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Intersektionalitätskonzept und AdelsforschungAnregungen und Überlegungen zur methodischen VerschränkungÜber „Zwerge und Favorit-Zwerge“ schrieb 1843 eine österreichische Zeitung: “Die Liebhaberei der Reichen und Hohen an Zwergen und andern mehr oder weniger mißgestalteten Naturspielen wurde im sogenannten klassischen in diesem Punkte aber sehr unklassischen Alterthume sehr weit getrieben und kam von den ausgearteten Griechen nach Alexanders Zeiten zu den nicht weniger ausgearteten Römern. Das Alterthum unterschied aber sehr genau die eigentlichen Zwerge – naul, pumili – und die großköpfigen kleinen Mißgestalten – moustra –, die Sueton durch die Benennung `distortos´ von jenen unterscheidet. Die damaligen Zwerge waren sehr regelmäßig geformte Pygmäengestalten und man lernte den Morgenländern die von jeher auf Menschen-Verstimmelungen raffinirt haben, die Kunst ab, durch Einpressen in besonders dazu erfundene Kästen den Wachsthum des Körpers zu hindern, was noch vor etwa einem Jahrhundert in Polen geschah, um künstliche Zwerge zu erhalten. Schon Longin spricht von solchen Menschen-Futeralen, die Plinius gesehen zu haben versichert. Beliebter als die gutgebildeten Zwerge waren aber die kleinen Scheusale mit großen Köpfen, welche Athenäus in der Beschreibung des sybaritischen Luxus Stilponen nennt.“ [1] Läßt man einmal die diskriminierenden Be- und Umschreibungen dieses Artikels beiseite, waren sogenannte „Hofzwerge“ vielfach auch noch und besonders an Höfen der Frühen Neuzeit beliebt, weil sie als abweichend von der menschlichen Norm wahrgenommen wurden – und selten waren. Das Zitat zeigt nicht nur die Beliebtheit kleinwüchsiger Menschen in der Antike, auch die besondere Aufmerksamkeit und das Agenda-Setting, mit denen sie von Mächtigen und Reichen bedacht wurden, sondern auch die Leiden der oft als Objekte des Sammelns und Präsentierens betrachteten Menschen. Gleichwohl waren aber „Hofzwerge“ nicht allein Objekte der Belustigung, wie es manche Quellen schildern. [2] Denn „Hofzwerge“ waren durchaus auch Fürstendiener, Fürstenbegleitende, Tafeldecker oder Kammerdiener, teils hoch besoldet oder mit lebenslangen Pensionen versehen.[3] Ein neuer Beitrag zur Erforschung dieser Diener*innengruppe hat nun ein Aufsatz erbracht, der in einem innovativen Sammelband abgedruckt wurde. Dabei geht es um „Verschränkte Ungleichheiten“ und die Übertragung der bisher eher in der Gender-Forschung benützten Intersektionsanalyse [4] auf die Geschichtswissenschaft sowie ein Plädoyer für deren Anwendung und hier speziell die Frühneuzeitforschung. [5] Dies bietet sich insofern an, als Intersektionalitätsforschung vor allem eine aktuelle soziologische Forschungsrichtung ist, die sich mit aktueller sozialer Ungleichheit und den daraus sich ergebenden Benachteiligungen beschäftigt, [6] soziale Ungleichheit aber in der Frühneuzeit geradezu ein konstitutives und weithin anerkanntes Element der ständischen Gesellschaften gewesen ist. [7] Die Herausgeber*innen des Bandes, in dem neben einer Theorie und Programmatik der Intersektionsanalyse auch zahlreiche Anwendungsbeispiele der Praxis abgedruckt worden sind, plädieren jedoch auch für eine Erweiterung der Perspektiven. Beschäftigte sich Intersektionalität bislang oft mit den Nachteilen der Verschränkung sozialer Kategorien, so kann der Blick nun und hier, nicht zuletzt durch die Theorieemigration in die Historiographie, auch auf Vorteile gerichtet werden. So lassen sich gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten gerade für die erwähnten verschränkten Kategorien von „Hofzwergen“ und „Adel“ finden. Denn der erwähnte Beitrag des Sammelbandes stellt beispielsweise zwei adelige „Hofzwerge“ vor; es sind dies Andreas v.Behn aus Schweden (Seite 70) und der salzburgische Hofdiener Johann Franz Meichelböck (1695-1746), Sohn eines Stiftsverwalters und fürstäbtlich Bodmannschen Kammerdieners aus Schwaben, der vielfach von sozialen Umwelten und Teilen von Höfen als adelig wahrgenommen wurde, zudem wohlhabend war, Stifter wurde – und teils sogar als „Baron“ tituliert worden ist. [8] In ähnlicher Weise suchen andere Beiträge des Sammelbandes nach Möglichkeiten, derlei soziale Verschränkungen zu untersuchen, versuchen die Anteile und Wandelvorgänge auszuloten, die mit der derlei Verschränkungen einhergingen. So befaßt sich ein weiterer Beitrag mit dem Duell im 19. Jahrhundert und die Beiträgerin stellt die These auf, daß das vormoderne Duell zunächst lediglich ein Marker für Männlichkeit gewesen sei, im 19. Jahrhundert dann, dem Zeitalter formalisierter Duelle und formalisierter Duellanleitungsliteratur, zu einem Marker von „Geschlecht“ und „Stand“ geworden sei. Der Männlichkeitsmarker habe sich daher zur Moderne hin um die Kategorie „Stand“ vermehrt (Seite 349). Dies könne man unter anderem daran erkennen, daß Damenduelle in der Frühneuzeit selten erwähnt worden und dann auch nur als abweichendes Verhalten etikettiert worden seien (Seite 345). Tatsächlich wurden Damenduelle, auch noch in der Formierungsphase der Moderne, als deviantes Verhalten wahrgenommen, als Sensation aufgefaßt. So berichtete ein Anonymus (1907) in einer österreichischen Zeitung: „Eine merkwürdige Affäre wird aus Lemberg den Wiener Blättern gemeldet. Dort haben zwei Mädchen miteinander ein Pistolenduell unter schweren Bedingungen ausgetragen. Die Folge war, daß eines der Mädchen eine so schwere Verwundung erlitt, daß es einige Stunden später das Leben aushauchte. Hingegen erklären die Lemberger Blätter, daß es sich um den Selbstmord der betreffenden Mädchen handelt. Tiefe Leidenschaft, die in beiden Mädchen für einen und denselben Mann glühte, wird als die Duellursache angegeben. Als sie entdeckten – zu spät für sie –, daß jede von ihnen in einem Irrwahn lebte, da jede geglaubt hatte, die einzige Erkorene jenes Mannes zu sein, vereinbarten sie in ihrem tollen Schmerze das Duell unter Bedingungen, von denen sich voraussehen ließ, daß sie zum Tode führen werden. Der einen oder der andern oder auch aller beiden, denn es scheint, daß mehrmaliger Kugelwechsel bei gleichzeitigem Feuern festgesetzt worden war. Eine sinnlose Kampfbegier, ausschließlich und vollständig unter der Herrschaft des Gefühles eines tödlich verwundeten Herzens stehend, läßt sich auch daran erkennen, daß das Duell, nachdem eines der Mädchen schon von einer Kugel getroffen worden war, fortgesetzt wurde. [9] Das Leben war ihnen zur Qual und Bürde geworden. Das Duell mit dem Tode vor Augen hatte für sie daher keine Schrecken. Es sei daran erinnert, daß vor einigen Jahren in Paris zahlreiche Damenduelle ausgefochten wurden, übrigens nicht mit Pistolen, sondern mit Degen, und daß in einem solchen Zweikampfe eine Dame getötet wurde. Die bezügliche Depesche lautet: Lemberg, 29. Oktober. Zwischen den in der hiesigen Filiale der Wiener Speditionsfirma Caro v.Jellinek angestellten Praktikantinnen, der 20jährigen Gusta Reiter und der 19jährigen Manna fand gestern in einem Wäldchen in der Nähe der Stadt ein Pistolenduell unter schweren Bedingungen statt. Beim ersten Kugelwechsel erlitt Fräulein Manna eine leichte Verletzung an der Stirne, beim zweiten erhielt Fräulein Reiter einen Pistolenschuß in den Kopf und trug derart schwere Verletzungen davon, daß sie heute im Landesspitale starb. Ueber die Ursache des Duells, das großes Aufsehen erregt, wird gemeldet: Die beiden Mädchen standen, ohne davon zu wissen, in Beziehungen zu einem Hauptmanne. In den letzten Tagen erfuhren sie von ihren gegenseitigen Beziehungen zu dem Offizier, der einer jeden die Ehe versprochen hatte. Sie überschütteten einander mit Vorwürfen und gerieten in solche Exaltation, daß sie einander schließlich zu dem Duell unter schweren Bedingungen herausforderten.“ [10] Bemerkenswert nun an dieser Meldung war, nimmt man den vorerwähnten Sammelbeitrag ernst, die Verwendung des Wortes „Duell“, das weder die typische Zweikampf-Kategorie „Geschlecht“ noch die Kategorie „Stand“ enthielt. Hier mag möglicherweise die Sensationslust der Czernowitzer Journalist*innen dazu verleitet haben, das Wort „Duell“ aufzurufen, ohne dazu einen konkreten Anlass zu haben. Andererseits muß, nimmt man die Zeitungsmeldung ernst, zugestanden werden, daß die Bezeichnung“Duell“ in der Formierungsphase der Moderne auch außerhalb der im Sammelnamenbeitrag behaupteten Marker und Humandifferenzierungen benützt worden ist, de facto also eine Aufhebelung der verschränkten Ungleichheitskategorien stattgefunden hat. Neben dieser Problematik kommt bei derlei Analysen verschränkter
Ungleichheiten allgemein hinzu, daß Intersektionalität immer
auch nach den Anteilen und damit den konkreten Quantitäten der einzelnen
und miteinander verschränkten Kategorien zu fragen hätte. Gerade
diese aber sind bei Qualitäten schlichthin nicht zu messen. Es läßt
sich konkret eben nicht mengenhaft feststellen und beziffern, wann zu wie
viel Prozent oder in welcher (wie auch immer zu messenden) Stärke
das Duell um die Kategorie „Stand“ vermehrt worden ist.
Nicht nur die thematische Einführung und der Schlußkommentar laden daher in dem Sammelband zu einer Vertiefung im eigenen Forschungsgebiet ein. Vielmehr bieten die Beiträge geeignete Anknüpfungspunkte. Und auch wenn es wegen der wohl oftmals desolaten historischen Quellenlage manche Beschränkungen im Material geben dürfte, ist nicht zu verkennen, daß eine Wende auch zur Erforschung der Wirkung positiver Verschränktheiten von Humandifferenzen insbesondere für die Adelsforschung fruchtbar gemacht werden kann. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil gerade in der Frühen Neuzeit Adel eine wichtige soziale Kategorie war; hier warten daher noch etliche Analyseaussichten, bei denen nicht nur die offenkundige Humandifferenz „Adel“, sondern auch Verschränkungen mit den Kategorien wie „Geschlecht“, „Leistung“, „Abstammung“ oder „Habitus“ von Bedeutung sein könnten. Diese Rezension stammt von Dr. Claus Heinrich Bill, M.A., B.A., und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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