Zur Systematisierung adeliger Ostsee-Herrensitze
Adelshäuser in ihrer geschichtlichen Bauentwicklung und als Raumaktanten
Im fortgeschrittenen ersten Weltkrieg schrieb ein anonymer
Kriegsberichterstatter in der Morgenausgabe des Hamburgischen
Correspondenten, erschienen in Hamburg an der Elbe am 13. November 1915
unter der Nummer 580 auf Seite 2 einen Artikel namens „Auf den Spuren
der Bug-Armee“ in der er versucht, die bestimmenden Wesensmerkmale
polnischer Adelsitze aus der Perspektive eines Fremden zu schildern.
Dazu notierte er nach einem nicht exakt lokalisierbaren Besuch in der
Umgegend von Brest-Litowsk:
„Ein Gegenstück […], glückliche Oasen inmitten der gewaltsam
bewerkstelligten Wüstenei bilden einzelne polnische Adelshöfe, an denen
das Verderben aus irgend einem Grunde rücksichtsvoll vorübergegangen
ist. Meist liegen sie in unmittelbarer Nähe eines niedergesprengten und
ausgeräucherten Dorfes. Die älteren Schlösser auf diesen Landsitzen
sind in einem naiv gestümperten, aber biederen und würdig gemeinten
Empirestil erbaut, regelmäßig mit der polnischen, von vier Säulen
getragenen, allzu hohen und schmalen Giebelhalle vor dem Portal. Das
äußerlich vornehme, innen sehr einfach ausgestattete Kavalierhaus und
die nahen Ställe und Wirtschaftsgebäude sind alle gleichfalls ein
bißchen antik überstilisiert. Nach französischem Muster ist das
Herrenhaus mit Plan und Vorbedacht so in den Park hineingesetzt oder
der Grundriß des Parks so auf den des Hauses abgestimmt, daß sich auf
jeder der vier Seiten dem Blick ein anderes, in sich abgeschlossenes
Bild darbietet. Zum Beispiel: Vorn das stattliche, von Wappenfiguren
bewachte Tor als Eingang in den steifen Ehrenhof, Vorfahrt um ein
Rondell, indessen Mitte eine Statue oder ein Springbrunnen oder ein
Teppichbeet.
Auf der Rückseite die angenehme Reihenfolge kunstvoller Blumen-, Obst-
und Gemüsegärten, umrahmt und gegeneinander abgegrenzt durch dichte,
dunkle Alleen, auf schönen seitlichen Rasengründen Tennisplatz und
Reitbahn. Links hinaus die gezähmte Wildnis eines kleinen Gehölzes.
Rechts zwischen mächtigen Baumreihen die länglichen Spiegel
wohlabgestufter Teich- oder Kanalanlagen und überall erscheinen in den
Ausschnitten des Laubwerks fern die Gefilde der ländlichen Wirtschaft
und der freien Natur. Gleichsam aus den Fenstern des Parks blickt der
Gutsherr über die Weiden, Aecker und Wälder hin, für die er arbeitet,
und die ihn ernähren. In der Zurückgezogenheit seiner herrschaftlichen
Wohnung schließt er sich gegen das eigentliche Arbeitsfeld ab, hält es
sich vom Leibe, verliert es aber nie aus den Augen. Ein jüngeres
Geschlecht will sich von dem französischen Schema losmachen.
Es bevorzugt die Kultur des englischen Landguts und nicht besonders
dessen Wohnbequemlichkeiten in allen Punkten zu erreichen. In der
kamingeheizten Halle liegen viele Jahrgänge des Country Life umher. Ein
Blick verrät uns,wie sorgfältig, aber auch unselbständig Herr und
Herrin den hochentwickelten englischen Komfort im Polenlande
einzubürgern bemüht waren. Zwischen heimatlichen und exotischen
Jagdtrophäen hängen an den Wänden die bekannten englischen Sport- und
Jagdbilder, daneben Photographien des Schloßherrn und seiner Freunde,
wie sie gewissermaßen eine englische Fuchsjagd aufführen; englisches
Kostüm, englische Sitten und Bräuche, in Polen so fromm und folgsam
nachgeahmt wie überall sonst in der ganzen Welt.
Die Bibliothek enthält überwiegend französische Romane, polnische
Dichter und Historiker und englische Prachtwerke, nur wenig deutsche
und noch weniger russische Bücher. Dinge von Wert und Kostbarkeit sind
meistens, bevor der Eigentümer sich entfernte, in aller Eile weggeräumt
und versteckt worden. In verschlossenen Kellern, in abseits gelegenen
unscheinbaren Pfarrhäusern finden sich, gesucht oder ungesucht,
persische Teppiche, Treppenläufer, chinesische Vasen, Kopenhagener,
Wiener und Meißener Porzellan, Tafelgeschirr, Hauswäsche, Tischdamast.
Die Barbaren, die hier Quartier fanden, haben allmählich heraus, wo sie
nachsehen müssen, und fördern das Verborgene mit geübter Schnelligkeit
zu Tage. Sie richten sich häuslich ein, so gut es ohne Hausfrau geht.
Aber freilich: auch der beste Kommandant des Hauptquartiers mit einem
Troß wohlgedrillter Burschen ersetzt nicht die Herrin, die das Ressort
der inneren Angelegenheiten zu lenken versteht. Darin macht sich ganz
heilsam die Not der Zeit geltend. Man kommt nicht dazu, sich wie im
Frieden oder im Manöver zu fühlen, auch in üppigen Schlössern nicht.
Man führt eben einen Stegreifhaushalt, bei weitem nicht so sauber, so
gesund, so ansteckungsfrei wie im geregelten Gang des privaten
Betriebes. Was nützen alle komfortablen Einrichtungen, wenn der Wind
durch mangelhaft geflickte Fensterscheiben bläst, wenn die
überanstrengte Wasserleitung ewig streikt und die Beleuchtungs- und
Heizungsapparate den fremden Technikern nur widerwillig und nachlässig
gehorchen. Auf Schritt und Tritt tröstet man sich: es ist eben Krieg.
Luxushalber werden die Schlösser auch nicht von den hohen Stäben
ausgesucht. Bei dem monatelangen Wanderleben in der Fremde genießt zwar
jeder es dankbar, wenn ihn das Glück auf einige kurze Wochen in eine
halbwegs behagliche und anheimelnde Umgebung versetzt. Man würdigt gern
die häuslich veranlagten Kameraden, die es verstehen, mit einfachen
Mitteln – sei es auch nur durch ein paar Blumen oder durch eine
zierliche Form des Anrichtens – den schönen Schein der Wohnlichkeit
hervorzurufen [...] Worauf es im Ernst bei einem guten Stabsquartier
ankommt, das ist das Beieinander genügend vieler, großer und heller
Räumlichkeiten, die es gestatten, Offizierswohnungen und
Geschäftszimmer möglichst unter einem Dache oder doch in enger
Nachbarschaft zu vereinigen. Jedes hohe Kommando benötigt eine Menge
Kanzleien für all seine verschiedenen Dienstzweige, im Krieg sowohl wie
im Frieden […] Auf schlechter Straße marschiert um Mitternacht eine
Kolonne am Stabsquartier vorüber. Mancher blickt nach den erleuchteten
Fenstern des Schlosses: Die haben es gut! Es hat jeder seine Plage.“
Die selten überlieferte Sichtweise des Fremden auf polnische Adelshöfe
in einer scheinbar stehengebliebenen Zeit war indes nicht nur eine
Methode, deren Charakteristika herauszuarbeiten, sondern auch ein
Zeugnis der Interkulturalität der Herrensitze des Adels im europäischen
Raum. Es gab Bezugnahmen und Transformationen des französischen Stils
und der englischen Landschaftsgärten, den Exotismus der asiatischen
Vasen und britischen Jagd; alles dies und weiteres läßt sich auch in
Herrensitzen finden, die nicht in Polen standen, sondern beispielsweise
in Norddeutschland oder im Baltikum. Der Aufgabe, die hier im
Beispieltext aus dem Jahre 1915 eher poetisch geschilderten
Streiflichter zu Darstellungen über die Gemeinsamkeiten der
Herrensitzbauten, ihren Ursprung und ihren wesentlichen Merkmalen in
mehr systematischer Weise darzustellen, haben sich eine ganze Reihe von
Schriften gestellt. So ist zu verweisen nicht nur auf Lorcks
„Landschlösser und Gutshäuser in Ost- und Westpreußen“, sondern auch
auf Ludwig Hüttls „Schlösser. Wie sie wurden, wie sie aussahen und wie
man in ihnen lebte“ sowie Walter Hotz‘ „Kleine Kunstgeschichte der
deutschen Schlösser“. [1] Allerdings haben die angesprochenen Werke den
Nachteil, daß sie entweder regional begrenzt angelegt wurden oder aber
sich allein mit Schlössern als Residenzen regierender Fürsten befaßt
haben, auch in sich wenig umfangreich waren.
Nun indes hat der Schweriner Helmsverlag ein bislang dreibändiges
Mammutwerk herausgegeben, das aus Texten der Kunsthistorikerin Sabine
Bock (*1954) besteht und mit insgesamt 1.259 Photographien, unter
anderem von Thomas Helms (*1949) angereichert worden ist. Das Werk
trägt den Titel „Herrenhäuser. Entwicklung eines Bautyps im Ostseeraum“
und die einzelnen Bände sind die drei Ersterscheinungen einer noch zu
vervollständigenden Reihe, was an den Titeln erkenntlich ist. Band I
trägt den Titel „Die Vorgeschichte“, Band II (in zwei Teilbänden) die
Bezeichnung „Die Anfänge“. [2]
Neben einem stattlichen Gewicht der drei hardcovergebundenen Bände auf
schwerem Kunstdruckpapier umfaßt das Buchtrio – erschienen im
Format 27,5 mal 24,5 Zentimeter – 291, 407 und 380 Seiten und ist
für zusammen 226,00 Euro im stationären oder auch virtuellen Buchhandel
erwerbbar. Was diese bloßen Zahlen nur ansatzweise verraten, ist die
Fülle an Daten und Informationen, die in diesen drei Bänden enthalten
ist. Man sie zu Recht als das Lebenswerk der Autorin als
Denkmalschützerin und Architektin bezeichnen, in der ihr gesammeltes
Fachwissen kulminiert – und man darf auf die Fortsetzung schon jetzt
gespannt sein.
Band I behandelt dabei inhaltlich zunächst den Bautypus des
spätmittelalterlichen Rittersitzes als einer Vorstufe der eigentlichen
Herrenhäuser, letztere Bauten werden anschließend im Band II in den
Teilbänden 1 und 2 thematisiert; eine dort dann im Hauptband II und
Teilband 1 auf Seite 11 entworfene Systematik unterscheidet in der
Obergruppe der frühneuzeitlichen Herrenhäuser – ab etwa dem Jahr 1500 –
die folgenden fünf Hausformen: a) das ländliche Feste Haus, b) das
ländliche Frühherrenhauses, c) das ländliche hölzern-lehmige
Herrschaftsfachwerkhaus, d) das hölzerne Herrschaftsblockhaus und e)
den städtischen Adelshof. [3]
Diese Haustypen werden außerdem von außen bis innen detailliert
beschrieben und in Wort und Bild detailliert vorgestellt. Dies betrifft
nicht nur makrohistorisch die Charakterisierung der jeweiligen
Erbauungsepoche (mit der Erörterung der Folgen für die
Herrenhausbauten) oder die Lage der Güter in den Dörfern sowie im
Verhältnis beispielsweise zu Wirtschaftsgebäuden, sondern setzt diese
Erörterungen auch im Inneren fort. Raumprogramme, Etagenanordnungen,
einzelne Räume und deren Funktionen, Möblierungen, Raumausstattungen
von den Decken über die Wände bis zu den Öfen und Kaminen, Aborten und
Speisekammern, der Vorratshaltung, Wasserversorgung, Wasserentsorgung,
deren jeweilige Formen und Entwicklungen mit vielen Details mehr werden
sinnreich in Wort wie Bild erläutert, verglichen, klassifiziert,
eingeordnet. Dasselbe gilt mikrohistorisch auch für die Baumaterialien,
aus denen die Häuser bestehen, deren Herkunft und Verarbeitung,
Erscheinungsformen und regionale Verarbeitung.
Die kaum benennbare und noch weniger bezifferbare Fülle von
Informationen, Zusammenfassungen und klugen ebenso wie einleuchtenden
Einsichten stehen daher in dieser Quantität und Qualität weit über den
eingangs erwähnten Werken zur Bautypologie von aristokratischen
Häusern. Hierzu diene als Beispiel aus dem Bereich der Bautypen der
Unterschied zwischen den Haustypen „Festes Haus“ und „Frühherrenhaus“.
Der Unterschied liege darin, daß „feste Häuser“ außenliegende
Treppentürme und vertikale Baugesten besessen hätten, während die
„Frühherrenhäuser“ innenliegende Treppen mit horizontaler Baugeste
verkörpert hätten.
Die breit aufgestellte Quellenlage – Beschreibungen, Karten,
Reiseberichte, Inventare, Akten, Bilder von Epitaphien, Kanzeln,
Baudetails, Grundrisse, Fensterformen, dann wieder Erörterungen zur
politischen Lage, ausländische und interkulturelle Einflüsse
beispielsweise bei Portalen, Giebeln, Gärten und Toren – machen das
Dreibandwerk zu einem Standardwerk für Herrenhäuser, das sich damit
nicht nur an ein breites Publikum wendet. Denn sowohl Adelsforschende
als auch Historiker, insbesondere auch Denkmalpflegende und
Gutshausretter finden hier das lebenslang akkumulierte Wissen der
Autorin gebündelt, so daß das Werk nicht zuletzt auch zur Restaurierung
eigener Häuser verwendet werden kann, zur Einordnung fraglicher
Baubestandteile oder Bauformen, die bei Neuübernahmen zu vielen offenen
Fragen führen können. Hier wird den Interessierten aber ein überaus
hilfreicher und gut gegliederter Dreierband an die Hand gegeben, der es
ermöglicht, selbst Bestimmungen über den möglichen Zeitpunkt der
Erbauung, das Material oder die ehemalige Funktion eines Bauteils eines
Herrensitzes zu treffen.
Auch für den derzeit laufenden – leider immer noch sehr kostspieligen
[4] – berufsbegleitenden Jahrgang XXI des Master-Studiengang „Schutz
Europäischer Kulturgüter“ (2023-2025) der Viadrina in Frankfurt an der
Oder wird den Studierenden reiches Anschauungsmaterial für diese
spezielle Bauform adeligen Lebens geboten. Daher kann das Werk
vorbehaltlos für Forschung und Lehre empfohlen werden und wird seine
segensreiche Wirkung hoffentlich auch bei der ganz praktischen
Restaurierung historischer Adelsitze in Gegenwart und Zukunft entfalten
können. So läßt sich ermittlen, daß die Häuser des Adels in sehr
unterschiedlichen Stilen modernisiert und neuer Nutzung zugeführt
worden sind und auch immer noch werden. Beliebt sind beispielsweise
Ferienwohnungen zur zeitweisen Nachempfindung des Landlebens in
ehemaligen Herrenhäusern, die vor allem von Städtebewohnenden
nachgefragt werden, so – jeweils in Mecklenburg – im Shabby Style in
Kobrow bei Laage, im Romantic Style in Thurow bei Schwerin oder im
Rural Style in Rensow bei Prebberede. [5]
Monita sind wenig zu bemerken; sie stellen im Grunde genommen
Marginalien dar, sollen hier jedoch, der Vollständigkeit halber,
gleichwohl bemerkt werden. Gewöhnungsbedürftig ist die textliche
Organisation der Zweisprachigkeit im Dreibandwerk, da, um die
entsprechenden Abbildungen jeweils nah am Text zu halten, die deutsche
Fassung oben, die englische Fassung unten, jeweils auf einer Seite,
gesetzt worden ist. Dies verleitet zum weiterlesen auf derselben Seite,
bevor man zum Lesen im wiederum deutschen Text auf der kommenden Seite
erneut ansetzen muß; umgekehrt besteht die Herausforderung auch für die
englischsprachigen Lesenden, da ihr Lesefluß durch die
deutschsprachigen Texte unterbrochen wird.
Der Gewinn dieser verlegerischen Vorgehensweise, einen weiteren
Personenkreis zu erreichen , sich nicht allein auf ein
deutschsprachiges Publikum zu fokussieren, auch angesichts der
vielsprachigen skandinavisch-baltischen Rezipierenden, ist allerdings
mit diesem abwechselnden Prinzip der doppelten Sprachgestaltung gegeben
und daher verschmerzbar. Das Dreibandwerk hat schließlich die Augen
dafür geöffnet, daß es sich bei Herrenhäusern des Adels nicht um ein
ausschließlich deutsches Phänomen handelt, sondern der Bautyp sehr
ähnliche Formen im gesamten Ostseeanrainerraum herausgebildet hat.
Interessant wäre es, nebenbei bemerkt, in diesem Zusammenhang auch
einmal in künftigen Forschungen zu eruieren, inwieweit weitere Räume
ähnliche oder differenzierte Bauformen hervorgebracht haben, den
gegebenen Befund beispielsweise mit den Baugesten der Adelsitze
in Niedersachsen, in den Niederlanden oder in Polen zu
vergleichen. [6]
Zu den weiteren Besonderheiten des Dreibandwerks zählen differenzierte
Gewichtungen der Darstellungen von Bauteilen im Inneren der
Herrenhäuser, so eine leider nur sehr randständige und nischenhafte
Erwähnung der innenliegenden Dienertreppen [7] auf nur wenigen Zeilen
im Teilband 1 des Hauptbandes II auf Seite 345, während aber textile
oder papierene Wandbehänge gleichsam auf mehreren Seiten (in Teilband 1
des Hauptbandes II auf den Seiten 370 bis 387) ausgebreitet werden.
Freilich kann man hier selbst mit zusätzlichem Rechercheaufwand andere
Literatur finden, da das Dreibandwerk ohnehin nur versucht,
Systematisierungen zu liefern, auch frei Desiderata anspricht, da
insgesamt in vielen Bereichen der Baugeschichte von Adelssitzen noch
viele Umstände unerforscht geblieben sind; siehe dazu beispielhaft die
Erörterungen über „ungeklärte Fälle“ bei „türkischen“ und
„indianisch-güldenen“ Tapeten, [8] so beispielsweise im heute nicht
mehr vorhandenen und in Holstein belegenen alten Herrenhaus zu
Heiligenstedten bei Itzehoe im Kreise Steinburg (Seite 386 im Teilband
1 des Hauptbandes II). In vielen Fällen wird man sich hier noch
eingehender beschäftigen müssen mit Spezialthemen wie den Wandbehängen
und dem, was die Kunstgeschichte darüber bereits publiziert hat.
Entsprechend bieten derlei Spezialliteraturen wie beispielsweise die
von Kathrin Müller [9] oder auch Birgitt Borkopp-Restle [10]
wertvolle Ergänzungen zum eher bauwerkorientierten Dreibandwerk, so
auch, was Lebensstil und Berufe, Heirat und Religion des
frühneuzeitlichen Adels anlangt, der ausführlich bei Ronald Gregor Asch
oder Michael Sikora geschildert worden ist, [11] der seinerseits
wiederum nur sehr wenige Seiten dem „festen Haus“ gewidmet hat, so daß
sich entsprechende Studien wirkungsvoll ergänzen können, wenn es um die
heutige Rekonstruktion von Herrenhäusern geht.
Ansonsten fallen – nur bisweilen – einige mißverständliche
Formulierungen im Dreibandwerk auf, die ein längeres Nachdenken über
das Gemeinte und den eigentlichen Sinn nötig machen. So gibt es eine
sinnentstellende Formulierung im Teilband 1 des Hauptbandes II auf
Seite 140 bei der Beschreibung der „Formen der Vervielfachung des
Einzelhauses“, [12] wie sie im holsteinischen Ahrensburg, im
holsteinischen Nütschau oder im schleswigschen Glücksburg zu sehen
sind. Im Werk heißt es dazu, der holsteinische Staatsmann und
Statthalter Heinrich Rantzau (1526-1598) habe um 1588 den kölnischen
Maler und Kupferstecher Hogenberg damit beauftragt, einen „Stammbau
seiner weitverzweigten Familie“ anzufertigen. Hier fragen sich zunächst
unwillkürlich unbedarft Lesende, weshalb ausgerechnet ein Maler und
Kupferstecher einen solchen Bau errichten sollte und nicht etwa ein
Architekt oder Baumeister. Dieser „Stammbau“ der Rantzaus (also
anscheinend ein erster Herrensitz in einer ganzen Reihe von Folgebauten
im Holsteinischen?), bei dem als reich geltenden Heinrich Rantzau
durchaus denkbar [13] – sei von fünfzig Vignetten „gerahmt“ gewesen, so
weiter der Text, „auf denen die Häuser der in Schleswig-Holstein und
Dänemark begüterten uradeligen Familie in Miniaturdarstellungen
abgebildet sind.“ Hier hatte also wohl der Bauherr veranlaßt, daß
bildliche Repräsentationen aller seiner familiären Herrensitze schon im
Hauptbau, dem „Stammbau“, äußerlich erkennbar, vielleicht in
Reliefform, abgebildet wurden, was dann aber allein deswegen keinen
rechten Sinn ergibt, weil der Stammbau ja zuerst erbaut worden sein
dürfte.
Daß nämlich, was denkbar gewesen wäre, die Vignetten nachträglich am
„Stammbau“ angebracht wurden, sagt der Text indes keineswegs aus, so
daß die Aussage selbst vorläufig durch fehlende Zeitzuweisungen
verwirrt, die nicht eindeutig geklärt werden. Auch der nachfolgende
Satz des Textes bringt hierzu keine Aufklärung und man hätte gern eine
Abbildung des umlaufenden Frieses gesehen, auf dem an der Außenwand des
„Stammbaus“ die Vignetten abgebildet worden sein sollen. Indes hält der
Text einen Quellennachweis vor, der sich auf „Henniges / Lindeberg
1590“ bezieht. Im Teilband 2 des Hauptbandes II findet sich dann auf
Seite 714 linksspaltig die Auflösung dieses Quellensigels. Es handelt
sich dabei um das Werk von Hieronymus Henninges (1563-1597), Peter
Lindeberg (1562-1596), Heinrich Meibom (1555-1625) und Christoph
Kellinghusen namens
„Genealogiæ Aliqvot Familiarum Nobilivm In Saxonia: Qvae Vel A
Comitibvs Vel Baronibvs Ortæ, quosdam Pontificiam, quosdam Episcopalem
dignitatem adeptos produxerunt [...]: Qvibvs Accesservnt Insignia Fere
Omnivm, Qvi genere nobiles in Ducatibus Slesuigæ, Holsatiæ ac
Stormariæ, arces munitas, elegantia castra, prædia, domicilia &c.
possederunt, & etjamnum poßident: nec non Imagines nonnullorum à
Goltzio, Hogenbergio & aliis artificibus tam cupro quam ligno
expressæ & incisæ; Item In Calce Descriptio Monvmenti Ab Henrico
Ranzovio prope Segebergam in honorem Friderici II. Regis Daniæ erecti
& sic efformati, ut assurgat in Pyramidem, & huic substructum
sacellum repræsentet ex quovis latere arcum triumphalem: nec non
descriptio obelisci Juxta hoc monumentum collocati ; Item Delineatio
Pyramidis Qvadratæ, Qvam memoriæ Regum Daniæ & suorum consecratam
collocavit in monte conspicuo prope pagum Nordôe, vicinum oppido
Itzehoensi idem Henricvs Ranzovivs“; es erschien gedruckt beim Verlag
Wolf(f) in Hamburg 1590 mit 75 Blättern, 4 weiteren ungezählten
Blättern und 42 Holzschnitten sowie 49 Kupferstichen.
Hierin findet man dann ohne Seitenzählung durchaus auch die Abbildung
verschiedener Herrenhäuser, aber keinen „Stammbau“, sondern vielmehr
einen „Stammbaum“, so daß der zunächst irreführende Hinweis hier seine
Erklärung findet. Es handelt sich daher beim „Stammbau“ gar nicht um
ein besonders prägnantes (steinernes?) Gebäude, von dem aus
denkbarerweise die Rantzaus ihre regionale Ausbreitung über Holstein
begannen, sondern einen artifiziell gestaltete Nachfahrentafel, an
dessen sämtlichen Rändern Abbildungen von Rantzauischen Herrensitzen
abgebildet worden sind.
Mittels dieses Beispiels kann gleich ein weiterer Mangel des
voluminösen Dreibandwerkes angesprochen werden. Es ist dies die leider
denkbar schlechtmöglichste Quellennachweisungsform in den
Geisteswissenschaften. Sie enthält ausschließlich Nachteile, ist aber
leider aus der Kunstgeschichtsdisziplin, aus der die Bände stammen,
übernommen worden und dort auch bedauerlicherweise immer noch vielfach
üblich. Dabei stört die Quellennachweisung nicht nur wegen der
verwendeten Versalien den Lesefluß, sondern unterbricht ihn auch in der
leider auffälligsten Form „(AUTORNACHNAME 1999, pp. 14–21)“ mit
Versalien und Gedankenstrichen statt Bindestrichen zwischen den
Seitenzahlen, zerstückelt ihn ferner auch (im Übrigen ohne Not), weil
man erst in einem anderen Band das Literaturverzeichnis hinten
erblättern muß, um dann alphabetisch aufsteigend den Nachweis suchen zu
müssen, den man wiederum mit dem Nachweis im ersten Band kombinieren
muß, um überhaupt zur Quelle zu gelangen; dies stellt eine zusätzliche
Fehlerquelle dar, die man leicht hätte vermeiden können. Stattdessen
hätte man kleiner gesetzte Fußnoten mit jeweils vollständigen
Nachweisen ohne Kürzel verwenden und eine nur vorteilige Form der
Quellennachweisung wählen können. Dann wäre sowohl die Leseflußstörung
als auch das Auseinanderdriften von Autornamen und Seitenzahl
einerseits sowie Werktitel andererseits vermieden worden.
Gleichwohl stören diese Monita den Gesamteindruck des Dreibandwerkes
nicht, das in seiner Fülle wohl erst gewürdigt werden kann, wenn es,
rückwirkend auf die Restaurierungspraxis der Herrenhäuser seine
wohltuende Wirkung in Jahren und Jahrzehnten entfaltet, als
gespeichertes Wissen, das sich jederzeit über das Speichermedium Buch
wieder abrufen läßt. So webt schließlich auch das Dreibandwerk sicher
hilfreich an der Erhaltung und weiteren Ausgestaltung alter Adelshäuser
mit, die immer noch von „Gutshausrettern“ neuen Verwendungen zugeführt,
vor allem aber erhalten werden. [14] Hier ist nur das mecklenburgische
Gutshaus Goldenbow zu nennen, ursprünglich auch aus der Frühneuzeit
stammend, das schon eine Bauruine war, aber wieder aufgebaut und belebt
worden ist. [15]
Der reichhaltige Anhang im Hauptband I auf den Seiten 245-286 und in
Teilband 2 des Hauptbandes II auf den Seiten 668-797 – Personennamen,
Ortsnamen, Bildnachweise, Sekundärliteratur – lassen zur Erschließung
der reichhaltigen Inhalte keine Wünsche offen und erweisen sich
vielfach als hilfreich, weniger vielleicht um Vorkommen zu einzelnen
Häusern nachzusehen, die ohnehin stets nur als Beispiele für bestimmte
Bauformen herangezogen wurden, sondern vielmehr, was Künstler, Erbauer,
Bewohnende und Baumeister anlangt, aber auch die Verweise auf die
Literatur. Gerade angesichts der Entwicklung, nach der in der neuen
Adelsforschung die disziplinäre Trennung zwischen geistes-, kultur- und
sozialwissenschaftlichen Ansätzen überwunden und in praxistheoretische
Bahnen gelenkt wird, bei denen, so im Konzept und in der neuen
Adelstheorie „un/doing nobility“ Raumaktanten wie Herrenhäuser eine
bedeutende Rolle für die Adelserzeugung in einer mittleren Dauer
spielen, kann der Wert der vorliegenden Dreibandpublikation nicht hoch
genug eingeschätzt werden und stellt einen überaus wertvollen Baustein
für die relationale sowie poststrukturalistische Adelsforschung bereit,
die sich vorwiegend mit der Adelskonstruktion in Aktantennetzwerken
befaßt, [16] gerade auch, weil Herrenhäuser darin oft eine prominente
Rolle einnahmen. Insgesamt gilt daher, was einmal Brückmann (1863) ein
wenig romantisierend und affizierend über sie notiert hatte. Er nahm
Herrenhäuser nicht allein als größere Gegenstände oder leblose Objekte
wahr, sondern als „sprechende“ Sobjekte, als Entitäten mit latentem
Handlungspotential: [17] „So stehen sie da, diese Adelshöfe, als stumme
Zeugen der Macht und Herrlichkeit vergangener Jahrhunderte, und das
Gras auf den Vorplätzen, der Rost an den ehemals vergoldeten Spitzen
der Eisenstangen der Einfriedigungsmauern sprechen lauter und beredter
zu uns, als der gelehrteste Ausleger und Deuter alter Chroniken und
vergilbter Pergamente.“ [18]
Diese Rezension stammt von Dr. Dr. Claus Heinrich Bill M.A., M.A.,
M.A., B.A., B.A. und erscheint zugleich in der Zeitschrift für deutsche
Adelsforschung in gedruckter Form.
Annotationen:
1 = Carl E. L. von Lorck: Landschlösser und Gutshäuser in Ost- und
Westpreußen mit einem beschreibenden Verzeichnis von über 450 Häusern,
295 Rissen und Bildern und einer Karte, (Frankfurt am Main: Weidlich 5.
Auflage 1983, 360 Seiten; Ludwig Hüttl: Schlösser. Wie sie wurden, wie
sie aussahen und wie man in ihnen lebte, München: Knaur 1. Auflage
1982, 208 Seiten; Walter Hotz: Kleine Kunstgeschichte der deutschen
Schlösser, Darmstadt: Primus-Verlag 3. Auflage 2011, XVI und 233
Seiten.
2 = Es werden vermutlich in den kommenden Jahren noch weitere
Komplettierungsbände erscheinen, was sich aus einem Flugblatt zur Reihe
ersehen läßt; dazu zählen weitere drei Bände mit der Thematik „Die
Blütezeit“, ein Band „Der Zenit“, zwei Bände „Eskalation“, ein Band
„Das Ende“ und ein Band „Die Reste“, so daß die projektierte
Gesamtreihe als Pionier- und Grundlagenwerk elf Bände umfassen dürfte.
3 = Hierzu beispielhaft Georg Pauly: Das Altkieler Bürger- und
Adelshaus. Eine Sammlung und Entwicklungsgeschichte seiner Nutz- und
Kunstformen, Kiel 1924, 160 Seiten (darin das Kapitel 7.2.2 namens „Das
Adelshaus als Wohnsitz in den Städten“; betrifft in Unterkapiteln
Architektur und Inneres größerer und kleinerer Kieler Adelshöfe in
textlichen und bildlichen Auswahlbeispielen).
4 = Die Studiengebühren betragen insgesamt rund 4.460 Euro und setzten
sich 2024 zusammen aus 2.200 Euro Studiengangsgebühren plus 4 x 365
Euro Semestergebühren plus schätzungsweise (diese Kosten werden leider
von der Viadrina nicht transparent gemacht) 1.000 Euro Reisekosten,
Unterkunft und Verpflegung für fünf jeweils elftägige Präsenzseminare
vor Ort in der Viadrina. Trotz dieser Hochkosten handelt es sich
bedauerlicherweise nur um einen Master von 60 ECTS Studienumfang und
nicht, wie sonst üblich, im um einen Masterstudiengang mit 120 ECTS.
5 = Dazu siehe Silke Voß: Romantische Räume im Kerzenschein und brutale
Baukatastrophen, in: Nordkurier und Vorpommernkurier vom 8. Dezember
2023, Seite 20 in der Rubrik „Blick in die Region“; Rita Brückner: Wer
hart arbeitet, darf auch feiern. Gutshaus-Engel laden zum Konzert nach
Thurow anlässlich des zehnjährigen Jubiläums, in: Schweriner
Volkszeitung und Anzeiger für Sternberg, Brühl, Warin vom 20. Februar
2024, Seite 7 in der Rubrik „Lokales“.
6 = Hierzu könnten dann dienen die Werke von Christa Schnakenberg-Sobe:
Versteckte Herrensitze, in: Niedersachsen. Zeitschrift für Kultur,
Geschichte, Heimat und Natur seit 1895, Band LXXXIV, Berlin 1984, Seite
3; Hans Adolf Schultz: Burgen, Schlösser und Herrensitze im Raum
Gifhorn-Wolfsburg, Gifhorn 7. Auflage 1990, 95 Seiten (Band I der Reihe
„Schriftenreihe zur Heimatkunde der Sparkasse Gifhorn-Wolfsburg“);
Peter Arnold / Henner-Ekkehard Kerl: 111 Schlösser und Herrensitze in
Niedersachsen, Hannover 2. Auflage 1990, 228 Seiten; Claus Bieger,:
Schlösser und Herrensitze, in: Niedersächsisches Landesamt für
Denkmalpflege (Hg.): Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen.
Veröffentlichung des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege,
Band XIV, Hameln 1994, Heft Nr. 4, Seite 217-218; Anja Engbrost:
Schlösser und Herrensitze im Braunschweiger Land, in: Niedersächsisches
Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Berichte zur Denkmalpflege in
Niedersachsen. Veröffentlichung des Niedersächsischen Landesamtes für
Denkmalpflege, Hameln 1999, Seite 32-34; Theodor Penners: Burgen,
Schlösser und Herrensitze unserer Heimat im Land um Ems und Hase.
Einführung zur Eröffnungsfeier [der Ausstellung] in Meppen am 11.
November 1981, Meppen 1981, ? Seiten; Thoben, Paul: Emsländische
Burgenfahrt. Burgen, Schlösser, Rittersitze und Herrensitze im Emsland,
in: Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Hg.):
Emsländische Geschichte, Band IX, Meppen 2001, Seite 134-150; Baldus,
Josef: Altosnabrücker Herrensitze, Kirchen und Klöster. Heimatkundliche
Wanderungen durch das Osnabrücker und benachbarte Tecklenburger Land,
Osnabrück 1925, VIII und 168 Seiten; Wagner, Eckard: Schlösser und
Herrensitze im Emsland, in: Kulturführer des Landkreises Emsland
(Baudenkmale), Meppen 1993, Seite 35-47; Thye, Bernd: Burgen, die im
Wasser träumen. Die Herrensitze im Grönegau, in: Geschäftsstelle
Landesveranstaltungen des Niedersächsischen Ministerium für Inneres und
Sport (Hg.): Niedersachsenbuch. Tag der Niedersachsen, Band XXV,
Hannover 2006, Seite 87-98; Vonend, Dietmar: Gemeinsame Spurensuche mit
Denkmalpflegern. Parks und Herrensitze im Weserbergland, in:
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Berichte zur
Denkmalpflege in Niedersachsen. Veröffentlichung des Niedersächsischen
Landesamtes für Denkmalpflege, Band XXVI, Hameln 2016, Heft Nr. 3,
Seite 162-163; Initiativgruppe „Spurensuche“ der Schaumburger
Landschaft (Hg.): Schaumburger Burgen und Herrensitze, Bückeburg 2018,
20 Seiten (Band ohne Zählung der Reihe „Spuensuche im Schaumburger
Land“); Adolf Ronnenberg: Adelshöfe in Kurhannover, Hannover 2013, 4
Seiten.
7 = Zur lange vernachlässigen Thematik der Domestikenschaft siehe
Markus Krajewski: Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen
König und Klient, Frankfurt am Main 2010, 720 Seiten (Habilitation
Universität Weimar 2010; betrifft das Paar Fürsten und Diener,
Erkennungsmerkmale, Relationierung der Macht, Signifikationen des
Unterlings, Topographie der Subalternen, Orte der Indirekten, Dienen
als Kulturtechnik, Diener als Informationszentrale, Ökonomie der
Dienstbarkeit, Diener in der Literatur, Herr-Diener-Kommunikation,
Briefformen und Schlußformel, Quasi-Objekte im Haus, Verdinglichung der
Diener); Markus Krajewski: Die Indirekten. Fürstendiener im Barock, in:
Tobias Nanz / Armin Schäfer (Hg.): Kulturtechniken des Barock, Berlin
2013, Seite 21-40 (Plädoyer zur Einführung einer „architektonischen
Semiotik der Subalternen“ und für die Ergänzung des Konzeptes der
Herrschaftsarchitektur mit einer Dienstbarkeitsarchitektur anhand der
„Geheimgänge“ beziehentlich Dienergänge oder Schliefgänge, Tapetentüren
und „Geheimgänge“ in Schlössern und Herrensitzen, hier speziell der
Wiener Hofburg, da „der Begriff ‚Herr‘ ohne sein Gegenstück ‚Diener‘
keinen rechten Sinn“ ergäbe); Nomen Nescio: Kein Glanz ohne das
Fußvolk. Spurensuche nach den Gärtnern, Schmieden und Wäscherinnen, die
das angenehme Leben der Oberschicht auf Schloss Gedern erst
ermöglichten, in: Kreis-Anzeiger (Gedern), Ausgabe vom 9. September
2020, Seite 18; Monika Suski: Spannende Familienführung durchs Schloss,
in: Rheinische Post (Düsseldorf), Nr. 100 vom 30. April 2018, Seite 32
(betrifft angebliche „Geheimgänge“ im Schloß Benrath hinter
Tapetentüren für Domestik:innen); Simone Höhl: Tatort Schloss Ebnet.
Mit Geheimgang, Spion- und Filmvergangenheit wäre es eine Top-Location,
findet der Schlossherr und würde die Leiche spielen, in: Badische
Zeitung (Freiburg im Breisgau) vom 11. März 2015, Seite 22 (Beispiel
für einen Schloßherrn aus historischem Adel, der die
„geheimnisumwitterte“ Legende pflegt, die Tapetentüren und dienerlichen
Schliefgänge seien dazu da gewesen, um Mätressen und Liebhaber
„heimlich“ „verschwinden“ zu lassen); Nomen Nescio: Kinder sind
Schlossgeheimnissen auf der Spur, in: Ipf- und Jagst-Zeitung
(Ellwangen), Ausgabe vom 28. Oktober 2011, Seite 3 (betrifft angebliche
„Geheimgänge“ im Fürstprobstenschloß Ellwangen); Markus Krajewski:
Treppauf, treppab. Der Butler, ein Cursor und Bindeglied der Stände,
in: Uwe Wirth (Hg.): Bewegen im Zwischenraum, Band III (Wege der
Kulturforschung), Berlin 2012, Seite 217-236 (enthält eine Analyse des
Films „Dinner For One“, bringt daneben aber auch Bemerkungen zur
Reziprozität von Adel und Nichtadel in räumlicher Nähe zueinander);
Nina Birkner: Herr und Knecht in der literarischen Diskussion seit der
Aufklärung. Figurationen interdependenter Herrschaft, Berlin 2016, 518
Seiten (Band LXXXIV der Reihe „Quellen und Forschungen zur Literatur-
und Kulturgeschichte; betrifft mehrfach auch das Verhältnis zwischen
Adel und Dienerschaften); Sebastian Kühn: Küchenpolitik. Annäherungen
an subalterne Handlungsweisen in hofadligen Haushalten des 17. und 18.
Jahrhunderts, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische
Geschichtswissenschaft, Band XXVIII, Heft Nr. 2, Göttingen 2017, Seite
69-84; Markus Krajewski: Call me Carl. Domestiken bei Lessing, Goethe
und heutzutage, in: Ana Ofak / Philipp von Hilgers (Hg.): Rekursionen.
Von Faltungen des Wissens, München 2010, Seite 245-266; Sebastian Kühn:
Die Macht der Diener. Hausdienerschaft in hofadligen Haushalten
(Preußen und Sachsen, 16.-18. Jahrhundert), in: Mitteilungen der
Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen,
Neue Folge Stadt und Hof, Band VI, Kiel 2017, Seite 159-169; Markus
Krajewski: Vom Servant zum Server. Die Herrschaft der Stummen Diener
und elektronischen Gehilfen, in: Archplus. Zeitschrift für Architektur
und Städtebau, Heft Nr. 205 (Themenheft „Servicearchitekturen“), Berlin
2012, Seite 20-25 (betrifft Tapetentüren in der Wiener Hofburg sowie
das Verhältnis Herr-Diener); Rolf Engelsing: Der Arbeitsmarkt der
Dienstboten im 17., 18. und 19. Jahrhundert, in: Wirtschaftspolitik und
Arbeitsmarkt, Seite 159-237 (betrifft unter anderem Funktionen und Zahl
von Dienern in Adelshaushalten); Sebastian Kühn: Die Gräfin, die
Gouvernante und der König. Perspektiven auf Dienstleute als Boten in
einem aristokratischen Haushalt des 18. Jahrhunderts, in: Caroline Arni
/ Regina Schulte / Xenia von Tippelskirch (Hg.): Historische
Anthropologie, Band XX, Heft Nr. 1 (2012), Seite 58-75 (These, wonach
Diener:innen als handelnde Akteur:innen in höfischem Kontext gelten
können und daß sie „grundlegende Vermittlungsleistungen“ wahrnahmen,
Beziehungen herstellten, für beständigen Fluß und Austausch von
Informationen und Gütern sorgten; Betonung der Spannung zwischen
gewünschter Unsichtbarkeit der Dienerschaften einerseits und ihres
starken Aushandlungspotentials im Verhältnis zu adeligen Arbeitgebern;
Dienende als In-Beetweens, als Boten und Medien; These, daß Dienende
„nicht einfach nur als Instrument eine ihnen äußerliche Botschaft
überbringen, sondern selbst Teil der Botschaft sind, und diese dadurch
beeinflussen und daher die sozialen Beziehungen wesentlich verändern“;
Theorievorschlag zweier Botenmodelle mit den Positionen Automat und
Stellvertreter; erörtert anhand der französischsprachigen Memoiren der
Louise Charlotte Gräfin v.Schwerin aus den 1720er Jahren);
Hermann Kellenbenz: Der Kammerdiener, ein Typus der höfischen
Gesellschaft. Seine Rolle als Unternehmer, in: Vierteljahrschrift für
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band LXXII, Stuttgart 1985, Seite
476-507.
8 = Hierzu könnte möglicherweise aufklärend wirken das 1670 publizierte
Werk von Erasmus Francisci: Neu-polirter Geschicht-Kunst- und
Sitten-Spiegel ausländischer Völcker, Nürnberg: Johann Andree Endters
MDCLXX, Seite 1347, wo es – neben der Marginalie „Was für Arbeit die
Indianer zu Amadabad machen“ – über die Handwerkskunst im
nordwestindischen Ahmedabad heißt: „In dem Gebiet deß grossen Mogols/
fürnemlich zu Amadabad/ wird Güldenstuck gemacht/ welches zwar prächtig
ins Auge/ aber von kleiner Würde ist/ denn sie gebranchen dazu platt
und blinckend Gold/ welches auf Seide liderlich gewirket; wenn es ein
wenig getragen wird/ springt das Gold ab. Ist bey weitem nicht so gut/
als Persianisch Güldenstuck [...] Nächst diesem machen sie eine Art von
Tafft/halb Seide/ und halb Kattun/ auch wol vom allerfeinsten Kattun,
und mit gülden Blumen durchwircket/ scheinet als wenns gestickt oder
genehet wäre. Diß ist eine neue Art/ und durffte es unter dem Schach
Choram niemand tragen als er/ der König selbst/ und dem ers erlaubete
[…] Hernach ist eine Art von allerhand Farben gestreifften Atlaß/ mit
Gold-und Silberstrichen/ gleich als mit kleinen Schnüren durchzogen […]
Eine andre Art Tafft/ auf vorigen Schlag/ bunt gestreifft/ mit
gülden und auch noch viel andre Seiden-Zeuge/ und Kattunen Leinwand
daselbst gemacht. “ Denkbar ist es, daß diese Stoffe auch für
Tapisserien in holsteinischen Adelssitzen verwendet worden sind;
immerhin verfügten sie über prestigemehrenden Seltenheits- und
Exotismuscharakter; siehe dazu grundlegend Thorstein Bundle
Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der
Institutionen, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 3. Auflage
2015, 381 Seiten (übersetzt aus der englisch-amerikanischen in die
deutsche Sprache ins Deutsche von Suzanne Heintz und Peter von
Haselberg; Roland Girtler: Feine Leute. Aristokraten und Bürger,
Geistliche und Gauner, Künstler und Stars, Wien: Litverlag 4. Auflage
2016, 447 Seiten.
9 = Kathrin Müller: Musterhaft naturgetreu. Tiere in Seiden,
Zeichnungen und Tapisserien des 14. und 15. Jahrhunderts, Berlin:
Gebrüder Mann Verlag 2020 mit 367 Seiten.
10 = Birgitt Borkopp-Restle und Jonas Leysieffer: Mobile Räume. Mobile
Bilder. Tapisserien als Medien der politischen Kommunikation, in: Peter
J. Schneemann [Hg.]: Reading room. Re-Lektüren des Innenraums, Berlin:
De Gruyter 2019, Seite 160-167 (Band XXI der Reihe „Neue Frankfurter
Forschungen zur Kunst“).
11 = Ronald Gregor Asch: Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine
Einführung, Köln / Weimar / Wien: Böhlauverlag 2008 mit X und 323
Seiten; Michael Sikora: Der Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009 mit VII und 148 Seiten; dort
auf den Seiten 124-131 nur wenige Erörterungen zur Thematik „Das Haus
als Symbol adliger Macht und Mittelpunkt adliger Existenz“.
12 = Weshalb die Verfasserin hier nicht einfach und simpel den Begriff
der „Mehrfachhäuser“ benützt, bleibt unklar, nachdem sie eine ganze
Reihe von weiteren Begriffen wegen ihrer fehlenden Eignung im Text,
ibidem auf Seite 140, ablehnt.
13 = Zu seiner Biographie siehe unter anderem Eckardt Opitz: Johann und
Heinrich Rantzau, in: Eckardt Opitz (Hg.): Die unser Schatz und
Reichtum sind. 60 Porträts aus Schleswig-Holstein, Hamburg: Verlag
Christians 1990, Seite 15-21.
14 = Hierzu siehe Anja Bölck: Gutshausretter im Denkmalnetz MV vereint.
Gründungsveranstaltung am Sonnabend. Ziel ist Schulterschluss im Kampf
um die Wahrung des kulturellen Erbes, in: Norddeutsche Neueste
Nachrichten vom 22. Jänner 2024, Seite 5 (Rubrik
„Mecklenburg-Vorpommern“), wo es heißt: „Ein großes Problem beim
Denkmalschutz seien laut Michael Hoffmann Kommunalpolitiker. Viele
Bürgermeister und Bürgermeisterinnen würden sich ungern mit dem Thema
beschäftigen oder hätten nur das neue Baugebiet im Blick. Weil es so
nicht weitergehen kann, wollen sich Denkmalinteressierte,
Gutshausbesitzer, der Verein Arbeitsgemeinschaft Gutsanlagen, der
Verein Interessengemeinschaft Bauernhaus, der Mühlenverein
M[ecklenburg-]V[orpommern] und weitere Initiativen aus dem ganzen Land
verbinden. Am Sonnabend kamen sie in Demmin zusammen und gründeten nach
dem Vorbild von Bayern und Sachsen das Denkmalnetz
M[eckelbnurg-]V[orpommern] […] Unter Denkmalfreunden heißt es, MV
besitze in Europa die höchste Dichte an Schlössern, Herren- und
Gutshäusern. Laut dem Historiker und Autor Wolf Karge sind in
M[ecklenburg-]V[orpommern] etwa 500 von etwa 2200 existierenden
Schlössern, Herren- und Gutshäusern saniert oder befinden sich in einem
guten Zustand“.
15 = Tilo Röpcke: Krimi-Atmosphäre im Gutshaus. Im alten Herrenhaus in
Goldenbow stellte der Hamburger Klaus Spieldenner Kulturliebhabern sein
neuestes Buch „Elbtraum“ vor, in: Schweriner Volkszeitung und
Hagenower Kreisblatt vom 13. August 2019, Seite 10; Hubertus
Neuschäffer: Mecklenburgs Schlösser und Herrenhäuser, Husum:
Husum-Druck- und Verlags-Gesellschaft 1990, Seite 86-87.
16 = Siehe dazu Frank Hillebrandt: Ereignistheorie für eine Soziologie
der Praxis. Das Love and Peace Festival auf Fehmarn und die Formation
der Pop-Musik, Wiesbaden / Heidelberg: Springer VS 2023, VIII und 365
Seiten; Hilmar Schäfer (Hg.): Praxistheorie. Ein soziologisches
Forschungsprogramm, Bielefeld: Transcript 2016, 382 Seiten; Claus
Heinrich Bill: Einführung in das neue konstruktivistische Adelskonzept
„Un/doing nobility“ mit aktueller Forschungssynopse, in: Institut
Deutsche Adelsforschung (Hg.): Zeitschrift für deutsche Adelsforschung,
Jahrgang XXII, Folge Nr. 108, Sonderburg 2019, Seite 13-42
(Grundsatzaufsatz zur Begründung eines in der soziologischen
Praxistheorie wurzelnden dynamischen statt statischen Adelsbegriffes);
Claus Heinrich Bill: Nickel Lists problematischer Aristokratismus, in:
Robert Bohn / Jürgen Weber (Hg.): Wortmeldungen zur Zeit- und
Regionalgeschichte. Festschrift für Uwe Danker, Husum: Druck- und
Verlagsgesellschaft 2022, S. 33-40 (Anwendung des Konzeptes aus einem
interaktionistischen und mikrosoziologischen Blickwinkel anhand eines
hochstaplerischen Räuber-Beispiels aus dem 17. Jahrhundert); Bruno
Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in
die Akteur-Netzwerk-Theorie (aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt
von Gustav Roßler), Frankfurt am Main: Suhrkamp 5. Auflage 2019, 488
Seiten (Band MCMLXVII der Reihe „Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft“).
17 = Zu den Sobjekten, stehend zwischen den klassischen
Dichotomiepunkten Objekt und Subjekt, siehe Larissa Ullmann: Das
Sobjekt. Mögliche Beziehungen zwischen Mensch und Maschine aus einem
phänomenologischen Blickwinkel, in: Alexander Friedrich / Petra Gehring
/ Christoph Hubig / Andreas Kaminski / Alfred Nordmann (Hg.): Jahrbuch
Technikphilosophie, Band VIII (Kunst und Werk), Baden-Baden: Nomos
2022, Seite 195-213.
18 = O. H. Brückmann: Altes und Neues aus dem Münsterland und seinen
Grenzbezirken. Ein Beitrag zur Kunde Westfalens, Paderborn: Schöningh
1863, Seite 30. |