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Religiöse Kontexte in der habsburgischen NobilitätAspekte aus dem konfessionellen und nachkonfessionellen Zeitalter 1500-1945In einem historischen Aufsatz aus Wien über die Geschichte der österreichischen Gegenreformation hieß es im Jahre 1868 im Rückblick über einige Hochadelsfamilien: „Die Starhemberge waren gleich bei Beginn der Reformation eifrige Anhänger des Lutherthums. Mit Erasmus Starhemberg und dessen Vater Bartholomäus hat Dr. Luther sehr eifrig korrespondi[e]rt. Der Urenkel des Erasmus war Konrad Balthasar, der in den Schooß [sic!] der katholischen Kirche wieder zurücktrat und dafür (1643) in den Grafenstand erhoben wurde. Er war der Vater jenes Ernst Rüdiger Starhemberg, welcher Wien 1683 so mannhaft gegen die Türken vertheidigte. Die Ungnad von Weißenwolf waren lange Zeit zähe Protestanten. Hans Ungnad bekleidete die einträgliche Stelle eines Landeshauptmannes in Steiermark und wanderte nach Württemberg aus, um seinen [sic!] Glauben nicht abschwören zu müssen. Er ließ die Bibel ins Slavonische und ins Türkische übersetzen und liegt in Tübingen begraben. Seine Nachkommen wurden katholisch und 1646 in den Grafenstand erhoben, zugleich erhielten sie das Erblandhofmeisteramt in Oberösterreich, welches früher die Jörger besessen hatten. Die Herbersteins, ein berühmtes Diplomatengeschlecht, waren nicht minder eifrige Anhänger des Protestantismus. Ein Zweig derselben konverti[e]rte sich um die Zeit des westphälischen Friedens und blüht noch in Steiermark, der andere blieb in Sachsen und starb dort im Jahre 1737 aus. Die Windischgrätze harrten lange beim neuen Glauben aus. Der erste Konverti[e]t aus dieser Familie war Gottlieb Windischgrätz, der dafür 1682 den Reichsgrafenstand erlangte. Nach den bekannten Lexington papers war aber sein Uebertritt nur ein scheinbarer und er soll bis ans Ende seines Lebens ein heimlicher Protestant gewesen sein.“ [1] Die hier genannten Rückübertritte zum katholischen Glauben zeigen bereits exemplarisch auf, welche Rahmenbedingungen und Folgen mit einer Konversion verbunden sein konnten. Denn bei Konvertiten handelte es sich zumeist zum Renegaten, die ihrer Familientradition widersprachen und durch den religiösen Widerspruch, gerade in Zeiten starker religiöser Prägung der vormodernen europäischen Adelswelt, in soziale Isolation und einen Black-Sheep-Status geraten konnten und auch gerieten. [2] In einem neuen (deutschsprachigen) Aufsatz nun zeigt die Moskauer Historikerin Olga Khavanova, die diverse Bittschriften ungarischer und siebenbürgischer Adeliger mit Konversionsinhalten aus dem Wiener Finanz- und Hofkammerarchiv analysiert hat, daß es indes im Nachhinein nicht einfach ist, die wahren Motive solcher Glaubenswechsel und spiritueller Grenzübertritte zu eruieren. Es konnten innere Zweifel und eine persönlichen Glaubenskrise sein, die einem adeligen Individuum über den Beitritt zum Katholizismus wieder seinen Seelenfrieden verschafften, aber es waren wohl bisweilen auch lediglich Hidden-Agendes von Bittsteller*innen, um Unterstützungen oder Ämter im katholischen Österreich zu erhalten. Teils wurde indes auch von den Behörden, die derlei Vergünstigungen zu vergeben hatten, eine Konversion als Verdienst angesehen. Eingebettet ist dieser Aufsatz indes in einen kürzlich erschienenen Sammelband des 1854 begründeten Instituts für österreichische Geschichtsforschung, welches seit 2016 nicht mehr in der Trägerschaft des österreichischen Staates, sondern in der der Universität Wien steht. Der Band trägt den Titel „Adel und Religion in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie“ und beinhaltet insgesamt 16 Aufsätze. [3] Die sich auch als inoffizielle Festschrift zum 60. Geburtstag des Adelsforschers und derzeitigen Direktors des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Thomas Winkelbauer verstehende Schriftsammlung gliedert sich in drei sachlich voneinander abtrennbare Bereiche. Hierzu zählen a) Konfessionalisierung und Adel, b) konfessionelles Handeln des Adels in politischer Dimension und c) adelige Erinnerungskultur andererseits. [4] Die Vorstellung dieser Bereiche ist jedoch bedauerlicherweise aus der Einleitung nur schwer erschließbar und mit unnötigen Irreführungen verbunden. [5] Dabei oszillieren Beiträge, die man Bereichen nicht zuordnen kann, zwischen der Repräsentation adeliger Frömmigkeit und der Bedeutung der Religion für den Adel im Habsburgerreich (z.B. anhand der Erörterungen von Kavalierstouren nach Rom). Bemerklich ist ferner, daß die Beiträge in ihrer Stoßrichtung und ihrem je spezifischen Erkenntnisinteresse höchst verschieden angelegt wurden. Der Salzburger Neuzeithistoriker Arno Strohmeyer (*1963) beispielsweise zeigt die hohe Interdisziplinarität des Bandes an, indem er eine von Sozial- und Individualpsychologie beeinflußte Historiographie über einen kaiserlichen Gesandten in Konstantinopel an der Hohen Pforte analysiert. In seinem Aufsatz „Religion – Loyalität – Ehre. Ich-Konstruktionen“ in der diplomatischen Korrespondenz des Alexander von Greiffenklau zu Vollrads, kaiserlicher Resident in Konstantinopel (1643–1648)“ untersucht Strohmeyer rund 1.500 (sic!) von ihm ausgezählte Nennungen des „Ichs“ aus 52 in Wiener Archiven aufgefundene Briefen aus dem frühen XVII. Säkulum, die er zur Zeit editiert. [6] Obgleich er betont, daß das „Ich“ eines kaiserlichen Gesandten und eines Diplomaten, mitgeprägt durch Regeln symbolischer Kommunikation einerseits und Briefsteller als briefnormvorgebende Struktur andererseits, wenig Eigenes offenbaren könne, versucht er dennoch, dieses Ich zu verorten. Strohmeyer sieht es in drei Bereichen offenbar werden, die er mit den Stichworten oder Bereichen Religion, Loyalität und Ehre überschreibt. Ergebnis seiner Untersuchungen ist, daß aus den Worten der monodirektionalen Gesandtschaftsberichte aus Konstantinopel nach Wien (die kaiserlichen Antworten waren bisher nicht ermittelbar) nur ein kollektives oder vernetztes Selbst zum Vorschein kommt. Der Gesandte spielte mithin vor allem eine soziale Rolle, als Diplomat, als Adeliger, als Stellvertreter seines Landesherren, seines Arbeitgebers und seines Kaisers. Die Wir-Konstruktionen des kollektiven Selbstes gehen dabei einher mit der in interpersonalen Kontakten oft beobachtbaren instrumentalisierten Inanspruchnahme des christlichen Gottes für eigene Anliegen. Erkennbar wird an den Formulierungen des Gesandten, daß er das Manko seiner christlichen Gottheit, nicht zu sprechen, dadurch auszugleichen suchte, daß er ihm eine Stimme gab. [7] Dementsprechend verortete der Gesandte seine Gottheit auf der Seite des Kaisers oder sprach ihm auch schon einmal lenkende Einflüsse auf militärische Siege gegen die Osmanen zu. Und selbst im Bereich der Ehre wird deutlich, daß die Selbstkonstruktion des Gesandten wenig aussagekräftig ist, weil er in erster Linie auch hier – schon allein seines Berufes wegen – die Ehre des Kaisers wahren mußte. In Fragen des Ortes des Hauses der Gesandtschaft handelte der Diplomat, wie Strohmeyer aufzeigt, daher nicht etwa als individuelle Person oder als Adeliger, sondern in erster Linie im räumlichen Bezug zur symbolischen Repräsentation seines Dienstherrn. Da sowohl vergleichbare private Korrespondenzen des Gesandten als auch Briefe beispielsweise an den Sultan oder osmanische Würdenträger fehlen, bleibt Strohmeyers Ansatz mangels Vergleichsmöglichkeit anderer Selbstkonstruktionen konturbezüglich eher unfreudig. Der Schreiber der Briefe war zu sehr Repräsentant, als daß es hier eine Möglichkeit gegeben hätte, Quantitäten und Qualitäten der Selbstkonstruktion wirklich zu ermitteln und zu unterscheiden. So mangelt es der Analyse an fehlender Komparatistik, die es ermöglicht hätte, Folien zu erschaffen, vor denen Bewertungen eher möglich gewesen wären. Leider fehlt bei Strohmeyer auch ein einführender Theorieteil, da zumindest über die Kenntnis verschiedener Arten der Selbstkonstruktion deutlich hätte werden können, welche anderen Möglichkeiten ihrer Darstellung bestanden hätten. Schließlich fehlt hier ebenso eine abschließende Einordnung und eine Aufzählung der charakteristischen Merkmale für ein „kollektives Ich“. [8] Dazu hätte es allerdings, zugegebenermaßen, entweder anderer Briefe an andere Adressat*innen bedurft oder aber der Analyse von Konflikten um das „Ich“ des Gesandten, um deviante Handlungen und ihre Behandlung durch die Beteiligten. Dies aber schien den Rahmen der Motive der Analyse, die den Eindruck macht, als Nebenbeiprodukt der Edition entstanden zu sein, überschritten zu haben. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß Strohmeyers Ansatz lobenswert ist, weil er jüngst aufgetauchte Anregungen der neuen Forschungsrichtung adeliger Individuen zwischen Singularität und Kollektivität aufgreift und einer praktischen Umsetzung zustrebt. [9] Seine Gehversuche anhand der interkulturell geprägten Diplomatenberichte vom Bosporus sind daher gerade durch ihre Umsetzungswillen als positiv zu bewerten und können weiteren – tiefer gehenden – Analysen den Weg weisen. Einen anderen Ansatz verfolgt in dem Sammelband dagegen der Budapester Historiker István Fazekas in seinem Aufsatz „Katholische Adelige jenseits der Theiß – Ein Beitrag zur ungarischen Adelsgeschichte zwischen 1550 und 1640“. Hierin wirft er die Frage auf, ob der Begriff der „Konfessionalisierung“ in Bezug auf den Adel immer anwendbar ist und rät zu einem behutsamen Umgang mit dieser geschichtswissenschaftlichen Etikettierung, verfügten doch etliche Adelige auch über transkonfessionelle Erfahrungen. [10] In einem weiteren Aufsatz klassifiziert zudem der Wiener Kunstgeschichtler Friedrich Polleroß (*1958) in klarer Systematik Patronatskirchen, Stifterprotraits, Grüfte, Grabmäler, Epitaphien, Altäre, Votivbilder, Kirchenmöbel und Paramente als Artefakte und Medien memorialer Adelskultur im Barockzeitalter (Seite 239-272). [11] Mit dem Aufsatz des Stuttgarter Ständeforschers Joachim Bahlke (*1963), um nur noch ein weiteres Beispiel herauszugreifen, wird außerdem der 686 laufende Meter (sic!) und über 26.000 Akteneinheiten umfassende Archivbestand des Gräflich Schaffgotschen Archivs aus dem schlesischen Hermsdorf vorgestellt, der noch weitgehend ungenutzt seiner Auswertung im Breslauer Staatsarchiv harrt. Bahlke stellt darin auch die memorialkulturellen Kybernetiken der Familie Schaffgotsch anhand des Projektes ihrer gedruckten mehrbändigen Haushistorie dar, leider indes ohne Einordnung des davon lediglich erschienenen Erstbandes in die Theorie adeliger Familiengeschichten. [12] Auch wenn insgesamt unverkennbar ist, daß der Sammelband eine Werkschau von Schüler*innen oder Winkelbauers Ideen aufgreifenden Nachfolgern ist und dadurch teils sehr spezielle Materien bedient werden, die nicht selten den Eindruck von Forschungsbeifängen hervorrufen, so bieten diese Beiträge dennoch – und gerade auch wegen ihrer myrioramatischen Anlage – eine Fülle bisher angedachter und ungedachter Ansätze, die an neu aus dem kulturellem Gedächtnis der Vergangenheit der Archive ins kommunikative Gedächtnis der Gegenwart gehobenen Schätzen spezifiziert werden. Als eigenständige Forschungsbeiträge im Winkelbauerschen Geiste eignen sie sich daher ebenso wie als impulsgebende Narrationen für künftige Historiographien sakraler Adelsbezüge in der Frühen Neuzeit – auch über den habsburgischen Einflußbereich hinaus. Und schließlich hat der Sammelbandcharakter auch Vorteile, denn die einzelnen Artikel stehen für sich und können als je in sich abgeschlossenes Forschungsspektrum rezipiert werden. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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