Institut Deutsche Adelsforschung
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Familiennamen im Deutschen im XXI. Centenarium

Neuerscheinung des Leipziger Universitätsverlages

„So standen die Sachen, als Cervantes, der arme Gefangene in einem Dorfe der Mancha, den Gedanken faßte, den Ritterbüchern mit einem Schlage den Garaus zu machen. Diese Art von Literatur stand eben in ihrer höchsten Blüthe, als er, ein armer Mann, ohne Namen, ohne Beschützer, ohne andere Hülfsmittel, als seinen Geist und seine Feder, einen Wahn anzugreifen beschloß, der bisher der Vernunft und den Gesetzen trotzte. Freilich ergriff er eine Waffe, die schärfer schnitt, als alle Kanzelreden, Beweise und Verbote: die Waffe des Lächerlichen. Sein Sieg war vollkommen. Ein Edelmann vom Hofe Philipps III., Don Juan de Silva und Toledo, Herr von Cannada-Hermosa, schrieb im Jahre 1602 die Chronik des Prinzen Don Policisne von Böotia. Dieser Roman, einer der ausschweifendsten von allen, war der letzte, der in Spanien entstand. Denn seit der Erscheinung des Don Quixote wurde nicht nur kein neuer mehr verlegt, sondern man hörte sogar auf, die alten wieder abdrucken zu lassen, die dadurch sehr selten und zu wahren Schatzstücken großer Bibliotheken geworden sind. Von vielen kennt man nur noch die Titel, von andern gingen selbst die Namenerloren. Kurz, der Erfolg des Don Quixote war in dieser Beziehung so ausschließend, daß einige strenge Richter seinem Verfasser den Vorwurf machten, durch eine übertriebene Gabe des Heilmittels die entgegengesetzte Krankheit hervorgerufen zu haben; denn durch Cervantes beißende Satyre, sprachen sie, sey nicht bloß der Geschmack für's Abenteuerliche, sondern auch das alte kastilianische Ehrgefühl zu Grabe gegangen.“ [1]

Was hier - übrigens von keinem geringeren als Heinrich Heine - angesprochen wurde und den Erfinder der bekannten literarischen Windmühlenkämpferfigur, ist die eminente Bedeutung des Namens für die Persönlichkeit eines Menschen, aber auch für seine überpersonale, sprich also soziale Verfaßtheit. Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616), ein adeliger Renegat, verdingte sich seinen Lebensunterhalt als Diener, Soldat, Abenteurer, Sklave und schliesslich als Schriftsteller. Er schrieb Novellen - und eben den Ritterroman Don Quixote (auch Don Quichote, Don Quijote). Er, der Mann ohne Namen, wie ihn Heine nannte, machte sich einen Namen. Heine spricht hier von einem öffentlichen Namen, den Cervantes vor dem Don Quixote nicht besessen hat. 

Und so gab Cervantes sich selbst vor den Anderen seiner sozialen Umgebung einen Namen und zugleich auch dem skurrilen Ritter, dessen weltbekannter Name, auch heute im XXI. Centenarium noch, zum Synonym für einen verwirrten oder zumindest eigenwilligen und harmlos paranoiden Geist und für manche gar eine Adelsatire geworden ist. Heine spricht aber indirekt auch davon, was es bedeutet, namenlos zu sein. Namen und Identität sind daher zwei zusammenhängende Phänomene, die nicht nur soziale Zugehörigkeit und das eigene Selbst grundieren und demonstrieren, sondern sie sind weit mehr: Soziale Zeichen, mit denen Erwartungen verknüpft sind, eigene Erwartungen und noch mehr fremde Erwartungen, bisweilen auch Stereotype und Vorurteile. Namen können zudem territorial verorten und jemanden als angehörigen einer bestimmten Nation oder Ethnie ausweisen. 

Dabei hat ein Name verschiedene Herkunftsaspekte: Meier, Müller, Schulze und Schmidt waren einst typisch deutsche Nachnamen, Boy und Wiebke typisch norddeutsche Vornamen, und ein ehemaliger Adelsname ist immer noch das Entrée für bessere Behandlung in allen möglichen Lebenslagen, ein ausländischer Name kann dahingegen bei vielen Menschen in Deutschland immer noch Argwohn wecken. Alles dies sind Beispiele für die Zuschreibung von bestimmten Namens-Eigenschaften, die auf Vorurteilen und Stereotypen beruhen. Der Name ist daher nicht nur eine Bezeichnung einer Person, sondern auch ein Mittel zur Verankerung, eine Ursache von Vorschußlorbeeren oder Nachteilszuschreibungen aus seiner sozialen Umwelt. Somit ist ein Name immer auch eine interpersonales Phänomen. Und das gilt namentlich auch für Namensbestandteile, die bekanntlich, seit der Weimarer Reichsverfassung, historische Adelsbezeichnungen innehaben. Zur näheren Kenntnis von Nachnamen, die weit über die Stereotype und Klischees der populären Zuschreibung hinausgehen, eignet sich nun hervorragend ein neues Werk der Onomastik, welches hier besprochen werden soll. 

Denn wer einen Namen hat, fragt oft danach, welche Bedeutung er hat oder wo er seine Wurzeln besitzt. Bei Don Quixote ist der Name zu einem Synonym für einen Typ geworden, aber dies trifft bei den meisten gewöhnlichen Namen nicht zu. Die geschichtlichen Gründe für die Entstehung von Namen sind oft noch allgemein unbekannt. Namensbücher haben hier schon oft Abhilfe geschaffen, in denen Herkunft und Etymologie der Namen besprochen und erörtert worden sind. [2] Wer heute nach Namenbüchern sucht, findet einige Standardwerke, aber wenig bis nichts, was sich mit aktuellen Namensentwicklungen befaßt. Ganz anders die Reihe Onomastica Lipsiensa, von denen der zweite Teil des sechsten Band 2011 erschienen ist. [3]

Akademische Namensforscher haben sich der modernen Namensforschung angenommen und der hier zu besprechende zweite Halbband zum Thema Familiennamen aus fremden Sprachen im deutschen Sprachraum ist ein Paradebeispiel dafür. [4] Deutschland ist mittlerweile ein Einwanderungsland geworden, ein Land mit Bürgern, von denen viele internationale Migrationshintergründe besitzen, hier teils in erster, teils aber auch schon in zweiter oder dritter Generation leben. Der hier zu besprechende Band trägt diese postmodernen Entwicklung Rechnung und wird, von Onomastikern abgesehen, vor allem auch künftigen Generationen bei der Vorfahrenermittlung behilflich sein. 

Enthalten sind fachwissenschaftliche Beiträge über die Familiennamengestaltung im slawischen, romanischen, finnourgirschen, griechischen, germanischen, baltischen, türkischen und, in geringem Maße auch außereuropäischen Sprachgebiet. Sie wirken erläuternd und aufklärend über die in den einzelnen Ländern wirkenden Familiennamengesetze ebenso wie die Gebräuchlichkeiten und -Eigenheiten der Nachnamengebung. 

Für den deutschen Namensforscher, der sich mit dem Problem ausländischer Namen konfrontiert sieht - schon die norddeutsche patronymische Namensgebung schafft bisweilen viel Verwirrung in der Ahnenforschung - ist das vorliegende Werk daher ein wertvolles und hilfreiches Kompendium, zumal es bei jedem Artikel - soweit vorhanden - auch auf die entsprechende Literatur oder auf entsprechende Weltnetzseiten verweist. 

Die letztgenannten Verweise mögen etwas problematisch sein, da sie sich auf grundsätzlich flüchtige Inhalte bezieht, sind aber trotzdem hilfreich, da die zitierten Seiten jetzt noch bestehen und aktuell sind. In zehn oder zwanzig Jahren freilich wird die eine oder andere Seite nicht mehr bestehen oder umgezogen sein, aber prinzipiell tut dies dem Mehrwert keinen Abbruch. Die einzelnen im Band enthaltenen Arbeiten und Aufsätze nun befassen sich inhaltlich mit der Verbreitung, der Etymologie, der Morphologie und Entstehung sowie Wandlung der Familiennamen, unternehmen also eine breit gefächerten Ausflug in die Namenswelt. Diese Multiperspektivität ist wohltuend und bereichert die Nutzanwendung, die den Band gleichermaßen für Ahnenforscher wie für Soziologen, Kulturwissenschaftler und Heimatforscher interessant macht. Beliebt sind bei vielen Verfassenden der Artikel die Verbreitungstabellen oder Grafiken mit Karten der häufigsten im jeweiligen Sprachraum vorkommenden Namen. 

Dabei erfährt man auch, daß der deutsche Herr Müller-Meier-Schmidt, demr dänischen Frau Jensen-Nielsen-Hansen, dem polnischen Herrn Nowak-Kowalski-Wisniewski oder der italienischen Frau Russo-Costa-Esposito entspricht. Als Grundlage für diese vielfältigen und hier keinesfalls vollständig genannten Verbreitungsstudien sind qualitative Methoden, insbesondere das Auszählen von CD´s mit Routenplanern und Telefonbüchern. hier ist anzumerken, daß es freilich die einzigen frei zugänglichen Massendaten sind, auf die man zugreifen kann, aber daß sie auch verzerrend wirken könne, da nicht jede Person über einen eingetragenen Telefonanschluß verfügt.  Näherungsweise sind diese Daten natürlich schon interessant, sollten aber nicht absolut gesetzt werden. Bemerkenswert ist dennoch, daß sich aufgrund dieser Daten zeigen läßt, daß es bestimmte Verbreitungsgebiete von Namen gibt: Französische und portugiesische Namen ballten sich beispielsweise im südostdeutschen Raum, baltische Nachnamen im nordwestlichen Raum der BRD. Auch Abhandlungen über die Entstehung der Namen und die Modifikation der Namen bei der Immigration nach Deutschland werden besprochen und erörtert, so daß Namen auch nach der Eindeutschung noch aus bestimmten Sprachräumen ermittel- und zurückverfolgbar sind. 

Fazit: Der Blick des umfangreichen Bands stellt die unterschiedlichsten Bereiche vor, in denen ausländische Familiennamen in Deutschland existieren. Somit ist das Werk ein exklusiver Blick auf das Phänomen. die mit dem Namen verbunden inklusiven Blicke werden hier nicht thematisiert, also die Bedeutung von Namen für die Person in sozialpsychologischer Sicht. 

Denn freilich genügt es nicht, einen Namen nur zu tragen und ein Name sagt - trotz Nomen est Omen - noch nichts aus über die Persönlichkeit; die kabbalistischen und esoterischen Namensdeuter mögen indes anderer Meinung sein. 

Freilich gehört dieser inklusive Blick auch nicht zum Forschungsgebiet der Onomastica Lipsiensia. Daher sei hier eine abschließende Bemerkung erlaubt: Jeder besitzt einen Namen und kann ihm, außer in Ausnahmefällen der seltenen Namensänderung, nicht entkommen. Dennoch muß man mit ihm erst eine Persönlichkeit verbinden, einen Ruf. Es nützt nichts, einen Namen zu besitzen, man muß ihn auch promulgieren. Dann bekommt er einen Klang und wird mit Bedeutung gefüllt. Namen müssen also angeeignet werden. Für manchen Zeitgenossen mag dies schwer sein, für andere ist es eine herausfordernde Chance.  
Und zum - gutartigen - Conclusio gilt: Auch wenn es Nomen est Omen heißen mag: Selbst Don Quixote, um auf unser Beispiel vom Eingang der Besprechung zurückzukommen, mußte sich ebenfalls erst einen Namen machen, denn als skurill-liebenswerter Bibliomane namens Don Alonso kannte ihn niemand und als seine Abenteuer begannen, rätselten die Wäscherinnen aus dem Dorfe Toboso, wer dieser in seiner seltsamen Montur vorbeireitende “Don Karotte von der Manschette“ sei: Namen müssen angeeignet werden, sonst haben sie keine Bedeutung.

Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill und wurde erstmals publiziert in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung, Jahrgang XIV. (2011), Folge 68, S.33-34.

Annotationen:

  • [1] = Heinrich Heine: Nachrichten über das Leben und die Schriften des Verfassers, in: Der sinnreiche Junker Don Quixote von La Mancha, Band I., Stuttgart 1837
  • [2] = Siehe dazu vor allem Josef Karlmann Brechenmacher: Etymologisches Wörterbuch der deutschen 
  • Familiennamen, 2 Baende, zweite Auflage, Limburg an der Lahn 1957 (Band  
  • I.) und 1963 (Band II.) --- Max Gottschald: Deutsche Namenkunde, unsere Familiennamen, fünfte verbesserte Auflage mit einer Einführung in die Familiennamenkunde von Rudolf Schützeichel, Berlin 1982 --- Konrad Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. Mit Graphiken von Hans-Joachim Paul, dritte Auflage, München 2000 (enthält Erläuterungen zu 9.000 Familiennamen) --- Hans Bahlow: Deutsches Namenlexikon. 150.000 Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt, Frankfurt am Main 1992 --- Rosa und Volker Kohlheim (Bearbeiter): Duden Familiennamen. Herkunft und Bedeutung von 20.000 Familiennamen, Mannheim 2000, 912 Seiten
  • [3] = Aufmerksam gemacht sei an dieser Stelle auf die Gesamtreihe: Band 1 = Hans Walther. Namenkunde und geschichtliche Landeskunde (2004), Band 2 = Völkernamen – Ländernamen – Landschaftsnamen (2004), Band 3 =  Eigennamen in der Arbeitswelt (2005), Band 4 = Zum Umgang mit dem nationalsozialistischen Ortsnamen-Erbe in der SBZ/DDR  (2005), Band 5 = Personennamen Südwestsachsens  (Band 5), Band 6.1 = Familiennamen im Deutschen. (1. Halbband, behandelt deutsche Familiennamen in Deutschland), Band 7 = Alt-Leipzig und das Leipziger Land (Historisch-geographisches Namenbuch zur Frühzeit im Elster-Pleißen-Land ) Alles erschienen im Leipziger Universitätsverlag.
  • [4] = Karlheinz Hengst & Dietlind Krüger (Herausgebende): Familiennamen im Deutschen, 2. Halbband. Erforschung und Nachschlagewerke. Familiennamen aus fremden Sprachen im deutschen Sprachraum, Leipziger Universitätsverlag, 673 Seiten, Broschur, 49,00 €, ISBN 978-3-86583-500-0, Format: 23,9 x 17 x 3,4 cm, mit zahlreichen farbigen wie schwarz-weißen Grafiken und Tabellen, Literatur- und Weltnetzseitenverzeichnissen in jedem Aufsatz und Nachnamensregister für die Bände 6.1 und 6.2 in einem Register.

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