Institut Deutsche Adelsforschung
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Burgen, Adelssitze und Villen am Bodensee

Ländliche wie städtische Herrensitze und Adelshäuser im maritimen Dreiländereck in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Am 1. Mai 1931 unternahm der im österreichisch-vorarlbergischen Bludenz ansässige „Wissenschaftliche Landesverein“ seine Frühlingskraftdroschkenfahrt; dazu notierte der Anzeiger für die Bezirke Bludenz und Montafon in seinem Jahrgang XLVII und dort in seiner Ausgabe Nummer 15 vom 11. April 1931 auf Seite 1 in einer Ankündigung dazu: „Das Reiseziel ist das am Kunsthimmel glänzende Dreigestirn Salem-Heiligenberg-Birnau. In Salem werden wir die gotische Baukunst in dem Klostergebäude mit seinem prächtigen Münster bewundern können, dessen Innenausstattung im Stile Ludwigs XVI. zwar mit dem gotischen Bau selbst in Kontrast steht, aber der herrlichen Ausführung wegen allgemeine Bewunderung erregt (das Kloster in Salem ist im 12. Jahrhundert entstanden). Im Jahre 1897 ist beinahe das ganze Kloster mit Ausnahme des Münsters abgebrannt. Den Neubau führte der Vorarlberger Franz Beer durch. Dem Münster gab dann der Abt Anselm II. (1746-1778), wohl die stärkste Persönlichkeit in der langen Liste der salemischen Prälaten, die überaus reiche künstlerische Innenausstattung.
 
In Heiligenberg haben wir in dem prächtigen Schloß des Fürsten von Fürstenberg ein staunenswertes Werk aus der Hochrenaissance. Das Schloß Heiligenberg war der Sitz des im 10. Jahrh.[undert] blühenden Grafengeschlechtes derer von Heiligenberg. Einer aus dem Stamme dieser Grafen hat [zur] Mitte des XIII. Jahrh.[underts] in der Nähe des alten Schlosses das heute noch stehende Schloß Heiligenberg erbaut. Im Jahre 1277 wurde dieses Schloß an die alten Grafen von Werdenberg verkauft. Von diesen ging es 1434 in den Besitz der Linie Werdenberg-Sigmaringen über. Als diese Linie 1534 erlosch, erbten es die Fürsten von Fürstenberg, in deren Besitz es mit Unterbrechung vom Untergange des deutschen Reiches im Jahre 1806 bis zum Jahre 1834 bis heute ist (1806-1834 gehörte es dem Großherzogl.[ich]-bad.[ischen] Haus und wurde 1834 als freies Besitztum dem Für­sten von Fürstenberg wieder gegeben). Dieses Schloß mit seiner herrlichen Ausstattung und seinen Schätzen bietet aus der Stilepoche der Hochrenaissance in seiner vornehmen und einzig dastehenden Art ein selten schönes Denkmal.“

Was damals, im Jahre 1931 galt, gilt auch heute noch, fast hundert Jahre später, wie man nun einem kombinierten Bild- und Textband entnehmen kann. Das Schloß Heiligenberg wird, obschon es gar nicht am Bodensee liegt, sondern rund 15 km ostwärts von Überlingen und dem Oberseeufer entfernt, in jenem Werk mit einem Geschichtsüberblick und einem Bilde auf Seite 46-47 abgebildet;1 es handelt sich um Michael Weithmanns Werk „Die schönsten Burgen und Schlösser am Bodensee. Faszinierende Zeugen der Vergangenheit, erschienen im Jahre 2023 im Silberburg-Verlag von Titus Häussermann mit 128 Seiten. Erhältlich ist der Band unter der ISBN „978-3-8425-2415-6“ mit Festeinband um den Preis von 24,99 Euro im stationären oder virtuellen Buchhandel.

Vorgestellt werden auf je einer Doppelseite 41 Herrensitze, wobei Burgen und Schlösser aus allen Epochen – rund um den Obersee ebenso wie den Untersee des Bodensees – neben Wohntürmen und Stadtadelshöfen integriert worden sind. In einem Vorwort (Seite 8-13) führt der Verfasser in die unübersichtliche Geschichte des Bodenseeraumes ein, geht besonders auf die Zersplitterung der weltlichen wie geistlichen Territorien und die häufigen Auseinandersetzungen rechtlicher wie kämpferischer Natur ein, um das Auftreten so mancher baulicher Zeugen zu hinterfüttern. So erwähnt er die Entstehung des Rittertums im 11. Jahrhundert, den dann vor allem im 12. und 13. Jahrhundert folgenden Burgenbau, den Umbau dieser Burgen zu oder den Neubau von Repräsentationsschlössern in der Renaissance und die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts als Epoche, in denen weitere herrensitzliche Raumaktanten entstanden.2

Da dabei auch bürgerliche Herrensitze mit schloßähnlichen Motivverwirklichungen geschildert und vorgestellt werden,3 so die sogenannte Mittelweiherburg zu Hard, eigentlich errichtet von und für einen nichtadeligen Doktor der Rechte im 16. Jahrhundert,4  wirkt der Titel des Buches etwas inkorrekt, da es nicht „Burgen und Schlösser am Bodensee“, sondern besser „Herrensitze am Bodensee“ hätte heißen müssen. Allerdings ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß derartige Bauten – wie die Mittelweiherburg – im Alltagswissen oft als „Schloß“ bezeichnet wurden und auch noch werden, mithin die Titelwahl des Werkes auf dieses Alltagswissen ausgerichtet ist, daß nur wenig Schnittmengen mit dem wissenschaftlichen Wissen aufweist, da es anderen Zwecken als der Fachdisziplin dient.5

Insofern führt das Werk nur folgerichtig den jetzigen Titel, auch wenn er fachwissenschaftlich aus Historiker:innensicht im Grunde nicht haltbar ist. Gleiches gilt auch für einige Villen in Städten, die in dem Band ebenfalls geschildert und präsentiert  werden (obschon sie weder „Burgen“ noch „Schlösser“ waren und sind), so die Villa Lindenhof in Bad Schachen, erbaut in den 1840er Jahren von dem sozial und ökonomisch aufgestiegenen Fuhrunternehmer Gruber, dessen Grabplattenspruch (er wurde im Park der Villa beigesetzt, was man als verkleinertes und verbürgerlichtes Zitat des aristokratischen Parks als Memoria- und Erinnerungsort verstehen kann)6 dezidiert die bürgerliche Tugend der Leistungsbereitschaft zelebrierte und noch heute Besuchende an der situativ-theatralen (Wieder-) Aufführung des steinernen Dingaktanten teilhaben läßt: „Rastlos mußt du vorwärts streben, nie ermüdet stille stehen, willst du die Vollendung sehen“ (Seite 27). Aber auch die Wohnsitze von Dichter:innen oder „Dichterfürsten“, wie man sie bisweilen aristokratisierend nannte,7 kommen im handlichen Büchlein zum Abdruck. Dazu zählt das „Scheffelschlößchen“ in Radolfzell (Seite 68-69) und das „Fürstenhäusle“ der Annette von Droste-Hülshoff (Seite 40-41).

Aber auch geradezu ikonisch gewordene Burgen zählen zu den geschilderten klassischen Anlagen, so das schweizerische Hagenwil als Wasserburg, in seiner Baugeste trotzig mit steinernen Fundamenten hoch aufragend, oben einen leichter empfundenen Fachwerkbau tragend (Seite 104-107, hier eher ausnahmsweise, im Band sogar, was selten vorkommt, mit zwei Doppelseiten vertreten), ähnlich burgtypisch mit mächtig erscheinendem steinernen Fundament und aufgesetztem Gaden (Fachwerk) mag auch die Burg Mammertshofen in Roggwil im Kanton Thurgau aufscheinen (Seite 110-111).
Einen hybriden Bautyp stellt zudem der Geschlechterturm „Zum goldenen Löwen“, auf der deutschen Seite des Bodensees, in Konstanz, dar (Seite 100-101), weil sich hier elitenstatusbeanspruchende Patrizier einen baulichen Ausdruck ihres Herrschaftsanspruches schufen und eine ganz eigene Baugeste auf begrenztem Raume konstruierten, indem sie den umkämpften und knapp verfügbaren städtischen Raum innerhalb der schützenden Stadtmauern im 13. und 14. Jahrhundert dadurch nutzten, in die Höhe zu bauen anstatt in die Breite.8

Abgesehen von den einzelnen Bautypen dienst das Buch aber vor allem insgesamt einem ersten Eindruck der Herrensitzbauten und deren Vielfalt am Bodensee, vor allem für Reisende, die das maritime Dreiländereck (neu) entdecken wollen oder Perlen der Herrschaftsarchitektur aufsuchen möchten. Das Werk lädt zudem ein zu vertiefter Beschäftigung, sei es in Auseinandersetzung oder besser dem eigenen Erleben mit dem Bauten selbst vor Ort, aber auch durch die Anregung des Weiterlesens auf den stets bei den einzelnen Häusern benannten Webseiten sowie in der weiteren Literatur. Dies gilt zudem auch für einige Häuser, die sich als Museen besuchen lassen, so das Reichlin-Meldeggsche Stadtadelspalais in Ueberlingen (Seite 50-51) oder Arenenberg mit seinem Napoleon-III.-Museum (Seite 94-95). Das Buch ist somit ein erster literarischer kleiner Streifzug, der zu eigenen Entdeckungen in der Bodenseeregion einlädt, mit kleinen und gefällig geschriebenen Texten versehen, die sich auch zwischendurch lesen lassen, als Vorbereitung zum eigenen Besuch, aber eben auch als leichte Reiselektüre zur Nachbereitung. Für das eingangs erwähnte Schloß Heiligenberg der fürstenbergschen Familie gilt dies indes nur eingeschränkt; eine Innenbesichtigung ist derzeit nur einmal jährlich am „Tag des offenen Denkmals“ möglich, von außen aber ist es bereits von weitem sichtbar und thront auf einem Hochplateau über dem Bodensee.9

1 = Unklar bleibt, was hier genau „am Bodensee“ heißen soll, denn über die eher willkürlich erscheinende Auswahl hat der Verfasser des Buches im Text nicht erkennbar reflektiert. Nicht enthalten sind beispielsweise Daten zum Schloß Langenrain am Nordufer des Obersees oder zu Schloß Hegne am Ostufer des Untersees. Allerdings lautet der Titel ohnehin bereits einschränkend „Die schönsten Burgen und Schlösser“, so daß die Schönheit in den Augen des Betrachters lag.

2 = Zum Raumaktantenbegriff siehe Anke Rees: Das Gebäude als Akteur. Architekturen und ihre Atmosphären, Zürich: Chronos 2016, 364 Seiten; Kathrin Busch: Hybride. Der Raum als Aktant, in: Meike Kröncke / Kerstin Mey / Yvonne Spielmann (Herausgeber:innen): Kultureller Umbau. Räume, Identitäten und Re/Präsentationen, Bielefeld: Transcript 2015, Seite 13-28.

3 = Hierzu fernerhin auch  Wolfgang Richter / Jürgen Zänker: Der Bürgertraum vom Adelsschloß. Aristokratische Bauformen im 19. und 20. Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1988, 276 Seiten.

4 = Nicht verhandelt wurden hier indes Fragen des möglicherweise vorliegenden akademischen Systemadels; siehe dazu indes weiterführend Hermann Lange: Vom Adel des Doctor[s], in: Luig, Klaus / Liebs, Detlev (Hg.): Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Franz Wieacker, Ebelsbach 1980, Seite 279-294 (betrifft Frage der Adeligkeit der Rechtsdoktoren und Doktorenadel sowie akademischen Systemadel).

5 = Dazu immer noch, obschon bereits älter, Eginhard Hora (Schlußredakteur): Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie. Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit (herausgegeben, verfaßt und übersetzt von einer Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen), Band 1 (Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973, 261 Seiten (Band LIV der Schriftenreihe „Rororo-Studium“).

6 = Monika Gussone: Standesdenken, in: Friedrich Jaeger (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Band XII, Stuttgart: J. B. Metzler 2010, Spalte 894-903 (nennt als Kernmerkmale des Adels unter anderem auch Parks  und Gärten).

7 = Jan de Vries: Aristokratismus als Kulturkritik. Kulturelle Adelssemantiken zwischen 1890 und 1945, Köln / Weimar / Wien: Böhlauverlag 2020, 348 Seiten (darin auch ein Abschnitt über „Dichterfürsten“ als Begriff).

8 = Hierzu siehe weiterführend Evelyn Roll: Die Geschlechtertürme von Frankfurt, in: Boris Grojs: Städte bauen, Berlin: Rowohlt und Berlin-Verlag-GmbH 1993, Seite 135-140; Klaus Tragbar: Vom Geschlechterturm zum Stadthaus. Studien zu Herkunft, Typologie und städtebaulichen Aspekten des mittelalterlichen Wohnbaus in der Toskana (um 1100 bis 1350), Münster: Rhema-Verlag 2003, 356 Seiten (Band X der Reihe „Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance“); Karl Theodor Pohlig: Die Patrizierburgen des Mittelalters in Regensburg, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, Band LXVII (1917), Seite 1-83; Kerstin Pöllath: „Ein sonderbar Zierd dieser Stadt ist die Meng vieler hoher Thürm“. Profane mittelalterliche Türme in Regensburg. Studien zu ihrer Geschichte und Funktion, Regensburg 2019 (Band XXV der Reihe „Regensburger Studien), 431 Seiten; Angelika Sauerer: Die Geschlechtertürme. Stein gewordener Stolz. Wolkenkratzer des Mittelalters, in: Peter Morsbach (Hg.): Regensburg. Metropole im Mittelalter, Regensburg 2007, Seite 212-221; Heinz Müller (Hg.): Wohntürme. Kolloquium vom 28. September bis 30. September 2001 auf Burg Kriebstein in Sachsen, Langenweißbach: Verlag Beier und Beran 2002, 174 Seiten; Armand Baeriswyl: Herrenhöfe, Erdwerke und Wohntürme. Die Anfänge des mittelalterlichen Burgenbaus im deutschsprachigen Raum, in: Zeugen vergangener Macht und Herrschaft. Schweizer Burgen und Schlösser vom Mittelalter bis heute, Basel: Verlag des Schweizerischen Burgenvereins 2021, Seite 26-38.

9 = Stephanie Jakober: Erbprinzenpaar jetzt Heiligenberger. Die Familie lebt bereits seit 2013 dort im Schloss. Nun haben sie den Hauptwohnsitz offiziell umgemeldet. Der Familiensitz bleibt aber in Donaueschingen, in: Südkurier (Donaueschingen), Ausgabe vom 26. Jänner 2022, Seite 17: „Doch mit der Mitteilung, dass Christian und Jeannette zu Fürstenberg ihren Wohnsitz umgemeldet haben, wird auch gleichzeitig mitgeteilt, dass, um die ‚Sicherheit und Privatsphäre der jungen Familie zu gewährleisten‘, bis auf Weiteres keine Schlossführungen mehr angeboten werden. Wohl hatte es Schlossbesucher gegeben, die die Privatsphäre nicht respektiert hatten, auf die das Erbprinzenpaar besonders bei den vier Kindern großen Wert legt.  ‚In den letzten Jahrzehnten haben wir unsere Tore sehr gern für kunsthistorisch interessierte Mitbürger geöffnet‘, sagt Christian Erbprinz zu Fürstenberg und fügt hinzu: ‚Wir bitten um Verständnis, dass wir dies vorerst nicht fortführen können, damit unsere Kinderschar unbeschwert zu Hause aufwachsen kann‘, erläutert der Erbprinz. Das Haus Fürstenberg hat jedoch signalisiert, dass das Schloss Heiligenberg zu besonderen Anlässen wie beispielsweise dem Tag des Denkmals für die Öffentlichkeit geöffnet werden kann.“


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