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Landsässiger Adel in Galizien 1772-1795Adelskorporatives Verhalten im Übergangs-Managements an HabsburgAls sich 1815 ein anonymer Verfasser in der Lemberger Zeitung über die Charaktereigenschaften und Beschaffenheiten der Galizier äußerte, so konnte man folgende Zeilen zur Nobilität lesen: „Der Adel vorzüglich, und auch die gebildete Classe, welche ihm am nächsten steht, darf sich mit ihren natürlichen Gaben, sowohl des Körpers als des Geistes, jeder andern Nazion an die Seite stellen; ich rede vieljähriger Augenzeuge. Groß, stark, wohlgebaut sind die Männer, ganz zum Krieg und allen Leibesübungen gemacht; nirgends habe ich, selbst in beschränkteren Gesellschaften, so viele schöne, wohlgestaltete, reizende Weiber beisammen gesehen.“ [1] Der galizische Adel wird hier als ein Abbild dessen geschildert, was man als positiv konnotierte Adelselite bezeichnen könnte. Diese Sicht war durchaus nicht gewöhnlich; eher das Gegenteil war der Fall. In der Literatur herrschten vielmehr eher negative Stereotype über den galizischen Adel vor. Diese gegenteiligen und wirkmächtigeren Ansichten einer Verurteilung des Galizienadels untersucht unter anderem in einer neuen umfangreichen Studie Prof. Dr. Milos Reznik aus Warschau in seiner deutschsprachigen Untersuchung `Neuorientierung einer Elite. Aristokratie, Ständwesen und Loyalität in Galizien (1772-1795)´. [2] Reznik ist bisher besonders als ostmitteleuropäischer Adelselitenforscher hervorgetreten. [3] Dieser Ansatz ist sicherlich nicht verkehrt und beruft sich auf eine lange Tradition. [4] Gleichwohl ist Reznik der Auffassung – und dies trotz seines kulturwissenschaftlichen und daher generell synkretistischen Arbeitsstils – dass sich einige Forschende mit einer solchen elitär orientierten Perspektive „schwer tun“ würden (Seite 10). Diese Festlegung entspricht einer essentialistischen Perspektive, geht sie doch davon aus, dass Adel immer auch Elite sei. Doch für die Erforschung von Gegenphänomen im Adel – zum Beispiel Renegatentum, Adelsprekariat oder Adelsarmut – kommt man allein mit elitentheoretischen Ansätzen nicht aus, weil diese als Apriori immer nur den oberen Rand der Sozialformation betrachten, die unteren Bereiche aber nicht ausleuchten. [5] Diese grundsätzliche Elitenfixierung, wie sie in dem Band vertreten wird, hat demgemäß bestimmte Folgen. Denn die Betrachtung der nur elitären `oberen´ Sphären nimmt damit den Blick auf den `unteren Rand´ und macht den Adel in der Darstellung homogener als er insgesamt wahrgenommen werden könnte. Dennoch muß man konstatieren, daß die Studie im Rahmen ihrer (elitären) Fragestellungen gelungen ist, zumal sich der Verfasser – gebürtiger Tscheche und derzeit Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau – als Kenner des galizischen Adels erweist, da er auch in der Vergangenheit bereits dazu publiziert hat. [6] Er untersucht indes ohnehin nur die ständische, d.h. in diesem Fall grundbesitzende Schicht des polnischen Adels in Galizien, während der Kleinadel, der aber immerhin rund Dreiviertel des galizischen Adels ausmachte (Seite 121), ausgeblendet bleibt. Gerade weil aber Reznik seinen Fokus auf die Ständefragen lenkt, ist ohnehin nur das kleine Klientel des einen Drittels des übrigen Landesadels von Interesse. Er untersucht nun, wie nach der polnischen Teilung die Integration der Eliten – und damit der polnischen Szchlachta – ins Habsburgerreich funktionierte, welche Kongruenzen und Inkongruenzen es gab, welche Erwartungen beide Seiten – Adel und Staat – besaßen und wie das Prinzip von `Teile und herrsche´ umgesetzt wurde. Minutiös zeichnet Reznik dabei nach, wie die Annäherung und Integration Galiziens als neues österreichisches Kronland funktionierte, welche Gemeinsamkeiten mit anderen Kronländern bestanden bzw. von der Wiener Zentralregierung installiert wurden, aber auch, welche Unterschiede zu anderen Kronlandkonstruktionen auffällig wurden. Die neue ständische Verfassung von 1775, die den bisher in der polnischen `Adelsrepublik´ noch politisch partizipierenden Kleinadel von der politischen Mitbestimmung und Willensbildung ausschloß, ihr Zustandekommen und die Aushandlungen um Reformen derselben, werden von Reznik dabei gekonnt analysiert. So zeigt er z.B., dass der galizische Adel sich früh in die militärische Elite des Habsburgerreiches integrieren ließ, die Beamtenstellen in der Zivilverwaltung des Staates aber erst zögerlich besetzt worden sind. Dies lag laut Reznik daran, dass der Adel mit dem militärischen Dienst eine lange Tradition fortsetzte, zentralstaatliches Dienstethos aber erst noch lernen mußte. Diese und viele weitere Fragen einer durchaus nicht immer reibungslosen Integration, die Neudefinition des Landesadels über eine Matrik, die auch politische Mitbestimmungsrechte sortierte, begründete und verwarf, betrachtet Reznik anhand einer myrioramatisch orientierten diskursiven und Interaktionsgeschichte, in der die Voraussetzungen, Ausgestaltungen und Ergebnisse der jeweiligen Aushandlungen zwischen den Akteur*innen im Vordergrund – quasi mit der Perspektive der Ergebnisoffenheit – stehen. Zugleich versucht Reznik allerdings in einem eigenen Kapitel – `Zur Formierung des negativen Galizien- und Adel-Stereotypes im deutschsprachigen Diskurs der Aufklärung´ (Seite 139-173) – auch so etwas wie eine Art "Ehrenrettung" des galizischen Adels der Frühneuzeit zu vollziehen. Bemerkenswert sind beispielsweise seine lesenswerten Ausführungen über das nach dem Übergang zu Habsburg entstehende und perpetuierte Leitbild des galizischen Adels, der – ganz anders als von dem eingangs zitierten Anonymus – vor allem als rückständig und verarmt wahrgenommen wurde und durch diese Wahrnehmung auch die habsburgische Ständepolitik in Wien maßgeblich mitgeprägt hat. Reznik zeigt hier überzeugend, wie dieses Stereotyp entstand und verbreitet wurde – und welche Folgen es hatte. Allerdings ist trotzdem nicht von der Hand zu weisen, dass Teile des polnischen (Klein-) Adels in Galizien prekär lebten und das gibt Reznik auch selbst zu (Seite 120-126). Gleichwohl umfaßte der Adel eben nicht nur diese Gruppe, sondern eine ganze Reihe mehr von adeligen Soziotypen, zu denen auch wohlhabende und einflußreiche Familien gehörten. Trotzdem gilt dabei, dass – siehe oben – drei Viertel des Adels das ganze Bild prägten, was so ungewöhnlich und unverständlich wiederum auch nicht ist; eine Mehrheit bestimmte damit das Bild von dieser Mehrheit in der beobachtenden Sicht der Außenstehenden. Vor der Folie von anderen europäischen – allein quantitativ exklusiveren – Adelsschichten verwundert also die negative Einschätzung Galizien nicht so sehr, wie dies Reznik hervorhebt. [7] Gleichwohl stellt seine Studie insgesamt eine methodisch fundierte Analyse des Übergangsmanagements dar, welches sich bei Staatswerdungsprozessen allenthalben abspielt und welches für Galizien bisher nicht untersucht wurde. Damit bietet sein Werk neue Erkenntnisse bei den Inkorporationsvorgängen neuer Staatsteile, bei denen – in der Frühneuzeit nicht anders zu erwarten – "der Adel" eine besondere Rolle spielte. Seine Agency im Wechselspiel der Mächte zu beobachten und zu analysieren, hat Reznik von seinem elitentheoretischen Ansatz her erfolgreich unternommen. Irritierend an der gründlichen Studie ist indes die Selbstsicht Rezniks auf sein Thema. Denn er bekennt im Vorwort, „dass es viel wichtigere Dinge im Leben gibt, als eine Monographie über die galizischen Stände zu schreiben“ (Seite 14). Warum er diese Studie trotzdem durchgeführt hat, noch dazu mit solchem Aufwand und in einem solchen Umfang, bleibt leider im Dunkeln. Doch auch wenn dieses Rätsel für die Lesenden ungelöst bleibt, beeinträchtigt diese abschätzige Haltung gegenüber seinem eigenen Werk nicht den Wert der lesenswerten Analyse. Sie trägt nicht zuletzt dazu bei, die sehr heterogenen Verhältnisse verschiedener europäischer Adelsgesellschaften weiter zu differenzieren, auch wenn dies allgemein mit einem Verlust an Konkretisierungen und Pauschalisierungen einher geht. Rezniks Studie aber zeigt, dass es durchaus nötig ist, von bisherigen Pauschalisierungen abzusehen, da der Adel der europäischen Länder noch zahlreiche Aspekte bereithält, die einer Untersuchung in der bei Reznik erkennbaren wünschenswerten Tiefe angezeigt sein lassen. Und nicht zuletzt wird dadurch auch wiederum das Bild des europäischen Adels sichtlich genauer werden, werden Vergleiche und komparatistische Studien zu einzelnen Adelsgesellschaften vorbereitet; nicht zuletzt deswegen ist auch ein "klassischer" elitentheoretischer Ansatz nicht grundsätzlich zu verwerfen. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill, M.A., B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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