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Der Johanniter-Orden als Antwort des Adels auf die ModerneAnalysen zur Geschichte des Ordens im Zusammenhang mit der AristokratieIm Jahre 1852 wurde – unter allelopoietischem Rückgriff auf ältere Überlieferungsimages, Gründungserzählungen und aktualisierte Traditionsbestände – die Balley Brandenburg des „Ritterlichen Ordens Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem“ als Projekt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. neu begründet. Er war – und blieb bis in die Nachkriegsjahre nach dem zweiten Weltkrieg – ein reiner Adelsorden. Die Motive zu seiner Gründung waren nicht wesentlich andere Beweggründe als die, die auch viel später, 1888, noch einmal geäußert wurden; so schrieb eine Wiener Zeitung im deutschen Dreikaiserjahr: „Wir haben bereits in gestriger Nummer der Worte erwähnt, welche der deutsche Kaiser in Sonnenburg bei dem dortigen Ordensfeste des Johanniter-Ordens anläßlich der Zeremonie des Ritterschlages in der Ordenskirche gesprochen. Heute liegt uns nun auch der Wortlaut der Rede vor, mit welcher Kaiser Wilhelm bei dem daraus stattgefundenen Diner die Ansprache des Herrenmeisters Prinzen Albrecht erwiderte. In derselben heißt es unter Anderm: `Ich bin der festen Ansicht, daß der König von Preußen auch durch ein äußeres Zeichen dem Johanniter-Orden angehören muß. Die großen Aufgaben, welche mir auf dem Gebiete der inneren Entwicklung des Volkes obliegen, vermag ich nicht allein durch die staatlichen Organe zu lösen. Zur Hebung der moralischen sowie religiösen Kräftigung und Entwicklung des Volkes brauche ich die Unterstützung der Edelsten desselben, meines Adels, und die sehe ich im Orden Sankt Johanns in stattlicher Zahl vereint. Ich hoffe vom Herzen, daß es mir gelingen möge, im Vereine mit der liebesthätigen Unterstützung des Johanniter-Ordens die Ausführung und Fortbildung der Hebung des Sinnes für Religion, christliche Zucht und Sitte im Volke zu bewirken, welche ich mir als Ideale gestellt.´“ [1] Tatsächlich war diese Absicht auch ein Motiv bei der Gründung gewesen, jedoch nicht das Alleinstellungsmerkmal. Denn eine vertiefte Frömmigkeit war weder bei den adeligen Rittern, die in publikumswirksam inszenierten Rittertagen zu Ehren- und Rechtsrittern „geschlagen“ wurden, noch in der breiten Masse der Bevölkerung – bei zunehmender Säkularisierung als Megatrend des 19. Jahrhunderts – wirkungsvoll und intensiviert zu verankern. Dies ist indes nur ein Ergebnis einer neuen theologischen Dissertation, die die badische Pastorin Ute Niethammer (*1970) vorgelegt hat, die sich in ihrem Werk „Evangelischer Adel und Moderne – Ein Beitrag zur Geschichte des Johanniterordens (1852-1919)“ [2] aus der Perspektive einer Wissenschaftlerin und Außenstehenden mit der Geschichte des Ordens im Zusammenhang mit seinen Zielen beschäftigt hat. Die Studie, an der vorpommerschen Universität Greifswald 2016 oder 2017 abgeschlossen [3] und Ende Juni 2018 in den Druck gegangen, geht unter Benützung des Johanniter-Blattes und von Literatur und Archivalien – vor allem aus den Staatsarchiven in Dahlem, Stuttgart und Magdeburg – der nicht explizit formulierten Frage nach, inwieweit sich adelige Akteur*innen (da es sich nicht um einen praxistheoretischen Zugriff handelt, nicht jedoch von Aktanten, d.h. auch nichtmenschlichen Entitäten) in ihrem Handeln vom bürgerlichem Engagement in der „sozialen Frage“ unterschieden (Seite 9). Als Theorie wird das Thema u.a. mit dem Braunschen Konzept des „Oberbleibens“ konfrontiert und flankiert (Seite 10). [4] Methodisch ist die Arbeit bemerkenswerterweise historiographisch nicht gerahmt. Zwar besteht ein irreführend mit „Methodisches Vorgehen“ überschriebenes Kapitel (Seite 20-22), dort finden sich aber keine Ausführungen über die verwendete Methode, sondern dort wird lediglich die Quellenauswahl gerechtfertigt und es wird die Ausrichtung nach dem Forschungsstand angerissen. [5] So muß man erstaunt konstatieren, daß zum Niethammerschen Forschungsdesign eine reflektierte Methode und Vorgehensweise nicht genannt worden ist. Gleichwohl darf die Studie wegen ihrer dezidiert ständischen Fragestellung eine hohe Aufmerksamkeit in der Adelsforschung beanspruchen. Sie untergliedert sich in drei größere Kapitel und entfaltet ihr Narrativ zunächst anhand der Kontextualisierungen der Gründung des Ordens im Denken des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Schon hier rekurriert Niethammer auch auf den Orden als „Garant einer historisch legitimierten sozialen Ordnung“ (Seite 154). Das zweite und dritte Kapitel ist vor allem chronologisch gerahmt, erstens die Zeit zwischen Gründung und Reichsgründung betreffend (1852-1870), zweitens die Epoche zwischen der Reichsgründung und dem Ende des ersten Weltkrieges (1870-1919) beleuchtend. Dabei werden vor allem theologische, soziale, kommunikative und adelsidentitäre Fragen verhandelt und analysiert, so auch die Frage, was als Adel verstanden werden könne, welche moralischen Codices eine Adelseigenschaft ausmachen würden und wie dies in Form von Veröffentlichungen nach außen, u.a. in den Massen- und Ordensmedien umgesetzt worden ist. Dabei kommt Niethammer zu der Erkenntnis, daß öffentlichkeitswirksame Rittertage im Ordensschloß Sonnenburg (in der Neumark) und die farbenprächtig kostümierten Performanzen und Praktiken ein öffentliches Adelsimage befördern helfen sollte und der Symbolisierung und Repräsentation von Vorbildlichkeit, Distinktion und Pflichterfüllung diente (siehe dazu auch das hier gebrachte einleitende Zitat). Zugleich war damit aber auch die Absicht einer Einhegung der „sozialen Gefahr“ verbunden, das heißt die Infragestellung der Adelsprivilegien und Adelsmacht durch statusbestätigende „Liebestätigkeit“ (Hierarchieperpetuierung zwischen Gebenden und Nehmenden durch kurative und nicht durch präventive oder selbstermächtigende Hilfe). Zugleich aber bot der Johanniterorden in den Jahren der Formierungsphase der Moderne – bei allem Beharren auf traditionellen Machtchancen und Elitezugängen – beispielsweise Frauen die Möglichkeit, sich über eine Ausbildung und professionalisierte „Liebestätigkeit“ im Bereich einer schon früh institutionalisierten Sozialarbeit zu eigener Berufstätigkeit zu emanzipieren (Seite 369). War also der Orden für die Männer des Adels vor allem ein Mittel im Kampf gegen Sozialismus, Sozialdemokratie, die linke Arbeiterbewegung, wider Säkularisation und Unglauben, bot sie andererseits weiblichen adeligen Angehörigen Freiräume an, die Frauen andernorts noch nicht zugänglich waren (Seite 309-331). Man wird daher die Ordenspolitik nicht nur als rein traditionell, sondern, im Sinne des Ständepsychologen Fischer, auch als progressiv bezeichnen können. [6] Die Niethammersche Studie hat diese Ambivalenz überzeugend herausgearbeitet, so daß das Werk der baden-württembergischen evangelischen Theologin auch in der Adelsforschung eine weite Verbreitung verdient. [7] Diese Rezension stammt von Dr. Claus Heinrich Bill und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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