Institut Deutsche Adelsforschung
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Adel in der Niederlausitz

Besprechung eines Ausstellungs-Kataloges des Fürst-Pückler-Museums zu Branitz

„Branitz,“, so schwärmte ein Gartenschriftsteller im Jahre 1859 in einer Zeitschrift für die Liebhaber kultivierter Natur, „der jetzige Landsitz des Fürsten Pückler-Muskau, ist die jüngste Schöpfung dieses großen Künstlers, und liegt ganz nahe bei der gewerbreichen Stadt Cottbus, 3 Meilen von Muskau und ungefähr eben so weit von Guben, der nächsten Eisenbahnstation. Es ist schwierig, etwas über eine erst werdende Anlage zu sagen, besonders schwierig, wenn kein Plan vorhanden ist, und man blos aus der Erinnerung eines kurzen Besuches sprechen muss. Indessen hat dieser Park als Residenz des Fürsten einen so großen Ruf erlangt und ist für Landschaftsgärtner und Gärten liebende ländliche Grundbesitzer so lehrreich, dass ich den Dank der Leser zu verdienen hoffe, wenn ich einige Mittheilungen darüber mache. Wer in Branitz einen großen schönen Park sucht, und etwa an ein zweites Muskau denkt, würde sehr getäuscht werden und es ist nur denjenigen anzurathen, diesen Garten aufzusuchen, die etwas daraus lernen wollen, nicht aber Neugierigen oder solchen, die fertige Schönheiten sehen wollen. Durch die Anlage von Branitz hat der Fürst bewiesen, dass mit Geld ein fähiger Kopf, überall wo Pflanzen wachsen wollen, Gärten anlegen kann, selbst in der Wüste Sahara und den Steppen, mit denen die Gegend um Branitz die größte Ähnlichkeit hat. Er hat ferner bewiesen, dass Niemand so alt ist, um nicht noch die Freude erleben zu können, die gepflanzten Bäume groß und Schatten gebend zu sehen, denn obschon 1846 die ganze Gegend so viel wie keine Bäume hatte, so kann man dort jetzt schon stundenlang unter schattigen hohen Bäumen gehen, die das Ansehen haben, als wären sie vor 30 Jahren und länger gepflanzt, welche der einförmigen Ebene Leben und Bewegung bringen. Der Fürst hat eine Landschaft geschaffen, wo sonst nichts war, nicht einmal ein abwechselnder Boden, um die Einförmigkeit der Horizontlinie zu beseitigen, keine Wiese oder Weide, um Rasen daraus zumachen, kein Bach oder Teich, um Frische zu verbreiten: kurz nichts als ein leidliches Schloß mit Baumgarten, Ökonomiegebäude, einige Taglöhnerhäuser um dasselbe und ein kleines Dorf mit einigen Obstbäumen, Erlen und Pappeln, nördlich eine halbe Stunde entfernt, die Stadt Cottbus, zwar thurmreich, aber fast nackt im Felde liegend, südlich in gleicher Entfernung magerer Kiefernwald, einen langen geraden Saum bildend.“ [1]

Heute freilich ist Branitz „fertig“ angelegt, verändert sich aber doch, da es sich um ein erhaltenes Naturdenkmal handelt, immer noch und stetig weiter. Branitz ist im XXI. Säkulum nicht nur einer der meistbesuchtesten landschaftgärtnerischen Tourismusziele Deutschlands, sondern auch Sitz des Fürst-Pückler-Museums, in dem im Jahre 2014 die Ausstellung „Herrschaftszeiten! Adel in der Niederlausitz“ (9. Mai bis 31. Oktober 2014) eingerichtet wurde.

Erschienen ist dazu im Mai 2014 ein hier anzuzeigender Katalog und Begleitband zur Ausstellung, der hier besprochen werden soll. Seine 176 Seiten im Format 16 x 24 cm mit vielen farbigen Ablichtungen wurden herausgeben von der Hauptbearbeiterin des Bandes, der Ausstellungskuratorin Dr. phil. Simone Neuhäuser von der Stiftung Fürst-Pückler-Museum (ISBN: 978-3-910061-34-7). 

Der Katalog enthält insgesamt zwei Teile, einen Aufsatzteil, der die Hälfte der Seiten einnimmt (Seite 7-85) und einen Exponateteil (Seite 86-142). Im ersten Teil werden sechs Aufsätze abgedruckt, alle reich schwarz-weiß und farbig bebildert. Dr. phil. Vinzenz Czech informiert zuerst in seinem Beitrag (Seite 7-15) über die Landesherrschaft der Niederlausitz, die schwachen Fürsten und die dadurch zu „kleinen Fürsten“ aufsteigenden Adeligen der Gegend, die die Standesherrschaften entstehen ließen, oft kleine Staaten mit weitreichenden juristischen Befugnissen, zu denen neben Pückler-Branitz auch Brühl-Pförten zählte. Der Beitrag von Dr. phil. Jan Klußmann führt dagegen in die Geschichte der Familie v.Biberstein und ihres Herrensitzes Forst-Pförten ein (Seite 17-35), bevor eine deskriptiv-kunsthistorische Abhandlung von Dr. phil. Cornelia Aman, Dr. phil. Maria Deiters und Dipl.-Ing. Annegret Gehrmann über adelig-geistliche Kunststiftungen in der Niederlausitz folgt (Seite 36-51). Anschließend begibt sich Dipl.-Ing. Claus Wecke auf eine aktuelle Spurensuche nach den Resten der Parkanalgen und Gärten der niederlausitzischen Herrensitze, bei denen er historische und aktuelle Gegebenheiten einander gegenüberstellt und auch fotografisch reichhaltig ausschmückt (Seite 52-75). Dabei wird immer wieder und bei etlichen Parks deutlich, wie sehr diese vor allem durch den Braunkohleabbau in der DDR davastiert wurden, der teils ganz Landschaften umgrub und für immer veränderte sowie dem ökonomischen Primat des Materialismus unterwarf. 

Die polnische Niederlausitz mit ihren Herrenhäusern und Schlössern stellt sodann Dr.st.hum. Barbara Bielins-Kopec vor; sie behandelt die Bau- und Besitzergeschichte von Sorau (Familie v.Biberstein), Beitzsch (Familie v.Wiedebach), Pförten (Grafen v.Brühl), Amtitz (Familie v.Schoenaich) und Triebel (Familie v.Promnitz)  und vergißt auch nicht die problematischen Zeiten nach 1990 zu erwähnen, in denen viele Herrenhäuser die Zeit nicht überstanden hätten, wenn nicht ehrenamtliche Denkmalpfleger für sie aktiv gewesen wären (Seite 76-85).

Im zweiten Katalogteil folgt dann die Vorstellung der Ausstellungskonzeption, die geographisch sortiert ist und neun Räume umfaßt, die je einem Herrschaftssitz gewidmet sind; ein Lageplan der Räume der Sonderausstellung ergänzt die Ausführungen grafisch und gibt einen guten Überblick (Seite 91). Der Katalog der Exponate, die aus Karten, Bildern, Manuskripten, Urkunden, Kelchen, Ofenplatten, Geschirr und aus Möbeln ebenso wie aus Fotos und Gemälden besteht, beschreibt die Ausstellungsstücke und bringt viele Fotos dazu, auch wenn von den insgesamt 120 Exponaten nur 34 % näher beschrieben wurden. Dabei reichen die zusammengetragenen Exponate, die aus Brandenburg, Polen, Sachsen und Sachsen-Anhalt stammen, eine zeitliche Spannbreite von 1381 (Landregister aus Sorau) bis 1927 (Zeitungsausschnitt aus Berlin) auf. Abgerundet wird der Band schließlich durch eine polnischsprachige Zusammenfassung (Seite 143-160) sowie ein Literaturverzeichnis (Seite 162-170).

Je nach weltanschaulicher und fachwissenschaftlicher Orientierung bringt der Band sehr unterschiedliche Perspektiven zum Ausdruck. Da werden kritische Statements zum Adel beispielsweise in Form der Denkschrift des nichtadeligen Groß Leuthener Gutsbesitzers Christian Wilhelm Griebenow zitiert (Seite 127), aber es kommt auch ebenso gut zu performativen Bildakten mit unkommentierten Prolongierungen adeligen Prestiges und Ruhms, ebenso von Geschlechterrollenbildern. Dies ist beispielsweise an den ausgestellten Portraits erkenntlich, die aus dem XVI. und XIX. Säkulum stammen und historische Gender-Vorstellungen erneut im XXI. Säkulum (nämlich eben im Katalog) abbilden. [2] 

Dies äußert sich in Stereotypen von Kontextualität (Setting, Umgebung), Körperhaltung, Armhaltung, Handhaltung, Hautdarstellung, Kleidung und Accessoires, wenn man die historische Bildanalyse anwendet. [3] Die im Katalog vertretenen Ansätze stellen daher meistens einen historistischen Standpunkt dar, [4] wobei zu bedenken ist, daß die Publikation des Kataloges auch keine wissenschaftliche Zielgruppe hat, sondern eine populärpädagogische Ausrichtung besitzt. 

Der Band will unterhalten und informieren, ist eine Art historisches Infotainment, fokussiert sich meist, literaturwissenschaftlich gesprochen, auf sogenannte „Haupt- und Staatsaktionen“, [5] ohne die Chancen neuer Ansätze der Geschichtswissenschaft zu nutzen, also beispielsweise Alltagsgeschichte oder Historische Anthropologie. Auch die kulturellen, linguistischen, topographischen, spatialen, piktoralen, praktischen und postkolonialen Turns scheinen an den Verfasser*Innen spurlos vorüber gegangen zu sein. [6] Vielfach entsteht der Eindruck, man folge hier noch kollaborativ Rankes veraltetem Grundsatz, zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen“. [7] 

Doch abgesehen von diesen methodologischen Mankos ist der Herausgeberin und dem Branitzer Museum ein gelungener Band zu attestieren, der als Ausstellungsbegleiter wertvolle Dienste bei der Orientierung und Vertiefung leistet., dabei auch die wechselvolle Geschichte ehemaliger adeliger Eliten aufarbeitet und in großen Zügen darstellt und eine sinnliche Erfahrbarkeit vormoderner Lebenswelten der Niederlausitz möglich macht.

Diese Besprechung stammt von Claus Heinrich Bill (2014).

  • Annotationen:
  • [1] = Jäger: Der Park zu Branitz, in: Eduard Regel (Hg.): Gartenflora. Allgemeine Monatsschrift für deutsche, russische und schweizerische Garten- und Blumenkunde, Jahrgang VIII., Erlangen 1859, Seite 139
  • [2] = Der Komplex kann hier nur ganz kurz angerissen werden. Nach Hausen lassen sich historische Mann-Frau-Dichotomien mit zugeschriebenen Eigenschaften in diversen Diskursen der Vergangenheit ausmachen: Weibliche Charaktere stehen demnach u.a. für Innen, Nähe, Häusliches Leben, Passivität, Schwäche, Hingebung, Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Anpassung, Liebe, Güte, Selbstaufgabe, Gefühl, Gemüt, Empfindung und Religiosität. Männliche Charaktere stehen dagegen u.a. für Außen, Weite, Öffentliches Leben, Aktivität, Energie, Kraft, Willenskraft, Tapferkeit, Selbstständigkeit, Strebsamkeit, Wirksamkeit. Siehe dazu Kathrin Hausen: Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen, Stuttgart 1976, Seite 368. Hausens Aufsatz gilt als Intitialzündung für die Erforschung der deutschen Geschlechtergeschichte.
  • [3] = Siehe dazu die Ausführungen über Bildkunde (Analyse historischer Bilder) bei Hans-Juergen Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbek 32007, Seite 88-103
  • [4] = Zur Begriffsvielfalt siehe das Lemma „Historismus“ bei Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2002, Seite 171-174. Hier wird Historismus verstanden als rückwärtsgewandte unreflektierte Geschichte, die vor allem historische Ereignisabläufe evolutionär rekonstruiert und repräsentiert.
  • [5] = Siehe dazu das Lemma „Haupt- und Staatsaktion“ bei Werner Kohlschmidt / Wolfgang Mohr (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band I., Berlin / New York 1958, Seite 619-621 sowie bei Dieter Burdorf / Christoph Fasbender / Burkhard Moennighoff (Hg.): Metzler Lexikon Literatur, Stuttgart 32007, Seite 305
  • [6] = Siehe dazu ganz allgemein das Lemma „Turns“ bei Ute Frietsch / Jörg Rogge (Hg.): Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens, Bielefeld 2013, Seite 399-404. Mit der Abbildung eines Gemäldes einer Gräfin zu Lynar mit einem `Mohr des Begehrens´ werden im Ausstellungskatalog (Seite 88) sogar koloniale Bilddiskurse ungerührt fortgeführt. Zum Zusammenhang von Gender- und Postkolonial-Bezügen siehe Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies, Berlin 2008, Seite 119-131
  • [7] = Leopold v.Ranke: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, Band I., Leipzig / Berlin 1824, Seite V. (Vorrede):„Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen.“

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