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Die Genesis des adeligen Duells im 17. und 18. JahrhundertAnnotationen zur Revision einer historischen KonfliktlogikIm Jahre 1705 fand folgendes konfliktreiches Ereignis zwischen zwei ungarischen Standespersonen in Ungarn statt, das eine frühe Wiener Zeitung wie folgt beschrieb: „Heute vernahm man von Comorn mit Brieffen vom 12. Octob. Daß allda ein Uberläuffer auß dem Rebellischen Lager außgesagt, daß der einäugige Pothyan jüngstens ohnweit Ketskemeth einen Gewissen von seinen Leuten habe arquebussiren lassen wollen / deme der Karoly sich widersetzet / also / daß beede nach einem scharffen Wort-Wechsel in einen Duell gerathen; weilen aber die Kuglen [sic!] allein die Kleyder / nicht aber die Leiber durchtringen [sic!] können / wäre der Pothyan noch zorniger worden / und hätte dem Karoly mit der Vatta einen zimblichen [sic!] Streich versetzt; wornach selbe von denen Pferden gesprungen / Und sich zusammen erwürgen wollen / ihre Bediente aber hätten selbe von einander gerissen.“ [1] Abgesehen davon, dass derlei frühe Zeitungsmeldungen über Duelle eher selten über den Tathergang und die Genesis der Konfliktlogik des gewaltsamen Austrages von Meinungsverschiedenheiten berichteten, sehr wohl aber der Verlauf oft detailliert geschildert wurde, ist das herausgegriffene Beispiel insofern von Bedeutung, als es eine kognitive Dissonanz zu erzeugen vermag. Ungarische Adelige, die sich mit Pistolen duellierten, erscheinen in der landläufigen Betrachtung dessen, was ein Duell sei, zwar gewöhnlich und `standesgemäß´, nicht jedoch der Verlauf des Duells, der darin endete, daß sich die beiden Kontrahenten, nachdem sie beide ihr Ziel verfehlt hatten, anfingen, sich gegenseitig die Luftzufuhr am jeweils gegnerischen Hals zu unterbinden. Daß sie nur noch durch umstehende Domestiken getrennt werden konnten, spricht für eine gewisse Selbstvergessenheit und hohe Aggression gegen einen Mitadeligen, die keinesfalls formalisierten Regeln unterlag, von denen man vielleicht annehmen könnte, daß sie zu einem Duell gehören würden. Daß diese Formalisierung, unter der das Duell als spezifische Gewalthandlung zur Austragung von Ehrkonflikten verstanden werden kann, nicht zwangsläufig im 17. und 18. Jahrhundert auch so aussah, illustriert indes nicht nur die ungarische Affäre Pothyan vs. Karoly, sondern auch Ulrike Ludwig in ihrer jüngst erschienenen Dresdener Habilitationsschrift über die Entstehung des Duells. [2] Nun herrscht in der Forschung durchaus kein Mangel an Literatur über das Duell. Die Jahresberichte für deutsche Geschichte als maßgebliche Bibliographie der historischen Wissenschaften verzeichnen aus den Erscheinungsjahren 1949 bis 2015 allein 75 Titel der (nicht grauen) Literatur, von denen die meisten in der Tat Zweikämpfe zwischen Personen betreffen. [3] Gar 251 Titel mit dem Begriff `Duell´ tauchen darüber hinaus in der online einsehbaren Historischen Bibliographie der ehemaligen Arbeitsgemeinschaft historischer (außeruniversitärer) Forschungseinrichtungen (existierte 1972-2013) auf. [4] Diese große Menge an `offiziöser´ Literatur behandelt jedoch vermutlich eben nicht die Genesis des Duells, von dem bisher wahrscheinlich immer angenommen wurde, [5] dass es sich schon immer um einen formalisierten Zweikampf gehandelt habe, der aus Spanien und Italien importiert worden sei und Distinktion für Adelige zu produzieren in der Lage gewesen sei. [6] Ludwig stellt dies in Frage. Sie untersucht anhand eines Samples von 559 Fällen aus Norddeutschland die Bedingungen der Entstehung des Duells, die sie anhand von duellbezüglichen Strafakten – die wesentlich ausführlicher als Zeitungsmeldungen waren und insbesondere Einblicke aus unterschiedlichen Perspektiven in Vorgeschichte, Ablauf und Folgen schildern – aus den Archiven in Greifswald, Schwerin, Dresden, Leipzig, Wismar, Stockholm, Stralsund und Rostock darlegt. [7] Maßgeblich für die Aktenauswahl war dabei das Auftauchen des Begriffes `Duell´, so dass sich dadurch auch die Untersuchungszeit extern aus dem Aktenmaterial ergab. Sie setzt ein mit der frühesten Nennung des Begriffes im Sample im Jahre 1637 und endet, jetzt autorinnengeleitet, mit dem Ende des alten Reiches 1806, weil sich Ludwig nur für die Entstehungszeit des Duells interessiert und nicht die Zeit, in der das Duell als regelgeleitet wahrgenommen worden ist. [8] Diese Externisierung der Festlegung des Beginns der Untersuchung weist bereits auf einen wichtigen Ansatz Ludwigs hin. Sie führt das Aufkommen des Duells auf das sprachliche Aufkommen des Begriffes zurück und ist insofern mit John Langshaw Austin Anhängerin der Auffassung, dass Sprache Wirklichkeiten bestimmt und präformiert – ähnlich dem Ansatz `Doing Gender´. [9] Abgewandelt und transformiert könnte man vom Ludwigschen Ansatz daher als `Doing Duell through speech´ – oder besser noch `Pronouncing Duell´ – sprechen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund dieser Aprioris untersucht sie nun die ermittelten Fälle, die sie unter anderem qualitativ wie quantitativ auswertet. Dabei dürfte klar sein, daß die Zahlen nicht absolut genommen werden können. Wenn sie hier und dort von bestimmten Zahlen dieser und jener Konstellationen spricht (z. B. Seite 223: 14 Handwerkerduelle), da beziehen sich diese naturgemäß auf das begrenzte Sample, nicht aber auf die Realität, da mit zahlreichen überlieferungsbezüglichen `Reibungsverlusten´ zum Heute zu rechnen ist. Gleichwohl gilt, dass das Sample beeindruckend groß ist und dadurch immerhin Näherungen an die historische Wirklichkeit zweifellos zugestanden werden müssen. Ludwigs Alleinstellungsmerkmal liegt in ihrer Untersuchung indes in der Sichtweise, die Genesis aufschlüsseln zu wollen, weniger in den einzelnen Fallschilderungen selbst. Gleichwohl ist zu bemerken, daß Duellanlässe und -verläufe allgemein, so auch bei Ludwig, ein dankbares Ausgangsmaterial darstellen, erscheinen doch soziale Konflikte stets als interessant, weil sie das Menschlich-Allzumenschliche transportieren und die Analyse sozialer Rollendiffusion ebenso wie die Betrachtung historischer Konflikte mit der Gelassenheit der heute Beobachtenden ermöglichen. [10] Doch abgesehen davon gelingen Ludwig neue und überraschende Erkenntnisse. Sie geht davon aus, daß Duelle ein altbekanntes Phänomen waren, daß nicht etwa aus dem Ausland importiert worden sei, sondern nur einen neuen Namen bekommen habe. Es habe mithin eine sprachliche Etikettierung gegeben, eine Art Labeling Approach. [11] Besieht man sich den hier erwähnten Beispielfall aus Ungarn, kann dieser Haltung nur beigepflichtet werden. Ob nämlich Pothyan und Karoly im Jahre 1705 ihre Auseinandersetzung als Duell wahrnahmen, ist in der Zeitung nicht überliefert worden. Wichtig ist, daß die frühen Journalisten sie als Duell etikettiert hatten. Auch weist Ludwig nach, wieder analog zur hier genannten ungarischen Affäre, daß Duelle in ihrer Entstehungszeit als Duell keinesfalls immer regelgeleitet waren. So ist bemerklich, daß sich die beiden Kontrahenten bei aller Meinungsverschiedenheit über die fragliche Rechtlichkeit der in Rede stehenden Hinrichtung über verschiedene Wege der körperlichen Konfrontation – Schießen mit Pistolen und dann Würgen mit Händen – einig waren, ohne in einer gemeinsamen Situation mangelnder affektiver Impulskontrolle an `Regeln´ zu denken. Auch Sekundanten, sonst im 19. Jahrhundert oft unverzichtbarer Bestandteil eines inszenierten Duells, waren hier nicht anwesend, nur Bediente, mithin standesungleiche Personen. Ein Duell war, so Ludwig weiter, zudem nur eine Möglichkeit unter vielen, Ehrkonflikte auszutragen. Die von Duellanten späterhin oft behauptete Alternativlosigkeit einer Konfliktlösung um persönlich verletzte Ehre war demnach nicht der einzige Weg, Klage oder Verzicht auf Ahndung waren andere Möglichkeiten. So wird man von diese von sich verteidigenden Duellanten vor Gericht vorgebrachte Alternativlosigkeit wohl eher als eine Neutralisierungstechnik dissozialen Verhaltens ansehen dürfen [12] als eine Beschreibung einer unausweichlichen Wirklichkeitsbeschreibung, selbst wenn im subjektiven Empfinden solche eine Ausweglosigkeit durchaus bestanden haben kann. Was hier jedoch echtem Empfinden entsprach und was lediglich Hidden Agendas waren, läßt sich schlußendlich nicht ermitteln. Zudem habe, so Ludwig weiter, das Duell selbst kein symbolisches Kapital in Form von Prestige, Ansehen und Ruhm durch Distinktion hergestellt, sondern allein die staatliche Etikettierung und Verfolgung nach Duellmandaten habe diese Verleihung produziert (man könnte im ungarischen und wohl auch in etlichen anderen öffentlich in der Presse verhandelten Fällen ergänzen: auch die Etikettierung durch Journalisten). Zudem sei das Duell an sich nicht nur eine Spezifikum höherer `Stände´ gewesen, vor allem von Militärs und Adeligen, da auch körperliche Zusammenstöße als Duell von den Behörden bezeichnet worden sind, die Nichtadelige und Nichtmilitärs erfaßt haben. Ein spezifisch adeliges Verhalten zur Lösung eingetretener Ehrverletzungen kann Ludwig damit nicht konstatieren, wenngleich auch sie aufzeigt, daß Nichtadelige nur eine Minderheit der Beteiligten umfassen (Seite 166); demnach waren im Sample Militär und Adel die wichtigsten Gruppen, aus denen als Duellanten bezeichnete Personen hervorgegangen waren. Ferner zeigt sie auf, daß interständische Duelle selten waren; damit blieb das Duell vor allem ein intraständisches Kommunikationsmittel (Seite 327). Zuletzt weist Ludwig darauf hin, daß die vielfältigen literarischen Diskurse um das Duell ab den 1610er Jahren häufig von nichtadeligen Vertretern der Aufklärung stammten, die mit der Installierung des Duells im Diskurs abseits von der Realität Welten durch Sprache erschufen, um eine Adelskritik desto glaubwürdiger aussehen zu lassen. Damit nimmt Ludwig auch Bezug auf das Modell der Allelopoiese, d.h. des gegenseitigen Erschaffens von zeitlich auseinander liegenden Annahme- und Referenzkulturen. [13] Vieles, was früher schlicht als Balgerei oder Rauferei bezeichnet worden ist, erlangte demnach durch die Etikettierung als Duell eine aristokratisierende Wirkung; die Schlägerei wurde durch die Bezeichnung als Duell `geadelt´ – und mit ihr auch die Duellanten. [14] Trotz dieser den Forschungsstand in Teilen revidierenden und wesentlich ergänzenden Perspektive bleiben einige Schritte der Ludwigschen akademischen Qualifikationsschrift gleichwohl im Nebel. Es fehlt beispielsweise ein ausführliches heuristisches Protokoll, das Transparenz in die Herangehensweise der Quellenauswahl gebracht hätte. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, daß Transparenz zu den obersten Geboten einer solchen Schrift zählt. Zugegeben werden muß lediglich, daß Ludwig einen kleinen – wenn auch steckengebliebenen – Ansatz dazu anbietet (Seite 24, Fußnote 31). Sie sagt dort zwar, was sie untersucht habe, nicht aber, wie sie bei der Suche vorgegangen ist. Damit bleiben leider die Suchwege nach ihren Quellen unklar und weitgehend intransparent. [15] Trotzdem kann man der Schrift über `gewaltvolle Imagepflege´, soweit sich dies ohne umfassende Kenntnis des aktuellen Forschungsstandes sagen läßt (die weder der Rezensent noch – siehe oben – Ludwig besitzt), vermutlich neue Erkenntnisse attestieren (wenn es andere gäbe, drangen sie zumindest bislang nicht in die scientific community durch), die bei der künftigen Behandlung von Duellfällen in der Frühen Neuzeit und bis zur Ausformung der Regelgeleitetheit im 19. Jahrhundert beachtet werden müssen. Dazu gehören nicht zuletzt die lesenswerten Typisierungsversuche Ludwigs als Kennzeichnung der Kontexte, in denen Duelle stattfanden; so werden bei Ludwig Stellvertreterkonflikte von Wettkampfspielen und Entgleisungen unterschieden (Seite 256-281). Ansatz und Fragestellung sind bei Ludwig originell, weil sie bisher festgefügte Meinungen zum Duell, das oft genug nur durch das spät erschaffene übliche Bild – Adelige, Zweikampf, Regel, Sekundanten, gleiche Waffen, Duellpistolenpaare et cetera – dominiert wird, auflösen. Und auch die Neuinterpretation ist im Ludwigschen Werk weitgehend überzeugend dargelegt und weiterer Diskussion und forschenden Anwendungen für frühe Fälle wert, z.B. für andere Territorien oder Länder. Der Steglitzer Verlag Duncker & Humblot hat auf seiner Webseite als Schlagworte für die Vermarktung des Buches die Begriffe `Ehre´, `Heiliges Römisches Reich deutscher Nation´, `Gewaltkultur´ und `Frühe Neuzeit´ angegeben. Da jedoch in der Schrift überwiegend aktenbasierte nobilitäre Verkehrskreise ver- und behandelt werden, so darf der Band unausgesprochen zweifelsfrei auch als wichtiger Beitrag zur prämodernen und daher noch ständischen Mentalitäts- sowie speziell auch mentefaktisch orientierten kulturwissenschaftlichen Adelsforschung gelten. Diese Rezension stammt von Claus Heinrich Bill M.A. B.A. und erscheint ebenso gedruckt in der Zeitschrift für deutsche Adelsforschung. Annotationen:
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