Institut Deutsche Adelsforschung
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Deutschland und die spanische Revolution 1820-1823

Buchbesprechung einer Neuerscheinung aus Leipzig

Es ist einerseits eine interessante Idee der Natur- wie der Geisteswissenschaften, zwei Phänomene miteinander zu verbinden, um deren möglicherweise kausale Zusammenhänge zu eruieren, zu beschreiben und miteinander in Kontext zu setzen. Dazu gehört aber nicht nur die Methodik der Wiener Schule mit dem deduktiv-nomolgischen Schluß in den Naturwissenschaften, in denen Ursachen und Wirkungen miteinander verknüpft werden, sondern auch die propabilistischen Methoden der Geisteswissenschaften, in denen es keine absoluten Wahrheiten geben kann. Hier geht es dann um andere Verbindungen, um konstruktivistische Sichtweisen und um die Mannigfaltigkeit der möglichen Verbindungen. Als Beispiel ließe sich aus der Kulturwissenschaft die Verbindung zwischen Gewalt und Prophetie anführen [1] oder aus der Soziologie der Toqueville-Effekt, der darin besteht, daß in einem politisch krisengeschüttelten Staat häufig obrigkeitliche Reformen die Sterbephase eben jenes Staates einleiten, anstatt sie zu verhindern. [2] 

Mit der Bezeichnung häufig sind wir indes bereits bei den brobabilistischen Erklärungen angelangt: Es ist durchaus nicht immer so, daß politisch aufbegehrende Gesellschaftsschichten nur dann Erfolg haben, wenn der Staat nachgibt, weil dieses Nachgeben dann zum Tode des Staates und seiner Wiedergeburt in modifizierter Form führen würde. Der Toqueville-Effekt läßt sich eben zwar nur an vielen, aber nicht an allen Revolutionen ablesen, beispielsweise auch nicht an der in Neapel 1820, der in Polen 1830 oder der in Spanien 1820.

Gleichwohl ist der Toqueville-Effekt beileibe nicht die einzig beobachtbare Kontextualität in der Geschichtswissenschaft. Einem anderen Verbindungsstrang auf der Spur ist Jörg Ludwig [3] mit seiner jüngst im Leipziger Universitätsverlag erschienenen Untersuchung Deutschland und die spanische Revolution 1820-1823, einem broschierten Werk mit farbigem Titel, 246 Seiten, einer Bibliographie und einem Personenregister (ein Verzeichnis der benützen Archivalien fehlt leider, aber man kann an einigen Fußnoten erkennen, daß Ludwig Akten aus den staatlichen Archiven in Dresden und München in Benützung hatte). 

Ludwig spürt hier den Einflüssen der spanischen Revolution, des Trienio liberal, etwa in den Jahren 1820 bis 1825, nach. Im Verlaufe der französischen Revolution von 1789, die für Europa und seine politischen, finanziellen und sozialen Herausforderungen und Probleme als Initialzündung für politische Reformen und Reformansätze wirkte, hatte sich auch in Spanien die politische und soziale Kultur verändert. Nach Beendigung der napoleonischen Hegemonie, bei dem Napoleon seinen Bruder als spanischen König inthronisiert hatte, kam es in Spanien zu einem nationalen Aufschwung, der schließlich zur militärischen Selbstbefreiung Spaniens und einem neuen Nationalbewußtsein führte: 1812 hatte man sich eine Verfassung gegeben, die konstitutionelle und daher liberale Züge trug, 1813 dann waren die Franzosen weitgehend aus Spanien vertrieben worden. Der einst selbst vertriebene König Ferdinand VII. (1784-1833) kehrte 1814 aus dem Exil in seine Heimat zurück und beseitigte hier umgehend das napoleonische konstitutionelle System: Er verfügte anscheinend noch über genügend Machtverstärker, um dies bewerkstelligen zu können. Diese Rückkehr in vorkonstitutionelle sowie damit absolutistische Zustände und Zeiten (mit Inquisition und Folter), die zudem die Kritik selbst der vormärzlichen deutschen Monarchen herausforderte, verstärkte die Identität der Progressiven und der Liberalen des Landes, die sich vor allem im Militär unter den jungen Offizieren  sammelten, ähnlich wie dies auch bei den Offizieren der jungtürkischen Bewegung einige Jahrzehnte später im Osmanischen Reich zu beobachten war. 
Der politische Druck der Stände und des Militärs wuchs jedoch, die Sehnsucht nach der Wiedereinführung der 1812er Verfassung, die ein männliches Einkammerparlament mit Abgeordneten vorsah, wurde vielfach gefordert. Diese wurde dann auch durch einen Militärputsch 1820 teilweise lokal und teilweise regional durch einzelne Protagonisten, zu ihnen zählte vor allem Oberst Rafal del Riego (1785-1823), wieder neu errichtet. Um hier der drohenden Revolution die Spitze zu brechen, war Ferdinand VII. bereit, die Konstitution von 1812 wieder einzuführen; Ludwig indes vermutet allerdings, er habe dies nur aus pragmatischen Gründen getan. Drei Jahre währte der Trienio liberal, bis 1823,  als Frankreich erneut in Spanien militärisch intervenierte und die Verfassung von 1812 wieder beseitigte. Ferdinand VII. oktroyierte seinen Untertanen nun erneut ein absolutistisches Regime. Erst 1831 mit der Einführung der weiblichen Thronfolge und der zeitweiligen Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Ferdinands Gemahlin wurde Spanien wieder liberaler regiert.

Somit stellte sich die politische spanische Geschichte jener Epoche als ein Pendel- und Wechselspiel der Gewalten wie auch die Ziele und Intentionen der Politik, als kompliziertes mulitfaktorielles politisches System um Machtkampf und -ausweitung dar. Dieses Mächtespiel wurde auch im übrigen Europa, außerhalb der spanischen Landesgrenzen, aktiv rezipiert. Es war freilich eine Frage des Agenda-Settings, die dazu führte, daß unter anderem massenmedial aufbereitete hispaniolische Themensetzungen in Europa wahrgenommen wurden. Ludwig untersucht nun ins einem Buch, wie die drei spanischen Revolutionsjahre von 1820 bis 1823 in drei deutschen Gruppen gewirkt hatten und hat sich hierfür a) Politiker, b) Leser und c) Kaufleute erwählt. Konkret fragt er danach, wie die Politik, die Öffentlichkeit und die Wirtschaft auf den Trienio liberal reagiert haben und welche Impulse von ihm in Deutschland ausgingen. Diese drei Rezipientengruppen und ihre Form des Agenda-Settings beschäftigen Ludwig, der durchaus viele Einflußmöglichkeiten der spanischen Revolution ausmachen und bestimmen kann. 

Das fängt an bei von Ludwig zitierten Gesandtenberichten, bei Reaktionen der Öffentlichkeit, Erwähnungen in den massenmedialen Magazinen und Zeitungen, bei der Erörterung des Einsatzes von deutschen Freiwilligenkämpfern, die nach Spanien gingen und geht weiter bis hin zu Auswirkungen auf den deutschen Exporthandel und das Geschäft mit spanischen Staatspapieren in Deutschland. Einleitend geht Ludwig außerdem kurz auf eine Darstellung der spanischen Revolution ebenso ein wie auf die politische und soziale Situation im vormärzlichen Deutschland, das immerhin in einer vergleichbaren Lage war, weil es durch das Metternichsche System ebenfalls liberalenfeindlich eingestellt war. Der Trienio liberal erwies sich auf diese Weise als Folie, als Laboratorium der Progressiven, als Möglichkeitenpool, wie sich liberale Ideen in der Praxis bewähren und auch scheitern konnten, als Muster und Intention, als Motiv und Motivation.

Zugleich aber war er auch eine Warnung für europäische Konservative und Monarchisten, für den alten Adel und die Landstände, die um ihren Einfuß fürchteten. Sie benützen dabei die spanischen Ereignisse der Jahre 1820 bis 1823, um sich selbst zu positionieren. Ein Beispiel für eine solche politisch konservative Rezeption des Trienio liberal bietet die Laibacher Zeitung, die wichtigste Zeitung im habsburgischen Königreich Illyrien. Sie rezipierte im September 1820, also kurze Zeit nach Wiedereinführung der konstitutionellen Verfassung durch König Ferdinand VII., einen in Frankreich im Moniteur erschienenen Artikel. 

Darin zog das Blatt Parallelen zwischen der Revolution in Spanien und der in Neapel, bei dem es durch nationale italienische Abspaltungskräfte zu einem Aufstand gegen die Habsburger gekommen war. Das Blatt benützte dabei die spanischen Ereignisse als Hintergrund zu der eigenen Beschäftigung und Auseinandersetzung eines zeitgleich vor den Türen des Vielvölkerstaats Österreichs liegendem Revolutionsherdes. Auch in Neapel war der Kampf zwischen Konservativen und Liberalen, Absolutisten und Konstitutionalisten an der Tagesordnung, auch hier hatte der Souverän, der Bourbone Ferdinand I., im Jahre 1820 eine liberale Verfassung gewähren müssen, die 1821 wieder aufgehoben wurde. Doch das erwähnte Blatt unterschied die Situation dennoch wie folgt: 

„Die öffentliche Meinung spricht sich fortdauernd lebhaft und in verschiedenem Sinne über die beiden Revolutionen von Spanien und Neapel aus. Wenn sie bei dem ersten Anblick einige Ähnlichkeiten zu haben scheinen, so kann man doch nicht umhin, wesentliche Verschiedenheiten dabei zu erkennen, die es nicht verstatten, eine mit der andern zu vergleichen ... Was aber Spanien betrif[f]t, so ist nicht die Frage mehr so, wie sie Anfangs war. Spanien hatte durch alle Wunderthaten des Heldensinnes und der Treue seinen gefangenen König erobert. Unter einem so hochherzigen Volke hat sich der König, unerachtet des Abfalls seiner Truppen, in der Ausübung seiner Souverainität immer für frei halten können und müssen. Er hat wesentliche Bedürfnisse, gesezmäßige [sic!] Bedürfnisse, nach so vielem glorreichen Unglück erkennen, er hat selbst demjenigen verzeihen können, was bei dem Zuerkennengeben dieser Bedürfnisse, ungesezmäßig seyn mochte. Wenn das leidige Beispiel einer Militärinsurrektion Europa mit Recht beunruhigte, wer konnte besser als der König einsehen, daß sein Volk, welches alles für ihn aufgeopfert hat, unerschütterlich in seiner Ergebenheit gegen den rechtmäßigen Thron war? 

Mit weiser Zurückhaltung muß man sich also jetzt über die spanische Halbinsel aussprechen. Ist dies aber der Fall mit der italienischen Halbinsel? Bietet die Revolution von Neapel der regierenden Dynastie und der Politik von Europa eben die Bürgschaften der Sicherheit dar, welche über diese beiden wesentlichen Punkte der energische Charakter des Völker Spaniens und die Lage ihres Gebiets darbieten? Welches konnten die Gründe seyn, die in Neapel eine so plötzliche Revolution veranlassen konnten? Litt Neapel so wie Spanien durch eine lange Trennung mit den ausgedehnten Kolonien? Neapel hat bekanntlich keine auswärtige Kolonien. Waren seine Finanzen verschuldet? Nächst Frankreich bot Neapel den blühendsten Zustand der Finanzen dar. Auch könnte es unstreitig nicht der Despotismus seiner Fürsten seyn; denn wenn die Stimme von Europa nicht lügt, so wird der König Ferdinand I., der Erbe des Namens so wie der Milde der Bourbons, von seinem Volke als ein Vater geliebt. 

Die neuliche Revolution von Neapel findet daher weder Veranlassung noch Entschuldigung in der Lage, so wie in dem wohl oder übel verstandenen Interesse des Königreichs. Wenn wir jetzt die Revolution von Neapel in Hinsicht auf das Interesse von Europa beurtheilen wollten, wie viele Gründe von Besorgniß hätten wir da anzuführen! Eine Revolution zu Neapel und eine Revolution zu Madrid können in Hinsicht der geographischen Lage, des Charakters der Einwohner, gar nicht mit einander verglichen werden, Eine Revolution in den beiden Sicilien kann aber das Elend eines allgemeinen Kriegs plötzlich über Europa herbeiführen. Man kann daher über dasjenige, was in den beiden Sizilien vorgefallen ist, nicht ohne Besorgnisse seyn. Die Geseze [sic!], von welchen ein Volk beherrscht wird, können nicht dem willkührlichen Eigensinn der Macht überlassen werden, die sie verändern will. Könnte das Schicksal der Gesellschaften von dem Schwerdte eines kühnen Soldaten abhängen, so würde den Menschen, welche die Freiheit und die Würde des Menschen hochschätzen, nichts weiter übrig bleiben, als den Kopf unter den blutigen Scepter der Revolution zu beugen. Geseze [sic!], welche dem Souverain und seinem Volke durch die Gewalt aufgedrängt werden, verdienen keineswegs den heiligen Namen von Gesezen." [4]

Diese Stimme aus dem illyrischen Königreich war insofern bemerkenswert, als sie eine Vergleichbarkeit ausschloß und Ferdinand I., den König beider Sizilien, im Gegensatz zu Ferdinand VIII., dem König von Spanien, als grundsätzlich weniger absolutistischer darstellte. Dadurch benützten die konservativen Kreise, die diese Meinung in dem Blatt lanciert oder zumindest publiziert hatten, einen Kausalzusammenhang zwischen der königlichen Milde und der daraus folgenden moralischen Unbotmäßigkeit des Aufstandes: Nur weil der Monarch zum Philantrop erklärt wurde, konnte eine Verurteilung des Willens der Revolutionäre rechtens erscheinen. Solche Positionen nahmen auch andere Europäer ein, beispielsweise die konservativen Schriftsteller Johann Baptist v.Pfeilschifter oder Clemens Wenzel Freiherr v.Hügel, deren Bücher zum Trienio liberal ebenfalls von Ludwig detailliert untersucht werden. [5] Aber die spanische Inspiration hatte auch konkrete Folgen, wie Ludwig anhand der Schilderung der Verschwörungen der Adeligen v.Hedemann, v.Lisnewsky und v.Ferentheil-Gruppenberg in Erfurt und Westpreußen aufzeigt (Seite 79-83). 

Im Ergebnis liefert Ludwig die Erkenntnis, daß der Trienio liberal stark in Deutschland rezipiert wurde und entwickelt vor diesem iberischen Hintergrund die Hoffnungen und Sehnsüchte deutscher Liberaler, aber auch die Ängste und Befürchtungen der deutschen Konservativen vor ähnlichen Ereignissen. Diese traten dann mit Verspätung im Jahre 1848 allerdings auch in Deutschland ein und führten letztendlich zu einem konstitutionellen System und der ersten deutschen Demokratie. Ludwigs konzise Darstellung liefert vor diesem Panorama des Wissens der Nachgeborenen ein bemerkenswertes Puzzlestück, dessen Hauptbedeutung in der Offenlegung der Komplexizität von häufig unterschätztem sozialem und medial vermitteltem Einfluß in der Historie liegt. Der Band kann für 29 Euro in jeder Buchhandlung oder in den einschlägigen Online-Buchhandlungen erworben werden.

Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (Jahrgang 2013) und stammt von Claus Heinrich Bill.

Annotationen:

  • [1] = Dazu siehe Christoph Marx & Peter Burschel (Herausgebende): Prophetie und Gewalt, Köln & Weimar & Wien 2013 (Band XIII. der Schriftenreihe Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie)
  • [2] = Dazu siehe Sieghard Neckel: Verbesserungen führen zum Umsturz, in: Sighard Neckel & Ana Mijic & Christian v.Scheve & Monica Titton (Herausgebende): Sternstunden der Soziologie. Wegweisende Theoriemodelle des soziologischen Denkens, Frankfurt am Main & New York 2010, Seite 380-386
  • [3] = Über seine Person und seinen Hintergrund sowie seine Motive zur Abfassung dieser Arbeit ist nichts zu ermitteln gewesen und der Verlag macht darüber auch im Weltnetz leider keinerlei Angaben. Möglicherweise handelt es sich um einen sächsischen Wirtschafts-Historiker; zumindest aber weisen seine Darlegungen einen starken sächsischen Fokus auf. Eine akademische Qualifizierungsarbeit scheint das Werk aber nicht zu sein, jedenfalls steht davon nichts im Vorwort. Eventuell ist die Arbeit aus einer privaten Spanienbegeisterung heraus entstanden, offensichtlich nicht institutionsgebunden. Im gleichen Verlag hat Ludwig vorher (1998) schon ein anderes Büchlein namens „Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen 1700-1850“ publiziert.
  • [4] = Vereinigte Laibacher Zeitung, Ausgabe ? 76 vom 22. September 1820, Seite 260-261
  • [5] = Ludwig analysiert allerdings nur 13 zeitgenössische deutschsprachige Monographien zum Thema aus den Erscheinungsjahren 1820 bis 1823. Ergänzend könnte man hier noch zusätzlich nennen a) Carl Friedrich Hartmann: Die spanische Constitution der Cortes und die provisorische Constitution der vereinigten Provinzen von Südamerika. Aus den Urkunden übersetzt mit historischen-statistischen Einleitungen, Leipzig 1820 (222 Seiten), b) Johann Daniel Wagener: Merkantilische Notizen über Spanien, begleitet mit einer historisch-statistischen Einleitung, Königsberg 1823 (176 Seiten), c) Gerhard Ludvig Lahde: Neue Kriegs-Scenen aus Spanien in den Begebenheiten eines Husaren-Offiziers. Zur Würdigung des Spanischen Volks-Geistes, Leipzig 1823 (299 Seiten) sowie d) Michel de Rocca:Neue Kriegs-Scenen aus Spanien, Leipzig 1823

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