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Deutsche Diplomaten von Adel in Afrika in der Frühen NeuzeitInterkulturelle Handlungspotenziale in KontaktbegegnungenDer kurfürstlich brandenburgische Gesandte Otto Friedrich von der Groeben (1657-1728) bekam im XVII. Centenarium von seinem fürstlichen Dienstherrn den Auftrag, in Afrika Handelsbeziehungen anzuknüpfen. [1] Dies geschah 1683 mit dem Versuch Groebens, mit einheimischen Oberen – von ihm Capiscirs genannt – an der westafrikanischen „Goldküste“ Verträge abzuschließen. In einer zugehörigen zeitgenössischen Quelle berichtete Groeben darüber vom Standpunkt eines Außenstehenden, der die ihm fremd erscheinenden und ihm dort begegnenden kulturellen Verhaltensweisen der Akteur*innen nicht verstand, dennoch aber um eine enzyklische Sichtweise bemüht gewesen ist, wie folgt:„Hiebey kann ich nicht unterlassen zu melden die Freygebigkeit der Schwartzen, wann ich sie beschencket, oder ihnen etwas versprochen; Alsdann fuhren sie behende an die Erde, ergriffen ein stückchen Holtz, Erde, oder was sie bekommen konten, und steckten es mir zum Zeichen der Danckbarkeit in die Hand. Wann sie mir ein Huhn oder Schüssel Reiss brachten, wollte ich mich auch ihrer Mode bedienen: Aber es wollte nicht passi[e]ren; Dann ihre Meynung war, dieser Gebrauch wäre allein bey den Schwartzen, und nicht bey den Weissen [...] Über den nun abzuschliessenden Contrakt und die dabei vorkommenden Formalitäten äussert sich der Kurfürstliche Gesandte also: `Folgenden Tag setzte ich den Contrakt zu Papier, den ich mit denen Capiscirs (derer 14 nunmehr auf dem Berge waren) geschlossen, weil sie es selbst an mich offtmahls gesuchet. Da ich sie von der Accodaischen Gesandtschafft wissen lassen, waren sie noch Misstrauischer, indem sie in Furcht stunden, wir möchten sie verlassen. Derowegen berieff ich sie in mein Gezelt, setzte mich mit dem Commendanten Philipp Blancken und denen Capiscirs an eine Taffel, gab ihnen abermahl die im Contract stehende Puncta auf Portugiesisch zu verstehen, und begehrete, sie möchten selbige beschweren. Da fo[r]derten sie erstlich gewisse Wahren von mir, davor sie unserer Compagnie den Berg und die umbliegende Gegend Eigenthümlich verkauffeten. Nachmahls liess ich eine Schale mit Brandtwein, Wermuht-Extract und Violensafft zurichten, nahm einen Löffel in die Hand, und fragete den Ältesten, ob ihm beliebe zu trincken, selbiger sagete: Ja, ich trincke, folgende Puncta, so man mir vorgelesen, zu halten, unter dieser über uns wehenden Flagge zu leben, und zu sterben. Breche ich meinen Eyd, so lasse mich der grosse Monarch augenblicklich sterben. Einige unter ihnen wollten zwar Fetisie trincken, konten aber nicht ehe mit den Ihrigen den Berg beziehen, als umb drey, vier, biss sechs Monaten, solches aber wollten die andern nicht zu geben. Nachdem sie nun alle den Eyd geleistet, nahm der älteste Capiscir die Schale in die Hand, und begehrete: Ich sollte ihnen allen nebst dem Commendanten schweren, sie wider alle ihre Feinde zu beschirmen, und in keiner Noht zu verlassen, ihnen ihr Weib und Kinder nicht wegzunehmen, oder zu verkauffen, item, wider die Holländische Compagnie zu vertheidigen. Welches ich ihnen alles zu halten versprochen, ausgenommen, wann sie den Holländern würden Ursach geben, oder was entfrembden. Damit steckete mir der Capiscir einen Löffel voll des Tranckes in den Halss, dass ich 6 Wochen daran genug hatte, wie auch dem Commendanten, welcher (weiss nicht, ob im Schertz oder Ernst, wie ich wohl ehe glaube) darauff sprach: Soll ich euch eure Weiber und Töchter nicht nehmen, so gebet mir ein Weib. Ein Capiscir fiel ihm in die Rede; Wolten wir nach Landes-Gebrauch trauen, so stünden ihre Töchter zu unsern Diensten. Wir nahmen dieses in Schertz an, gaben ihnen ihre Praesenten, dazu noch einen Anker Brandtewein, und liessen sie von uns.” [2] Deutlich wird daran, daß Groeben ein Interesse am Verständnis der Verhaltensweisen seines Gegenübers hatte und sich bemühte, Verträge nach europäischen Mustern durch vormoderne Praktiken der Ritualisierung und Performanz zu besiegeln, zugleich aber auch die einheimischen Rituale anzunehmen. Es wird jedoch auch deutlich, daß Groeben gewisse Schwierigkeiten hatte, um die Bedeutung und Ernsthaftigkeit (anderer als) der (eigenen) Gebräuche zu ermitteln. Seine in dieser Situation zutage tretende grundsätzlich Verständnisbemühung war daher nicht im Sinne Yousefis apozyklisch, sondern auf eine „Straße der Verständigung“ hin orientiert. [3] Deutlich wird an dieser Schilderung aber auch, welche Herausforderungen mit interkultrueller Diplomatie verbunden war. Denn hier lag nicht nur die Problematik der als hochsymbolisch schon der gewöhnlichen Diplomatie eingeschriebenen Formen vor, [4] sondern zusätzlich die Übersetzungsleistung bisher unbekannter Zeremonien zu Vertragsbekräftigungen. [5] Die Bielefelder Frühneuzeit-Historikerin Christina Brauner hat diese Herausforderungen und Formen nun in ihrer Dissertation erstmals systematisch untersucht [6] und beschreitet damit das noch relativ junge Feld historischer Interkulturalität oder interkultureller Geschichtswissenschaft. [7] Sie interessiert sich für die europäisch-afrikanischen Übersetzungsformen und -möglichkeiten, für das jeweilige Gelingen und Scheitern solcher Verhandlungen, aber auch für die Stellung der Handelskompagnien als der maßgeblichen europäischen Akteur*innen im diplomatischen Ablauf. [8] Dadurch verbindet sie die Forschungsrichtungen der vorkolonialen Westafrikahistorie mit denen der neuen Diplomatiegeschichte. Kernpunkte ihrer Untersuchung sind erstens die europäische Sicht auf Westafrika und die dortigen Eliten, die teils mit eigenen, teils mit andersartigen Begriffen beschrieben wurden, deren Eigenheiten sich aber immer vor der europäischen Folie des Gewohnten abspielten. Zweitens wurde die Beobachtung und Analyse des eigentlichen Kulturkontaktes Brauners Hauptaufgabe, die sie nicht zuletzt mit einem großen Kapitel über den Gabentausch auch mit einer wertvollen Theorie der materiellen Reziprozität füllt. Völkerrechtliche und vertragspraktische Untersuchungen (z.B. über Eide und Geiseln) schließen sich, jeweils historisch kontextualisiert, an. Brauner kommt in ihrer tiefgehenden Studie zu der Erkenntnis, daß die interkontinentalen Kontakte der vor der kolonialen Ausbeutung Afrikas liegenden Zeit durchaus in ihren Machtverhältnissen nicht asymmetrisch sein mußten. Hier begegneten sich bisweilen in gleichberechtigter Weise verschiedene Kultur- und Interessenvertreter, die, wenn die ersten Unsicherheiten und Irritationen, wie sie noch bei Groeben geschildert worden sind, verflogen waren, gemeinsame diplomatische Praktiken herausbildeten. Goldküstenherrschende nutzten zudem Europäer*innen auch zur Schlichtung und Vermittlung zwischen eigenen und miteinander konkurrierenden Machteliten; Europäer*innen paßten sich an lokale Gegebenheiten an. Es entstanden ferner personale Vermittlungsschichten durch Euroafrikaner*innen, die beide Kulturen kannten und nicht nur sprachliche Kontakte übersetzten. Unverkennbar ist aber auch, so Brauner, daß sich dies Verhältnis einer gewissen Form von Gleichberechtigung der Begegung zwischen europäischen Gesandten der Handelskompanien und den von diesen Gesandten so bezeichneten afrikanischen „Königen“ später, im XVII. Säkulum, hin zu einem Ungleichheitsverhältnis verschob, das europäischerseits den Afrikaner*innen einen Inferioritätsstatus zuzuweisen bemüht war. Brauners Arbeit eröffnet damit ungewohnte Perspektiven. Sie hält einerseits „Mißverständnisse“, wie sie vielleicht oben in Groebens Bericht als solche gedeutet werden könnten, bisweilen auch für Hidden Agendas, [9] d.h. bewußt gewählte Interpretamente zur Erreichung arkaner Ziele. Diese Opakheit hinter den Handlungen ist es, die Brauner in den Blick genommen hat, auch wenn naturgemäß derlei versteckte Ziele oft nur schwer aufzudecken sind. Andererseits plädiert sich auch dafür, die strikte gedankliche und konzeptionelle Trennung in vorkoloniale und koloniale Zeiten in Frage zu stellen. Diese Haltung steht parallel zur Diskussion um die wohl selten mögliche strikte Trennung zwischen europäischer Vormoderne und Moderne. Man wird hier vielleicht nicht fehl gehen, von „multiplen Modernen“ auszugehen, ohne das an sich bewährte Konzept der Zeiten- und Epochenseparation als ordnendem Gliederungs- und Abstraktionsfaktor gänzlich aufgeben zu müssen. Ein Plädoyer nicht zuletzt auch für diese eher differenzierte Sichtweise hat auch Brauner mit ihrer Studie in wertvoller Weise angestoßen. Unter diesen Gesichtspunkten auch das Wirken vormoderner adeliger Akteur*innen in Außereuropa – nicht nur Groebens – zu untersuchen, kann hier ein weiterhin lohnendes Betätigungsfeld auch für künftige Forschungen sein. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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