Institut Deutsche Adelsforschung
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Europas Herrscherhäuser im Spiegel ihrer Skandale 

Eine hochadelsbezügliche Neubesprechung aus dem Wiener Amalthea-Verlag

Die Autorin nimmt den Leser mit auf eine Reise in das königliche Europa vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Monarchie war auf dem europäischen Kontinent bis auf einige wenige Ausnahmen noch die vorherrschende Regierungsform. Die Gesellschaft steht im Wandel, die Massenmedien werden geboren, und skandalöses Verhalten der Mitglieder europäischer Dynastien gelangt an die Öffentlichkeit. Welche enorme gesellschaftliche Sprengkraft sich dahinter verbirgt, zeigt die österreichische Historikerin Martina Winkelhofer in ihrer neuesten Monographie.

Das über 300 Seiten starke Buch ist in 8 Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel „Ich hatte keine Kindheit — Das tägliche Grauen in königlichen und kaiserlichen Kinderstuben“ thematisiert die in royalen Kreisen übliche Kindererziehung. Da sich Aristokratinnen nicht über ihre Mutterrolle definierten, wurden die royalen Kinder schnell nach der Geburt an das dafür vorgesehene Personal übergeben. Da die Personalauswahl jedoch keinerlei „Qualitätskontrolle“ unterlag, weiß die Autorin von einer als Mörderin enttarnten Amme in der königlichen, englischen Kinderstube und anderem skandallösen Personal zu berichten, das zur Kindererziehung eingestellt war. Anhand dreier berühmter Beispiele europäischer Thronfolger kann die Autorin die teilweise fatalen Konsequenzen einer missglückten Erziehung und die Auswirkungen auf die europäische Politik aufzeigen.
Dass der österreichische Thronfolger Rudolf etwa seine junge Geliebte und sich selbst erschoss, wurzelt in seiner einsamen und von Misshandlung erfüllten Kindheit. Auch der spätere Kaiser Wilhelm II. wurde in seiner Kindheit mit heute als Misshandlung gesehenen Therapien behandelt, die seinen steifen linken Arm heilen sollten. Weder von seinen Ärzten noch von seinen Eltern, vor allem nicht von seiner Mutter, Kronprinzessin Viktoria von Preußen, wurde sein Handicap als Geburtsfehler erkannt und akzeptiert. Die politischen Konsequenzen dieser gestörten Mutter-Kind-Beziehung lassen sich in Wilhelms Ablehnung allem Englischen und Liberalen gegenüber feststellen.

Doch sind die Royals erst einmal aus ihrer Kinderstube herausgewachsen, boten sich umso mehr Gelegenheiten, die eigene Dynastie in Verlegenheit zu bringen. Das zweite Kapitel „Von schwarzen Schafen und unfähigen Prinzen — Thronfolger als Playboys“ zeigt die Problematik der Rolle eines Thronfolgers auf. Da diese die Erben des Reiches waren, wurde ihnen automatisch eine Sonderrolle zu Teil, die häufig in Arroganz gipfelte. Das Problem bestand vor allem darin, dass die wenigsten Monarchen ihre Nachfolger politisch mitwirken ließen, wodurch diese keine Aufgabe hatte, und sich ihre Zeit anderweitig vertrieben. Die Öffentlichkeit nahm die Thronfolger als „vergnügungssüchtige Müßiggänger“ wahr. Ein Ruf, dem sich nahezu alle europäischen Erben ausgesetzt sahen.

Kapitel drei „Man wird begutachtet wie ein Pferd — das dynastische Heiratskarussell“ widmet sich der royalen Brautschau. Die standesgemäße Ehe war für die europäischen Königshäuser ein wichtiger Faktor für das Fortbestehen der Dynastie. Ehen wurden von den Eltern eingefädelt und dienten lediglich der Staatsräson, Liebesheiraten gab es selten. Doch welche politischen Auswirkungen eine Eheschließung tatsächlich haben konnte, zeigt das Beispiel der beiden dänischen Prinzessinnen Alexandra und Dagmar. Letztere heiratete in die russische Zarenfamilie ein, ihre Schwester Alexandra hingegen in das britische Königshaus. Diese schwesterliche Verbindung der Ehefrauen zweier künftiger europäischer Monarchen entwickelte sich letztlich zu einer politischen Allianz der beiden Länder.

Daran anschließend greift das vierte Kapitel „Liebe oder Skandal? — Unstandesgemäße Ehen und heimliche Lebenspartner" die Problematik einer standesgemäßen Ehe wieder auf, und erläutert den Ausweg einer nichtstandesgemäßen Verbindung über eine sogenannte morganatische Ehe. Diese wurde häufig als zweite Ehe eingegangen, wenn die erste Ehefrau beispielsweise verstorben war, und bereits erbberechtigte Kinder vorhanden waren, denn solche aus morganatischen Verbindungen hatten keinen Anspruch. Dass diese Art der Ehe jedoch auch politisch brisant sein konnte, zeigt das wohl berühmteste Beispiel einer unstandesgemäßen Ehe. Der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand konnte seinem Onkel die Erlaubnis abzwingen, Sophie Gräfin Chotek in erster Ehe zu ehelichen. Das Reich, das Franz Ferdinand einmal erben sollte, vereint verschiedene Nationen und unterschiedliche Rechtsordnungen. So bestand die Möglichkeit, dass Sophie in Ungarn zwar zur ungarischen Königin gekrönt werden konnte, da dort eine Unebenbürtigkeit der Ehefrauen nicht bekannt war, wohingegen sie in Österreich niemals den Titel einer Kaiserin getragen hätte. Dieser Umstand hätte zu einer Spaltung bzw. Destabilisierung der Habsburger-Monarchie führen können.

Das fünfte Kapitel „Leidenschaft gegen Geld-Kurtisanen, Halbweltdamen und Callgirls“ widmet sich den Kurtisanen, die im Unterschied zu den Mätressen des Ancien Regimes nicht an Macht, Einfluss und Politik interessiert waren, sondern vor allem an Geld, Juwelen und anderen materiellen Gegenleistungen. Die Faszination der Bevölkerung und die Möglichkeit, innerhalb kürzester Zeit an Reichtum zu gelangen, zeigt die Autorin anhand einiger Biographien bekannter Kurtisanen, beispielsweise von Caroline Otéro, sehr eindrucksvoll auf.

Handelte es sich jedoch um Prinzessinnen, die Ehebruch begingen, war man in der eigenen Familie häufig nicht so entgegenkommend, und half einen Skandal zu verhindern. Diese Ungleichbehandlung der Geschlechter wird im sechsten Kapitel „Wenn Frauen rebellieren — Skandalöse Prinzessinnen“ thematisiert. Das Privileg einer Affäre wurde Frauen nicht gestattet, weil es zu verhindern galt, dass ein „Kuckuckskind“ eines Tages den Titel und Thron übernahm. Auch hier kann die Autorin anhand dreier Frauenschicksale die Ausmaße einer solchen Affäre ausdrucksvoll darstellen.

Im folgenden Kapitel sieben „Schmutzige Geschichten — Royale Skandale, kritische Medien und PR-Desaster“ werden neben Ehebruch noch Scheidungsskandale, illegales Glücksspiel und sexuelle Orgien angesprochen. All dies war kein neues Verhalten der Royals, doch mit dem Aufkommen der Massenmedien Mitte des 19. Jahrhunderts und einer schnellen und effektiven Berichterstattung standen sie plötzlich im Fokus der Öffentlichkeit. Sie konnten die Presse nicht mehr kontrollieren und mussten sich als moralisches Vorbild messen lassen.
Das achte und letzte Kapitel „ Ein Wunderheiler, gefährliche Gerüchte und das Ende der Zarenherrschaft“ ist das einzige Kapitel, das sich lediglich einem Beispiel widmet. Auch hier kann die Autorin nachvollziehbar darstellen, wie die verschwiegene Bluterkrankheit des jungen Zarewitsch und die daraus folgende Anwesenheit des Wunderheilers Rasputin am russischen Zarenhof in der Öffentlichkeit interpretiert wurde und letztlich mit zum Ende der Romanow-Herrschaft beigetragen hat.

Martina Winkelhofer zeigt mit diesem Werk sehr überzeugend auf, wie die Entstehung der Massenmedien, die damit verbundene schnelle und effiziente Kommunikation über große Distanzen durch die Erfindung der Telegraphie das Verhältnis zwischen Herrscherdynastie und Bevölkerung verändert und wie schwierig es sich für die Royals gestaltete, der neuen Rolle gerecht zu werden und sich ihrer anzupassen. Das Buch ist reich bebildert und lohnt sich sowohl für Geschichts- bzw. Adelsinteressierte, als auch für solche, die sich für Veränderungen der Gesellschaft interessieren.

Die bibliographischen Daten lauten = Martina Winkelhofer: Eine feine Gesellschaft. Europas Königs- und Kaiserhäuser im Spiegel ihrer Skandale, Amalthea Verlag Wien, ISBN: 978-3850027762, Preis: 24,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfaßt von Nicola Felka (M.A., B.Sc.).
 


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