Institut Deutsche Adelsforschung
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Die Tagebücher des Geologen v.Hoff (1771-1837)

Rezension zu einer Neuerscheinung aus der Weimarer Verlagsgesellschaft

Als Karl Ernst Adolf v.Hoff im Vormärz im Alter von 65 Jahren an einem Schlagfluß verstarb, [1] senkte sich mit ihm eine bedeutender Geologe, Genealoge und auch Diplomat ins Grab, der späterhin weitgehend in Vergessenheit geriet. Die Chemieingenieurin Karin Dreißig und der Geowissenschaftler Dr. Thomas Martens, beide in der DDR sozialisiert und tätig gewesen, nähern sich v.Hoff nun von Seiten der Naturwissenschaft, um dieses Vergessen zu beenden. Sie transkribierten die umfänglich aus rund 800 handschriftlich beschriebenen Seiten bestehenden Tagebücher v.Hoffs, die dieser unter dem Titel „Annalen meines Lebens“ in acht Bänden zurückgelassen hatte. [2] 

Damit liegt der Öffentlichkeit und auch der Forschung jetzt ein in Antiquaschrift gedrucktes Tagebuch in recht guter Abschrift vor, dessen Edition nicht anders als sehr verdienstvoll bezeichnet werden kann. Indes entspricht das Ergebnis nicht den üblichen Editionsrichtlinien der Geschichtswissenschaft, [3] da Annotationen fehlen und die Rechtschreibung stillschweigend auf heutige Gepflogenheiten umgeändert worden ist, ohne daß dies im Text kenntlich gemacht worden wäre (Seite 12). 

Für denjenigen, der sich jedoch inhaltlich mit den Tagebüchern beschäftigen will, ist dies auch nicht ganz wesentlich, da die entsprechenden Inhalte auch so nun in dieser Form einem erheblich weiteren Kreis zugänglich sind, als dies zuvor der Fall war, da sie bisher nur unpubliziert im Goethe-Schiller-Archiv zu Weimar lagen. 
Die beiden Herausgebenden und Bearbeitenden hatten sich den Tagebüchern v.Hoffs zunächst vor allem gewidmet, weil sie die Hoffnung hatten, daß sie darin mehr über den Geologen finden könnten (Seite 11), der heute als Begründer und Pionier der modernen Geowissenschaften gilt: [4] 

Karl Ernst Adolf v.Hoff hat sich in seiner Freizeit als Autodidakt neben seinem Brotberuf als Mineraloge und Geologe betätigt und zahlreiche Veröffentlichungen hinterlassen (Seite 440-445). Zu einer dieser Publikationen gehörte die „Geschichte der durch Überlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche. Ein Versuch von K. E. Ad. v.Hoff. Theil 4. (Auch u. d. Tit.: Chronik der Erdbeben und Vulkan-Ausbrüche. Mit vorausgehender Abb. über die Natur dieser Erscheinungen (Gotha, Verlag Justus Perthes 1840).“ Hierzu bemerkte ein anonymer Rezensent in der Literarischen Zeitung im Jahre 1840: 

„Wie bekannt ist v. Hoff am 24. Mai 1837 aus dem Kreise der Lebenden geschieden; er hat unser Werk vollständig ausgearbeitet hinterlasssen und Prof. Berghaus, von welchem auch Einschaltungen und Berichtigungen hinzugefügt sind, erhielt den Auftrag, dasselbe der gelehrten Welt zu übergeben. Die Einleitung (122 Seiten) ist in jeder Hinsicht lesenswerth; überall herrscht eine einfache und ungezierte Sprache, verbunden mit Kürze der Begriffs-Bestimmungen; freilich sind die meisten Gegenstände, welche man hieselbst auf populäre Weise abgehandelt findet, in den letzteren Jahren schon in mehreren Werken, welche über ähnliche Gegenstände handeln, vorgetragen, doch das Manuscript zu diesem Buche war sicherlich schon viel früher verfertigt als jene neuerlichst erschienenen Werke. Der Verfasser handelt zuerst von der Bestimmung der Begriffe, welche man in Bezug auf die vulkanischen Erscheinungen bei Erdbeben festgestellt hat. Ferner die bei Erdbeben; es wird die geographische Verbreitung derselben, so wie die Stärke und ihre Dauer angegeben. Bei der Betrachtung der vulkanischen Ausbrüche wird die geographische Vertheilung der Vulkane, so wie die Zahl der eigentlich thätigen Vulkane und derjenigen Punkten näher aufgeführt, an welchen sich einzelne vulkan.[ische] Erscheinungen gezeigt haben. Leider ist Alles ohne Angabe der Literatur geschrieben und an die Genauigkeit dieser Angaben darf man keine grosse Forderungen machen. Es ist oft unglaublich, welche grosse Fehler sich hier über längst bekannte Gegenstände verbreitet finden, und Ref.[erent] möchte an den Herausg.[eber] der hinterlassenen Manuscripte die Frage stellen, wcsshalb er nicht die grosse Menge von fehlerhaften Angaben verbessert habe, da er einmal Einschaltungen und Verbesserungen zu machen berechtigt war ... Die Chronik der Erdbeben und Vulkan-Ausbrüche bis zum Jahre 1759 umfasst den grössten Theil des Buches (S. 123 — 470); 44 Seiten handeln bloss über die Erscheinungen vor der christlichen Zeitrechnung. Bei dieser Chronik ist nun überall die Quelle angegeben und man wird die Geduld bewundern müssen, mit welcher v. Hoff diese ungeheure Masse von Angaben gesammelt hat, ja man wird noch mehr erstaunen, wenn man daran denkt, dass noch ein zweiter Band mit der Fortsetzung derselben gefüllt werden wird.“ [5]
Der unbekannte Rezensent der Literarischen Zeitung fällte als ein zweigeteiltes Urteil über v.Hoffs Schriftstellerei in seinem Werk. Obgleich v.Hoff Jura und Physik studiert hatte und daher in gewisser Weise als Universalgelehrter mit seltener Fächerkombination und so unterschiedlichem Erkenntnisinteresse angesehen werden kann, gehörten seine Werke also auch bei ihrem Erscheinen schon nicht zu den wissenschaftlichen Werken, auch wenn v.Hoff späterhin als Mitbegründer des geologischen Aktualitätsprinzips (die Annahme, daß aktuelle geologische Vorgänge auch schon in der Vergangenheit auf gleiche Weise gewirkt hätten) galt und seine Verdienste um die Geowissenschaften unbestreitbar sind. Indes war v.Hoff als Gründer eines im XIX. Jahrhundert noch neuen Wissenschaftszweiges auch jemand, der sich zunächst orientieren mußte und auf den sich nicht immer die wissenschaftlichen Ansprüche der heutigen Zeit anwenden lassen. Gleichwohl gilt: In anderen Fällen hat v.Hoff Quellenangaben sehr wohl gemacht, insofern kann die geteilte Kritik des Anonymus der Literarischen Zeitung durchaus bestehen bleiben.
Aber: Karl Ernst Adolf v.Hoff säkularisierte die Geographie, die zuvor eher in transzendentaler Weise abgehandelt worden war, um sie als religionspsychologisches Mittel zum Zweck der Disziplinierung von Gläubigen zu instrumentalisieren, [6] wie ein typisches Beispiel aus dem Jahre 1582 zeigt: „Von Erdbiden / Etliche Tractät / alte und newe / hocherleuchter und bewärter Scribenten; in welchen klärlich angezeigt / was dieselbigen jeder zeit gutes und böses mitgebracht: Auch wass darauf erfolget sey: Weil nach des Herrn Christi Weissagung / zu den letzten zeiten / viel Erdbiden geschehen sollen: Dieser Zeit jeder menigklich sehr tröstlich vnnd nützlich zu wissen, durch Iohan Rasch an tag geben“. [7] Indes ist v.Hoffs Name auch noch verbunden mit dem heute noch weltberühmten „Gotha“, den Gothaischen Genealogischen Taschenbüchern des Adels, deren Redaktion Hoff 1816 bis 1822 besorgte und der sich damals noch rein auf die Genealogien des regierenden deutschen Hochadels beschränkte. [8]

Im Hauptberuf war aber v.Hoff Staatsbeamter im Herzogtum Sachen-Gotha und Altenburg. Dieses Kleinstterritorium auf dem heutigen Gebiet des Bundeslandes Thüringen bestand nach den ernestinischen Teilungen und Erbauseinandersetzungen unter diesem Namen von 1672 bis 1826 und besaß eine eigenes Staatsgebiet aus vielen zersplitterten Landesteilen, die nicht zusammenhängend lagen, aber eine eigene Herzogsfamilie und eine eigene Regierung besaß, der eben auch v.Hoff angehörte: Er war in Gotha, der Residenzstadt der Herzogsfamilie, aufgewachsen, von Hauslehrern unterrichtet worden, hatte 1788 bis 1791 an den Universitäten zu Göttingen und Jena die Jurisprudenz studiert, war dann Ende Dezember 1791 Legationssekretär und Hofrat geworden, bevor er zuletzt als Direktor des Oberkonsistoriums zu Gotha fungierte. Das Staatsgebiet umfaßte 1802 das alte Fürstentum Gotha, den größten Teil des Altfürstentums Altenburg und des hennebergischen Amtes Themar, bewsaß rund 50 Quadratmeilen, 16 Städte, 10 Flecken sowie 410 Dörfer bei einer Gesamtbevölkerung von insgesamt nur rund 180.00 Einwohnern. [9]

Karl Ernst Adolf v.Hoffs Tagebücher aus dieser Provinzialität sind aber nicht in erster Linie wegen seiner darin auch erwähnten geologischen Exkursionen und Forschungen interessant, sondern als persönliche Äußerungen eines Adeligen aus dem Vormärz, wie wir sie nur selten in dieser Unmittelbarkeit und Fülle finden. Nicht umsonst wurde hier an anderer Stelle in vergangenen Jahren mehrfach auf den Wert adeliger Selbstzeugnisse hingewiesen, der nach wie vor bestehen bleibt und nun also durch die v.Hoffschen Editionen bedeutend vermehrt und ergänzt wird. [10] 

Wir haben es daher bei den v.Hoffschen Lebensannalen mit einen Innenperspektive eines Niederadeligen zu tun, der in einem mitteldeutschen Kleinstterritorium als Beamter arbeitete und seinen Wirkungskreis in vielen provienziell beschränkten personalen Netzwerken pflegte, zu denen als Besonderheit im Übrigen auch die Begegnungen mit Goethe und Napoleon I. gehörte, die v.Hoff jedoch nicht sehr ausführlich schildert (Seite 219, 225). [11] 

Entsprechend der Fülle des Materials sind zahlreiche Aussagen v.Hoffs aus verschiedenen Perspektiven interessant: Er beschreibt beispielsweise die Gefühle, die sich aus der Nichtanerkennung seines Adels im Herzogtum ergeben hatten (Seite 24, 60, 103), von der Rangzurücksetzung bei Hofe (Seite 80), aber auch dem Verfahren einer fremden erfolgreichen Adelsanerkennung, so bei dem aus der Schweiz eingewanderten Sachsen-Gotha-Altenburgischen Fürstenerzieher [12] und Moosforscher Samuel Elisée v.Bridel-Brideri (1761-1828), [13] der andernorts allerdings als nichtadelig gilt [14] und sich seine Adelsanerkennung aus recht skurrile Weise eingefordert hatte (Seite 279).

 Diese selten erwähnte mitteldeutsche Adelsfamilie, mit der v.Hoff befreundet war, stellte 1847 auch noch ein Hoffräulein Malwine v.Bridel-Brideri (1815-1899) bei der regierenden Herzogin von Sachen-Coburg und Gotha. [15] Karl Ernst Adolf v.Hoffs eigener Adel war jedoch durch Nichtgebrauch infolge Verarmung schon bei seinem Urgroßvater nicht mehr in Gebrauch gewesen (Seite 24).

Eingerahmt wird die Edition durch ein Vorwort des Gothaer Oberbürgermeisters Knut Kreuch (Seite 9), eine Kurzbiographie des Protagonisten und eine kurze Editionsgeschichte (Seite 10-22), ein die alten Fachbegriffe erklärendes Glossar (Seite 406-416), ein Personenverzeichnis (Seite 417-431), ein Ortsregister (Seite 432-439) sowie eine Schrifttumsliste der Werke des Protagonisten (Seite 440-445) 

Doch namentlich der Wert des Personenverzeichnisses ist durch einige Lesefehler getrübt worden. Namensdiversitäten bei den Familien v.Minckwitz (als „v.Minkwitz“) sind freilich normal und nicht als Fehler anzumerken, aber in anderen Fällen kann das Original so sicher nicht gelautet haben. Der „General Arentschild“ müßte „General v.Arentschild“ heißen (Seite 417), unter „Bertuch“ (Seite 418) fehlen Daten und Seitenverweise für die erste Frau des Protagonisten namens Caroline Bertuch (Seite 418), der Berliner Offizier „Bismark“ muß „“v.Bismarck“ geschrieben werden (Seite 418), unter „Böferlager“ verbirgt sich die niedersächsische Adelsfamilie „v.Böselager“ (Seite 418), „Graf Bombellee“ und „Graf Bombelles“ sind vermutlich identisch und gehören nicht etwa zwei verschiedenen Familien an (Seite 418). Dasselbe gilt für „Graf Dürkheim v.Montmartin“ und „Graf Ekbrecht“, dessen Familienname eigentlich richtig (seit 1778) „Eckbrecht Graf v.Dürckheim-Montmartin“ heißen (Seite 420) muß. [16]

Der „Fürst Reuß von Ebersdorf“ ist kein Titel, sondern es handelt sich um einen „Fürsten Reuß“ aus Ebersdorf (Seite 420). Der „Kammerherr Gabelenz“ muß ein „Kammerherr v.Gabelenz“ oder „v.der Gabelenz“ sein (Seite 422), der „Ministre ple´mpotentiaire“ (sic!) aus dem Register muß richtig „Ministre plénipotentiaire“ geschrieben werden (Seite 422), unter den im Register erwähnten Angehörigen der Familie v.Hoff fehlt wiederum die erste Gattin Caroline geborene Bertuch (Seite 423-424), der Fürst von „Hohenzollern-Sigmar“ (Seite 424) heißt richtig mit seinem Nachnamen „Hohenzollern-Sigmaringen“, ein Herr „v.Ledebar“ aus Altenburg (Seite 425) muß „v.Ledebur“ geschrieben werden, ein Herr „v.Kurbloch“ existierte nicht (Seite 425) und vielleicht handelt es sich hierbei um einen Herrn v.Knobloch. Der „Marchese Luechesini“ (Seite 426) wird in Wirklichkeit „Lucchesini“ geschrieben, der „General Natzmer“ (Seite 427) richtig „General v.Natzmer“, hinter dem Schreibfehler des „holländischen Generals Quaita“ verbirgt sich tatsächlich „General Guaita“, [17] der „General Schwerin“ (Seite 429) ist ein „General v.Schwerin“, der „Kammerherr Trott“ (Seite 430) gewiß ein „Kammerherr v.Trott“, der „Minister Zeschau“ (Seite 431) richtigerweise ein „Minister v.Zeschau“ und wenn von einem „Vrints von Thurn und Taxis“ (Seite 430) die Rede ist, so ist damit keine neue und noch unbekannte Hochadelsfamilie gemeint, sondern Carl Freiherr Vrints von Treuenfeld (1765-1852), seines Zeichens Thurn und Taxis´scher Oberpostmeister. [18] Ähnliche Namensverwechselungen finden sich auch bei einem angeblichen „Berghauptmann Graf v.Beukt“ (Seite 281), den es jedoch nie gegeben hat. Gemeint war vielmehr Ernst August Graf v.Beust (1783-1859) als Berghauptmann des rheinischen Oberbergamtes. [19] Auch im Text sind derartige Lesefehler aus dem Original anzutreffen: Einen „Oberst Kämnierer“, der dann auch im Personenverzeichnis an entsprechender Stelle fehlt (Seite 424), hat es nicht gegeben (Seite 270), sondern damit ist das Hofamt eines Oberstkämmerers gemeint.

Abgesehen von diesen recht häufigen und die Identifikation historischer Persönlichkeiten erschwerenden  Mißlichkeiten enthält die Publikation der Karl Ernst Adolf v.Hoff´schen Tagebücher eine Fülle von Interna, die bisher unbekannt waren, darunter interessante Informationen zum Charakter des nie verheiratet gewesenen Heinrich XXXV. Fürst Reuß zu Lobenstein (1738-1805) in Schloß Lobenstein, das Hoff 1795 besucht. Dort fällt ihm auf, daß der Fürst Portraits seiner Bedienten in seiner Wohnung anfertigen lassen und aufgehängt hatte, was, da dies bis hinab zum Stallburschen geschehen war, v.Hoff sehr ungewöhnlich vorkam (Seite 77). Auch soll er als „unreinlich“ gewesen sein, was den fürstlichen Prestigegründen, die allgemein in Europa galten, in der Tat vehement widersprach. [20] 

Das, was v.Hoff hier berichtet - es ist leider nicht ersichtlich, ob er den Fürsten wirklich traf oder nur dessen Schloß besichtigte - steht daher auch nicht in den konservativen Quellen, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren. So berichtet die „National-Zeitung der Teutschen“ in einem Nekrolog des Fürsten im Jahre 1805 nur: „Voigtland. Am 30sten März starb der Fürst Heinrich XXXV. Reuß von Plauen, reg.[ierender] Fürst zu Lobenstein, des Johanniter und Weißen Adler, Ordensritter, im 67sten Lebensjahre, zu Paris, dahin er, wie schon öfter in seinem Leben, zum Vergnügen gereiset war. Er gelangte zur Regierung als Graf den 6ten May 1782 und wurde vom Kaiser Leopold II. an dessen Krönungstage in den Reichsfürstenstand erhoben. Er hatte manche Eigenheiten in seinem Charakter, welche aber kein welthistorisches Interesse haben. Da er nicht verheirathet war, so fällt die Herrschaft Lobenstein an den Grafen Heinrich LIV. sonst von Selbitz benahmt, dessen Gemahlin eine Tochter des regierenden Grafen zu Stollberg-Wernigerode ist.“ [21]

Aber nicht nur wegen der großen Fülle an internen Sichtweisen auf die im Herzogtum lebende Hofgesellschaft und die Regierungskollegien ist die Edition der „Analen meines Lebens“ von Bedeutung. Auch wegen der sozialpsychologsich zu betrachtenden Konstruktionen des Selbst des Protagonisten sowie seiner Lebenskrisen und Liebesstile darf die Publikation einige Beachtung erheischen. Erkennbar ist, daß sich v.Hoff vor allem auf den Liebesstil der spielerischen Liebe spezialisiert hat (Ludus), [22] in dem die physische Erscheinung und die Ausstrahlung von Frauen auf ihn ungemein fesselnd wirkte und in der Lage war, sein Leben in Unordnung zu bringen. [23] Dies mußte er auch jedes Mal seinem Tagebuch anvertrauen und er schildert es als etwas ihm Fremdes und Unbewußtes, von dem er sich bisweilen distanzierte (Seite 46). 

Anfangs von großer Schüchternheit gegenüber dem anderen Geschlecht, ließ er sich durch Romane von schwärmerischer Liebe und Maskenbälle in Phantasiebeziehungen ein (Seite 45, 47, 31). Später sucht er in außerehelichen platonischen Lieben, die nicht körperlich wurden, aber starke Gemütsbewegungen in ihm wachriefen  (Seite 61, 77-78, 83, 84, 112, 191, 229, 243, 291), Ausgleich zu seiner ersten gescheiterten Ehe mit Caroline Bertuch (verblichen 1812 ), die sich hauptsächlich aus unterschiedlichen Interessenlagen speiste. Im Mai 1807 dann geriet v.Hoff gar in eine Mittlebenskrise (Seite 197 mit einem Eintrag vom 8. März 1807: „Ich habe das Leben satt“), die einen vermeidenden Liebesstil prägte: Er nannte sich selbst im Tagebuch bereits jetzt einen „sechsunddreißigjährigen Greis an unglücklichen Erfahrungen“ und beschloß, daß er seine Regungen sexueller Anziehungskraft mit Vernunft begraben wolle, um nicht mehr verletzt zu werden (Seite 192); ja, er wünschte sich gar ein Herz aus Stein (Seite 213). Dennoch: 1814 verlobte sich der 42jährige in Frankfurt am Main, wo er dienstlich zu tun hatte, mit der ihn begeisternden 29jährigen (mithin also um 14 Jahre jüngeren) Silvia (genannt Silvie) v.Ende (1785–1869), der Tochter des Konsitorialpräsaidenten Heinrich Ferdinand Freiherr v.Ende (Seite 279). 

Karl Ernst Adolf v.Hoff spricht zudem viel von seinen Empfindungen, Stimmungen und Emotionen, die er im Tagebuch verarbeitet, wenn er nicht über Besuche und Bekanntschaften sowie der Beobachtung von Menschen vertieft ist und sich Rechenschaft ablegt. Er besuchte zudem am 2. Januar 1806 das Grab Friedrich II. (1712-1786) in der Potsdamer Garnisonkirche, das von den Truppen Napoleons unberührt geblieben war. Gleichwohl entlockt es ihm Trauer, weil die Umgebung - der Kanal und die Parks - verwüstet waren (Seite 179). Er war fernerhin 1806 bei dem Bildhauer Gottfried Wilhelm Schadow (1764-1850) zu Gast, berichtete über seinen künstlerischen Stil und seine Arbeit (Seite 176). Immer hat er dabei auch seine Emotionen niedergeschrieben und überliefert. Dazu gehörte auch das oft notierte Gefühl, sich in siener Selbstentfaltung durch die Umstände und zwingende Notwendigkeiten behindert zu fühlen; v.Hoff klagte häufig über langweilige Konversationen und Stunden (Seite 192), die er nutzlos mit anderen Menschen habe verbringen müssen (Seite 61, 145, 195) oder äußert in den schlimmsten Fällen sogar Ekel. Lästigkeit, Verdrießlichkeit oder Widerwärtigkeit über seine beruflichen Arbeiten (Seite 93, 97, 199, 207, 211, 213, 247, 291).

Auch interkultureller Hinsicht bieten v.Hoffs Tagebücher reichen Stoff und dies nicht nur bei einer Schilderung des Zusammentreffens mit dem Russen Manitscharoff in Gotha, der in seinen Gesprächen mit v.Hoff stets die Sankt Petersburger Verhältnisse heranzog, beispielsweise bei der Besichtigung einer Eremitage (Seite 81). Hier ist v.Hoffs Verwunderung zu erkennen, die mit der „Kultur des Anderen“ einhergeht und bei ihm in reduktiver Komparatistik endet, [24] denn er hält die Ansichten des Russen für „sonderbarst“ (Seite 81). Auch in Deeskalationsstrategien in Konflikten bietet v.Hoff einen sozialpsychologisch gut auswertbaren Anschauungsunterricht. 1799 beispielsweise beendete er einen Volkstumult auf öffentlicher Straße wegen überhöhter Kornpreise durch ernstes und entschiedenes Auftreten mit den Faktoren Versachlichung und Kommunikation, [25] nachdem er sich beim Herzog Unterstützung geholt hatte (Seite 88-92). Karl Ernst Adolf v.Hoff erweist sich damit als germanozentrisches Kind seiner Zeit, als antikonstitutioneller Konservativer (Seite 373), der kosmopolitische Ideen suspekt findet (Seite 94). 

Aber auch andere Fürsten mit ihren kleinlichen Interessen verurteilt er bisweilen, so wie dies anhand einer abschätzigen Schilderung des Jagdschlosses Platte im Taunus bei Wiesbaden geschehen ist. Anhand der ihm übertrieben vorkommenden jagdlichen Ausstattung des Schlosses schließt er stereotyp auf die moralische Geringigkeit der nassauischen Fürsten (Seite 387). Dennoch: Insgesamt bietet das vorliegende Editionswerk eine reichhaltige Menge an bisher unbekannten Sichtweisen und Daten zu den verschiedensten Adelsfamilien des thüringischen Raumes. Es wird ergänzt durch eine schlichte grünfarbene Bindung und einen farbigen Schutzumschlag mit einem  Prospekt der Stadt Gotha, außerdem durch etliche Schwarzweissabbildungen von Orten, Veduten und Perosnen, die in dem Werk vorkommen und immer dann eingerückt worden sid, wenn sie im Text vorkommen. Die haptisch ansprechende Ausstattung macht das Werk, welches in der Weimarer Verlagsgesellschaft erschienen und zum Preis von 34 Euro erstehbar ist, zu einem wertvollen Beitrag autobiographischer Selbstzeugnisse des deutschen Niederadels, deren Seltenheit in der Überlieferung immer noch eine Sensation darstellt und entsprechend gewürdigt werden darf.

Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XV. (2012), Folge 70.

Annotationen:

  • [1] = H. J. Meyer (Herausgebender): Neues Konversations-Lexikon für alle Stände, Band VIII., Hildburghausen & New York 1858, Seite 960. Die beiden Herausgebenden der Tagebücher vermuten, daß v.Hoff an einem Herzinfarkt verblichen sei (Seite 21), tatsächlich ist ein „Schlagfluß“ aber ein Schlaganfall. Siehe dazu  Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände, Band VIII., Leipzig 6.Auflage 1824, Seite 738-741
  • [2] = Karin Dreißig & Thomas Martens (Herausgebende): Annalen meines Lebens. Die Tagebücher des Gothaer Geologen und Staatsbeamten Karl Ernst Adolf v.Hoff  1771 bis 1837, Weimar 2012, 447 Seiten
  • [3] = Siehe dazu Johannes Schultze: Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte, in: Walter Heinemeyer (Herausgebender): Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen, Marburg & Köln 1978, Seite 25-36 
  • [4] = Siehe dazu das kleine Werk von Otto Reich: Karl Ernst Adolf von Hoff, der Bahnbrecher moderner Geologie. Sein Leben und seine wissenschaftlichen Verdienste, Leipzig 1905, VI. und 144 Seiten
  • [5] = Literarische Zeitung, Ausgabe Nro.29 vom 15.Juli 1840, Berlin 1840, Spalte 553-554
  • [6] = Siehe dazu den Abschnitt über die Weltvertilgung bei Claus Heinrich Bill: Konstruktive Religionspsychologie, (Band XXII. der Schriftenreihe des Instituts Deutsche Adelsforschung), Sønderborg på øen Als 1.Auflage 2011, Seite 133-164
  • [7] = Erschienen unter diesem Titel in München 1582
  • [8] = Gothaischer Genealogischer Hofkalender nebst diplomatisch-statistischem Jahrbuch auf das Jahr 1852, Jahrgang LXXXIX., Gotha 1852, Seite V (Vorwort zur Redaktionsgeschichte)
  • [9] = Genealogisches Reichs- und Staats-Handbuch auf das Jahr 1802, Band II., Frankfurt am Main 1802, Seite 204
  • [10] = Siehe dazu Claus Heinrich Bill: Selbstzeugnisse ostelbischer Adeliger der Vormoderne. Annotierter Quellenbericht über Autobiographien, in: Nobilitas. Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge 34 (2004), Seiten 211-245
  • [11] = Etwas ausführlicher wird er nur bei der Schilderung der Begegnung mit Zar Alexander I. (Seite 268-271)
  • [12] = Er hatte u.a. August Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772-1822) erzogen. Siehe dazu Adolf Moritz Schulze: Heimathskunde für die Bewohner des Herzogthums Gotha, Band II., Gotha 1846, Seite 237
  • [13] = So in Herzoglich-Sachsen-Gotha- und Altenburgischer Hof- und Adreß-Calender auf das Schaltjahr Christi 1824, Gotha ohne Datum (vermutlich 1823), Seite 5
  • [14] = an-Peter Frahm & Jens Eggers: Lexikon deutschsprachiger Bryologen, Norderstedt 2011, Seite 53
  • [15] = Adreß-Handbuch des Herzogthums Sachsen-Coburg und Gotha, Gotha 1847, Seite 50
  • [16] = Genealogisches Handbuch des Adels, Adelslexikon, Band III., Limburg an der Lahn 1975, Seite 41 
  • [17] = Dazu Franz Joseph Adolph Schneidawind (sic!): Der Krieg im Jahre 1805 auf dem Festlande Europen´s, Augsburg 1848, Seite 34
  • [18] = Zu ihm siehe Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der gräflichen Häuser auf das Jahr 1857, Jahrgang XXX., Gotha ohne Datum (1856), Seite 933
  • [19] = Zu ihm vergleiche Zeitung für den Deutschen Adel, Ausgabe Nro.92 vom 14. November 1840, Seite 367
  • [20] = Siehe dazu Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute, Köln 1958, 383 Seiten 
  • [21] = National-Zeitung der Teutschen, 17tes Stück vom 25ten April 1805, Spalte 319
  • [22] = Dazu Peter Laux: Persönlichkeitspsychologie, Stuttgart 2003, Seite 74
  • [23] = Beispiele finden sich auf den Seiten 45- 47
  • [24] = Hierzu Hamid Reza Yousef? & Ina Braun: Interkulturalität. Eine interdisziplinäre Einführung, Darmstadt 2011, Seite 70-71
  • [25] = Zu den fünf Deeskalationsstrategien bei Konflikten als abgeleitetes Gegenmodell der Eskalationsstrategien bei Konflikten siehe Lorenz Fischer: Grundlagen der Sozialpsychologie, München 3.Auflage 2002, Seite 632

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