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Stände und Landesherr in Mecklenburg 1755 bis 1806Annotationen zu einer Buchneuerscheinung des BöhlauverlagesDie Stände versammeln sich in Landtagen, Konventen und Kreisversammlungen, die teils auf ordentlichen, teils auf außerordentlichen Landtagen (die sie selbst einberufen dürfen, allerdings vorbehaltlich der obrigkeitlichen Zustimmung) ihre Rechte wahrnehmen. Nur der Adel darf dem Landtage beiwohnen, andere Teilnehmer, auch die Presse oder auch nur nichtadelige und adelige Beobachter, waren ausgeschlossen. Gegenstände der Beratschlagungen waren Rechte, Interesse und institutionelle Einrichtungen der Ritterschaft, Geldbewilligungen, Rechnungsrevisionen; Justizsachen aber waren von den Beratungen ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise der Festlegung einer parlamentarischen Systematik des Staatswesens, wenngleich rein ständisch geprägt, ist ein typisches Leitbild des Ancien Régime in Europa. Aber: Es beschreibt durchaus nicht das verfassungsbeziehentlich im Vergleich immer wieder von der Forschung als so einmalig rückständig beschriebene hyperkonservative Staatsrecht Mecklenburgs, sondern die Rechte der livländischen Stände. [1] Daß Mecklenburg stets mit einem solchen Sonderstatus versehen gewesen sei, was die ständischen Rechte anlangte, das behauptet nun neuerdings auch wieder Michael Busch in seiner im Übrigen umfangreichen und lesenswerten Habilitationsschrift mit dem Titel Machtstreben - Standesbewußtsein - Streitlust. Landesherrschaft und Stände in Mecklenburg von 1755 bis 1806, welche jüngst (2013) im Kölner Böhlauverlag erschienen und für 49,90 Euro unter der ISBN 978-3-412-20957-5 bestellbar ist. Buschs Schrift wurde bereits im Jahre 2009 an der Universität der Bundeswehr zu Hamburg als Habilitation eingereicht, an der er 2013 offensichtlich immer noch beurlaubt war.2 Das Vorwort datiert von März 2012, die Druckvorbereitung aber nahm noch nahezu ein Jahr in Anspruch. Diese im gewöhnlichen Buchbetrieb entstehenden langen Wartefristen sind bisweilen mißlich, auch in diesem Falle, denn der Forschungsstand ist damit auf den Zustand von vor vier Jahren eingefroren. Neuere Untersuchungen zum Thema mußten daher leider außen vor bleiben. [3] Buschs Untersuchung wendet sich nun der Frage zu, inwiefern es in Mecklenburg landständische Verfassungskontinuitäten gegeben hat, welche personellen, institutionellen und sozialen Komponenten und Entwicklungen es innerhalb diese Settings von die Gemeinschaft bestimmenden Handlungsräumen gegeben hat und welche Reibungspunkte und Auseinandersetzungen diese Räume kennzeichnete. Dabei geht Busch unter anderem von zwei großen Konflikten interpersonaler Art aus: A) der Bitte des Ludwig Christoph v.Langermann um Aufnahme seiner Töchter in die Landesklöster sowie B) der auf landständischer Bühne ausgetragenen Aufmerksamkeitsersheischungsstrategien des Tumultanten Joachim Sigismund Dietrich v.der Lühe. In beiden Fällen entwickelte sich zwischen Landesherrschaft und Ritterschaft eine Interessenkollission, in die zudem auch noch andere Institutionen auf Reichsebene involviert waren. Busch versteht es dabei, die komplexen Verhältnisse und gegenseitigen Abhängigkeiten, ebenso die immer wieder neu verhandelte Verfügungsgewalt über Machtverstärkungen in Form von Belohnungs- und Bestrafungsmitteln gekonnt darzustellen und vor den Lesenden zu entwickeln. Demnach mutet die ständische Geschichte Mecklenburg, die Busch hier kaleidoskopartig entfaltet, wie ein stetiger Kampf der historischen Akteure um die sozialen und politischen Ressourcen von Macht und Einfluß an, wenngleich es bisweilen, wenn auch selten, sogar zur Anwendung militärischer Gewalt kam, um vermeintlich oder tatsächlich verletzte Privilegien wiederherzustellen. Hinzu kamen ferner auch Streitigkeiten der Ritterschaftler untereinander, namentlich der erstarkenden nichtadeligen Gruppe unter ihnen, weil die Eigenschaft Ritterschaftler zu sein mit dem Lehngutsbesitz verknüpft war, nicht aber mit dem Adel. Neben diesen beiden großen personal bestimmten Themenblöcken behandelt Busch aber auch noch zwei andere Themen, in denen sich ähnliche Konfliktlinien offenbarten, so in einem eigenen Kapitel die Judenemanzipation und in einem letzten Kapitel das Nichtappellationsprivilegium der Stände. Dabei waren sich aber die Stände, das zeigt Buschs Untersuchung deutlich, nicht zu schade, in anderen Fällen an die Reichsgerichte zu appellieren, nämlich in solchen Fällen, in denen ihren eigenen Privilegien Beschneidungen drohte. Auf diese Weise, aber auch durch eine raffinierte Überkorrektheit gegenüber Formfehlern auf den Landtagen zu Malchin und Sternberg, gelang es den Ständen mehrfach, ihr Agenda-Setting auf ihnen genehme Gegenstände der Beratung zu lenken und den unangenehmen (d.h. prvilegiengefährdenden) Maßnahmen aus dem Wege zu gehen. Buschs Darstellung dieser Sachverhalte ist quellengesättigt
in zweifacher Hinsicht: Zum Einen hat er viele Akten aus dem Landeshauptarchiv
Schwerin benutzt, so daß seine Schrift nicht nur eine Auseinandersetzung
mit dem Forschungsstand ist, zum Zweiten nutzte er auch intensiv alte Presseorgane,
welche die Diskurse abbildeten, mit denen sich die Öffentlichkeit
als Drittinstanz gegenüber den Konfliktparteien Landesherrschaft und
Stände beschäftigte und massenmedial (für ein entsprechendes
Publikum der Gebildeten) aufbereitete.
Gleichwohl gilt: 406 Seiten sind der inhaltlichen Gesamtdarstellung des farbig eingebundenen Hardcover-Buches mit Fadenheftung gewidmet. Kommen wir damit zu einigen kritischen Punkten an Buschs Werk. Leider ist der Rechtfertigungsabschnitt zum Forschungsstand, aus dem erst die Lokalisation des Buschschen Werkes hervorgeht, mangelhaft. [4] Busch verwendet dort zunächst vollkommen veraltete Stellungnahmen zur Adelsforschung wie die Aussage von Wehler aus dem Jahre 1990, also aus einer Zeit vor 23 Jahren (sic!), daß eine Geschichte des mecklenburgischen Adels „immer noch“ ausstehen würde. Das war aus diesem Standpunkt auch nicht weiter verwunderlich, da die DDR kaum Interesse an der Adelsgeschichte hatte, der performativ turn und der intercultural turn noch nicht erfunden waren und die westdeutsche Forschung kaum mit den vielfach wenig erschlossenen Quellen arbeiten konnte. Daß Busch auf das für alle Vorworte zur Adelsforschung beliebte Zitat zurückgreift, ist habilitationsstrategisch verständlich. Indes trifft es die heutige Sachlage und auch die Sachlage von 2009 nicht mehr und kann so füglich zu einer Rechtfertigung der eigenen Arbeit nur schwerlich herangezogen werden. Busch bringt sogar in einer Fußnote noch zahlreiche Beweise für die Bearbeitung der Adelsgeschichte in anderen deutschen Ländern, [5] nicht aber für Mecklenburg, obwohl doch bereits 1997 Beiträge aus dem Institut Deutsche Adelsforschung dazu erschienen sind. [6] Der Grund für diese Verhaltensweise der Forschung gegenüber ist indes unbekannt, möglicherweise geht er aber auf den in der Soziologie beobachteten Matthäuseffekt in der Wissenschaft zurück. [7] Daß aber der Verfasser Busch zur bibliographischen Recherche auch mit Hilfe elektronischer OPAC-Recherchen in der Lage ist, hat er eindrucksvoll unter Beweis gestellt (das erwähnte umfangreiche Literaturverzeichnis auf den Seiten 435-475).8 Es wäre daher ein Leichtes gewesen, über den Gemeinsamen Bibliotheksverbund der Norddeutschen Länder (GBV) oder den Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK) diese Werke zu ermitteln und mindestens zu erwähnen, wenn sich Busch schon mit der ständischen und Adelsgeschichte von Mecklenburg befaßt. Dies hat er nicht getan; entsprechend unbekannt ist ihm dann auch die Institution der Agnitionen in die Ritterschaft. [9] Das Resümée, daß Busch auf den Seiten 399 bis 407 seines Buches zieht, ist zudem recht ungewöhnlich für eine Habilitationsschrift, zwar nicht inhaltlich, aber dem formalen Sinne nach. Da diese Schrift eine ganz außerordentliche Forschungsleistung darstellen soll, wäre es angebracht gewesen, die Gesamtlage noch einmal in einem abschließenden Fazit zusammenzufassen. Dies geschieht aber nicht, sondern Busch übernimmt mit der simplen Funktion "copy and paste" einfach Sätze aus anderen Zusammenfassungen seiner vorherigen Kapitel. So ist das Fazit nichts weiter als eine kumulierte und teils wortwörtliche und satzsätzliche Wiederholung von bereits Gesagtem und zwar auch noch mit den gleichen Fußnoten, die natürlich doppelt zählen: Es gibt daher Sätze, die sich deckungsgleich sowohl im Hauptteil des Buches (Seite 125, 126, 127, 256, 364, 365 und 397) als auch im sogenannten Resümee (bei Busch ohne accent aigu) finden (Seite 399, 400, 401, 403, 405). Dieser Abschnitt ist keine sonderliche wissenschaftliche Leistung, da auf diese Weise bedauerlicherweise am Ende des Buches der große Zusammenhang nicht her- und auch nicht dargestellt wird. So sehr aber auch Buschs Resümee enttäuscht (und übrigens durch das Lesen von schon einmal Gelesenem ermüdet), so muß doch insgesamt konstatiert werden, daß Busch es verstanden hat, die sozialen Interaktionsfelder der bemerkenswerten mecklenburgischen Ständegeschichte mit neuen Beiträgen bereichert zu haben. Vor allem seine dezidiert detailreichen Schilderungen der Motiv-, Verteilungs-, Beeinträchtigungs- und Bewertungskonflikte zeichnen ein das übliche Vorurteil gegenüber Mecklenburg bestätigendes Bild, obgleich dies für den von Busch fokussierten Untersuchungszeitraum kein ungewöhnlicher Zustand war. Nur: Die Retrospektive, die die Zeit überblickt, in der noch bis 1918 der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich galt, läßt dieses Vorurteil plausibler erscheinen. Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift Nobilitas für deutsche Adelsforschung (Jahrgang 2013) und stammt von Claus Heinrich Bill. Annotationen:
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