Institut Deutsche Adelsforschung
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Adelsoffiziere in Sachsen-Hildburghausen 1680 bis 1806

Militärische Lebenswelten, Organisation und Konflikte in einem deutschen Kleinstfürstentum

In der Zeitschrift „Die Grenzboten“ erschien im Jahre 1869 ein Aufsatz über ein thüringisches Kleinstfürstentum und seine militärische Vergangenheit. Darin hieß es: „Das Herzogthum Hildburghausen wurde durch den gothaer Theilungsvertrag von 1680 neugeschaffen, als Erbe eines der sieben Söhne Ernst des Frommen, der ebenfalls Ernst hieß; es umfaßte nur 10 Quadrat-Meilen und 25,000 Einwohner. 

Im schreiendsten Mißverhältnisse zu diesen Zahlen schuf die französisch gezogene Prachtliebe und Großherrensucht der Herzoge Ernst Friedrich I. und II. nicht weniger als 30 Hofämter, worunter 2 Hofmarschälle, 20 Kammerjunker, 14 Hofräthe, 4 Oberlandjägermeister, 3 Forstmeister, 7 Leibmedici und 1 Reisemedicus; ferner gab es Geheime Räthe, Kriegsräthe, Oberlandbaumeister und Oberbaudirectoren, Handelskammer-, Hof- und Kammerconsulenten, Salzdirectoren etc. Die Militärmacht bestand nur aus einigen hundert Mann, war aber eingetheilt in 1 Comp. Garde du Corps, 1 Gardegrenadierbataillon, 1 Landregiment und 1 Artilleriecorps in schöner himmelblau und rosenrother Montur und wurde befehligt von 6 Obersten, 5 Obristlieutenants, 7 Obristwachtmeistern und Majors, 1 Rittmeister, 13 Hauptleuten, 6 Lieutenants und 1 Fähndrich. Noch toller wurde diese Chargenwirthschaft unter Ernst Friedrich III. (1748-80). 

Seine Gutmüthigkeit wurde von einer Art vacirendem und heruntergekommenem Adel, der sich am hildburghauser Hof wieder emporschmarotzte, gröblich gemißbraucht; unsere Stadt wurde ein Sammelplatz für alle Krippenreuter und Aventuriers in Thüringen und Franken. Diese und eine thörichte Prachtliebe des Herzogs führten zum vollständigen Bankerott. 

Dem [...] Tagebuche eines alten Soldaten, der sich in aller Herren Ländern herumgetrieben, entnehmen wir Folgendes: Im Jahre 1750 sollten, nachdem mit Ausnahme des Landregiments die alten Truppentheile aufgelöst worden waren, durch einen „vacirenden" General Namens Werder neue Regimenter errichtet werden, dazu wurden Officiere verschrieben und Chargen für Geld ausgetheilt. Nach vielen Unkosten brachte man endlich ein Bataillon Garde zusammen von 40-50 Mann (!) und doch war dies halbe Hundert in 4 Compagnien getheilt, und hatte 4 Capitains. 8 Lieutenants, einen Obristlieutenant, 1 Major, 1 Auditeur, 1 Regimentsfeldscheer, 8 Hautboisten, 6 Tambours, 1 Regimentstambour, 2 Pfeifer und 1 Profos, kurz Alles, nur keine Soldaten! 

Als der siebenjährige Krieg begann, mußte zu dem Bataillon geworben werden, um eine Compagnie daraus zu machen, welche der Herzog, 140 Mann stark, zur Reichsarmee stellen sollte. Dieselbe stand von 1758-1763 im Feld, litt aber durch Desertion derartig, daß, obwohl alljährlich im Lande ausgehoben und geworben wurde, sie bisweilen 40, höchstens 80 Mann zählte. Gleichwohl wurde sie als complet bezahlt. Zuletzt kam sie mit 63 Mann aus dem Felde unter 1 Oberstlieutenant, 1 Major und 1 Capitain und löste das Landregiment ab, welches den berühmten Wasunger Krieg mitgemacht hatte.“ [1]

In dergleichen abwertenden Weise hat der Anonymus der Grenzboten auch im weiteren Verlauf seiner Schilderungen versucht, das sachsen-hildburghäusische Militär der Lächerlichkeit preiszugeben, weil er es ausschließlich auf die Repräsentationsfunktionen zurückführte und keinen anderen Zweck als Prachtliebe und Distinktion in der militärischen Aufstellung sah.

Oliver Heyn hat nun in seiner Doktorarbeit, die er an der Universität Bamberg eingereicht hat und die im Verlag Böhlau erschienen ist, [2] die Geschichte des hildburghäusischen Militärs, befreit von den Schlacken der Pejorativisierung des Anonymus, aufgearbeitet. Seine 488 Seiten umfassende Dissertation konzentriert sich auf die Auswertung eines gut erhaltenen und zugleich myrioramatischen Aktenbestandes eines kleinen mitteldeutschen Landes und ist über den methodischen Ansatz einer kombinierten Organisations-, Sozial- und Alltagsgeschichte bewerkstelligt worden. Dadurch gelingt Heyn ein vielfältiger Blick aus mehreren Perspektiven, die zugleich die staatliche Makro-, die militärische Meso- und die soldatische Mikroebene behandelt. 

So untersucht Heyn zunächst die Aufstellung, Unterhaltung und den Einsatz der drei ausgehobenen verschiedenen Truppenteile und ihrer diversifizierten Aufgaben, das heißt der Garde (für die Schloßwache), des Landregiments (für die Landesverteidigung bzw. -defension) und des Reichskontingents (für die Vertragsverpflichtungen gegenüber dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation). Er geht aber auch auf die organisationellen Spatien des Landesmilitärs ein, die sich abenteuerliche Werber – wie jener beim Anonymus erwähnte und nicht näher biographierbare „Freiherr von Werder“ – in Hildburghausen zunutze machten. Zusätzlich ermittelt Heyn wegen der Übersichtlichkeit der Zahlen über Auszählungen soziostrukturelle Hintergründe, ebenso aber greift er aber auch qualitativ auf einzelne Fälle von Devianz zurück, erörtert Konflikte, wie sie über die Militärjustiz geahndet worden sind. 

Dabei kann Heyn immer wieder auch auf Selbstzeugnisse der Offiziere und Soldaten zurückgreifen, auf Briefe und Akten, die sich im Bestand vor allem des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen überliefert befinden und die von ihm vollständig herangezogen wurden. Naturgemäß sind nach den vorgenannten Verhältnissen die Erkenntnisse über den Adel in Sachsen-Hildburghausen quantitativ gering. Dennoch bieten Heyns Einsichten – auch in den adeligen Offiziersalltag – eine Reihe von biographischen Details zu Adelsoffizieren, die meist in perspektivlosem Dienst in Hildburghausen tätig waren, zumal der hildburghäusische Landesadel eher in die Zivilverwaltung als in das (zwar prestigeträchtige, doch ökonomisch unattraktive) Militär eintrat. Das Gros der Offiziere dagegen kam aus ausländischem (wenngleich deutschem) Adel.

Heyns Arbeit hat über diese Erkenntnis hinaus zwei Vorteile. Erstens gelingt ihm über eine methodische Verschränkung ein tiefer Blick in die Lebenswirklichkeit von Offizierstum, Unteroffizierschargen und Mannschaften, weil sich sein Fokus auf einen umfassenden Blick der militärischen Verhältnisse des Fürstentums richtet. Dies wäre so und in diesem Umfang der Betrachtungsblickwinkel in größeren Territorien nicht möglich, einmal weil entsprechende Akten fehlen oder aber weil schlicht die Quantität der Akten einen unverhältnismäßig großen Aufwand in der Untersuchung darstellen würde. 

Für größere Territorien ist daher der Fokus der Untersuchungen auch wesentlich geringer in der Breite angelegt worden, vielmehr gibt es hierzu vor allem Spezialstudien zu einzelnen Aspekten. [3] Allerdings dürfte es spannend sein, Heyns Erkenntnisse mit anderen militärischen Kleinstkontingenten zu vergleichen. Der zweite Vorteil der Heynschen Arbeit ist die in vergleichbaren Doktorarbeiten eher selten zu findende Visualisierung seiner Ansätze (Seite 14), Vorgehensweisen (Seite 17), von Organisationsspektren (Seite 427), von historischen Argumentationsweisen aus dem Quellenmaterial (Seite 146) und der Ergebnisse (Seite 241) in eigenen Grafiken. 

Wie Heyn indes zu seiner (vor allem literarischen) Quellenauswahl gekommen ist, erläutert er leider nicht und umgibt damit sein Werk in diesem Punkt der historischen Arbeitsweise mit einer Aura der Klandestinität. Daher fehlt auch ein hermeneutisches Protokoll, das bedauerlicherweise in den meisten historischen akademischen Qualifikationsschriften fehlt, weil auch Heyn es nicht für notwendig hält, in diesem Bereich transparent zu arbeiten. [4] Der hier anstehende Umstand einer bewußten Verschleierung und Opakhaltung der Quellenauswahl (die ja schließlich nicht unerheblichen Einfluß auf die Untersuchung und deren Ergebnisse hat) ist bedauerlich, in diesem Falle aber muß man sie leider hinnehmen. [5] 

Die Vielfältigkeit der Blicke, die Heyn analytisch und kritisch auf seinen Untersuchungsgegenstand wirft, entschädigt indes für den Fauxpas und läßt hoffen, daß die Auswahl der Quellen nicht zu einseitig geschehen ist. Denn die Studie hält, soviel läßt sich erkennen, auch für die mitteldeutsche Adelsgeschichte etliche neue Details bereit, die es lohnen, rezipiert zu werden.

Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung.

Annotationen: 

  • [1] = Nomen Nescio („Dr. L. G.“): Die Garnison von Hildburghausen jetzt und vor hundert Jahren, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, Jahrgang XXVIII., I. Semester, Band 1, Leipzig 1869, Seite 35-36.
  • [2] = Oliver Heyn: Das Militär des Fürstentums Sachsen-Hildburghausen 1680-1806, Böhlauverlag Köln / Weimar / Wien 2015, 488 Seiten, mit 10 schwarz-weißen Abbildungen, 20 Tabellen und 24 Grafiken, Maße: 23 x 15,5 cm, gebunden, Preis: 59.90 € in Deutschland und 61,60 € in Österreich. ISBN: 978-3-412-50154-9 (Band 47 der Kleinen Reihe der Veröffentlichungen der historischen Kommission für Thüringen).
  • [3] = Michael Sikora: Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996, 408 Seiten oder auch Gerhard Lill: Die Verpflegung des preußischen Militärs in Friedenszeiten, in: Information für die Truppe. Zeitschrift für innere Führung, Bonn 1977, Ausgabe 10, Seite 79-85. Siehe dazu exemplarisch auch Jan Schlürmann / Eva Susanne Fiebig (Hg.): Handbuch zur nordelbischen Militärgeschichte. Heere und Kriege in Schleswig, Holstein, Lauenburg, Eutin und Lübeck 1623-1863/67, Husum 2010, 568 Seiten.
  • [4] = Die Promotionsordnung der Universität Bamberg verzichtet darauf unerklärlicherweise. Dort heißt es lediglich: „Die benutzte Literatur sowie sonstige Hilfsquellen sind vollständig anzugeben; wörtlich oder nahezu wörtlich dem Schrifttum entnommene Stellen sind kenntlich zu machen.“. Wie Doktorand*innen aber zur Auswahl ihrer Quellen gekommen sind, interessiert dort – erstaunlicherweise! – nicht. Zitiert nach der Promotionsordnung für die Fakultäten Humanwissenschaften sowie Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg vom 15. März 2010, zuletzt modifiziert durch die vierte Satzung zur Änderung der Promotionsordnung für die Fakultäten Humanwissenschaften sowie Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg vom 10. August 2016, Bamberg 2016, Seite 9.
  • [5] = Zum Erfordernis eines heuristischen Protokolls für akademische Abschluß- und Qualifikationsarbeiten siehe ferner detailliert Claus Heinrich Bill: Zur Einführung des heuristischen Protokolls als Standard-Recherche-Nachweis für die Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, Folge Nr.85, Jahrgang XVIII., Sønderborg på øen Als 2015, Seite 2-21. Ein (leider auch nur verkürztes) Beispiel findet sich außerhalb der Geschichtswissenschaft bei Veronika Hofinger: Desistance from Crime. Eine Literaturstudie (Erster  Teilbericht zur Evaluation der Haftentlassenenhilfe), Wien 2012, Anhang (Seite 41 der Gesamtstudie). Ein Beispiel aus der Historiographie ist dagegen Sebastian Lehmann: Aktenlage und Archivrecherche, in: Uwe Danker (Hg.): „Wir empfehlen Rückverschickung, da sich der Arbeitseinsatz nicht lohnt.“ Zwangsarbeit und Krankheit in Schleswig-Holstein 1939-1945, Bielefeld 2001 (Band VI. der Schriftenreihe des Instituts für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte Schleswig an der Universität Flensburg), Seite 330-332.

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