Regierung, versteht sich gegen hinlängliche Sicherheit und ansehnliche Provision, in Nothfällen unterstützt zu haben. Die einzigen zweckmässigen Mittel, die Juden zu wahren Staatsbürgern zu machen, scheinen also wohl: daß man 1) ihre Kinder anhalte, die christlichen Schulen zu besuchen; 2) dass man ihre gesammte religiöse Gesetzgebung der schärfsten Prüfung und Revision unterwerfe, und daraus mit unerbittlicher Strenge alles und jedes vertilge, was mit einer christlichen Staatsverfassung unvereinbar ist ...“ [1]

Was aus diesen Zeilen spricht, ist eine klar konturierte und intrakulturell orientierte sowie und auf dem Boden der Staatsverfassung stehende Stellungnahme, die sich strikt wider die Nobilitierung von Juden im Vormärz wandte. Zugrunde lag dieser Einschätzung die Skepsis, daß jüdischgläubige Personen keine vollgültigen Staatsbürger sein könnten, auf die man sich gouvernemental verlassen könnte.  Zugleich wird dabei die rassistische Argumentation angewendet, daß Juden grundsätzlich moralisch negativ zu konnotieren wären und die Adelungen ein nur unzureichendes Mittel zur Erziehung von Juden sein könnten. Diese Herangehensweise, die hier explizit auf dem Moment der Exklusion „der Juden“ zur Stärkung der eigenen Gruppenidentität des Jenaer Verfassers kulturkonstitutiv und zugleich „den Juden“ gegenüber stereotyp diskriminierend eingesetzt wurde, spiegelt einen Grundkonflikt im XIX. Säkulum wider, der nun Gegenstand einer ausfürhlichen geschichtswissenschaftlichen Dissertation geworden ist.

Vorgelegt wurde sie bereits 2010 an der Technischen Universität Braunschweig von Kai Drewes M.A., von Haus aus Historiker und Literaturwissenschaftler, dann Bibliotheksreferendar, seit 2013 schließlich Leiter der Wissenschaftlichen Sammlungen des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung bei Berlin. Der Titel seiner indes erst Ende 2013 erschienenen Qualifikationsschrift zum Dr. phil. lautet: „Jüdischer Adel. Nobilitierungen von Juden im Europa des 19. Jahrhunderts“, umfaßt 467 Seiten, kostet 49 Euro, besitzt etliche Tabellen im Haupttext als auch im Anhang sowie ein ausführliches und praktisches Personenverzeichnis.
Seinem Gegenstand nähert sich Drewes methodisch mittels einer „kulturwissenschaftlich erweiterten Sozialgeschichte“ (Seite 16), welche individuelle wie institutionelle und gruppale jüdisch-nichtjüdische interaktionale Prozesse in den Blick nimmt. Drewes setzt dabei zwar vordergründig einen „europäischen“ Kontext an, untersucht aber gleichwohl dann doch „nur“ Preußen, Österreich (ohne Ungarn), und Großbritannien; nur in einem Exkurs behandelt er auch Portugal als „Adelsfabrik“. Er begründet dies mit seinen mangelnden Sprachkenntnissen und damit, daß es sich bei den drei Ländern um die bedeutendsten Flächenländer handelt. 

Diese territoriale Beschränkung des Samples läßt jedoch nicht erkennen, daß sich daraus nachteilige Ergebnisse für seine Fragestellung ergeben hätten. Vielmehr versteht es Drewes, die vorgefallenen Diskurse in ihrer ganzen Vielfalt, in jedem Fall aber mannigfaltig genug, zu beleuchten. Sein Erkenntnisinteresse ist tiels prosopographisch angelegt, geht aber im Übrigen auf drei Leitfragen zurück: a) waren Adelstitel für Juden attraktiv?, b) wie konnte die jüdische Identität mit dem Adeligsein oder dem Wunsch danach in Übereinstimmung gebracht werden? und c) wie war es um die Erreichbarkeit von Adelsauszeichnungen „in Europa“ (Drewes meint allerdings hier wiederum nur die drei oben genannten Staaten!) bestellt? (Seite 16). Außerdem geht Drewes von drei Thesen aus. Erstens seien jüdischgläubige Perosnen ebenso wie Nichtjuden im XIX. Säkulum als einer Umruchszeit zur Moderne nicht gegen die Versuchungen des Adeligseinwollens immun gewesen. Zweitens würden die Unterschiede in der Nobilitierungspraxis der drei Länder auf staatlich-monarchische Divergenzen zurückgehen, hätten also vorwiegend gouvermentale Ursachen. Und drittens sei eine Nobilitierung meist nicht von den Monarchen, sondern von den Adelskandidaten selbst ausgegangen. Zumindest diese dritte These ist allerdings schon mehrfach aufgestellt und entschieden worden und daher nicht mehr als aktuell anzusehen. [2]

Während bei Drewes der Begriff „Europa“ als eher strittig anzusehen ist, so sind seine übrigen Definitionen sinnvoll gewählt. Dazu zählen „19. Jahrhundert“ (wird als „langes“ 19. Säkulum verstanden als die Zeit von 1789 bis 1918), „Adel“ und „Judentum“ (Seite 22-27). Vor allem beim Begriff „Judentum“ fällt auf, daß Drewes mit der „hybriden Identität“ ein annehmbares Konstrukt des Begriffes gefunden hat, der der Heterogenität „des Judentums“ oder des „Jüdischseins“ in seinen ganzen Facetten am ehesten gerecht zu werden scheint (Seite 27-28). Auch eine transnationale Herangehensweise und Eingliederung ins Untersuchungsgebiet erscheint logisch, begründet durch die jahrhundertelange Diasporasituation des Judentums. Mit Drewes kann daher durchaus zu Recht verwundert konstatiert werden, daß eine derartige transnationale Geschichtsschreibung bislang noch nicht stärker hervorgetreten ist (Seite 29). Zugleich gilt auch: Drewes folgt mit seiner Doktorarbeit dem Konzept der multiperspektivischen und -methodischen „Histoire croisée“ [3]

Er meint anschließend, daß der Topos „Jüdischer Adel“ zunächst seltsam sei, da man nicht vermuten sollte, daß im XIX. Säkulum etliche jüdischgläubige Personen in den Adelsstand eines europäischen Landes erhoben worden wären. Beides - Adel einerseits und Judentum andererseits - schienen sich per se auszuschließen. Andererseits ist aber eine derartige Konnektivität durchaus auch naheliegend, denkt man an die „Judenemazipation“ auch an eine Integration materiell wohlhabender Juden in die Adelsschichten der entsprechenden Länder. Späterhin freilich wurde dieses eher zeitgenössisch besehene und eher randständige Phänomen mit Bedeutung aufgeladen, vor allem im späten Kaiserreich, in der Weimarer Republik und schließlich im Dritten Reich. Hier wurde zunehmend mit Instrumentalisierungen gearbeitet, um den so genannten „arischen“ Adel vom „jüdischem Adel“ zu trennen, um politische Gegner zu diskriminieren oder zu verleumden, um sich selbst von „unwürdigen Elementen“ zu „reinigen“, sich dem nationalsozialistischen Rassegedanken anzugleichen oder ihn, wie es seitens der Deutschen Adelsgenossenschaft geschah, auch vollgültig zu übernehmen; das treffendste Beispiel dafür war die sogenannte „Semika“ von 1931. [4]

Drewes beschränkt sich jedoch auf die „Sattelzeit der Moderne“ in seiner Untersuchung, das XIX. Säkulum. Dies ist insofern bemerkenswerte, als sich hier verschiedene Konzepte kreuzten, vormoderne Konzepte von „Ehre“ mit dem des Kapitalismus als Ideen der ideellen Wertschöpfung einerseits und der Idee der materiellen Wertschöpfung andererseits. Wo sich in diesem Diskurs Juden selbst verorteten und von anderen verortet wurden, welche mentalen Muster hinter den jeweiligen Handlungen der beteiligten historischen Akteure standen, untersucht Drewes detailliert in drei großen Kapiteln. Darin interessiert er sich für „Adelswünsche“ nichtadeliger Juden (Seite 37-142),  die Nobilitierungspraxis in den vier erwähnten Ländern (Seite 143-276) sowie für die Praxis der Auslandsadelungen von Inländern, die im Inland keine Adelsverleihung erlangen konnten oder wollten (Seite 277-350). Dabei widerlegt Drewes u.a. das Gerücht und den Topos des „jüdischen Adelsverweigerers“, der bedauerlicherweise sogar ungeprüft in die großen historischen „Meisterzählungen“ und Überblicksdarstellungen der Historikerzunft eingegangen ist (Seite 39-81).

Durch die Heranziehung diverser unpublizierter Archivmaterialien aus Berlin (Heroldsamtsbestände), Wien (Adelsakten im Verwaltungsarchiv) sowie aus britischen Beständen (Richmond und London) gelingt ihm insgesamt eine überzeugende Darstellung seines Themas, das er immer wieder auch, ohne aber in eine rein biographische Deskriptivität zu verfallen, mit personalen oder familiären Beispielfällen unterstreicht und exemplifiziert. Von einigem dokumentarischen Wert sind auch die von Drewes zusammen gestellten Tabellen und Listen der Nobilitierungen von jüdischen Personen in einem Anhang. Hier nennt er alle ihm ermittelbaren Einzelfälle für Preußen, Österreich und Großbritannien und korrigiert damit teils auch vorhergehende Zahlen und Gerüchte (Seite 373-394). 

Inhaltlich trägt Drewes mit seiner umfangreichen und gründlichen Arbeit also zur Aufklärung und Differenzierung des Gesamtbildes zum „jüdischen Adel“ bei, so daß das Werk eine Forschungslücke schließt und namentlich im Bereich der Adelsforschung neue Details offenbart, die hoffentlich weiter zu einem Abbau der medienvermittelten Stereotype beitragen wird.

Negativ fällt allein auf, daß verlagsseitig der Druck an etlichen Stellen (vor allem merkwürdigerweise auf den jeweils rechten Seiten) recht schwach ausgebildet ist, was das Lesen der Texte unnötig erschwert. Positiv ist aber, daß Drewes für sein Buch eine Webseite eingerichtet hat und daher eine Möglichkeit geschaffen hat, mit den Rezipierenden seiner Thesen in Kontakt zu treten. Diese potentielle Möglichkeit zur Interaktionalität überbrückt die sonst häufig anzutreffende Distanz zwischen AutorInnen und LeserInnen bei Buchprojekten. Auf seiner Webseite finden sich außerdem Listen von jüdischen geadelten Familien und Erörterungen über Zweifelsfälle zu diesem Themenkomplex. [5]

Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (Jahrgang 2014) und wurde verfaßt von Claus Heinrich Bill.

Annotationen:

  • [1] = Ergänzungsblatt zur Jena´schen Allgemeinen Literaturzeitung, Ausgabe Nro.12 (ohne Datum), Jena 1832, Spalte 95-96 (aus einer anonymen Rezenison des Werkes von Franz v.Spaun mit dem Titel „Patriotische und literarische Phantasien“, erschienen im Jahre 1817)
  • [2] = Zum Ergebnis, daß die These zutreffend ist, kam schon vor 20 Jahren (!) Harald v.Kalm: Das preußische Heroldsamt (1855-1920). Adelsbehörde und Adelsrecht in der preußischen Verfassungsentwicklung, Berlin 1994, Seite 70-72. Gleichwohl hält sich, zumindest in der öffentlichen Meinung, immer noch die Legende, man habe den Adel „früher“ wegen zurückliegender „Verdienste“ erworben. Oft war dahin gegen die Adelung eine Hypothek auf ein noch zu erbringendes loyales Verhalten der nobilitierten Personen. So wurden in der preußischen Provinz Posen im XIX. Säkulum vor allem deutsche Gutsbesitzer geadelt, um ibidem die Germanisierung der Provinz zu stärken. Siehe dazu exemplarisch den „Fall Schwarnweber-Kegel“ bei Claus Heinrich Bill: Die Familie v.Scharnweber-Kegel in Posen 1700-1946 und ihre Nobilitierung, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr.3, Jahrgang I., Owschlag 1998, Seite 99-114
  • [3] = Siehe hierzu zuletzt Reiner Keller: Einleitung zur Abendveranstaltung. Histoire Croisée. Geschichte als Überkreuzung und Verflechtung am Beispiel deutsch-französischer Wissens- und Kulturtransfers, in; Hans-Georg Soffner (Herausgebender): Transnationale Vergesellschaftungen. Verhandlungen des XXXV. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main 2010, Wiesbaden 2012, Seite 1057-1059. Grundlegend ist für diese Methode Michael Werner / Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der "Histoire croisée" und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft, Band XXVIII, Göttingen 2002, Seite 607-636
  • [4] = Dazu Näheres bei Claus Heinrich Bill: Separierungen in der Deutschen Adelsgenossenschaft. Zur Typologie von freiwilligen und erzwungenen Austritten Adeliger zwischen 1874 und 1945 (Teil 2 von 3), in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr.64, Jahrgang XIII., Sønderborg på øen Als 2010, Seite 256-257. Der ibidem genannte Themenkomplex zum „jüdischen Adel“ konterkariert übrigens die Drewes´sche These (in dessen Vorwort auf Seite 18), „die Adelsforschung“ habe sich bislang nur in „Überblicksdarstellungen“ oder in „Randnotizen“ mit jüdischem Adel befaßt. 
  • [5] = Webseite „http://www.juedischer-adel.de“ gemäß dem Abruf vom 10. November 2013

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