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Adel im preußischen Corps diplomatique 1815 bis 1866

Rezension zu einer Kollektivbiographie der Gesandten und Attachés des XIX. Centenariums

Mit dem biographischen Lexikon des Auswärtigen Dienstes im Deutschen Kaiserreich hat die Forschung bereits ein wirkungsvolles Nachschlagewerk zu den Diplomaten Deutschlands geschaffen. [113] Auch für die preußischen Diplomaten zwischen Vormärz und den deutschen Einigungskriegen liegt bereits ein biographisches Handbuch vor. [114] Doch während sich diese Lexika »lediglich« auf die Dokumentation der Laufbahnen beschränken, befaßt sich eine neue Eichstätter Habilitationsstudie von Dietmar Grypa mit der Institution an sich und den Laufbahnstrukturen.

Seine Absicht ist es, den in den letzten Jahren wieder verengten Blick der Forschung auf die preußische Innenpolitik zu weiten und sich einmal mit der Institution und der sozialen Zusammensetzung der preußischen Diplomatenschaft von der Restaurationszeit bis hin zum zweiten deutschen Einigungskrieg nachzustellen und zu erhellen.

Grypas Studie kann als »klassische« geschichtswissenschaftliche Untersuchung ohne kulturwissenschaftliche Absichten bezeichnet werden. Sie ist in sich abgeschlossen und fragt kaum nach Wechselbeziehungen zu anderen Bereichen oder nach der Reibung mit anderen Institutionen oder Netzwerken. Allein in einem Kapitel über »Diplomaten und Militärs« geht Grypa auf diese Konflikte und Beziehungen ein (Seite 366-384). Die »altertümliche« Ausrichtung des Werkes ist jedoch nicht zweifelsohne ein Nachteil, wie es die Formulierung andeuten könnte. Denn durch die Fokussierung ist erst der Blick auf die sehr speziellen Verhältnisse der Laufbahnen möglich.

Der Verfasser befaßt sich in den zwei großen Bereichen vorwiegend mit der Dokumentation der Verhältnisse, einer Institutionenhistorie des Königlich Preußischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten sowie mit allen Possibilitäten, die im Personalbestand vorkommen konnten. Dazu zählt als Kernstück eine Kollektivbiographie der entsprechend eingesetzten Diplomaten, die anhand der Kategorien der Laufbahnvoraussetzungen, der Auswahl, der Examina, der Herkunft und der tatsächlich verfolgten Laufbahn sowie der Bezahlung einen Blick freigeben möchte auf generalisierend abgeleitete Aussagen dieses speziellen Berufsprofils.

Da die große Mehrzahl der Minister, Gesandten, Geschäftsträger und Ministerresidenten adeliger Abkunft war, hat Grypa mit seiner Analyse zugleich ein wichtiges »bisher vernachlässigtes Feld« deutscher und vor allem preußischer Adelsgeschichte geschrieben. Denn der Diplomatische Dienst war seit jeher einer der standesgemäßesten Berufsfelder des preußischen Adels, der sich, ebenso wie im Offiziersberuf, darin schmeichelte, als Vollstrecker quasi immediaten Königswillens benutzt zu werden. Zudem war dieser Berufsbereich par excellence eine Domäne des »Vebleneffekts«, in dem Tätigkeiten ausgeübt wurden, die keinerlei produktiven Nutzen besaßen, sondern »nur Ehre« brachten, zeremoniell weit entwickelt waren, so daß der Adel sich damit in »stellvertretender Muße« übte. [115]

Dietmar Grypa hat es bei seinen Recherchen nicht nur bei gedruckten Quellen bewenden lassen, sondern er hat für sein Werk auch sehr fleißig die zeitintensive Suche und Auswertung der Generalia- sowie der Spezialiaakten des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz betrieben, was der Qualität und Tiefe seiner Studie sehr zugute kommt und auch einige Irrtümer berichtigen kann, die bisher in der Forschung auftraten.

Der Verfasser zeigt mit seiner sehr detailreichen und mit zahlreichen Zitaten aus Briefschaften und behördlichen Schreiben stammenden Texten die Wandlung des Diplomatischen Corps auf.  Waren anfangs noch eher nepotistische Züge erkennbar, gab es ab 1827 ein diplomatisches Examen, das alle Kandidaten einer Prüfung unterzog und für eine Art von Demokratisierung in der Auswahl und für eine Qualitätssicherung im Fachwissen der Kandidaten (Staatswissenschaften, Geschichte, Handelsrecht et cetera) sorgte. Aber auch über die anderen Aufgaben des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten spricht Grypa an, beispielsweise die Verwaltung der preußischen Exklave Neufchatel in der Schweiz oder die politische Zensur der Berliner Zeitungen.

Ein umfangreicher Anhangsteil, der gut ein Drittel des gesamten Buches einnimmt, informiert abschließend in Tabellen- und Registerform über die Behördenorganisation, die sämtlichen Amtszeiten der Diplomaten und die Besetzungen der Vertretungen in- und außerhalb des Deutschen Bundes. Grypas vielfach durch archivarische Suche abgesicherten Ergebnisse und Schilderungen durchsetzt er immer wieder mit zahlreichen biographischen Details. Grypas Werk ist somit nicht nur eine gelungene Untersuchung über Realität und Praxis der wichtigsten auswärtigen preußischen Behörde, sondern zugleich auch eine Fundgrube für die Nobilitätsforschung!

Annotationen:

  • [113] = Historischer Dienst des Auswärtigen Amtes (Herausgeber): Biographisches Handbuch des Auswärtigen Dienstes 1871 bis 1945, Bände 1. bis III. (Nachnamenbuchstaben A-R), Paderborn / München 2000-2008
  • [114] = Johann Caspar Struckmann: Preußische Diplomaten im 19.Jahrhundert. Biographien und Stellenbesetzungen der Auslandsposten 1815-1870, Berlin 2003
  • [115] = Siehe hierzu Thorstein Bundle Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, München 1971, 294 Seiten
Vorstehende Besprechung (Verfasser ist Claus Heinrich Bill) ist der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (Jahrgang XI., Folge 57, Ausgabe vom September 2009, Seite 150-151) entnommen.
 

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